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Immer noch Schwierigkeiten mit dem strafenden Gott?
(Eine Predigt zu Joh 9)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:# Predigt in der Liebfrauenkirche in Zürich am 9./10. März 2002.
Datum:2002-04-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Na ja... Da gibt es genug Sprüche, die einem da sofort auf die Zunge kommen, nachdem man dieses heutige Evangelium gehört hat. Etwa: "Wenn du einen Blinden siehst, versetz ihm einen Tritt. Warum sollst du barmherziger sein als Gott?" - das uralte arabische Sprichwort. Oder aber: "Die kleinen Sünden straft Gott sofort" Und: "Ein Auge gibt's, das alles sieht, was auch in finstrer Nacht geschieht!" Vor allem unter der Bettdecke... All die Sprüche, die das Verhältnis zwischen menschlichem Tun und Ergehen und göttlichem Handeln beschreiben. Klar und eindeutig! Sprüche, die in Gott einen fleißigen Bestrafer menschlicher Taten und Untaten sehen. Auf Schritt und Tritt überwacht er den Menschen, registriert peinlichst genau, was er alles tut und teilt Schläge aus, nach links und rechts, bestraft Menschen schon in diesem Leben oder erst nach dem Tod. Langmütig und geduldig wartet der coole, aber doch leicht sadistische Gott..., er wartet lange - aber irgendwann schlägt er doch zu. Und je barmherziger er in diesem Leben war, umso unnachgiebiger wird er sein, danach, in der Ewigkeit. Oder in der nächsten oder übernächsten Generation. Sie wissen's: "Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden", denn vergessen tut er es nie! Liebe und Gnade - einmal abgewiesen - verwandeln sich in Hass: Je größer aber zuerst die Liebe, umso unaufgiebiger der Zorn danach. Kennen wir das nicht aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen?

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Diese Wahrheiten - uns so vertraut - die Wahrheiten, die man als Wahrheiten des gesunden Menschenverstandes bezeichnen kann, prägten und prägen die Einstellung vieler Menschen zu Gott: Keiner von uns ist von solchen Denkschemata frei. Transkulturell und transreligiös fungiert diese Pädagogik des göttlichen Zornes, provoziert oft Ängste und Neurosen, oder schlicht und einfach den bürgerlichen Anstand. Denn: noch heute in unserer so entkirchlichten Zeit, in der Atmosphäre der Banalisierung Gottes und der Banalisierung der Religion antworten viele Zeitgenossen auf die Frage: Was wäre anders, wenn es Gott nicht gäbe? "Ja, dann würde sich keiner an Gebote und Anstandsregeln halten." Scheinbar überlebt der göttliche Polizist und der göttliche Richter jede kirchliche Bindung und entzieht sich erfolgreich auch jeder Korrektur.

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Denn: Immer und immer wieder, wenn dieses Evangelium verkündet wurde in den letzten 2000 Jahren, hätte doch ein kleiner Kurswechsel stattfinden müssen. "Rabbi! Wer hat hier gesündigt, er oder seine Eltern?" - fragen die Jünger und wird spontan so mancher Mensch fragen, wenn er mit Schicksalschlägen, unerklärlichen Krankheiten konfrontiert wird. (Der Spruch, dass Aids eine Strafe Gottes ist, verschwand zwar bald aus den Schlagzeilen, ob er aus den Herzen und Hirnen moderner Pharisäer verschwunden ist, wage ich zu zweifeln). Und die jesuanische Korrektur? "Was kümmert ihr euch um seine Sünden. Ihr... die Gesunden und deswegen angeblich auch Gerechten und Sündenfreien. Gott schaut nicht auf das, worauf die Menschen schauen, wird diesem Blinden näher sein als euch, er wird ihn ja heilen. Denn: Wenn Gott eine Beziehung zum Menschen aufnimmt, so kann dies nur eine heilende Beziehung sein; eine Beziehung des Liebhabers des Lebens, eine Beziehung, die Recht schafft, eine Beziehung, die rechtfertigt, eine Beziehung, die Augen öffnet!" So heilt Jesus den Blinden, sorgt aber damit erst recht für Verwirrung und Probleme. Denn:

