- Leseraum
| Warum läuft alle Welt dir nach? Predigt über FranziskusAutor: | Sandler Willibald |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | predigt |
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Abstrakt: | Franziskus wurde vom Vortänzer der übermütigen Jugend von Assisi zum Vortänzer einer jungen und lebendigen Kirche. Im Tanz mit Gott umarmt er die ganze Welt, in ihren schönen, aber auch erschreckenden und abscheulichen Seiten |
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Publiziert in: | |
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Datum: | 2001-10-04 |
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Inhalt1
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„Bruder Franz, du hast kein hübsches Gesicht und Du bist kein machtvoller Redner. Was also ist es, daß alle Welt dir nachläuft?" So fragte einmal ein Mitbruder den bereits berühmten Poverello. Und dieselbe Frage kommt auch mir auf die Lippen, wenn ich sehe, welche Faszination von diesem Heiligen bis heute ausgeht: nicht nur auf kirchentreue Christen, sondern fast mehr noch auf kirchenferne Menschen und vor allem auf Jugendliche. Schulklassen fahren lieber nach Assisi als nach Rom. Junge Menschen aus ganz Europa treffen sich auf Sommerwochen, um sich gemeinsam in die franziskanische Spiritualität einzuüben. Und neue Aufbrüche des Glaubens, an Orten, die Haus des Friedens oder Haus der Stille heißen, sind vom franziskanischen Geist inspiriert. Was warst Du für ein Mensch, Franziskus, daß alle Welt dir bis heute nachläuft?
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Auf dem Weg zur Arbeit sehe ich ein Plakat, auf dem mich ein junger Mann mit großen Kinderaugen anblickt. Das Poster lädt Jugendliche zu einer Assisi-Fahrt ein, und das Foto darauf stammt aus dem Franziskusfilm von Zefirelli. Eine Szene aus dem Film kommt mir in den Sinn: der von einer Krankheit gesundete junge Franz eilt durch umbrische Blumenfelder einem Schmetterling nach, das Ganze untermalt vom zart-schmelzenden Bariton Donovans: „Birds are singing sweet and low." Hier findet meine Frage eine erste Antwort: Du warst ein Träumer, Franziskus! Dem kalten Realismus des Geldes in Deiner Kaufmannsfamilie stelltest Du den Traum einer nackten Gottunmittelbarkeit entgegen: Als Juniorchef warfst Du die Schätze der Firma aus dem Fenster, um die Hände ganz freizuhaben für Gott und seine Geschöpfe. Und war's nicht Träumerei, unrealistisch, wirklichkeitsfern, als Du ein paar zusammengestellte Evangelienworte dem Papst als Ordensregeln vorgestellt hast? Oder wenn Du auf ernsthafte organisatorische Fragen mit Märchen und Gleichnissen geantwortet hast? Aber als Dichter, Sänger, Troubadour der Herrin Armut hast Du die Herzen unzähliger Menschen neu für Gott erobert. Du hast uns Mut gemacht, wieder Träume zu haben, Zärtlichkeit, Barmherzigkeit, Lachen und Humor gegen eine Wand unmenschlicher Eigengesetzlichkeiten aufzubieten und diese Wand damit zum Einsturz zu bringen.
