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Gibt es einen Weihnachtsfrieden?

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-12-20

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Immer wieder durch die Geschichte hindurch wurde in mitunter höchst konfliktreichen, manchmal schier aussichtslosen Situationen ein Weihnachtsfriede ausgerufen. Was könnte Österreich heute mehr brauchen als das?

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Die Worte werden immer drastischer, die Filterblasen immer geschlossener, der Lärm auf den Straßen immer lauter und die Gräben bis hinein in Freundschaften und Familien immer tiefer. Man mag sich fragen, ob es angesichts dessen noch eine allen gerechte Lösung geben kann, überhaupt noch so etwas wie ein Kompromiss möglich ist.

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Der Feldherr und Eroberer Alexander der Große löste den sprichwörtlich gewordenen Gordischen Knoten dadurch, dass er ihn mit dem Schwert durchschlug; also durch pure Gewalt. Das ist weder ein humaner noch ein christlicher Weg mit dramatischen Konflikten umzugehen. Der Weg, den Jesus von Nazareth einschlug, bestand häufig darin, Gegensätze dadurch zu entschärfen, dass er den Horizont weitete und eine andere Ebene der Wirklichkeit mit ins Spiel brachte.

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Vielleicht sollten wir das in diesen Tagen auch versuchen.

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Da bietet sich etwa der Horizont des unverschämten Glücks an, in dem die allermeisten von uns leben, die bislang ohne grobe Gesundheitsschäden durch die Pandemie gekommen sind. Glück vor allem deshalb, weil bei allen bestehenden Beeinträchtigung des Alltagslebens Gesundheits- und Sozialsystem in Österreich gut funktionieren, weil bei aller wirtschaftlichen Krisenhaftigkeit viele Hebel der Hilfe und Unterstützung in Gang gesetzt wurden und werden. Angesichts dessen erscheint manche Empörung als kaum mehr nachvollziehbare Wehleidigkeit, die wohl einer Dankbarkeit weichen sollte.

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Es bietet sich auch der Horizont jener Menschen im globalen Gefüge an, für die selbst die gegenwärtige Pandemie ein Randproblem ihrer Existenz darstellt, weil sie täglich darum kämpfen, diese Existenz erhalten zu können, weil sie ein Leben in Freiheit überhaupt noch nie kennenlernen durften, weil sie ihre Heimat verloren haben und irgendwo im Niemandsland auf den Tod warten, oder auf ein Wunder. Angesichts dessen wäre viel Engagement gefragt, das gegenwärtig so sinnlos verpufft, wie wertvolle Rohstoffe in ineffizienten Feuerungsanlagen.

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Es bietet sich auch der Horizont jener Herausforderungen an, die Corona in wohl unzulässiger Weise immer wieder an den Rand unseres Bewusstseins drängt. Die Gefährdungen des Friedens weltweit, die Bedrohung des Weltklimas und der beängstigende Schwund an Artenvielfalt stellen vor Aufgaben, deren Bearbeitung keinen Aufschub duldet. Angesichts dessen scheint manch lautstarker Konflikt als Ausflucht davor, sich der Komplexität dieser Fragen zu stellen. Wie zwei Männer in einem berühmten Gemälde von Francisco Goya prügeln wir besinnungslos aufeinander ein und nehmen gar nicht wahr, dass wir gemeinsam auf sumpfigem Grund stehen, der uns allmählich verschlingt.

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Innehalten, den Blick heben, den Horizont erkennen, der unsere reale, gemeinsame Welt umgibt, das könnte ein Weihnachtsfriede leisten, in dem zumindest für einige Tage auf Parolen, Tweets, Stellungnahmen, auch Interviews verzichtet wird, um zur Ruhe zu kommen und dann vielleicht gangbare Wege neu zu entdecken, die wir bislang gar nicht wahrgenommen haben. In diesem Sinn haben die Bischöfe Österreichs jüngst gemeinsam dazu aufgerufen zu schützen, zu heilen und zu versöhnen.[1]

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Zwei Gedanken aus der letzten Enzyklika von Papst Franziskus mit dem Titel Fratelli tutti (Alle Geschwister)[2] könnten uns in einen solchen Weihnachtsfrieden begleiten:

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„Eine globale Tragödie wie die Covid-19-Pandemie hat für eine gewisse Zeit wirklich das Bewusstsein geweckt, eine weltweite Gemeinschaft in einem Boot zu sein, wo das Übel eines Insassen allen zum Schaden gereicht. Wir haben uns daran erinnert, dass keiner sich allein retten kann, dass man nur Hilfe erfährt, wo andere zugegen sind. Daher sagte ich: ‚Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben. […] Mit dem Sturm sind auch die stereotypen Masken gefallen, mit denen wir unser „Ego“ in ständiger Sorge um unser eigenes Image verkleidet haben; und es wurde wieder einmal jene segensreiche gemeinsame Zugehörigkeit offenbar, der wir uns nicht entziehen können, dass wir nämlich alle Brüder und Schwestern sind.‘“ (FT 32)

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„Die Suche nach einer falschen Toleranz muss dem Realismus des Dialogs weichen, dem Realismus derer, die überzeugt sind, ihren Prinzipien treu bleiben zu müssen, gleichzeitig aber anerkennen, dass der andere ebenso das Recht hat, zu versuchen, seinen eigenen Prinzipien treu zu sein. Das ist die authentische Anerkennung des anderen, die nur durch die Liebe möglich ist; das bedeutet, sich in den anderen hineinzuversetzen, um zu entdecken, was es an Authentischem oder zumindest Verständlichem unter seinen Motivationen und Interessen gibt.“ (FT 221)

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Mag sein, all das bringt realitätsferne Wunschträume zum Ausdruck, doch wann, wenn nicht in diesen letzten Adventtagen sollte erwartungsvolles Wünschen erlaubt, vielleicht sogar notwendig sein.

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Anmerkungen

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