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Liebe oder Bekenntnis? Gedanken zum 7. Sonntag der Osterzeit 2021 LJ B

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-05-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: (Apg 1,15-17.20ac-26); 1 Joh 4,11-16; Joh 17,6a.11b–19

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Liebe Gläubige,

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am letzten Sonntag vor Pfingsten geben uns die Lesungen noch einmal eine kräftige Dosis der Theologie der Liebe des Johannes. Und doch scheint in der Lesung aus dem 1. Johannesbrief eine gewisse Spannung enthalten zu sein. Da heißt es nämlich einerseits: „wenn wir einander lieben. bleibt Gott in uns“ (1 Joh 4,12) und „wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (4,16); andererseits aber: „Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er bleibt in Gott.“ (4,15) Und es stellt sich die Frage: Ist das denn dasselbe, in der Liebe bleiben und Jesus als Sohn Gottes bekennen? Es scheint ja nicht so zu sein. Was ist dann aber wichtiger: die Liebe oder das Bekenntnis?

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Spontan würden die meisten Menschen wohl sagen: Man kann lieben, auch wenn man nicht glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Menschen aller Religionen und auch Menschen, die keiner Religion angehören, lieben andere Menschen: ihre Kinder, ihre Ehefrauen oder Ehemänner, Freunde und Freundinnen, Eltern und Geschwister. Manche Menschen sagen auch, sie lieben ihre Heimat oder ihre Kultur; andere sind von Liebe zur ganzen Menschheit oder gar zur Schöpfung geprägt. Menschen können lieben, unabhängig davon, ob sie Jesus als Sohn Gottes bekennen, und – das ist die gute Nachricht dieser Lesung – das bedeutet, dass Gott in ihnen ist und sie in Gott. Traditionell könnte man sagen, die Gnade Gottes wirkt in ihnen. Wir können auch sagen: Gott, der Heilige Geist, dessen Kommen wir nächste Woche feiern und der weht, wo er will, er wirkt in allen Menschen, die wirklich lieben – unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis und unabhängig davon, ob sie selbst das dem Heiligen Geist zuschreiben würden oder nicht.

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Wozu aber dann der Verweis auf das Bekenntnis? Wozu ist dieses Bekenntnis von Jesu Gottessohnschaft wichtig?

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Zum einen: Menschen, die glauben, dass Jesus der Sohn Gottes ist, haben sich zusammengefunden in der Kirche. Weil auch sie schwache und oft zu wenig liebende Menschen sind, ist diese Kirche gespalten in viele Kirchen; und diese sind zu problematischen Institutionen geworden, über die man sich immer wieder kräftig ärgern muss – gerade auch über ihre häufige Lieblosigkeit und Sturheit. Und doch: Gäbe es die Kirchen nicht, dann müssten die Christinnen und Christen nur als einzelne dafür kämpfen, dass es auf gesellschaftlicher Ebene gerechter und liebevoller zugeht, ihr Kampf wäre wesentlich schwieriger. Natürlich, heute gibt es neben der Caritas und der Diakonie genügend andere NGOs, die sich für schwache Menschen einsetzen – aber die kirchlichen NGOs waren doch die ersten; die anderen folgten ihrem Vorbild. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes führt Menschen also zusammen zu Glaubensge­mein­schaf­ten und das ermöglicht es ihnen, ganz anders in die Gesellschaft hineinzuwirken als es für sie als Einzelne möglich wäre.

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Zum zweiten: Oft hat Liebe eine dunkle Kehrseite. Oft schleicht sich unter die Liebe doch so etwas, wie ein versteckter Egoismus, ein. Wenn jemand gar zu sehr betont, dass er seine Heimat oder seine Kultur liebt, dann kann es leicht sein, dass er auf andere Länder und andere Sitten herunterschaut. Wenn Menschen ihre Familie, ihre Kinder, ihren Clan lieben, kann es sein, dass sie einem kollektiven Egoismus – einem Wir gegen den Rest der Welt – verfallen. Ja, sogar, wer Liebe zur Menschheit und zur ganzen Schöpfung hat, kann als Konsequenz all jene verachten und als Feinde bekämpfen, die nicht die gleiche Liebe an den Tag legen. Wie leicht kann die Liebe für das Gute umschlagen in Verachtung oder Hass gegen jene, die dieses Gute nicht so sehr schätzen und schützen, wie man sich das selber wünscht.

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War das bei Jesus nicht auch so? Hat er nicht gestritten mit den Pharisäern und Schriftgelehrten, die die Botschaft von der allumfassenden Liebe Gottes verdunkelten? Ja, er hat gestritten, aber er hat sie nicht verachtet und nicht er hat sie zu seinen Feinden gemacht, sondern sie ihn. Jesus hat uns gezeigt, dass Liebe nicht unbedingt Konfliktvermeidung bedeutet. Man kann auch aus Liebe einen Konflikt eingehen, aber man wird ihn dann anders führen. Und dann kam es so weit, dass die Gegner Jesu ihn zu ihrem Todfeind gemacht und ihn getötet haben. Und er? Er hat für sie gebetet (vgl. Lk 23,34). Er hat dadurch eine Liebe in die Welt gebracht, die es sonst nicht gibt. Jesus hat sie erfunden: die Feindesliebe. Und wenn wir uns schon schwer tun mit der Liebe, die wir tatsächlich haben, weil unsere echte Liebe doch immer auch eine unvollkommene, eine von Egoismus durchsetze, eine schwache – und eine andere ausgrenzende – Liebe ist, dann zeigt uns Jesus, dass es noch mehr gibt, dass man sogar diejenigen lieben kann, die sich selbst zu Todfeinden gemacht haben.