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Und doch: Allein als Träumer hättest Du nicht so faszinieren können. Da war noch eine ganz andere Seite in Dir, welche der von Kitsch überfließende Franziskusfilm Zefirellis ganz ausgeblendet hat, und die deutlicher im ganz anderen Franziskusfilm von Liliana Cavani zum Vorschein kommt: Du warst ein Kämpfer, ein ungeheuer harter, radikaler Mensch. Mit Deinen kompromißlosen Vorstellungen der Christusnachfolge hast Du Deine Nächsten, die Ordensmitglieder ebenso wie die kirchlichen Oberen, oft völlig überfordert. Und da ist Deine extreme Armut in Fasten und Verzicht, mit der du den Bruder Esel, wie du deinen Leib respektlos nanntest, zugrundegerichtet hast. Wäre das alles gewesen, dann hättest Du andere Menschen, zumindest die gesunden unter ihnen, eher abgestoßen als angezogen. Aber Deine Askese hatte eine Mitte: das Feuer einer Begeisterung, mit der Du kompromißlos alles für Gott einsetzen wolltest. „Höchster, glorreicher Gott, erleuchte die Finsternis meines Herzens...". So flehtest Du wieder und wieder am Anfang Deines Bekehrungsweges. Und sobald sich Dir irgendwo ein Licht zuschickte, auch nur die Ahnung einer Gotteserfahrung, so beschrittest Du den sich weisenden Weg mit äußerster Konsequenz. Einmal standest Du einem dieser Aussätzigen vor den Toren Assisis gegenüber, deren Gestank Dich bisher immer in die Flucht getrieben hat. Da stieg wohl eine Ahnung in Dir auf, daß Gott Dir in diesem Elenden einen Weg zu ihm zeigen wollte. Ein Impuls, der immer neu aus den Quellen unseres Glaubens aufbricht und der auch keinem von uns fremd ist. Nicht davonlaufen, ihm etwas geben, ihn als Mensch respektieren, das war gefordert. Und was hast Du gemacht? Du hast Dir den Mantel vom Leib gerissen und ihm gegeben, nicht den halben wie es einst der heilige Martin tat, sondern den ganzen, und nicht nur das: Du hast das eiternde, stinkende Menschenbündel auch noch umarmt und geküßt! Wenn sich Dir irgendwo auch nur die Ahnung eines von Gott sich weisenden Weges zeigte, hast Du Dich mit aller Radikalität auf diese Bahn geworfen. Natürlich bist du so auch Mißverständnissen und Übertreibungen unterlegen, aber Du warst stets bereit, falsch eingeschlagene Wege zu korrigieren. Und so bliebst Du vor den Abgründen der Frömmigkeit, die dir bestimmt nicht fremd waren, zuletzt doch bewahrt. Durch diese Radikalität, die doch kein blinder Fanatismus war, spiegelte Dein Leben den lebendigen Gott.
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Du warst also ein Kämpfer, und so hast Du die Menschen fasziniert. Doch auch diese Antwort stellt mich noch nicht zufrieden. Was macht es aus, daß Deine Radikalität nicht fanatisch wurde, daß Du als Träumer ein Kämpfer werden, und als Kämpfer ein Träumer bleiben konntest? Ein drittes Bild zeigt sich: Du warst ein Tänzer.
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Dein Leben lang war das Tanzen für Dich wichtig. In Deinen frühen Jahren warst Du Vortänzer in der sogenannten Gemeinschaft der Tänzer: ein wildes Treiben Jugendlicher durch die Stadt, und Du führtest es an und zahltest auch noch die Zeche. Und nach Deiner Bekehrung? Vom zügellosen Konsum hast Du Dich schärfstens distanziert, aber die Lust des überschäumenden Lebens hast Du Dir in anderer Form bewahrt. Und so durchbrachst Du immer wieder die Konventionen des christlichen Verhaltens. Beim Predigen konntest Du nicht stillstehen. Es packte Dich die Leidenschaft für den Gott, von dem Du sprachst, und du begannst zu tanzen.
