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Logik und Rhetorik. Ansprache zur feierlichen Sponsion und Promotion von Absolventinnen und Absolventen der Katholisch-Theologischen und der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck am Samstag, 10. Juli 2021, Aula der Universität

Autor:Lumma Liborius
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-07-19

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Sehr geehrte Absolventinnen und Absolventen unserer Universität,

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sehr geehrte Angehörige, Freundinnen und Freunde der Absolventinnen und Absolventen,

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sehr geehrte Damen und Herren,

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wer an einer Universität studiert, reiht sich ein in die Geschichte einer Bildungs- und Wissenschaftskultur, die dann auch ein Teil seiner eigenen Geschichte, seiner Biographie und seiner Sicht auf die Welt wird. Wann das mit der universitären Bildung genau begonnen hat, ist gar nicht so eindeutig zu definieren; eine Universität von heute ist wahrlich ein anderes Lehr-, Forschungs- und Lebensumfeld als sie das 1088 in Bologna, 1365 in Wien oder 1669 in Innsbruck war - um nur einmal diese drei historisch bedeutenden Gründungsdaten zu nennen. Ein systematisch ausgearbeitetes Wissenschafts- und Unterrichtsverständnis können wir ohnehin schon viel früher finden: Man denke nur an Platon, Sokrates und Aristoteles fast eineinhalb Jahrtausende vor der Gründung der Universität Bologna. Wie bei so vielem in der europäischen Geschichte erweist sich auch hier die Zeit Karls des Großen als eine, in der Vorhandenes wie in einem Trichter zusammengeführt und gebündelt wurde, um sich dann geographisch, methodisch und thematisch wieder zu weiten.

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An diesem historischen Brennpunkt der westeuropäischen Bildungsgeschichte begegnen wir Alkuin, in York geboren und dann so etwas wie der Bildungsminister Karls des Großen auf dem europäischen Kontinent geworden. In seiner Literatur bediente sich Alkuin gerne der Dialogform, ähnlich wie Platon es von Sokrates überliefert. Vielleicht hatte auch Alkuin die Erfahrung gemacht, dass Bildung manchmal besser in kleinen Sequenzen genossen wird. In einem solchen Dialog lässt Alkuin Karl den Großen höchstpersönlich unter anderem die drei folgenden Fragen stellen:

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Was ist Wissenschaft? – Antwort: In der Wissenschaft kennt man die genaue Ursache von etwas, zum Beispiel weiß man, dass eine Sonnenfinsternis darin begründet ist, dass der Mond die Fläche der Sonne verdunkelt.

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Was ist Logik? – Die Logik ist die Wissenschaft über die Vernunft. Sie vermittelt die Fähigkeit, Fragen zu stellen, zu definieren und zu ermitteln, ja, sie kann sogar Wahres von Falschem unterscheiden.

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Und wie unterscheidet sich die Logik von der Rhetorik? – Wie die geballte Faust von der Handfläche. Die Logik verbindet die Argumente mit möglichst knappen Worten. Die Rhetorik dagegen bewegt sich frei und mit üppigem Wortschatz im Bereich der Redekunst. Die eine ballt die Worte zusammen, die andere breitet sie aus.

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Mit all dem, liebe Absolventinnen und Absolventen, dürften Sie auch in Ihrem Studium im 21. Jahrhundert in Berührung gekommen sein. Sie haben die Fähigkeit geübt, aus gegebenen Voraussetzungen zulässige Schlussfolgerungen zu ziehen, und Sie wurden vermutlich gelegentlich gerügt, wenn jemand der Meinung war, Ihre Schlussfolgerungen seien voreilig oder unzulässig oder schon die Voraussetzungen unbegründet gewesen, oder wenn Sie unnötig drumherum geredet und Ihre Argumente und Befunde nicht kompakt und übersichtlich dargestellt haben – willkommen also in der Logik. Auf der anderen Seite sollten Sie lernen, Ihre Einsichten den anderen nicht wie einen nassen Fetzen um die Ohren zu schlagen, sondern Erkenntnisse für verschiedene Zielgruppen aufzubereiten, selbstständige Erkenntnisprozesse von Schülerinnen und Schülern und von Erwachsenen anzuregen, den Eros des Verstehens in anderen Menschen zu entzünden – nichts anderes ist ja die Rhetorik. Und schließlich sollten Sie den Dingen – welche auch immer das in Ihrer Studienrichtung gewesen sind – auf den Grund gehen, tiefer bohren als es andere tun, Zusammenhänge besser verstehen als Vorurteile es nahelegen – vielleicht sogar jene Vorurteile, die Sie selbst nach bestem Wissen und Gewissen ins Studium mitgebracht haben und von denen Sie sich dann womöglich schmerzhaft verabschieden mussten.

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Sie haben das Ziel Ihres Studiums erreicht. Sie sind jetzt ein Teil der Universitätsgeschichte und die Universität Innsbruck ist ein Teil Ihrer Geschichte geworden.

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Wir Lehrenden der Universität hatten in den letzten Semestern ausreichend Gelegenheit, Ihnen das mitzugeben, was wir für wichtig halten. Deswegen beschränke ich mich nun auf drei kleine Bitten:

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Bitte bleiben Sie Menschen, die zuerst nach Ursachen und Zusammenhängen fragen und erst dann Urteile fällen. Das ist der vielleicht wichtigste Baustein zur Übernahme sozialer Verantwortung, zu der die Sie gleich in Ihrem Gelöbnis bekennen werden.

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Logik und Rhetorik: Bitte bleiben Sie streng mit sich selbst, wenn Sie Argumente vortragen, vor allem dort, wo andere Ihnen in Zukunft aufgrund Ihres Studiums und Ihres akademischen Grades Kompetenz und Autorität zuschreiben. Bitte bleiben Sie aber auch kreativ, zielgruppenorientiert und schöpfen Sie den Reichtum der Sprache und der Medien aus, wenn es darum geht, Erkenntnisse zu vermitteln und Menschen jeden Alters dafür zu begeistern.

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Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie uns, den Lehrenden an der Universität Innsbruck entgegengebracht haben, und ich gratuliere Ihnen herzlich zum erfolgreichen Abschluss Ihres Studiums! Und ich kann Ihnen garantieren: Für einige von Ihnen war das jetzt das erste Mal, aber für Sie alle das letzte Mal, das Sie im Rahmen Ihres Studiums mir haben zuhören müssen – vielen Dank!

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Die Abschnitte aus Alkuins De dialectica findet sich in PL 101, 952–953. Die Übersetzung schließt sich Anders Piltz: Die gelehrte Welt des Mittelalters, Köln/Wien 1978, 30, an, der das lateinische dialectica hier mit Logik übersetzt.

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