- Leseraum
| Der Begriff der "Aeternitas" bei Thomas von AquinAutor: | Wandinger Nikolaus |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | Der Artikel will darstellen, was Thomas von Aquin unter dem Begriff "aeternitas" versteht, welche Funktion dieser Begriff in seinem System hat und welche Probleme er aufwirft. Zum letzten Punkt sollen vor allem Autoren und Autorinnen der neueren analytischen Philosophie befragt werden. |
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Publiziert in: | ZKTh 116 (1994), 301-320. |
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Datum: | 2002-04-08 |
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Inhalt1
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Der folgende Artikel soll darstellen, was Thomas von Aquin(1) unter dem Begriff "aeternitas" versteht, welche Funktion dieser Begriff in seinem System hat und welche Probleme er aufwirft. Zum letzten Punkt sollen vor allem Autoren und Autorinnen der neueren analytischen Philosophie befragt werden.
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Den Begriff der "aeternitas" übernimmt Thomas von Aquin von Boetius, der die Ewigkeit bereits versteht als "interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio" (2). Die Einführung erfolgt dabei in Abhebung von der aristotelischen Definition der Zeit. Zeit ist danach das Maß der Bewegung, durch das eine Bewegung oder Veränderung in ein Vorher und Nachher eingeteilt werden kann; die Ewigkeit ist demgegenüber für Thomas das Maß eines permanent ohne Veränderung Seienden, das unteilbar immer sein ganzes Leben lebt, so daß eine Einteilung in ein Vorher oder Nachher nicht möglich ist. (3) "Ewigkeit" bedeutet also Zeitlosigkeit, d. h. mehr als nur die Abwesenheit von Anfang und Ende, denn das könnte auch immerwährende, aber doch zeitliche, Fortdauer bedeuten, wie es Thomas etwa für die Schöpfung als philosophisch möglich erachtet. (4) "Ewigkeit" impliziert darüber hinaus die Abwesenheit jeder Veränderung. Zeitlosigkeit ist ein Aspekt der Ewigkeit, sie ist durch ihn aber noch nicht hinreichend charakterisiert. Zur Ewigkeit gehört auch der simultane Besitz, unbegrenzbaren Lebens, was zur Folge hat, daß nach Thomas Gott und nur Gott ewig ist.
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"... What eternity adds to timelessness is the 'perfect possession all at once of limitless life'. ... The 'perfect possession' in question is the identity of the divine subject with its to-be, the absence of any composition whatsoever, and hence a perfect at-one-ness with itself. And such an unrestricted act of existing amounts to 'limitless life'. ... So eternal ... names a unity and simpleness which quite transcends any mode of being with which we are acquainted: ... ." (5)
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Für Thomas schließt die Ewigkeit Gottes, wiederum im Gefolge Boetius', Gottes Leben mit ein. Leben besagt mehr Aktualität als nur existieren, deshalb gilt: "quod est vere aeternum, non solum /2 est ens, sed vivens"(6).
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Damit konzipiert Thomas die Ewigkeit als grundverschieden von der Zeit und zugleich Gottes Verbindung zu allem, das in der Zeit geschieht, auf sehr seltsame und, wie wir bald sehen werden, problematische Weise. Für Thomas gilt, daß Gottes Ewigkeit die Zeit irgendwie enthält, und deshalb ist Gott alles, was in der Zeit geschieht, 'präsent'.
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Hier zeichnet sich bereits eine sehr wichtige Funktion des Ewigkeitskonzeptes von Thomas ab: Es dient vor allem dazu, verständlich zu machen, wie Gott um Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges wissen kann, d. h. es dient dazu, die Allwissenheit Gottes so weit wie möglich zu fassen, so weit, daß sie keiner Einschränkung durch die zeitliche Struktur der Wirklichkeit unterliegt. Ich werde mich in diesem Artikel nicht allen Problemen des Wissens Gottes um die "futura contingentia" nach Thomas widmen, da hierzu eine Untersuchung des thomanischen Ewigkeitsbegriffes noch nicht ausreichte, sondern auch die Problematik des praktischen Wissens Gottes behandelt werden müßte. Soweit Thomas' diesbezügliche Ausführungen aber für das Verständnis der "aeternitas" relevant sind, werden sie uns beschäftigen.
