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Worauf es ankommt. Predigt zum Semesterantrittsgottesdienst SS 2020

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2020-03-04

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Lev 19,1–2.11–18; Mt 25,31–46 (Montag der 1. Fastenwoche)

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Liebe Studierende, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gläubige,

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zum Beginn eines neuen Semesters – vielleicht für manche sogar zum Beginn eines neuen Studiums – fällt heute das biblische Gleichnis vom Endgericht. Ist das ein passender Zufall oder gar göttliche Vorsehung – oder passt es eher wie die Faust aufs Auge? – Zum Anfang des Semesters die Drohbotschaft vom schrecklichen Ende im ewigen Feuer!?

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Doch halt! Fragen wir zuerst: Was ist eigentlich das Zentrum, der Kern dieses Gleichnisses? Wo liegt seine Sinnspitze? Ist es wirklich die Zweiteilung der Menschheit in „Schafe“ und „Böcke“, die Belohnung der einen und die Bestrafung der anderen? Man hat das oft so gesehen, aber ich denke, man sollte es nicht so sehen.

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Ich finde, die eigentliche Sinnspitze kann man sehr schön erkennen, wenn man sich dem indischen Jesuiten und spirituellen Meister Anthony de Mello in einem Gedankenexperiment anschließt. Er schreibt: „Ich habe manchmal die schreckliche Vorstellung, dass der [… Menschensohn] sagt: ‚Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben‘, und die Schafe zu seiner Rechten antworten: ‚Das stimmt Herr, das wissen wir.‘ ‚Ich habe nicht mit euch gesprochen‘, wird dann der [… Menschensohn] erwidern. ‚Das steht so nicht im Textbuch, es wird nicht angenommen, dass ihr es gewusst habt.‘“[1]

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De Mello hat, so denke ich, richtig erfasst: Die Sinnspitze dieses Gleichnisses ist: Die Menschen, die hier dem richtenden Menschensohn gegenüberstehen, wissen nicht, dass sie ihm bestimmte Taten der Nächstenliebe erwiesen haben oder eben nicht erwiesen haben. Und für de Mello ist die Vorstellung, dass manche meinen, sie wüssten es, eine schreckliche. Warum denn das? Warum wird es denn im Textbuch nicht angenommen? Oder noch anders gefragt: Wenn es darauf ankommt, es nicht zu wissen, wieso hat Jesus dann dieses Gleichnis überhaupt erzählt und Matthäus es überliefert? Wäre es dann nicht vernünftiger gewesen, das geheim zu halten? Das kommt darauf an, was genau man wissen soll und kann – und was eben nicht.

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Die Botschaft, die uns dieses Gleichnis zumutet, ist gar nicht so leicht anzunehmen, gerade nicht für Menschen, die sich kirchlich engagieren, ja vielleicht sogar Theologie studieren. Denn diese Botschaft ist: Dafür, ob du beim Endgericht gut dastehst, hat das keine Bedeutung. Ob du genügend oft in die Kirche gegangen bist, gut Dogmatik, Moraltheologie oder auch Bibelwissenschaften studiert hast, vom Papst oder vom Bischof begeistert warst – es ist für das Endgericht nicht von Belang. Stattdessen ist etwas anderes ausschlaggebend: Wie hast du deine Nächsten behandelt, ja wie hast du die behandelt, die in Not sind, die unter dieser Rücksicht gering sind. Also schön, könnte man sagen: Dann lassen wir eben all das fromme und akademische Zeug weg und machen Sozialeinsatz, weil wir jetzt wissen, dass wir das alles Christus tun. – Und da sagt nun de Mello: Das steht so nicht im Textbuch, es wird nicht angenommen, dass ihr das wisst. Denn wenn wir den Geringsten helfen, weil wir uns so den Himmel verdienen wollen, dann tun wir das weder den Geringsten noch Christus, dann tun wir es uns selber. Wir selber sind die eigentlichen Nutznießer einer berechnenden Nächstenliebe, die anderen hilft, damit wir in den Himmel kommen. Das ist nicht den Nächsten lieben wie sich selbst, das ist sich selbst mit Hilfe des Nächsten lieben. Diese Art von Berechnung möchte Jesus ausschließen. Daher: Es wird nicht angenommen, dass ihr es wisst.

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Im Übrigen wird damit auch ausgeschlossen, dass man Menschen moralisch unter Druck setzen kann nach dem Motto: „Du musst jetzt diese gute Tat tun, weil du damit Christus Gutes tust“. Sobald es so gesagt wird, gilt auch hier: Es wird aber nicht angenommen, dass ihr es wisst. Also kann man auch diesen Psychodruck nicht einsetzen, ohne gegen den eigentlichen Sinn dieses Gleichnisses zu verstoßen.

