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Zu wem gesandt und wen berufen?
(Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis 2020 (LJ A))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2020-08-21

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: (Jes 56,1.6-7); Röm 11,13-15.29-32; Mt 15,21-28

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Liebe Gläubige,

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die heutigen Lesungstexte verhalten sich wie zwei Seiten einer Medaille zuein­ander: da bemüht sich Paulus seinen vom Heidentum konvertierten Brief-AdressatInnen in Rom klarzumachen, wie es mit dem Heil der Juden bestellt ist; und dort muss Jesus lernen, dass er nicht nur für die Juden da ist. Das Verhältnis von Juden und Christen ist – wie wir aus Geschichte und Gegenwart wissen – eine äußerst heikle Sache. Sehen wir uns die Texte also näher an.

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Jesus ist in der heutigen Geschichte nicht gerade ein Sympathieträger. Eine Frau aus Kanaan, also für Jesus und seine JügerInnen eine Heidin, kommt zu ihm, und bittet ihn, ihrer Tochter zu helfen. Und Jesus gibt ihr zunächst einfach keine Antwort. Er, der großer Heiler und Dämonenaustreiber lässt eine Hilfe suchende Frau einfach wortlos stehen. Den Jüngern reicht das aber noch nicht. Sie fordern ihn auf, die Frau gleich wegzuschicken. Sie ist lästig mit ihrem Geschrei und lenkt unerwünschte Aufmerksamkeit auf die Gruppe.

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Das tut Jesus aber dann doch nicht. Immerhin gibt er jetzt einen Grund an für sein seltsames Verhalten: Seine Sendung sei nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel, zu Menschen jüdischen Glaubens. Für uns heute eine seltsame Vorstellung. Liebt Gott denn nicht alle Menschen? Für Jesus und seine JüngerInnen offenbar ganz selbstverständlich: Schließlich ist doch das jüdische Volk von Gott auserwählt.

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Diese Form der abgrenzenden Theologie vermag aber die Frau nicht zu überzeugen. Sie ist gerade überhaupt nicht an Theologie interessiert, sondern an Hilfe für ihre Tochter. Sie wirft sich vor Jesus nieder und bittet ihn erneut. Wieder reagiert Jesus nicht gerade sympathisch. Er vergleicht das jüdische Volk mit Kindern, die Heiden aber mit kleinen Hunden. Und ja: Man nimmt den Kindern nicht das Essen weg, um es den Hunden zu geben. Aber, so möchte man fragen: Was ist mit der allgemeinen Menschenwürde? Wie kann man denn Menschen mit Hunden vergleichen, um ihnen Hilfe vorzuenthalten? Ist das nicht eine bodenlose Unverschämtheit?!

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Zur Zeit Jesu war der Gedanke an die allgemeine Menschenwürde allerdings noch unbekannt. Die Frau hat sich vielleicht dennoch herabgesetzt und beleidigt gefühlt. Sie hätte enttäuscht und verbittert weggehen können, bekehrt vom Vertrauen auf diesen jüdischen Wunderheiler. Stattdessen tut sie etwas ganz anderes: Sie lässt sich auf seine verquere Logik ein, stimmt ihm im Prinzip zu, aber weist ihm nach, dass das kein hinreichender Grund ist, ihr die Hilfe zu verweigern. Es fällt doch immer was vom Tisch für die Hunde. Dann lass doch was herabfallen für meine Tochter. Selbst wenn man das Prinzip akzeptiert, gibt es immer Einzelfälle, auf die es nicht anwendbar ist, so könnte man ihr Argument etwas theoretischer formulieren.

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Das führt nun einen Sinneswandel bei Jesus herbei. Plötzlich geht es ihm nicht mehr um Prinzipien. Plötzlich sieht er, was er vorher übersehen hat: Den Glauben, den ihm diese Frau entgegenbringt. Wie oft hat er zu Menschen gesagt „Dein Glaube hat dir geholfen“, und jetzt steht da eine Frau, die einer anderen – heidnischen – Religion angehört, die aber großen Glauben hat. Es kann hier nicht um detaillierte Glaubensinhalte gehen, denn die sind bei dieser Frau ganz sicher andere als bei den Juden, bei Jesus und seinen JüngerInnen. Aber es geht um ein ungeheueres Vertrauen darauf, dass Jesus und der Gott, den er verkündet, für das Leben sind; und dass sie dieses Leben nicht nur für ein auserwähltes Volk oder eine Religionsgemeinschaft wollen, sondern für die Menschheit. Man könnte fast sagen: Dass die Frau diesen Glauben trotz Jesu schroffer Abwehr aufrechterhält, öffnet ihm erst die Augen dafür, dass seine Sendung zwar im Haus Israel beginnt, aber dort sicher nicht endet.

