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Weihnachtstriptychon 2019
(Eine Predigt zum Johannesprolog, gehalten in der Jesuitenkirche am 25. Dezember 2019 um 11.00 Uhr.)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-12-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Er habe noch nie eine gute Predigt zum Johannesprolog gehört, sagt mit fast jedes Jahr einer meiner liebsten Kollegen von der Theologischen Fakultät. Eine gute Predigt zu jenem Fragment der biblischen Überlieferung, das seit Jahrhunderten beim Hauptgottesdienst am Christtag als Evangelium verkündet wird. Seit Jahren, um nicht zu sagen, seit Jahrzehnten predige ich bei diesem Gottesdienst und jedes Mal zerbreche ich mir den Kopf darüber, was ich noch an Neuem zu dieser uralten Story sagen könnte. Mit welcher Geschichte könnte ich die Geschichte jenes Wortes par excellence verdeutlichen, jenes ewigen Wortes, das im Grunde selber Geschichte hat, ja Geschichte ist, des Wortes, das Geschichte auch schrieb und weiterhin schreibt. Jenes göttlichen Wortes, das Mensch geworden ist. Und weil im Grunde keine Geschichte allein dieses göttliche Wort verständlich macht, dichteten Menschen immer wieder neue Geschichten, sie wiederholen sie, rufen sich alte Geschichten in Erinnerung, in der Hoffnung zumindest einen winzigen Schein von der Herrlichkeit dieses Wortes zu erfassen. So möchte auch ich Ihnen heute gleichsam drei wohl bekannte Geschichten erzählen, mit ihnen also ein Triptychon, einen Flügelaltar betrachten. Sein Titel könnte lauten: „Weihnachtstriptychon 2019”. 

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Fangen wir mit dem linkten Seitenflügel an. Weihnachtsabend. Irgendwo in der kalt gewordenen Gegend. Vor unseren Augen ein typischer Zeitgenosse. Einer, der auf kulturellen und politisch korrekten Trends wie ein perfekter Wellenreiter bestens surfen kann. Einer also, der Weihnachten als Verdichtung von Brauchtum noch schätzt, auch oder obwohl er sich der „Fragwürdigkeit“ des Anlasses bewusst ist. In der pluralistisch gewordenen globalisierten Welt, einer Welt, in der die Vielfalt von Religionen im alltäglichen Supermarkt der Sinnangebote jedem Menschen tagtäglich begegnet, einer Welt, die sich die Wahrheit von der Gefährlichkeit religiöser Ansprüche auf die Fahnen geschrieben hat, deswegen auch die religiöse Wahrheit als Fundamentalismus diffamiert, in dieser Welt an die Menschwerdung Gottes zu glauben, dieses Ereignis als Wendepunkt, gar als Zentrum menschlicher Geschichte zu deuten, dafür fehlt diesem typischen Zeitgenossen wohl jeder Sinn. Obwohl er mit einer gläubigen und praktizierenden Katholikin verheiratet ist. Die beiden haben gerade gut zum Abend gegessen, die Frau ist zur Kirche gefahren. Er selber macht sich auf dem Sofa bequem, will sich im Fernsehen einen der uralten „Hollywoodschinken“ anschauen. Plötzlich vernimmt er ein fürchterliches Geschrei vor der Tür seines Hauses. Er geht zum Fenster, schaut hinaus und sieht vor dem Haus ein paar frierende Wildgänse. Sie haben den Abflug in die wärmeren Zonen verpasst. Nun drohen sie in der eisigen Kälte zu erfrieren. Tierliebend, wie er halt ist, rennt er hinaus, möchte die Gänse in die leere Garage hineintreiben. Doch je emsiger er dies zu tun versucht, umso mehr Panik produziert er. Eine hoffnungslose Angelegenheit. Die armen Vögel verstehen sein rettendes Treiben nicht, rennen deswegen ständig auseinander. „Wenn ich bloß ihre Sprache sprechen könnte, dann würde ich sie retten“, denkt der verzweifelte Mann. In diesem Augenblick läuten die Glocken der Kirche. Die Mitternachtsmesse fängt an. Der Zufall, oder das Wunder haben ihre Wirkung. Unser Mann scheint den Sinn der Wahrheit von Weihnachten zu begreifen: „Wenn ich bloß ihre Sprache sprechen würde, dann könnte ich sie retten. ... Wenn es ein höheres Wesen gibt, eine Gottheit oder was auch immer, so müsste sie die Sehnsucht haben, menschliche Sprache zu sprechen, diese zu verstehen, gar selber Mensch zu werden...“ Nachdenklich geht der Mann ins Haus zurück. 

