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Über die Leere in die Fülle. Gedanken zum ersten Fastensonntag im Anschluss an Franz Jalics SJ (16.11.1927-13.2.2021)

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-03-16

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Gen 9, 8–15; (1 Petr 3, 18–22); Mk 1, 12–15

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Liebe Gläubige,

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geht es Ihnen auch so wie mir, wenn Sie hören, dass heute der erste Fastensonntag ist? Ich habe mir spontan gedacht: Wir haben doch quasi ein ganzes Fastenjahr gehabt. Es ist doch, als hätte die Fastenzeit, die letztes Jahr am 26. Februar begonnen hat, nie aufgehört. Letztes Ostern ist quasi ausgefallen. Dann gab es zwar eine kleine Erleichterung, – wenn man so will – ein verlängertes Laetare im Sommer und Frühherbst, aber danach ging es weiter mit Fasten: keine Feste, keine Feiern, keine Hochzeiten, kaum Besuche … . Ist denn diese erzwungene Fastenzeit nicht endlich zu Ende? Wir brauchen jetzt keine neue Fastenzeit, wir bräuchten endlich Ostern. So ging es mir durch den Kopf.

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Und dann habe ich mich hingesetzt und nachgedacht, ob dieses Gefühl, das sich da selber Worte suchte, auch die richtigen Worte gefunden hat. Und bei diesem Nachdenken kam mir ein Zufall zu Hilfe: Ich erfuhr, dass gestern vor einer Woche, am 13. Februar, der Jesuit und Exerzitienmeister Franz Jalics im Alter von 93 Jahren verstorben ist. Jalics stammte aus Ungarn, wurde 1947 Jesuit, studierte in Deutschland und Belgien und arbeitete dann in Argentinien. Dort wurde er im Jahr 1976 von den regierenden Militärs verschleppt und fünf Monate lang gefesselt und mit einer Binde über den Augen gefangen gehalten. In dieser Zeit hoffte er jede Woche auf Freilassung, musste aber auch jede Woche damit rechnen, getötet zu werden. Während der Haft entwickelte Jalics seine Methode der Kontemplation. Schließlich kam er frei und ging – nach einem Jahr Aufenthalt in den USA – nach Deutschland, wo er ein Exerzitienhaus aufbaute, das er bis 2004 leitete. Zuletzt lebte er in einem Heim in Budapest. Die Nachricht von P. Jalics’ Tod erinnerte mich an einen ganz wichtigen Aspekt in seiner Spiritualität, der mir in meinen Überlegungen weiterhalf.

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Jalics sprach davon, dass für gläubige Christinnen und Christen die Erfahrung des Leer-Werdens von zentraler Bedeutung sei, weil wir die Fülle, die Gott uns schenken will, nur annehmen können, wenn wir leer sind. Und er zeigte, dass schon der durchschnittliche Lebenslauf der meisten Menschen durch unausweichliche Momente des Leerwerdens gekennzeichnet ist: Immer wenn wir uns für etwas oder für jemanden entscheiden, bedeutet das auch, dass wir auf die Alternative verzichten – gerade das mache uns Entscheidungen oft so schwer, meint Jalics. Immer wieder sind wir notwendig mit Erfahrungen des Leerwerdens konfrontiert: Wenn wir mit anderen Menschen zusammenleben, müssen wir auf ihre Bedürfnisse eingehen und ein Stück weit von eigenen leer werden. Wenn wir Kinder haben, müssen wir ihnen Raum in unserem Leben geben – und eigene Wünsche zurückstellen. Wenn die Kinder dann erwachsen sind und das Haus verlassen, wird es buchstäblich wieder leer und wir müssen uns neu im Leben und in der Partnerschaft orientieren. Wenn das Pensionsalter kommt und die ersten Zipperlein sich zeigen, müssen wir leer werden von bisherigen Wichtigkeits- und Unverletzlichkeitsgefühlen. Und irgendwann steht jeder und jede von uns dem Tod gegenüber und ist mit der bedrohlichen Aussicht eines von uns aus gesehen letzten und unwiderruflichen Leerwerdens konfrontiert. Jalics schreibt: „Alle Menschen müssen den Weg der Leere gehen. Wir werden alle durch das Nichts der Todeserfahrung geführt. Gott leitet uns Schritt für Schritt mit pädagogischer Kunst und sanfter Liebe zu diese[r] Leere.“[1]

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Pater Jalics ist diesen Weg nun zu Ende gegangen. Aber klingt das für uns, die wir noch nicht so weit sind, nicht etwas morbid? Und wenn es so ist, dass Gott uns diesen Weg ohnehin führt, braucht es dann noch eine Fastenzeit, einen bewussten Verzicht? Jalics ist durchaus der Meinung, dass man diese Leere schon freiwillig üben kann und dass Jesus immer wieder Menschen dazu auffordert. Allerdings: Das letzte Ziel dabei ist ja nicht die Leere, das Leerwerden ist kein Selbstzweck, sondern es ist die Voraussetzung dafür, dass wir die Fülle Gottes annehmen können.