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Wer hat schon Freude mit dem heilenden Gott. Der Betroffene, seine Eltern, seine Freunde, die neutralen Gelehrten, die bald zu Gegnern werden? Eigenartig ist dieses Evangelium. Eigenartig, weil so menschlich, ja allzu menschlich. Eigentlich freut sich da keiner nach dieser Heilung. Vom Jubel keine Spur. Im Gegenteil: Allgemeines Misstrauen greift um sich: "Ging es da mit rechten Dingen zu? Irgendwo muss doch eine Leiche im Keller sein." Also schnüffeln, die Eltern, die Verwandten, die Freunde befragen, solange suchen und so lange verleumden, bis man doch etwas findet, vor allem bis man ihn völlig isoliert. Seine Unschuldsbeteuerungen zurückweisen! "Schweig doch, bist ganz in Sünde geboren... wie kannst du, ausgerechnet du, wissen, was Gottes Wille und vor allem was Gottes Handeln ist."

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Der jesuanische Kurswechsel: Seine Zuwendung zu Kranken, seine Sündenvergebung im Namen Gottes, seine Predigt von der Toleranz Gottes: Gott lässt ja seine Sonne aufgehen über die Ungerechten, also über uns und auch über die Gerechten,

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diese jesuanische Palastrevolution: Der göttliche Polizist wird ja entthront, das Auge, das alles sieht, ist zwar noch da, hat gar alle Haare auf dem Kopf des Menschen im Blick, straft aber nicht, wohlwollend schaut es nach der Not, die es zu heilen gilt; auf den Kreuzungen des menschlichen Lebens stehend wartet Gott auf die verlotterten Kinder, um sie in seine Arme zu schließen,

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diese jesuanische Palastrevolution, die Offenbarung eines gnädigen Gottes, eines bedingungslos sich den Menschen zuwendenden Gottes, eines vergebenden Gottes, sorgt bloß für eine tödliche Konfrontation. Diese Palastrevolution beschert ihm zuerst nur Gegner und Feinde!

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Denn: wer ließ sich schon auf die Botschaft des bedingungslos vergebenden Gottes ein? Auf die Botschaft, dass Gott kein strafender Gott ist? Etwa jene, die fest davon überzeugt waren, dass sie immer schon ihre Pflicht getan haben, dass sie ordentlich nach Geboten gelebt haben und sich alles andere als eine bedingungslose Liebe, oder gar bedingungslose Vergebung erwarten? Erstens finden sie nichts, was da zu vergeben wäre: Bei den anderen vielleicht schon, aber bei ihnen selbst? Zweitens haben sie Schwierigkeiten mit der radikalen Gleichstellung: Ein bisschen gleichen sie da dem älteren Sohn aus der Geschichte vom barmherzigen Vater: bürgerlich brav, fleißig auf Ordnung bedacht, machen sie dem, in ihren Augen, doch viel zu barmherzigen Vater, Vorwürfe: "Schau mal uns an! Wir sind doch die ganze Zeit dabei. Wie die Arbeiter im Weinberg haben wir das ganze Leben lang für dich geschuftet. Wir haben uns bemüht: Uns hast du aber kein Fest gemacht! Dieser aber: Die erst-best-hergelaufenen Huren und Säufer, diejenigen, die deine Ehre in den Schmutz gezogen haben, diejenigen, die dein Vermögen verjubelt und auf deine Liebe gepfiffen haben, diese da, du willst ihnen ein Fest machen? Du willst sie uns gleichstellen, sie nicht bestrafen? Nein, so etwas kann es nicht geben!" Zuerst also ist uns, den Frommen diese Botschaft der bedingungslosen Vergebung Gottes ein Skandal.

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Wer ließ sich schon auf diese Botschaft ein, habe ich gefragt und eine Antwort gefunden: Nicht die Frommen. Und jene, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position am anderen Ende als die Frommen zu finden waren und denen sich auch Jesus besonders zuwandte, indem er sie heilte, integrierte und ihnen die Sünden vergab, die Opfer also? Einmal befreit, wie schnell glichen sie den anderen? Von den zehn Aussätzigen, die geheilt wurden, kam gerade noch einer, um schnell seine Dankespflichtübung zu erfüllen, verschwand aber und ordnete sich dem Alltag und seiner Gesetzlichkeit ein. Und unser geheilter Blinder? Mit welcher Wollust provoziert er seine Gegner, begreift nicht einmal, wer da an ihm gehandelt hat: "Wer ist das, Herr... ?" Mit derselben Inbrunst wirft er sich nun Jesus zu Füßen, mit der er seine Gegner provoziert hat, dreht sich wie eine Fahne im Wind.

