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Das Foucaultsche Pendel und die Vernünftigkeit, an einen dreifaltigen Gott zu glauben
(Dialog zwischen Josef Quitterer (J) und Bruno Niederbacher SJ (B) beim Fest der Wissenschaft anlässlich des 350 Jahr Jubiläums der Universität Innsbruck)

Autor:Quitterer Josef, Niederbacher Bruno
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-06-23

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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B: Wir feiern heute den dreifaltigen Gott.

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J: Und vor uns schwingt das Foucaultsche Pendel. Jean Bernard Léon Foucault beobachtete 1851, dass sich die Schwingungsebene des Pendels langsam dreht. Mit der Schwerkraft oder einer anderen Kraft konnte er diese Drehung nicht erklären. Es musste also am Boden liegen, sprich, an der Erde: Sie dreht sich. Angenommen hatten dies bereits Leute im Altertum und Mittelalter. Nun aber war ein Beweis erbracht.

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B: Naturwissenschaftler legen Beweise für ihre Behauptungen vor. Aber was ist mit der Religion? Mit dem Glauben, dass ein Gott existiert, dass er dreifaltig ist, dass er für uns Sorge trägt?

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J: Für Aussagen über die Trinität gibt es einen alten Merkspruch: fünf Notionen, vier Relationen, drei Personen, zwei Prozessionen, ein Gott, kein Beweis.

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B: Kein Beweis? Das wäre nicht gut. Die neuen Atheisten werfen uns vor, leichtgläubig zu sein, intellektuell zurückgeblieben, ja sogar dumm. Wir seien noch nicht in der modernen naturwissenschaftlichen Zivilisation angekommen. Dort gäbe es keinen Platz für Gott. Richard Dawkins sprach vom „Gotteswahn“, dem wir verfallen seien.

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J: Als Philosoph solltest du diese Kritik nicht so leichtgläubig schlucken.

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B: Was hast du denen schon entgegenzusetzen? Hast du so etwas wie ein Quitterer‘sches Pendel für die Religion?

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J: Ich würde sagen: Naturwissenschaftliche Beweise sind nur eine Weise, vernünftig zu sein. Es gibt noch viele andere Weisen.

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B: Zum Beispiel?

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J: Hast du heute morgen gefrühstückt?

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B: Klar. Aber jetzt lenkst du ab.

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J: Moment: Du glaubst also, dass du heute morgen gefrühstückt hast?

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B: Felsenfest.

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J: Und hast du einen Beweis dafür?

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B: Nein, ich habe alles aufgegessen, das Geschirr ist schon weggespült. Dafür brauche ich doch keinen Beweis!

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J: Und würdest du sagen, du bist unvernünftig zu glauben, dass du gefrühstückt hast, obwohl du keinen Beweis dafür hast; und nicht einmal einen zu brauchen meinst.

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B: Natürlich nicht. Meine Überzeugung, dass ich heute gefrühstückt habe ist intellektuell völlig in Ordnung. Würde ich da nach Beweisen suchen, könnte man den Verdacht schöpfen, dass mein Gedächtnis nicht mehr richtig tickt und ich dement werde.

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J: Und wie ist es mit deinen Eltern? Du weißt doch, wer sie sind?

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B: Aber sicher doch. Ich weiß ganz genau, wer meine Eltern sind.

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J: Hast du dafür einen Beweis?

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B: Ich habe noch keinen DNA-Test machen lassen.

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J: Bist du nicht doch völlig vernünftig zu glauben, dass die beiden deine Eltern sind?

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B: Ich denke schon. Sie haben mir irgendwie zu verstehen gegeben, dass sie meine Eltern sind. Ich habe es ihnen geglaubt.

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J: Sind wir nicht grundvernünftig, wenn wir anderen etwas glauben? Zumindest in der Regel, solange wir keine schlechten Erfahrungen mit ihnen machen, z. B. dass sie uns anlügen oder auf den Arm nehmen?

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B: Ich gebe dir Recht. Aber ich könnte auf Nummer sicher gehen wollen und einen Test machen lassen.

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J: Aber selbst dann: Du wirst den Test wohl nicht selber machen können. Du musst einem Biologen glauben. Du musst also wieder jemandem etwas glauben.

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B: Stimmt. Doch der Biologe: Wenigstens der kann sicher sein.

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J: Aber überlege! Auch er muss sich darauf verlassen, wie ihm die Dinge erscheinen.

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B: Und weiter.