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Und noch etwas ist wichtig: Für verschiedene Menschen gibt es verschiedene Zeitpunkte, zu denen das Einüben der Leere für sie möglich und sinnvoll ist. Jalics betont: Der Hinweis auf die „Relativität der Welt […] kann nicht immer verstanden werden und kann für einige auch Gift sein. […] Zuerst muß man beginnen, in der Welt zu leben, dieses Leben zu akzeptieren, es zu lieben und an ihm Freude zu haben. Erst dann können die Grenzerfahrungen des Lebens in die Transzendenz führen.“[2]

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Dieses Jahr war für viele Menschen so eine Grenzerfahrung und ist es noch. Es hat uns gezeigt, wie verletzlich wir sind, wie fragil unsere Ordnung ist, wie wenig selbstverständlich unsere liebgewonnenen Standards sind und wie nah der Tod sein kann. Hat uns das eher näher zu Gott geführt oder ihn für uns verdunkelt? Das muss jeder und jede für sich selbst zu beantworten suchen, ebenso wie die Frage, ob nun eine freiwillige Fastenzeit uns Gott näher bringen wird. Da gibt es keinen Automatismus. Das hängt natürlich auch davon ab, wie wir auf die Grenzerfahrungen eingehen oder uns ihnen verweigern.[3] Aber es hängt nicht nur von uns ab. Es hängt vor allem davon Gott ab, wie – nicht ob, wie – Gott sich in all dem uns nähern will.

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Vielleicht ist es die geeignete Form, diese Fastenzeit zu begehen, indem wir nach Gottes pädagogischer Kunst und sanfter Liebe Ausschau halten; möglichst aufmerksam sind, wie Gott – auf unerwartete und vielleicht zunächst unerkannte Weise – uns in der von uns verspürten Leere aufsucht und sie auch jetzt schon immer wieder ein Stück weit erfüllt.

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Die Frauen, die am ersten Ostermorgen zum Grab gingen, gingen dorthin in großer Leere und Trauer, um einen Leichnam zu salben; sie erkannten den Auferstandenen zuerst nicht, aber er erfüllte ihre Leere. Die Apostel, allen voran Thomas, rechneten nicht damit, dass ihre Leere enden würde – aber gerade das geschah. Und wenn ich mir das vergegenwärtige, dann muss ich mich korrigieren: Ostern ist letztes Jahr nicht ausgefallen. Unsere Gottesdienste in der gewohnten Form sind ausgefallen – aber Ostern doch nicht! An Ostern wurde Christus, der sich um unseres Heiles willen ganz leer machte und für uns in den Tod ging, erfüllt mit neuem, unzerstörbarem Leben. Und dieses Leben teilt er auch uns mit. Wenn er auferstanden ist, dann kann Ostern nicht mehr ausfallen. Es ist eine Tatsache unseres Glaubens, die auch unabhängig davon besteht, ob und wie wir sie gerade liturgisch feiern können oder nicht.

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Es ist schon wahr, wir bräuchten endlich ein Ostern. Die Frage ist aber nicht, ob Ostern kommt oder nicht, die Frage ist, ob wir das Ostern, das in unserem Leben immer wieder schon da ist, wirklich wahrnehmen können; ob wir offen und aufmerksam sind dafür, oder ob wir so mit dem Bedauern unserer Leere beschäftigt sind, dass wir die Auferstehung, die geschenkte Fülle, nicht bemerken.

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Im Bund Gottes mit Noach haben wir gelernt, dass Gott das Leben nicht vernichten will, dass das Lebenswidrige in der Welt nicht von Gott kommt. Der neue Bund in Jesus Christus sagt uns, dass Gott unsere Leere erfüllen will. Wir selber werden diese Leere niemals füllen können. Gott kann sie füllen und Gott wird sie füllen mit ewigem, göttlichen Leben. Kehren wir um und glauben wir an dieses Evangelium.

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Anmerkungen

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[1] Jalics, Franz: Kontemplative Exerzitien. Eine Einführung in die kontemplative Lebenshaltung und das Jesusgebet. Würzburg 1994, 141. Zum Gesamten vgl. ebd., 134-147.

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[2] Jalics: Kontemplative Exerzitien (1994), 140.

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[3] Vgl. Jalics: Kontemplative Exerzitien (1994), 143.

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