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Wer hat sich also eingelassen? Etwa die Jüngerinnen und Jünger, die immer wieder nachfragen und zweifeln und in der Krise versagen und fliehen,? Und was ist mit jenen, denen die ganze Sache völlig gleichgültig war? Sind sie in ihrer Neutralität doch nicht Parteigänger, vor allem dann, wenn explizite Feinde in Erscheinung treten? Hier in unserem Evangelium die Pharisäer, die Schnüffler. Jene, die eine Atmosphäre des Misstrauens, der Angst erzeugen und selbst die Eltern zur Distanzierung zwingen.

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Eine universale, wenn oft auch nur eine stille Allianz zeichnet sich ab: von den Menschen, die der Botschaft vom liebenden Gott lauwarm oder gar gleichgültig gegenüberstehen, mit jenen, die sie radikal ablehnen. Wenn man die Sache so betrachtet, wird man wohl sagen müssen, die expliziten Feinde Jesu stellen nur noch das sprichwörtliche Tüpfelchen auf dem "I" dar. Sie sind es aber, die zu einer Beseitigung drängen und sie glauben im Recht zu sein. Mehr noch: sie glauben im Namen Gottes zu handeln, im Namen eines Gottes, der straft und Opfer verlangt.

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Jesus ist nun zum Opfer seiner Gegner geworden. Derjenige, der den direkten Zusammenhang vom Leiden und Sünde bestritten hat, sich deswegen auch den Leidenden zugewandt hat, er selber endet also als Leidender und Sünder zugleich: in den Augen der Welt. Die Gaffer und die objektiven Berichterstatter klärten die Welt unmissverständlich auf: "Verflucht derjenige, der am Kreuze hängt!" Und damit dies auch dem letzten Deppen klar wird, kreuzigte man links und rechts von ihm Verbrecher von überregionalem Ruf. Die jesuanische Palastrevolution hievt nun ins Zentrum des Glaubens ein Fluchsymbol. Der Ort radikaler Gottesferne wird zum Ort göttlicher Gegenwart. Den Klugen und Weisen bloß ein Gegenstand des Spottes, denjenigen, die sich selber durchsetzen können, ein Störfaktor, dem zynischen Machthaber ein Instrument der Verfolgung und Unterdrückung. Der Kreis schließt sich nämlich: So wie die Jünger vom Blinden auf den zornigen Gott geschlossen haben, der für seinen Zorn Ventile des Leidens braucht, genauso schlossen viele Christen vom Anblick des leidenden Christus auf den zornigen Vater, schoben ihm das Kreuz in die Schuhe und reduzierten Gott zum Garanten vom Tun- und Ergehenzusammenhang. Und sie verdrängten seine heilende Gegenwart, auch seine heilende Gegenwart im Leiden und Kreuz.

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Gott straft aber nicht und er fügt auch kein Leid zu. Dass den Söhnen die Zähne stumpf werden können, weil ihre Väter saure Trauben gegessen haben, für diesen Zusammenhang braucht die Menschheit im Zeitalter von Anatomenergie und Gentechnik keinen Gott als Erklärung. Tun- und Ergehenszusammenhang erstreckt sich über Generationen hinweg. Erschrocken über den Ausmaß der Verantwortung werden sich unsere Enkel noch nach den Zeiten sehnen, als der zornige Gott zur Erklärung genügte, und man eigene Verantwortung problemlos auf den göttlichen Sündenbock projizieren konnte. In diesem Erschrecken über dem Ausmaß menschlicher Verantwortung und auch den Abgrund des Menschen liegt nämlich der Grund, warum trotz aller jesuanischen Korrekturen, das Bild des zornigen und strafenden Gottes lebendig bleibt. Diesem Bild setzen wir in der Eucharistiefeier die Erfahrung entgegen, die nur eines sagt: Gott heilt, selbst durch den Tod hindurch.

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Lassen wir diesen Glauben zu und hören wie Gott in der Tiefe unseres Herzens zu mir sagt: Du bist erwählt, ich führe dich und heile dich immer dort, wo ich nur kann. Ich schenke dir das Leben, selbst ein Leben durch den Tod hindurch. Dafür steht ja das Kreuz, das du mit österlichen Augen anblicken sollst und dafür steht ja die Eucharistie: Die Feier des Todes und der Auferweckung Jesu und der Vorgeschmack deiner eigenen Auferweckung.

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