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In Gottes Vollmacht oder Gottes volle Macht?
(Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis (LJ B), 2021)

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-02-02

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Dtn 18,15-20; (1 Kor 7,32-35;) Mk 1,21-28

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Liebe Gläubige,

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als es noch keine Bankomatkarten gab, war es gar nicht so leicht, eine andere Person zu beauftragen, vom eigenen Konto Geld abzuheben. Man musste dieser Person eine Vollmacht ausstellen, damit sie für einen handeln konnte. Man kann auch einem Rechtsanwalt oder einer ‑anwältin eine Vollmacht ausstellen, dass sie für einen Rechtsgeschäfte erledigen. In diesem Fall gilt das, was sie vor Gericht für einen sagen oder was sie für einen unterschreiben, als hätte man es selbst unterschrieben. Wer bevollmächtigt ist, handelt in der Macht der Person, die ihn oder sie bevollmächtigt hat. Bevollmächtigte vertreten gewissermaßen den Vollmachgeber in allen Belangen, für die diese Vollmacht gilt. So eine Vollmacht gibt man jemandem nicht leichtfertig, denn man ist dann an das gebunden, was die andere Person im eigenen Namen getan hat. Eine solche andere Person hat in gewissem Sinne dann auch Macht über denjenigen, der ihr die Vollmacht ausgestellt hat. Man kann nicht sagen: Das geht mich nichts an, das habe ich nicht selbst unterschrieben. Man ist an das gebunden, was eine bevollmächtigte Person getan hat.

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Im heutigen Evangelium heißt es, Jesus lehrte in Vollmacht – und es stellt sich die Frage, ob das so ähnlich zu verstehen ist. Die Menschen sind erstaunt über Jesu Lehre, weil sie so anders ist wie die der Schriftgelehrten. Sie lehren nicht mit Vollmacht; sie lehren aufgrund eigener Überlegungen. Man wäre vielleicht geneigt zu sagen: Jesus hat vom himmlischen Vater die Vollmacht bekommen, ihn in allen Belangen zu vertreten: Was Jesus sagt, was Jesus tut – es ist, als würde Gott es sagen und tun, denn Jesus handelt in seiner Vollmacht. Das ist nicht ganz falsch, aber es ist nicht wirklich richtig.

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Eine Vollmacht kann der Vollmachtgeber oder die ‑geberin nämlich auch widerrufen. Solange die Vollmacht besteht, handelt der Bevollmächtigte in der Macht und Kompetenz der Vollmacht-Gebenden. Aber wenn die Geberin die Vollmacht zurücknimmt, dann ist es aus mit seiner Herrlichkeit. Dann handelt er wieder nur für sich selber. Ebenso: Wenn sich ein Bevollmächtigter anmaßt über seine Vollmacht hinaus zu handeln, dann ist sein Handeln nicht gültig. Wer bevollmächtigt ist, über 1.000 € zu verfügen, kann nicht 2.000 abheben. Eine solche Vollmacht hat auch ihre Grenzen.

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Was Christen und Christinnen meinen, wenn sie sagen, Jesus sei der Sohn Gottes, ist daher viel mehr als eine solche widerrufbare und begrenzte Vollmacht. Das Sohn- oder Tochter-Sein von jemandem kann man nicht rückgängig machen. Jesu Gottes-Sohn-Sein ist nicht eine vom Vater verliehene Bevollmächtigung, die begrenzt ist und die auch wieder zurückgenommen werden kann, sondern Jesu Vollmacht ist die volle Macht Gottes. Er ist nicht nur ein bevollmächtigter Stellvertreter, er ist das menschliche Gesicht Gottes selbst.

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Interessant ist, dass die sog. „unreinen Geister“ das sofort erkennen. Sie rufen ihm nicht zu „Ich weiß, wer dich bevollmächtigt hat“, sie rufen „Ich weiß, wer du bist“. Es geht um das tiefste Sein Jesu. Was Jesus sagt oder tut, ist nicht „als ob“ Gott es sagt oder tut. Alles, was Jesus sagt oder tut, sagt oder tut Gott tatsächlich, weil der Mensch Jesus in voller Einheit steht mit Gott. Darum ist auch Jesu Reden und Handeln nicht alles, worum es geht. Es geht um mehr. Es geht auch darum, was Jesus erleidet und wie er es erleidet. Letztlich geht es in der Tat darum, wer Jesus ist.

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Wenn Jesu Vollmacht die volle Macht Gottes ist, dann fordert uns das aber ungeheuer heraus; jedenfalls, wenn wir uns die Macht Gottes als donnernde Stimme und loderndes Feuer vorstellen; anders gesagt: wenn wir uns die Macht Gottes denken als etwas, das gewaltsam in den Lauf der Welt eingreift und die Dinge so hinbiegt, wie wir das wollen. Das tut Gott nämlich nicht. Gerade jetzt, in Zeiten der Pandemie, merken wir das wieder besonders schmerzhaft. Die Dinge nehmen ihren Lauf – für Gläubige wie für nicht Gläubige, für Gute wie für Schlechte. Die Pandemie macht keine Unterschiede. Daran kann man erkennen, dass die Pandemie sicher nicht etwas ist, das Gott schickt – aus welchem Grund auch immer –, sondern sie ist ein Naturphänomen, das er zulässt, höchstens mitverursacht durch unseren Umgang mit der Natur und verschärft durch unsere sozialen Strukturen. Was bedeutet aber dann Macht Gottes? Heißt es wenigstens, dass Gott die Dinge so hinbiegt, wie er es will?

