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Durch Missverständnisse zur Wahrheit
(Wer Jesus ist und wer wir selber sind (Zum dritten Fastensonntag: Jn 4,1-30))

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-02-28

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Während der letzten Jahrzehnte hat sich im kirchlichen Leben vieles verändert. In allen Ländern Westeuropas ist der Gottesdienstbesuch stark zurückgegangen. Dafür gibt es viele äußere Gründe, die von der modernen Gesellschaft herrühren und auf die ich hier im einzelnen nicht eingehen möchte. Auch innere Gründe haben zum Rückgang des kirchlichen Lebens beigetragen, - vor allem die Spannungen und Konflikte in der Kirche selber, von denen in den letzten Jahrzehnten in den Medien oft die Rede war.

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Neben all den zahlreichen Einzelproblemen stellt sich aber eine Grundfrage: Wie lässt sich der christliche Glaube in der modernen Gesellschaft leben? Einige wichtige Hinweise zur Beantwortung dieser Frage dürfte das heutige Evangelium durch das Gespräch zwischen Jesus und der samaritischen Frau am Jakobsbrunnen bieten. Es zeigt, wie das, was Jesus bringen möchte, aus der Sicht des menschlichen Alltagslebens immer schwer verständlich war und auch heute schwer verständlich ist. Die Worte Jesu wecken zunächst spontan Missverständnisse, und wenn diese korrigiert werden, entstehen weitere Probleme. Erst nach mehrfachen Korrekturen kann Jesus direkt sagen, was er sagen möchte. Wird er dann verstanden? Blicken wir kurz auf das Gespräch zurück.

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Es beginnt ganz alltäglich. Jesus spricht eine Frau an, die er am einem Brunnen trifft, und bittet sie um etwas Wasser. Die Frau versteht zunächst nicht, warum er sie überhaupt anredet, denn sie lebt ganz in der traditionellen Vorstellung ihres Volkes, gemäß der Juden und Samariter keine Kontakte untereinander pflegen. Jesus durchbricht bereits mit seiner Anrede diese Abschottung und Feindschaft zwischen zwei verwandten Volksgruppen, und als Antwort auf die erstaunte Frage der Frau deutet er an, dass seine Person über diesem Gegensatz steht. Er spricht nun ausdrücklich von der Gabe Gottes und von einem lebendigen Wasser. Die Frau denkt darauf, mit dem lebendigen Wasser sei das fließende Wasser in der Tiefe des Brunnens gemeint, das sie täglich holen muss. Jesus korrigiert ihre Vorstellung als Missverständnis und weist ausdrücklich auf ein ganz anderes Wasser hin, nämlich auf eines, das keinen Durst mehr hinterlässt. Nun denkt die Frau, dies sei irgendein magisches Wasser, das ihr helfen würde, damit sie nicht mehr jeden Tag zum Brunnen gehen zu muss. Wie Jesus merkt, dass er mit dem Bild vom Wasser nicht weiter kommt und kein echtes Verständnis von dem, was er sagen will, wecken kann, wechselt er das Thema: Er spricht die Frau auf ihr persönliches Leben an. Diese versucht zunächst durch eine negative Antwort auszuweichen. Jesus benützt aber gerade die negative Antwort, um Wichtiges aus ihrer Lebensgeschichte aufzudecken. Nun erkennt die Frau, dass sie es nicht mit einem gewöhnlichen Menschen, sondern mit einem Propheten zu tun hat. Sie möchte aber nochmals ausweichen und greift eine allgemeine Streitfrage zwischen Juden und Samaritern über den Ort der wahren Anbetung Gottes auf. Jesus knüpft wieder an ihre Frage an, macht ihr aber zugleich klar, dass diese Frage auf einem Missverständnis beruht und dass beide Streitparteien, die Juden und Samariter, nicht richtig verstehen, wie Gott in Wahrheit angebetet werden soll. Diese Worte rufen in der Frau plötzlich eine Erinnerung an das wach, was sie von einem kommenden Messias gehört hat, und sie wecken in ihr zugleich eine tiefe Hoffnung, über alle Unklarheiten aufgeklärt zu werden. Wie Jesus sie - nach der Abwehr von Missverständnissen und Ausweichmanövern - so offen erfährt, kann er ihr endlich auch von seiner Seite eine offene und direkte Antwort geben: "ich bin es, der mit dir spricht".