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Zum Dritten – und das scheint mir das Wichtigste: Wir sehen, wie unvollkommen und lieblos die Kirchen oft agieren und wie unvollkommen und versteckt egoistisch unsere menschliche Liebe oft ist. Wenn wir das Gebot der Liebe – der Nächstenliebe oder gar der Feindesliebe – so verstehen würden, als müssten wir dieses Gebot „erfüllen“, dann müssten wir eigentlich verzweifeln. Wir versagen viel zu oft in unserem Lieben. Das Bekenntnis aber, dass Jesus der Sohn Gottes ist, ändert das: Wenn die Geduld, die Liebe zu den Sündern und Sünderinnen, die Barmherzigkeit, die Jesus gelebt hat, Geduld, Liebe und Barmherzigkeit des Sohnes Gottes sind, dann müssen wir das Gebot der Liebe nicht „erfüllen“. Dieses Gebot ist nicht dazu da, „erfüllt“ zu werden, es ist dazu da, dass wir auf seine Erfüllung hin wachsen. Das Ziel ist jene Liebe, die Jesus gelebt hat, inklusive der Feindesliebe. Aber wir haben ein Leben lang Zeit uns auf dieses Ziel hinzubewegen. Nur: Auf diese Bewegung sollten wir uns einlassen.

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Der große Theologe Karl Rahner hat geschrieben: „Alle Sünde ist im Grunde nur die Weigerung, [… sich der] Maßlosigkeit [der Liebe …] anzuvertrauen, ist die geringere Liebe, die darum, weil sie sich weigert, die größere werden zu wollen, keine [Liebe] mehr ist.“[1] Nicht, dass unsere Liebe zu gering ist, ist das Problem, sondern, dass wir uns so oft der inneren Dynamik der Liebe, sich zu vertiefen und sich weiten, widersetzen. Vertiefen heißt, die Menschen, die wir lieben, noch intensiver, deutlicher, freier von Egoismus zu lieben; Weiten bedeutet, die Liebe nicht zu begrenzen auf die eigene Familie, den eigenen Clan, das eigene Land, auf diejenigen, die dieselben Werte teilen und für dieselben Sachen sich einsetzen. „In der Liebe bleiben“, würde ich mit Rahner übersetzen als „in der Liebe wachsen“. Würde es bedeuten, in der Liebe stehenbleiben, dann hätten wir genau so eine Weigerung, sich der Dynamik der Liebe anzuvertrauen, von der Rahner sagt, dass sie Sünde ist. In der Liebe kann man nur bleiben, wenn man in ihr wächst.

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Müssen wir aber nicht doch verzweifeln? Wer sagt uns denn, dass wir dieses Ziel in unserem Leben je erreichen? Und: Wollen wir es denn wirklich erreichen, wenn wir bedenken, dass derjenige, der diese Liebe gelebt hat, am Kreuz geendet ist? Ist es nicht Wahnsinn, so etwas anzustreben? – Wenn es bloß ein Ideal aus irgendeiner humanistischen Philosophie wäre, dann würde ich dem zustimmen, dann sollte man lieber die Finger davon lassen. Wenn das aber keine bloß menschliche Idee ist, sondern die Realität des Sohnes Gottes, der sie in unsere Welt gebracht, dort selber gelebt und durchgelitten hat, und der dann eben nicht am Kreuz geendet ist, sondern auferstand vom Tod und aufgefahren ist zur Rechten des Vaters, dann sieht es anders aus. Johannes hat Recht: Die letzte und höchste Dimension der Liebe – die Feindesliebe durch den Tod hindurch in ein unzerstörbares Leben – die ist nur erkennbar und lebbar in dem Glauben an Jesus als den Sohn Gottes.

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Es ist also wahr: Alle Menschen haben die Fähigkeit zu echter Liebe und wo sie diese auch nur ein Stück weit verwirklichen, wirkt Gott, der Heilige Geist in ihnen. Wer aber Jesus bekennt als Sohn Gottes, weiß, wie unendlich größer Liebe sein kann, und kann hoffen, dass diese Liebe sogar Todfeindschaft überwindet.

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[1] Rahner, Karl: Theologie der Freiheit. In: ders.: Sämtliche Werke 22/2: Dogmatik nach dem Konzil. Zweiter Teilband: Theologische Anthropologie und Ekklesiologie. Bearb. v. Albert Raffelt. Freiburg 2008, 91–112, 102f.

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