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Und auch wir gehen mit ihm zur zentralen Tafel des Triptychons, dem mittleren Bild. Es zeigt, wie dieser typische Zeitgenosse, auf seinem Sofa liegend nun unwillkürlich zu einer Zeitung greift. Sein Blick fällt auf eine Schlagzeile, die über ein ungewöhnliches Experiment der „Washington Post“ berichtet. Der weltberühmte Geiger Joshua Bell gab ein Konzert im Kennedycenter, dem luxuriösen Konzertsaal der amerikanischen Hauptstadt. Der ausverkaufte Abend, bei dem die billigste Eintrittskarte 100 Dollar kostete, brachte virtuose Musik: gespielt auf eine unbezahlbaren Stradivari-Violine. Begeisterungsstürme und Standing Ovation bestätigten: Der Virtuose hat alle Erwartungen erfüllt. Einen Tag drauf stellte sich der Künstler mit seiner Stradivari in die U-Bahn-Station hin, vor ihm ein Pappteller für die Münzen. Wie ein Durchschnittszeitgenosse gekleidet, spielte der Virtuose dasselbe Programm wie gestern Abend. Er tat dies allerdings inmitten einer gestressten Menge. Mehr als 1000 Menschen sind an ihm vorbei gehuscht, einige sind ein paar Minuten stehen geblieben, warfen auch ein paar Münzen in den Pappteller hinein. Nur eine Person schien den Wert der Musik erkannt zu haben, schüttelte erstaunt den Kopf, warf auch einen 20-Dollar-Schein in den Teller, ging aber dann auch weiter. Das Konzert stand halt nicht auf der Tagesordnung des Passanten. „... Er kam zu den Seinen, aber die Seinen erkannten ihn nicht, ja sie nahmen ihn nicht auf.“ Vielleicht gerade deswegen, weil das göttliche Wort die menschliche Sprache sprach, mehr noch: selber Mensch wurde. Sich erniedrigte. Auf die unbezahlbare Stradivari seiner göttlichen Natur verzichtete, dadurch aber die Erwartungen der Zeitgenossen durchkreuzte, die Erwartungen, die sich immer ein Wunder von der göttlichen Allmacht wünschen. Liebe Schwestern und Brüder, in den Augen der Passanten scheint dieses göttliche Wort den Glanz des Wunders zu verlieren. Nun haben aber in unserem Triptychon der Zufall oder doch das Wunder wiederum ihre Wirkung: Unser Zeitgenosse scheint den tieferen Sinn des christlichen Glaubensgeheimnisses zu begreifen; das Weihnachtsparadox zieht ihn in seine Bahn. Weil Gott Mensch wurde, kann er ignoriert werden, gar mit Füßen getreten.

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Der Mann wird aus seinen Gedanken herausgerissen, seine Frau ist von der Mitternachtsmesse zurück. Sie drückt ihm, wie immer, wenn sie von der Kirche zurückkommt, die Kirchenzeitung in die Haut, geht – weil es weihnachtet – in die Küche, um den eisgekühlten Champagner zu holen. Schon will er, wie er dies immer tat, die Zeitung in die Ecke schmeißen, doch dann liest er den kurzen Text auf der letzten Seite, den Schlusspunkt sozusagen. Und führt uns damit zu der dritten Tafel des Weihnachtstriptychons. Im Unterschied zu anderen bildet diese keine moderne Story ab, vielmehr stellt sie die alte Legende dar. Die Legende von der Rückkehr der Drei Könige in ihre Länder. Sie küssten das Jesuskind zum Abschied, streichelten noch einmal den Ochs und den Esel. Dann brachen sie auf. Und konnten ihren Augen nicht glauben, als sie wiederum den „Stern von Bethlehem“ sahen. Scheinbar wollte der Stern sie in ihre Heimat zurückbegleiten. Kaum haben sie den Stern erblickt, schon explodierte er, teilte sich also in zahlreiche kleine Sterne auf. Das Staunen der Könige schien keine Grenzen zu kennen. Jeder ging aber seines Weges. Einer traf bald auf seinem Weg einen Schafshirten mit seiner Herde. Schon wollte der König – wie dies halt seine Gewohnheit war – den Hirten anschnauzen. Doch dieser lächelte, nahm aus seiner Tasche etwas Schafskäse heraus und gab es dem verdutzten Monarchen. Und dieser traute seinen Augen nicht. Auf der Stirn des Hirten glaubte er den kleinen Stern von Bethlehem zu sehen. Währenddessen ritt sein Kollege an einem Haus vorbei. Dort sah er eine junge Mutter, wie sie ihr Neugeborenes stillte. Auch auf ihrer Stirn schien der kleine Bethlehemstern zu funkeln. Der dritte im Bunde wurde Zeuge eines Unfalls. Ein Dromedar ist unter der Last der Ladung gestürzt. Ein vorbeifahrender Fremde half dem armen Tier auf die Beine. Und auch auf seiner Stirn leuchtete der kleine Stern. Die Könige haben es begriffen. Das Kind in der Krippe, der Sohn Gottes, das ewige Wort des Vaters spricht menschliche Sprache und tritt unerkannt in menschlicher Gestalt auf. Weil es im menschlichen Herzen geboren wurde. Deswegen funkelten die Sterne auf der Stirn ihrer Mitmenschen, ganz gleich, wer diese auch sind. Sie weisen auf all das Gute hin, das im Herzen von Menschen wohnt. Der Zufall oder auch das Wunder haben auch diesmal ihre Wirkung gezeigt. Als die Frau unseres typischen Zeitgenossen aus der Küche zurückkam, Champagnerflasche in der Hand, glaubte der Mann auf ihrer Stirn – auf der Stirn seiner Frau – den kleinen Bethlehemstern zu sehen.

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Und so dachte unser Triptychonsheld über seinen unerwartet erlebten Weg nach Bethlehem nach: den Weg, der mit den Wildgänsen begann und seinem Wunsch, die Sprache der armen frierenden Tiere zu sprechen. Den Weg, der in der U-Bahn-Station einer Großstadt seine Fortsetzung fand und der Unfähigkeit der gestressten Menschen das Außergewöhnliche in der gewöhnlichen Schäbigkeit des Alltags zu sehen. Den Weg, der im vertrauten Wohnzimmer seinen Abschluss fand, wo er das Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes Gottes in der Begegnung mit dem Menschen begriff, dem Menschen, von dem er geliebt wurde. Tagtäglich geliebt. Und weil unser typischer Zeitgenosse das Philosophieren nicht lassen konnte, sagte er zu seiner völlig verblüfften Frau beim zweiten Champagnerglas: „Weißt du, ich glaube, dass die Menschwerdung Gottes zu Recht das Zentrum der Weltgeschichte ist!“

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