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Hat die Frau ihn nun voll verstanden? Sie ist auf alle Fälle tief berührt und eilt davon, ihre Nachbarn und Nachbarinnen zu Jesus zu rufen. Der Evangelist berichtet uns dieses Gespräch aber nicht wegen dieser einen Frau, sondern weil er in dieser Begegnung etwas sieht, das uns alle angeht. Das Gespräch zwischen Jesus und der Frau ist typisch für die Begegnung zwischen Jesus und jedem Menschen, der zum Glauben kommen will. Im Beispiel der Frau am Jakobsbrunnen zeigen sich Verhaltensweisen und Reaktionen, die wir alle haben, wenn wir mit dem Wort Gottes konfrontiert werden. Auch wir unterliegen zunächst Missverständnissen, die korrigiert werden müssen. Wir weichen aus, wenn wir auf Persönliches angesprochen werden, und wir beschäftigen uns mit allgemeinen Streitfragen über Religionen und Weltanschauungen. All dies ist aber etwas Vorläufiges. Es sind Hüllen, die das Zentrale verdecken. Jesus als Wort Gottes möchte all dieses Vorläufige und diese Hüllen schrittweise entfernen, um uns offen zu machen und um uns schließlich direkt und persönlich zu sagen: "Ich bin es, der mit dir spricht".

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Es gab Zeiten, da sind manche nur aus Gewohnheit oder unter äußerem Druck zum Gottesdienst gegangen. Diese Zeiten sind vorbei und damit auch entsprechende Missverständnisse vom wahren Gottesdienst. Heute gibt es eher einen Gegendruck und damit andere und neue Missverständnisse. Die Frau am Jakobsbrunnen hat sich zunächst nur um das tägliche Wasser gekümmert, um etwas, was in ihrer Gesellschaft wichtig war. Wer sich heute in ähnlicher Weise nur um das kümmert, wovon die Leute reden, wird die Botschaft Jesu nicht verstehen und den Weg zu Gott nicht finden, denn unsere moderne Welt ist vor allem auf die Wirtschaft, auf Konsum und Unterhaltung ausgerichtet. Die Botschaft Jesu konfrontiert uns ferner mit unserem persönlichen Leben. Auch das ist meistens nicht angenehm und lädt zum Ausweichen ein. Nur wenn wir bereit sind, unsere Missverständnisse korrigieren zu lassen, und wenn wir bereit sind, vor Fragen, die uns persönlich angehen, nicht auszuweichen, werden wir den wahren Weg zu Gott finden. Das ist meistens ein langer Weg. Oft braucht es Jahre und Jahrzehnte, um nur ein einziges Missverständnis ganz zu überwinden. Es ist aber etwas Tröstliches, wenn man zum Beispiel bei einem Tod und bei einem Rückblick auf ein ganzes Leben feststellen kann, wie sich während Jahren schrittweise Fragen gelöst haben und Missverständnisse überwunden wurden. Über diesen Weg wird ein tiefer und wahrer Frieden erreicht.

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Die Frau am Jakobsbrunnen hat durch das Gespräch mit Jesus nicht nur jenen, der mit ihr sprach, sondern auch sich selber tiefer kennen gelernt; sie hat neue inneren Erfahrung gewonnen. Dazu mussten sie zulassen, dass - wie bei einer Zwiebel - viele äußere Schalen in ihrem Denken und Leben entfernt wurden. Das Gespräch zeigt für uns alle: eine tieferes Erkennen, wer Jesus ist, schließt ein, tiefer zu erkennen, wer wir selber sind. Wir leben normalerweise in vielen Routinen, die die Gesellschaft, in der wir Leben, und der Alltag uns vorgeben. Solange wir nur in diesen Routinen leben, solange wir nur leben, wie 'man' lebt, wie der Alltagsmensch lebt, sind wir fern von uns selber und fern von dem, was Jesus uns bringen will. Tiefere Begegnungen setzen voraus, dass wir Rollen durchbrechen und Missverständnisse überwinden. Dabei gehören ein tieferes Erkennen von Jesus und ein tieferes Entdecken von uns selber zusammen.

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Das Tiefste, was über Jesus gesagt werden kann, heißt: er ist der Sohn Gottes. Gerade diese Aussage kann aber, wie die Erfahrung zeigt, auch leicht missverstanden werden. Das Tiefeste, was wir über uns selber sagen können, heißt: wir sind Söhne und Töchter Gottes. Auch dies kann missverstanden werden. Wir werden wahrhafter erahnen, wer Jesus ist, wenn wir schrittweise entdecken, wer wir selber sind, was es heißt, Söhne und Töchter Gottes zu sein. Umgekehrt werden wir besser erkennen, wer wir selber sind, wenn wir im Hören auf die Botschaft der Evangelien uns tiefer in die Person Jesu einfühlen.

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