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Ich denke, nein. Gott biegt nichts hin, wenn Hinbiegen bedeutet, einen vorhandenen Widerstand mit Gewalt zu überwinden. Das tut Gott eben gerade nicht. Woher ich das wissen will? – Eben daher, dass Jesus von Nazareth der Sohn Gottes ist, in dem die volle Macht Gottes wirksam war. Denn er hat nichts hingebogen. Er hat offen und klar – mit Vollmacht – gelehrt und, als seine Lehre auf verbalen Widerstand stieß, hat er sie verbal verteidigt. Aber als seine Lehre auf gewaltsamen Widerstand stieß und damit er das Opfer von Gewaltanwendung wurde, hat er sich nicht mit Gewalt verteidigt. Er hat das sogar ausdrücklich abgelehnt. Er wusste, dass man so nicht in der Macht Gottes handelt, sondern in menschlicher Macht. So hätte er gehandelt, wenn sein Reich von dieser Welt gewesen wäre, denn in dieser Welt wird Macht immer wieder mit Gewalt verwechselt. Weil sein Reich aber das Reich Gottes war, und die Macht Gottes nichts mit Gewalt zu tun hat, hat sich Jesus anders entschieden.

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Die Macht Gottes ist jene Macht, die aus der Zerstörung, die das Böse anrichten kann, neues Leben erstehen lässt. Sie unterwandert das Böse, indem es dieses in Feindesliebe – nicht in Hass – erleidet. Jesus möchte uns nahe bringen: Wir brauchen nicht einen Propheten, der zwischen uns und Gott tritt, um uns vor der Gewalt Gottes zu schützen. Wir haben den Sohn, der uns als seine Geschwister annimmt und uns deutlich machen will, dass wir von Gott nichts zu befürchten haben. Diese Botschaft nahmen ihm jene, die ohne Vollmacht lehrten, übel. Sie meinten, Jesus verkünde etwas Falsches und daher müsse er sterben. Das war ein grausamer Irrtum.

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Doch auch uns fällt es schwer, die Botschaft von der eigentlichen Macht Gottes einzusehen und anzunehmen. Hätten wir nicht oft viel lieber einen Gott, der die Dinge hinbiegt, als einen, der sie in Feindesliebe erleidet? Was haben wir denn von diesem Gott, wenn er uns die Widrigkeiten des Lebens nicht abnimmt?, so denken wir doch oft. Wenn wir uns an Jesus orientieren, dann sollten wir aber diese Erwartung an Gott nicht haben. Eine andere Erwartung, ja mehr als eine Erwartung, eine Sicherheit aber dürfen wir haben: Dieser Gott wird nicht zulassen, dass wir – wenn wir offen sind für seine Führung – unser Leben sinnlos gelebt haben. Wenn wir die Verbindung zu Gott nicht von uns aus blockieren, dann lässt Gott uns nicht allein – auch wenn es manchmal den Anschein hat. Und selbst dann können wir uns an Jesus und an den alttestamentlichen Psalmbetern orientieren: Wenn sie sich von Gott im Stich gelassen fühlten, dann haben sie das im Gebet der Klage, ja sogar der Anklage, diesem Gott entgegengeschleudert. Ich finde, wir dürfen das auch.

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Ist das nicht ungehörig, vielleicht sogar lästerlich?, werden sich manche fragen. Ich denke nicht. Zum einen einfach deshalb nicht, weil es Jesus und so viele Beter des Alten Testaments es auch so gemacht haben. Zum anderen darum, weil, wer so mit Gott streitet, der betet noch. Wer mit Gott hadert und schimpft, der spricht noch mit Gott. Und er oder sie spricht ehrlich zu Gott, gerade so, wie es in dieser Person gerade jetzt aussieht. Und vor Gott brauchen wir uns ja nicht verstellen. Er kennt uns ohnehin durch und durch.

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Die Angst, dass wir vor Gott nicht ehrlich aussprechen könnten, wie uns zumute ist, v.a. dann wenn uns im Augenblick so zumute ist, dass wir auf Gott ärgerlich sind, diese Angst möchte ich fast als unsere bösen Geister bezeichnen, weil sie uns daran hindern kann, mit Gott im Gespräch zu bleiben. Im Heiligen Geist Jesu dürfen wir uns in aller Ehrlichkeit Gott anvertrauen. Ob er dann unsere Klage in Tanzen verwandelt, wie es im Psalm heißt (vgl. Ps 30,12), das müssen wir ihm überlassen. Wir aber dürfen hoffen, dass Gottes Macht letztlich alles zum Guten führen wird. Was dazwischen alles an Schrecklichem und Unverständlichem auch geschehen mag, Gottes Macht wird daraus neues Leben erstehen lassen.

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