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Und schließlich: Die Taten der Nächstenliebe, die hier aufgelistet sind, können im Prinzip alle Menschen setzen: nicht nur Christinnen und Christen, sondern Menschen jeden Glaubens und auch Nichtglaubende. Man braucht kein Glaubensbekenntnis um einem Flüchtling zu helfen und wir haben: oftmals hilft eine Glaubensbekenntnis dazu auch nicht. Indem Jesus uns sagt, dass der Maßstab des Endgerichts nicht unser Glaubensbekenntnis, sondern unsere tätige Nächstenliebe sein wird, sagt er uns auch: Erhebt euch nicht über Menschen, die einen anderen oder sogar keinen Glauben haben. Das Glaubensbekenntnis macht Menschen nicht automatisch zu besseren oder schlechteren Menschen, sondern die Liebe oder der Mangel an Liebe. Der große Innsbrucker Konzilstheologe Karl Rahner – über den Prof. Bauer ein sehr schönes Video auf Youtube gestellt hat und über dessen Verwendung der Bibel Prof. Fischer gerade ein Forschungsprojekt durchführt – dieser Karl Rahner also hat daraus den Schluss gezogen, dass Gottes- und Nächstenliebe nicht zwei verschiedene Dinge sind, sondern ein und dieselbe Sache. Wenn wir einen Menschen, vielleicht sogar einen Geringen, wirklich lieben und ihn das durch unsere Taten auch spüren lassen – nicht weil wir uns dadurch das ewige Heil erhoffen, sondern weil uns der Mensch am Herzen liegt –, dann lieben wir auch Gott in diesem Menschen. Statt uns selbst mit Hilfe eines anderen Menschen zu lieben, lieben wir dann Gott, indem wir einen Menschen lieben.

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Und um uns das deutlich zu machen, hat Jesus dieses Gleichnis erzählt: gerade nicht, damit wir berechnend etwas tun; sondern damit wir prinzipiell wissen, wie es in dieser Welt möglich ist, Gott zu lieben. Es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass Nächstenliebe und Gottesliebe dasselbe sein soll. Wie oft haben Religionen – auch die Kirche – gemeint, man liebe Gott, indem man hartherzig und unbarmherzig gegen Menschen sei, ja sie vielleicht sogar Gott oder den Regeln, die er angeblich aufgestellt habe, opfere. Jesus möchte, dass wir wissen: so geht es nicht.

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Und wenn wir das wissen, dann merken wir noch etwas: Die meisten Menschen sind nicht eindeutig Schafe oder Böcke; wir selbst sind es nicht. Manchmal können wir Empathie empfinden mit anderen, finden das richtige Wort oder gar die richtige Tat – und manchmal sind wir unfähig uns für andere zu öffnen und lassen sie kalt abblitzen. Vielleicht gibt es einige Menschen, die eindeutig auf die eine oder die andere Seite gehören, aber ich denke, die Mehrheit wird so dazwischen sein. Die Nächstenliebe der meisten Menschen ist zwar irgendwie vorhanden, aber doch unvollkommen. Also ist auch die Gottesliebe der meisten Menschen zwar irgendwie vorhanden, aber unvollkommen. Diese Tatsache hat Jesus in diesem Gleichnis nicht berücksichtigt, aber doch in anderen Begebenheiten seines Lebens und v.a. in seinem Sterben, bei dem er den Vater sogar um Vergebung für jene gebeten hat, die ihn zu Tode brachten. Berücksichtigt man dies, so wird klar: Das Gleichnis ist keine Drohbotschaft, es ist die frohe Botschaft, dass Gottes Maßstab ein Maßstab der Liebe ist – nichts anderes.

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Und warum sollten wir dann kirchlich engagierte Gläubige sein und gar Theologie studieren? Nicht um uns dadurch den Himmel zu verdienen – auch nicht nur um so einen Lebensunterhalt zu erwerben, sondern vielleicht, um weitere überraschende Dinge über Gott zu erkennen, um immer mehr zu erfahren, wie groß seine Liebe ist; um zu lernen, wie Menschen diese Botschaft verstanden oder auch missverstanden haben und wie wir sie glaubwürdig bezeugen können. Wir sind aufgefordert uns zu fragen: Was ist mein konkreter Weg, die Nächstenliebe zu leben? Wenn wir entdecken, dass dieser Weg der eines kirchlichen Berufes ist, dann sind für uns kirchliches Engagement und Studium die konkrete Weise, wie wir in der Nächstenliebe wachsen und sie immer mehr leben können. Auch das Verkünden der Liebe Gottes ist ja ein Akt der Nächstenliebe – jedenfalls dann, wenn es nicht aus Berechnung geschieht – und dann ist es auch ein Akt der Gottesliebe.

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Anmerkungen

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[1] De Mello, Anthony: Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein. (Engl.: Awareness. The Perils and Opportunities of Reality. A de Mello Spirituality Conference in his own words). Übers.: Johna, I. (herder spektrum 6251). Freiburg 12015., 28,

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