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Tanz war also Dein Leben... Was für ein Art von Tanz war das? Nicht die Verrenkungen von Breakdance, Rap und Rave: Energie ohne Beziehung. Aber auch nicht die matte Verschmelzung der Körper im Schleichertanz: Beziehung ohne Energie. Ich denke da eher an den Tango, im dem sich eine expressive Kraft verbindet mit der Innigkeit der Umarmung. Auf diese Weise war Dein Leben ein Tanz mit Gott. Du warst die geniale Tänzerin, die sich von ihrem Partner perfekt führen läßt, seine nächsten Schritte, Figuren vorausahnt und diese in kraftvoller Expressivität in die eigene Bewegung übernimmt und variiert. In Gottes Armen ließest Du Dich ganz von ihm führen, aber doch ohne alle Passivität. Denn Du hast seine Bewegungen, sobald Du sie aus seiner Umarmung heraus auch nur vorausahntest, zu verwirklichen gesucht, - kraftvoll, ungestüm, aber mit wacher Aufmerksamkeit dafür, ob die Bewegung nicht doch in eine etwas andere Richtung zielte, immer bereit zu kraftvollen Richtungskorrekturen und zu neuen Schritten. Und so entstand dieser Tanz, in dem Du - zugleich Träumer und Kämpfer - die Welt bis heute verzauberst.
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Und dieser Tanz läßt die Zuschauer nicht unbeteiligt. Unvermutet beginnt sich in ihren Gliedern auch Melodie und Rhythmus - die Stimme Gottes - zu regen, und verlockt, den aufregenden, mitreißenden Tanz mit Ihm zu wagen.
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Der heilige Franziskus war ein Tänzer vor Gott, ein Tänzer mit Gott, und auf diese Weise: ein Vortänzer für uns. Dieses Bild drückt für mich am ehesten die Faszination aus, die von Franziskus ausstrahlt. Es beantwortet mir die Frage, warum alle Welt ihm bis heute nachläuft. Und es kritisiert zugleich die Fragestellung: Denn wenn ein anderer, angeregt durch den Tanz des Franziskus, selber in den Tanz mit Gott eintritt, dann sieht das nur so aus, als ob er Franziskus nachläuft, nachtanzt. Er läßt sich vielmehr auf einen ganz neuen, noch nie dagewesenen Tanz mit Gott ein, und nur die ersten, noch linkischen Bewegungen erinnern an ein äußeres Vorbild.
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Franziskus wurde vom Vortänzer der übermütigen Jugend von Assisi zum Vortänzer einer jungen und lebendigen Kirche, zu unserem Vortänzer. Ein schönes Bild, aber wie läßt es sich übersetzen in unser konkretes Leben? Was hält der Mensch in Händen, der sich von Gottes Arm führen läßt? Schauen wir auf unseren Bruder Franz: Im Tanz mit Gott umarmt er die ganze Welt, in ihren schönen, aber auch erschreckenden und abscheulichen Seiten: der Gott in der Natur, wie er ihn im Sonnengesang beschrieb. Gelobt seist Du, Gott, für Bruder Sonne, die erhellt und wärmt, aber auch, wenn sie herunterbrennt, die Haut versengt und die Kehle ausdörrt. Gelobt seist Du für alles Leben, nicht nur für das muntere Treiben der Vögel am Himmel, sondern auch für das beschädigte Leben, wenn es zu zerbrechen droht: Gelobt seist Du auch für Bruder Tod. Gelobt seist Du für meine Schwestern und Brüder: nicht nur, wenn ihre strahlenden Augen Dein Angesicht wiederspiegeln, sondern auch, wenn der Blick trüb geworden ist und die Haut von stinkendem Aussatz zerstört. So war es doch bei Deiner vielleicht wichtigsten Gotteserfahrung, als Du den Aussätzigen nicht nur beschenkt, sondern umarmt hast, und Dir nach dieser totalen Selbstüberforderung in diesem Anderen das Antlitz Christi aufging.
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Im Tanz mit Gott die ganze Welt umarmen, nicht alles auf einmal, sondern immer das, was sich mir gerade zuschickt. In der Begegnung mit dem Schönen und mit dem Häßlichen, mit dem Freundlichen und mit dem Unfreundlichen die Umarmung des liebenden Gottes suchen, seine nächsten Schritte erspüren und diese dann selber gehen. Das fasziniert zumindest mich an Franziskus, dem Tänzer.
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