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„Heilige Familie“ – gegen den Strich gebürstet
(Predigt zum Fest der Heiligen Familie, gehalten am 26. Dezember 2021 um 18.00 Uhr in der Jesuitenkirche)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-12-30

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Ein leuchtendes Vorbild“ soll sie sein: Die Heilige Familie. Das haben wir im Tagesgebet von dem lieben Herrgott erbeten. Die Sprache der Gebete darf ja Unmögliches erbitten, wohl in der Hoffnung, dass zumindest ein Prozent dessen, was wir erbitten Wirklichkeit wird. So bittet auch die Kirche am Fest des heiligen Stephanus, dem Fest, das des Sonntags wegen in diesem Jahr dem Fest der Heiligen Familie weicht, dass wir unsere Feinde lieben und so dem Beispiel des heiligen Stephanus folgen, der sterbend für seine Feinde gebetet hat. Nur mit der Heiligen Familie ist es schon so eine Sache. Zumindest ich muss bei dem Wort an die nazarenischen Bilder denken, an die Idylle des Hauses von Nazareth, eine Idylle, die dem kleinen Jozef im kleinen ostpolnischen Dorf als der Inbegriff des Paradieses erschien. Der schon etwas ältere Josef – des braven Zimmermann Vorbild – hobelt; die meistens als etwas vornehme Dame dargestellte Maria – eine gotterg­ebene, brave Hausfrau – verrichtet ihre Arbeit in der Küche, oder sitzt am Spinnrad und spinnt; das Jesus-Kind sammelt flei­ßig die Hobelspäne. Auf einigen Bildern sieht man die über dem Haus flie­genden Engel. Sie fliegen und singen: “Gloria in excelsis Deo”. Heilige Familie als Inbegriff der Ruhe, der Geborgenheit und der Harmonie, so wie sie die nazare­nischen Maler verstanden haben. Süßer, braver und frommer kann es nicht mehr werden. Spätestens in der Pubertät verabschiedet man sich von der Vorstellung, auch oder gerade, weil man zu Weihnachten mit Unmengen von Kitsch konfrontiert wird (auch wenn ich muss gestehen, dass ich ihn liebe und in meiner Wohnung in den Weihnachtstagen nicht genug davon haben kann).

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Der schon emeritierte Theologe hat mit dem “leuchtenden Vorbild” ein doppeltes Problem. Zuerst ist es die kulturpolitisch selbstverständlich gewordene Reduktion der Religion auf Ethik. Der moralisch erhobene Zeigefinger, der permanent bloß auf Vorbilder zeigt, hat mit dem Geheimnis des Christentums letztlich wenig zu tun. Gott ist Mensch geworden nicht deswegen, um uns bloß das Beispiel eines ordentlichen Lebens zu liefern. Und dies ganz gleich, ob dieses Leben sich in konservativen, oder progressiven Kreisen bewegt. Gott ist Mensch geworden, damit er uns durch alle “Auf und Ab” begleitet. Und dies nicht bloß von oben herab. In seiner Menschwerdung hat sich der Sohn Gottes mit jedem Menschen verbunden, in seinem Sterben fiel er tiefer als der Mensch je zu fallen vermag. All das erlaubt uns Christen den Glauben, dass es letztlich keine hoffnungslose Situation geben kann. Denn: die Menschwerdung Gottes stellte schon damals die göttliche Antwort dar: auf die apokalyptischen Ängste und all die menschlichen Strategien wie man mit Bedrohung und Unsicherheit fertig wird.

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Und damit bin ich schon beim zweiten Grund warum ich ein Problem mit dem “leuchtenden Beispiel” habe. Das Leben Jesu war – genauso wie das Leben von Maria und Josef – hoch dramatisch. Es war voll von Auseinandersetzungen und Konflikten, gar von Brüchen und Versöhnungen, geprägt und getragen von jenem Vertrauen, dass man im Leben und Sterben letztendlich doch in die Hand eines liebenden Gottes fällt. Wie sah diese dramatische Logik im Konkreten aus? Erinnern wir uns an ein paar biblische Szenen.

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Da ist zuerst die Szene aus dem heutigen Evangelium. Der Zwölfjährige setzt sich ab, reagiert recht kaltschnäuzig auf den Vorwurf der Mutter, was er denn ihnen angetan habe. “Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht...” Das klingt doch so vertraut in den Ohren der Eltern, die von ihren Kindern bloß den Vorwurf zu hören bekommen: “Ihr versteht doch gar nichts!