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Auch die junge Kirche musste das erst lernen. Und keiner hat es so klar begriffen, wie der Völkerapostel Paulus, der sich speziell zu den Heiden gesandt wusste, dabei quasi den ganzen Mittelmeerraum bereiste und an die heiden-christlichen Gemeinden dann seine Briefe schrieb. Auch für ihn stellt sich aber ein großes Problem: Wie kann es sein, dass das auserwählte Volk Israel Gott ungehorsam wurde und Jesus nicht als Christus anerkannte? Und was bedeutet das nun? Bedeutet es, dass Israel verworfen ist? Wie verlockend wäre das doch! Paulus aber sieht, dass es so nicht gehen kann, denn „unwiderruflich sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes“ (Röm 11,29). Wer von Gott auserwählt wurde wie das Volk Israel, der bleibt es auf immer. Aber Paulus stellt etwas fest: Israel war ungehorsam, als es Jesus nicht als Christus akzeptiert hat. Und das hatte die wunderbare Folge, dass die Heiden, die Gott gegenüber auch ungehorsam waren, Gottes Erbarmen gefunden haben. Und nun, so Paulus, ist es umgekehrt: Das Erbarmen Gottes, das die Heiden empfangen haben, wird auf die Juden, die jetzt ungehorsam sind, übergehen und alle werden Gottes Erbarmen finden.

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Liebe Gläubige,

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auch die Argumentation des Paulus kann einem hier durchaus verquer vorkommen, aber das Ergebnis, das er festhält, scheint mir sehr wichtig: „Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen.“ (Röm 11,32) Das Erbarmen Gottes ist das, worauf es ankommt. Das gilt für Juden und Heiden – und das sind nach dem Verständnis des Paulus alle Menschen. Es ist seine zentrale Erkenntnis, dass Menschen nicht dadurch erlöst werden, dass sie gehorsam waren, dass sie Gesetze gehalten haben. Vielmehr ist er überzeugt: Wenn es darauf ankäme, dann würden alle scheitern. Und darum kann auserwählt zu sein auch nicht bedeuten, dass man irgendwelche Vorrechte hat oder vor Gott besser gestellt ist als andere. Auserwählt zu sein kann nur heißen: An diesen Menschen oder dieser Gruppe von Menschen zeigt Gott exemplarisch, wie er für das Leben eintritt – nicht um es auf diese Gruppe zu beschränken und anderen vorzuenthalten, sondern um es von dort ausstrahlen zu lassen in die Welt.

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Menschen jüdischen und Menschen christlichen Glaubens verstehen sich selbst als von Gott auserwähltes Volk. Sie müssen das aber nicht gegeneinander richten. Nicht: „Ich bin auserwählt, aber du nicht“, sondern „Wenn ich auserwählt bin, dann auch du. – Ich will sehen, wie Gott bei dir wirkt.“ Wenn Auserwählung exemplarisch und nicht exklusiv ist, dann müssen wir wachsam sein für das auserwählende Wirken Gottes gerade auch bei anderen.

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Offenbar musste auch Jesus erst lernen, dass seine Sendung zu den verlorenen Schafen Israels nicht exklusiv war, sondern exemplarisch. Schrecklicherweise hat die Kirche dann diese Erkenntnis über Jahrhunderte lang wieder vergessen und gegenteilig gehandelt gegenüber Menschen jüdischen Glaubens, aber auch gegen Manschen anderer Glaubensrichtungen. Und doch sind aus der Botschaft, die die Bibel in die Welt gebracht hat, das Verständnis für die gleiche Würde aller Menschen und die darauf aufbauenden Menschenrechte erwachsen. Zuerst gegen die Kirche als Institution durchgesetzt, bis schließlich auch sie offiziell anerkannte, wie sehr sie sich dem Judentum verdankt, und die Berufung Israels festhielt; bis sie schließlich im Zweiten Vatikanischen Konzil den Wert anderer Religionen schätzen lernte und das Recht auf Religionsfreiheit gelehrt hat; bis sie festhielt, dass es einen Glauben gibt, durch den man Gott gefällt; dass dieser Glaube aber nicht durch bestimmte Inhalte gekennzeichnet ist, sondern nur vom Vertrauen auf den Gott des Lebens.[1]

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Also ein gutes Ende eines langen, schweren Wegs? Das wäre zu einfach. Wir sind noch nicht am Ende und die Botschaft der heutigen Lesungen stellt auch uns immer wieder unbequeme Fragen: Wo glauben wir, theologisch oder gesellschaftlich sicher Bescheid zu wissen, dass uns etwas gar nichts angehe (so wie Jesus bei der Kanaaniterin)? Lassen wir uns dann auch eines Besseren belehren? Wo vertreten wir hehre Prinzipien und sehen nicht, dass es Einzelfälle geben kann, auf die sie nicht anwendbar sind? Wo meinen wir, kulturell oder ethisch oder sozial höher zu stehen und auf andere herabblicken zu können? Lassen wir uns auch die Augen öffnen dafür, dass dies eine Verblendung ist? Wo bilden wir uns ein, wir seien die Gott „Gehorsamen“ – und die anderen sein ungehorsam? Merken wir dann, dass wir alle auf Gottes Erbarmen angewiesen sind?

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Dies scheint mir das Wichtigste und Wertvollste heute zu sein: Denn selbst, wenn wir mehrere dieser Fragen zu unseren Ungunsten beantworten müssten – und ich muss das sicher –, dann bleibt bestehen: Alle sind ungehorsam geworden, aber Gott hat sich aller erbarmt. Und welche Dummheiten wir auch immer machen mögen: Auch die Gnadengaben und die Berufung Gottes, die uns zuteilgeworden sind, sind unwiderruflich.

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Anmerkungen

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[1] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil: Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche: Ad Gentes (= AG)., Nr. 7.

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