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Das elfte Gebot. Predigt zum Eröffnungsgottesdienst im Sommersemester der Theologischen Fakultät

Autor:Findl-Ludescher Anni
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-03-06

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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80:20 ist eine Art „Zauberformel“ aus dem Bereich des Coaching. Für Projekt- und Zeitmanagement wird sie gerne herangezogen. Die Formel stammt aus der Wirtschaft: durchschnittlich werden mit 20% der Mittel 80% des Umsatzes eines Unternehmens erwirtschaftet. Diese Erfahrung wird umgelegt auf die Produktivität von Einzelpersonen:

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Es sind 20% der eigenen Anstrengungen, die für 80% unseres persönlichen Erfolgs verantwortlich sind. Um relativ gut zu sein reicht also ein Mitteleinsatz von 20%. Möchte man so richtig gut sein, also nicht 80% erreichen, sondern 95 oder 100, dann erfordert das einen ungleich höheren Aufwand. Für das Erreichen dieser zusätzlichen 20% braucht es die fehlenden 80.

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Das Prinzip 80:20 ist nicht schlecht, wenn man ein Semester vor sich hat mit einigen Seminaren, einem Praktikum und VLen. Es ist notwendig, sich eine Strategie zurecht zu legen, mit der man diese Anforderungen bestehen kann.

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Dieses Prinzip hat seine Grenzen: einige von Ihnen sind vielleicht frisch verliebt. Wenn ich Ihnen jetzt sage: 80% Zufriedenheit mit der Liebe, mit der Beziehung – das reicht!! Sind Sie einverstanden?

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Das Prinzip 80:20 kommt mir auch in den Sinn, wenn ich an die Entstehung von Abschlussarbeiten (BA, MA) denke: Da geht es am Beginn um das Thema, um den Umfang, bereits vorhandene Vorarbeiten, die Frage, wieviel Literatur noch eingearbeitet werden muss. Etc. Und dann erwacht – manchmal - der Eros: plötzlich wird eine Recherche im Archiv wichtig oder doch ein Interview mit einem Experten – oder ein Wissenschaftler einer anderen Fakultät soll angefragt werden, oder… Leidenschaft kommt ins Spiel.

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Was geschieht, wenn plötzlich der gewohnte Modus zurückgelassen wird? Was genau macht den Unterschied, dass dieses Prinzip oft passt und manchmal nicht?

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Der junge Mann, der auf Jesus zuläuft, ist in Sachen Religion mit der 80:20 Regel gut gefahren. „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ fragt er und gewissermaßen bestätigt ihn Jesus in seiner Lebensweise: er verweist auf die Gebote und der Mann sagt, dass er diese eh erfüllt. Und dann? Dann hätte er ja einfach gehen können. Er hat eine Antwort auf seine Frage bekommen. Das Einhalten der Gebote ist notwendig. Mit dieser Antwort ist er in seiner Lebenspraxis bestätigt worden. 80:20 passt. Alles bestens also: Zeit, sich zu bedanken und zu gehen. Aber er bleibt.

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Ich denke, Sie kennen das: solche Momente, wenn eine Sache, ein Thema eigentlich besprochen ist, geklärt, abgeschlossen – und dann ist es doch nicht fertig, - ein Augenblick, wo plötzlich alles in der Schwebe ist.

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Solche Schwebemomente gibt es nicht nur in Geschichten, in Filmen, sie gibt es auch in Ihrem Leben.

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Oft biegen wir schnell ab, versuchen zu ignorieren, was da ins Wanken kommt, suchen schnell wieder den festen Boden. Was geschieht, wenn wir diesen Moment wagen, aushalten?

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So ein Moment der Schwebe, der Disbalance, ereignet sich jetzt zwischen dem jungen Mann und Jesus. Sie schauen sich an, sie halten den Blick aus. Es ist eine Situation mit unbestimmtem Ausgang. Wie geht es weiter? Gefühle kommen mit ins Spiel. Jesus schaut ihn an, Wohlwollen, Sympathie, Liebe wird spürbar. Die Situation bleibt weiter in der Schwebe. „Eines fehlt dir noch“ sagt Jesus jetzt. „Geh, verkaufe, was du hast…“ Man könnte meinen, Jesus verkündet jetzt das 11. Gebot. Aber Jesus sagt nicht „Eines fehlt noch“, sondern „Eines fehlt DIR noch“. Er schaut ihn an, er schaut ihn voll Liebe an, und da erkennt er die Besonderheit dieses jungen Mannes – was sein besonderes Potenzial, seine Stärke, seine Leidenschaft ist und damit verbunden seine Schwachstelle. „Eines fehlt DIR noch“. Dieses 11. Gebot ist individuell. Bei diesem Mann hat er offensichtlich einen Treffer gelandet. Das „Viel-Haben“ ist bei ihm ein „Viel-Haben-Wollen“ ein „Viel-Haben-Müssen“.

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Was ist dieser Punkt bei Ihnen, bei mir, bei dir? Ist es auch das besitzen wollen? Oder eher das Rechthaben wollen? Das gut sein müssen, das gefallen wollen? Das genießen wollen?

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Will ich es überhaupt wissen? Will ich mein 11. Gebot entdecken? Weiche ich dem nicht ganz gerne aus?

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Im Hören dieses Abschnittes aus dem Markus-Evangelium sind wir mit hineingenommen in eine Situation, wo die beiden Hauptbeteiligten nicht schnell abbiegen, wo sie den wankenden Boden aushalten, den Blick aushalten, den ungewissen Ausgang. Wir sind mit hineingenommen als Zuhörerin, als Zuschauer und vielleicht lassen wir uns noch mehr involvieren.

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Dieses Evangelium ist uns aufgegeben am Beginn dieses Semesters. Mit dem jungen Mann und mit den Jüngern spüren wir die hohe Forderung, die Ratlosigkeit über die Aussagen Jesu: Kann das wirklich wahr sein, was Jesus hier sagt? Wie kann Jesus so etwas immens Hohes fordern? Und Jesus nimmt ihnen die Ratlosigkeit nicht, er verstärkt sie: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“

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Wenn wir uns in den nächsten Monaten mit Philosophie und Theologie beschäftigen, dann ist dieses Evangelium ein starker Impuls, die Momente der Disbalance, die Ratlosigkeiten als Teil des Studierens, als Teil des Lebens mitzunehmen, nicht auf die schnellen Frage-Antwort-Spiele zu setzen.

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80:20 ist durchaus ein gutes Prinzip. Es schützt vor Überforderung, vor Burn-out, es lehrt das Gut-sein-lassen, die Zufriedenheit mit dem Guten usw. Als Haltung, als Modus für das ganze Leben ist diese Regel ungeeignet.

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Die Ahnung, dass es für uns alle ein 11. Gebot gibt, fordert uns. Diese Ahnung macht unruhig. Da kommt Leidenschaft ins Spiel, aber auch Angst. Die einfachen, für alle verständlichen Antworten, Logiken, gelten dann vielleicht nicht mehr.  Diese Ahnung lockt uns in die Nähe Jesu, lockt uns, die Momente der Schwebe, der Disbalance, der Ungewissheit auszuhalten.

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Dieses Semester, das jetzt beginnt,  ist ein hervorragender Ort dafür.

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