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Die Tradition will es wissen, Josef sei sehr früh gestorben. Maria und Jesus hätten dann allein wirtschaften müssen. Was hat das zu bedeuten? Vor allem einen Alltag voll von Arbeit und Mühe um das sprich­wörtliche tägliche Brot. Die Engel, die die Maler so gerne um die Krippe haben fliegen lassen, diese Engel gab es nicht, als es darum ging, den steinigen Boden zu pflügen und die Olivenbäu­me zu kultivieren. Und dann kam noch die Zeit, als der Sohn glaubte, in die Welt ziehen zu müssen. Nicht um Karriere zu machen und bessere Position zu gewinnen! Nicht, um seiner alten Mutter das Sich-Bücken im Alter zu ersparen! Nein! Er ging hinaus, um sich gegen die geheiligten Autoritäten der religiö­sen aber auch der politischen Ordnung zu wenden. Im 21. Jahrhundert müsste man sagen, um das Vorurteil, beim religiösen Glauben gehe es zuerst um Ethik und Moral und um die richtige Politik, um dieses Urteil zu hinterfragen. Was bedeutete das für die überarbeitete, älter werdende Maria? Zuerst einen Schock und eine menschliche Enttäuschung! Der einzige Sohn, für den sie geschuftet hat, der Sohn, dessen Leben sie geschützt hat, dieser Sohn verlässt sie nun. Und es war nicht nur eine menschliche, sondern vor allem eine religiöse Enttäuschung! Denn dieser, ihr Sohn wendet sich in seinen Reden gegen all das, was für sie so heilig war: gegen das Gesetz! – Trug sie ihn nicht zum Tempel, als er noch klein war, wie das Gesetz es vorschreibt? – Opferte sie ihn nicht Gott und hoffte sie nicht, dass er ein anständiger Mensch sein wird? – Pilgerte sie nicht mit ihm jedes Jahr nach Jerusalem, wie das Gesetz es will? – Brachte sie ihm nicht die 613 großen und kleinen Gebote bei, wie man zu leben hat, um als frommer Jude zu gelten? Und was tut er nun? Er verkehrt mit den Sündern! Er verkehrt mit den Heiden! Er missachtet die religiösen Vorschriften! Ja: er kritisiert sogar die Priester! Schon bekommt Maria von den Nachbarinnen in Naza­reth zu hören, was sie für einen Sohn in die Welt gesetzt hat: “Einen Revoluzzer! Der hat doch einen Größenwahn!” Und die gut gesonnenen Nachbarn: sie machen Maria darauf auf­merk­sam, welcher Gefahr ihr Sohn ausgesetzt ist. Wenn er so weitermacht, werden die Priester und die Römer ihn umbringen! Und so macht sich die alte, abgearbeitete Frau auf den Weg. Sie sucht ihren Sohn. Sie möchte ihn heimholen: “Komm! Sei vernünftig! Es lohnt sich nicht. Wie viele haben sich da schon die Zähne ausgebissen?” Als sie zu dem Ort kommt, wo er sich gerade aufhält, kann sie unmöglich durch die Menge hindurchkommen. So lässt sie ihm aus­richten, dass sie draußen auf ihn wartet. Und seine Antwort?  “Meine Mutter? Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln”. Eine größere Ohrfeige kann man sich kaum vorstellen. Verbittert kehrt Maria nach Hause zurück. Sie wird nie mehr versuchen, ihrem Sohn über den Weg zu laufen. Auch er wird sie nie besu­chen. Bis er als Verbrecher verurteilt wird.

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Da kann die Mutter nicht anders, als zu ihm zu gehen. Ja! Sie ist die Mutter eines Ausgestoßenen, eines Verbrechers geworden. Das bekommt sie von allen Verwandten und den Bekannten zu spüren. Und trotzdem geht sie hin.  Und erst am Kreuz, in seiner letzten Stunde bemerkt der Sohn seine Mutter. Erst im Tod hat die Mutter ihren Sohn wiedergefun­den, aber eben als einen, der von der ganzen Welt als Gottes­lästerer und schwerer Verbrecher abgeurteilt wurde. Schweren Herzens steht sie ihm in seiner Todesstunde bei; jetzt als es nur noch um Leben und Tod geht, hält sie zu ihm. Obwohl sie ihn nie verstanden hat, obwohl sie sich nie mit seiner Tätigkeit abge­funden hat, zeigt sie ihm ihre Solidarität.

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Und erst als alles aus war, als man ihn begraben hat und ihr Leben bis ins Tiefste vernichtet wurde, erst dann ist ihr der Sinn des Ganzen offenbar geworden. Erst mit der Auferstehung ist ihr die Einsicht gegeben worden in das, was geschehen ist. Aber diese Einsicht konnte unmöglich die vielen Enttäuschungen und die vielen Leiden hinwegnehmen! Was sie durchlitten hat, das hat sie durch­litten! Übrigens: die alte Frömmigkeit versuchte dies mit einem Bild zum Ausdruck zu bringen, als sie von den “sieben Schmerzen Mariens” sprach.

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Liebe Schwestern und Brüder. Die Geschichten aus unseren Familien: Geschichten der Kon­flikte und der Ent­täu­schungen, Geschichten der Verbitterung und der Brüche familiärer Beziehungen, so schmerzhaft sie auch sein mögen, sie bleiben in die Geschichte Gottes mit seiner Welt einge­bunden, sind sie doch ein Stück der Ge­schichte der Heiligen Familie selber. Auch diese Geschichte war voll von Auseinandersetzungen und Konflikten, gar von Brüchen und Versöhnungen geprägt. Sie war aber auch getragen von jenem Vertrauen, dass man im Leben und Sterben letztendlich doch in die Hand eines liebenden Gottes fällt. Diese Einsicht möge unsere Gelassenheit, Vertrauen und Hoffnung stärken.

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