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Das Konzept der "aeternitas" ermöglicht es Thomas, zu sagen:
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" ... Ea quae temporaliter in actum /2 reducuntur, a nobis successive cognoscuntur in tempore, sed a Deo /3 in aeternitate, quae est supra tempus. Unde nobis, quia cognoscimus /4 futura contingentia inquantum talia sunt, certa esse non possunt, /5 sed soli Deo, cuius intelligere est in aeternitate supra tempus."(7)
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Auch Thomas von Aquin scheint bewußt gewesen zu sein, daß der theoretische Entwurf des Ewigkeitsbegriffes allein nicht ausreicht, um seine Funktion plausibel zu machen. Das dadurch Behauptete läuft unserem alltäglichen Wahrnehmen und Denken so zuwider, daß uns nur vergleichende Beispiele das Konstrukt näher bringen können. Es ist aber gleich vorauszuschicken, daß es sich auch für Thomas von Aquin um Vergleiche handelt, die der gemeinten Sache, dem Verhältnis Zeit-Ewigkeit, nicht voll angemessen sind, und so ist darauf zu achten, welche Elemente des Vergleichs als hilfreich, welche allerdings eher als hinderlich angesehen werden müssen. Diese Einschränkung wird vor allem später bei der Diskussion der Einwände gegen Thomas' Lösung wichtig sein. Thomas verwendet vor allem zwei Bilder, um das Gemeinte zu verdeutlichen:
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Das erste, von Thomas häufiger verwendete, Bild vergleicht die Weise, wie Gott die in der Zeit stehenden Dinge erkennt, damit, wie ein auf einer Erhöhung stehender Beobachter oder eine solche Beobachterin, die auf einen Weg hinunterblicken, dort mehrere in Abständen hintereinander gehende Personen auf einmal sehen, obwohl jene sich gegenseitig nicht sehen können. (8) Gott sieht alle Seienden, die in der Zeit sukzessive auftreten, 'simul', zugleich. Er sieht das Zukünftige deshalb nicht im eigentlichen Sinne als zukünftig, sondern sieht es als gegenwärtig. (9) Deshalb meint Thomas auch, Gottes "cognitio de futuris magis /116 proprie dicitur providentia quam praevidentia"(10).
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Der zweite Vergleich ist aus der Geometrie gewonnen: die Ewigkeit verhalte sich zur Sukzession der Zeitpunkte wie der Kreismittelpunkt zu seiner Kreislinie. Die Punkte auf der Kreislinie haben verschiedene Abstände voneinander und stehen sich nicht alle direkt gegenüber, der Kreismittelpunkt hat jedoch den gleichen Abstand von jedem Punkt auf der Linie und: "ad quodlibet punctum in /11 circumferentia signatum directe oppositionem /12 habet" (11). So verhalte sich auch das göttliche Erkennen zu den zeitlichen Vorgängen:
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"Quicquid igitur in quacumque /13 parte temporis est, coexistit aeterno quasi /14 praesens eidem ... . Aeterno /16 autem non potest aliquid praesentialiter /17 coexistere nisi toti: quia successionis /18 durationem non habet. Quicquid igitur per /19 totum decursum temporis agitur, divinus /20 intellectus in tota sua aeternitate intuetur /21 quasi praesens. Nec tamen quod quadam /22 parte temporis agitur, semper fuit existens." (12)
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Da Gott also außerhalb der Zeit, aber in einer der Zeit gegenwärtigen, präsenten (13), Ewigkeit, lebt, kann er alles, was innerhalb der Zeit geschieht, sicher erkennen, da von ihm aus gesehen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich überblicken lassen, wie der Weg vom Hügel aus oder die Kreislinie vom Mittelpunkt aus.