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J: Nix weiter. Das reicht mir, um meinen Punkt zu machen. Es gibt viele Weisen, vernünftig zu sein. Manchmal haben wir für etwas einen naturwissenschaftlichen Beweis, oft sind wir aber auch ohne derartige Beweise vernünftig: wenn wir uns auf unser Gedächtnis verlassen, wenn wir anderen glauben, wenn wir uns darauf verlassen, wie uns etwas erscheint.

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B: Aber wie steht es nun um den religiösen Glauben? Erfüllt der irgendein Kriterium der Vernunft?

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J: Ich denke, er kann sogar mehrere erfüllen. Erstens kann er praktisch vernünftig sein.

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B: „Praktisch“? Klingt wie nach  Schokoladewerbung: „quadratisch, praktisch, gut“.

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J: Praktisch vernünftig nennt man ein Tun, wenn es uns zu dem Ziel bringt, das wir erreichen wollen.

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B: Angenommen, mein Ziel ist es, in den Genuss von Schokolade zu kommen.

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J: Dann bist du praktisch vernünftig, wenn du ins Geschäft gehst und dir welche kaufst. Oder wenn du P. Goller, euren Minister, bittest, dass er Schokolade aus dem Depot holt.

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B: Und wie geht das in der Religion?

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J: Ganz einfach: Angenommen, du willst einigermaßen glücklich in dieser Welt leben. Und du merkst: Der religiöse Glaube hilft dir dabei, im Leben zurechtzukommen. Er bietet dir Orientierung. Du fühlst dich besser, wenn du glaubst, dass Gott in allen Lebenslagen an deiner Seite ist. Dann bist du relativ zu deinem Ziel praktisch vernünftig, wenn du religiös gläubig bist.

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B: Ja, mir hilft der Glaube, in dieser Welt zu leben. Also bin ich schon mal praktisch vernünftig. Besser als nichts.

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J: Aber du bist auch theoretisch vernünftig. Du glaubst, weil andere Menschen Zeugnis ablegen: von Gott, von Jesus Christus, von dem, was er getan und gelehrt hat, von seinem Leiden, Tod und Auferstehen.

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B: Und wir haben vorhin gesehen: Glauben aufgrund des Zeugnisses anderer ist vernünftig – wenigstens solange ich nicht den Eindruck habe, dass ich es mit Verrückten oder böswilligen Menschen zu tun habe, die mir einen Bären aufbinden wollen. Ich wäre also auch unter dieser Rücksicht vernünftig.

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J: Und es gibt noch mehr: eigene Erfahrungen.

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B: Wenn ich mich in die Stille des Gebets zurückziehe, habe ich manchmal den Eindruck, dass Gott da ist, mich liebend umfängt und auffängt.

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J: Diese Eindrücke liefern auch Gründe für deinen Glauben.

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B: Wenn du den Eindruck hast, dass deine Frau dich liebt, so bist du – bis auf weiteres – vernünftig zu glauben, dass sie dich liebt.

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J. Und ebenso können wir vernünftig sein, wenn wir glauben, dass Gott uns liebt, wenn wir manchmal diesen Eindruck haben, dass er uns liebt.

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B: Das sind schon vier Gründe, warum ich nicht unvernünftig bin, wenn ich religiös gläubig bin: ein praktischer und drei theoretische. Und wahrscheinlich gibt’s noch mehr.

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J: Mir fallen einige Argumente ein, welche die Philosophen entwickelt haben. Zusammengenommen haben sie auch eine gewisse Kraft. Wenn man eines zum anderen nimmt, kommt schon Einiges zusammen.

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B: Aber Josef, jetzt, wo ich das Pendel beobachte, wie es hier im Kirchenschiff schwingt, kommt mir ein Gedanke.

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J: Der da wäre?

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B: Naturwissenschaft hat Platz in der Kirche. Die Kirche kann ihr Raum geben. Wir müssen keine Angst vor ihr haben.

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J: Weil die Wahrheit eine ist. Und Naturwissenschaft ist wie ein Scheinwerfer, der einen Teil der Wirklichkeit sehr gut sichtbar macht. Aber eben nicht die ganze Wirklichkeit.

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B: Das Kirchengebäude ist ja auch größer als das Pendel.

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J: Und das heißt: Es gibt viel mehr Aspekte der Wirklichkeit, als die Naturwissenschaft erschließt. Wir haben andere Zugänge zu diesen Aspekten der Wirklichkeit: durch das Gefühl, durch die Erfahrung, durch die Kunst, durch die Musik und durch den Glauben an Gott. Und all diese Zugänge können sehr vernünftig sein.

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