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Thomas von Aquins Konzeption der "aeternitas" stößt jedoch in der modernen Philosophie auf Widerspruch. Wenden wir uns nun den kritischen Einwänden gegen sie zu, und versuchen wir, sie auf ihr adäquates Verständnis von Thomas zu überprüfen.
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Einige Autoren argumentieren, daß die Ewigkeitskonzeption des Aquinaten ein nicht akzeptables Verständnis der Zeit impliziere und deshalb abzulehnen sei. Im Folgenden sollen die diesbezüglichen Argumente untersucht werden. Welches Zeitverständnis impliziert Thomas' Konzept, und ist es tatsächlich abzulehnen?
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Nach Thomas kann man nicht sagen, Gott wisse etwas, bevor es geschieht, da seine Ewigkeit simultan (in einem noch genauer zu bestimmenden Sinn) mit allen Momenten der Zeitreihe ist. Gott weiß also ewig als präsent, was für uns zukünftig ist. Es zeigt sich, daß für Thomas Zeitlichkeit und Ewigkeit nicht nur den Gegenständen, Gott bzw. den geschaffenen Dingen, sondern auch den Erkenntnisweisen Gottes bzw. der Menschen zukommen. Aufgrund dessen erkennt Gott die Dinge ganz anders als wir:
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"50 Manifestum est etiam quod licet /51 singularia corporalia et temporalia non /52 simul sint, tamen simul eorum /53 Deus cognitionem habet: cognoscit enim /54 ea secundum modum sui esse, quod est /55 aeternum et sine successione. Sicut igitur /56 materialia immaterialiter, et multa per /57 unum cognoscit, sic et quae non simul /58 sunt, uno intuitu conspicit: ... . ... Etiam manifestum fit /63 quod de contingentibus certam cognitionem /64 habet, quia etiam antequam /65 fiant, intuetur ea prout sunt actu in suo /66 esse, et non solum prout sunt futura et /67 virtute in suis causis, sicut nos aliqua futura /68 cognoscere possumus." (14)
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Es zeigt sich also, daß es sich für Thomas um verschiedene "modi cogitandi" beim menschlichen und göttlichen Erkennen handelt und daß aufgrund dieser Verschiedenheit Gott das Erkennen der zukünftigen Dinge und Ereignisse möglich ist, ohne sie vorherzudeterminieren, uns hingegen ist es unmöglich, sie zu erkennen, gerade weil sie nicht determiniert sind.
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Zahlreiche Kritiker des Aquinaten lehnen gerade deshalb seinen Begriff der Ewigkeit ab, weil aus ihm folge, daß für ihn verschiedene Zeitpunkte miteinander identisch seien, so daß sie eigentlich zusammenfielen. Sehr prägnant und anschaulich formuliert A. Kenny den Einwand:
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"Indeed, the whole concept of a timeless eternity, the whole of which is simultaneous with every part of time, seems to be radically incoherent. For simultaneity as ordinarily understood is a transitive relation. If A happens at the same time as B, and B happens at the same time as C, then A happens at the same time as C. ... But, on St. Thomas' view, my typing of this paper is simultaneous with the whole of eternity. Again, on his view, the great fire of Rome is simultaneous with the whole of eternity. Therefore, while I type these very words, Nero fiddles heartlessly on." (15)
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In der Tat kann man dem nur zustimmen. Die Frage ist allerdings, ob Thomas die Simultaneität zwischen Zeit und Ewigkeit "ordinarily understood" haben wollte. Dies scheint eher unwahrscheinlich, denn wir müssen berücksichtigen, wie sehr sich die Bedeutung unserer Begriffe nach Thomas entsprechend den Regeln der Analogie der Rede von Gott und der "triplex via" wandelt, wenn wir sie auf Gott oder auch nur auf Relationen von Gott und Welt anwenden. (16) Wir können zwar in diesem Artikel nicht alle diesbezüglichen Probleme behandeln, doch wir müssen uns der Bedeutung, die die analoge Rede in der Gotteslehre des Aquinaten einnimmt, bewußt sein. Es geht also darum, herauszufinden, in welchem speziellen Sinn Thomas hier von 'simultan' spricht. M.-Th. Liske jedenfalls meint:
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"Thomas stellt so oft unter Beweis, daß er die grundlegenden logischen Gesetze richtig zu gebrauchen weiß (...), daß wir ihm kaum unterstellen dürfen, ihm sei dieser Widerspruch einfach entgangen ... Auf keinen Fall dürfen wir ... ein Zugleichsein der göttlichen Ewigkeit mit jedem einzelnen zeitlichen Ereignis im Sinne einer zeitlichen Relation (Gleichzeitigkeit) annehmen." (17)
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Liske selbst deutet die Simultaneität so:
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"Obgleich die Dinge und Ereignisse nicht seit aller Ewigkeit existieren, stellt Gott sie sich schon immer so vollkommen vor, als ob sie gegenwärtig Existierende wären." (18)
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Dies scheint aber nicht ganz befriedigend, da die Formulierung "sich vorstellen ... als ob sie ... wären" die Annahme von etwas Irrealem nach Art der menschlichen Phantasie nahezulegen scheint, und, wie Liske selbst sagt, die Relation des Vorstellens eine asymmetrische sei (19), was eine zweifache Abweichung von dem, was normalerweise Simultaneität genannt wird, bedeutete. Wie wir gleich sehen werden, läßt sich durchaus argumentieren, daß man die Transitivität der Relation von Zeit und Ewigkeit ausschließen kann, ohne dadurch die Symmetrie dieser Relation ebenfalls zu negieren.
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N. Kretzmann und E. Stump (20) haben in einem sehr systematischen Artikel darauf aufmerksam gemacht, daß Zeit und Ewigkeit als so voneinander verschieden gedacht werden müssen, daß auch die Beziehung zwischen ihnen nach eigenen Regeln zu konzipieren ist. Sie stellen zunächst je eine Definition für Simultaneität zwischen zwei zeitlichen Gegenständen oder Ereignissen und zwischen zwei (hypothetisch angenommenen) ewigen Gegenständen oder Ereignissen auf, wobei im ersten Fall der selbe Zeitpunkt, im zweiten Fall, das selbe ewige Präsens (was immer das auch heißen mag) für die Simultaneität ausschlaggebend ist. (21) Die Simultaneität zwischen Zeit und Ewigkeit sei nun aber besonderer Art, da sie keinen gemeinsamen Vergleichspunkt haben. Kretzmann und Stump nennen sie 'ET-simultaneity' (22). Diese Beziehung wird so beschrieben:
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"(ET) For every x and for every y, x and y are ET-simultaneous iff
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(i) either x is eternal and y is temporal, or vice versa; and
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(ii) for some observer, A, in the unique eternal reference frame, x and y are both present - i. e., either x is eternally present and y is observed as temporally present, or vice versa; and
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(iii) for some observer, B, in one of the infinitely many temporal reference frames, x and y are both present - i. e., either x is observed as eternally present and y is temporally present, or vice versa.
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Given the concept of eternity, condition (ii) provides that a temporal entity or event observed as temporally present by some eternal observer A is ET-simultaneous with every eternal entity or event; and condition (iii) provides that an eternal entity or event observed as eternally present (or simply as eternal) by some temporal observer B is ET-simultaneous with every temporal entity or event." (23)
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Die Plausibilität einer solchen Fassung der Simultaneität als relativ zur beobachtenden Person, bzw. in ihrem Fall auch der 'beobachtenden' Versuchsanordnung, versuchen der Autor und die Autorin durch einen Vergleich mit den Folgerungen aus der Relativitätstheorie zu erhöhen, nach der gilt:
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"... Simultaneity is irreducibly relative to observers and their reference frames, and so is time itself. Consequently, it would be a mistake to think that there is one single uniform mode of existence that can be referred to in specifying 'at once' ... in order to derive a definition of temporal simultaneity."(24)
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Kretzmann und Stump übertragen nun diese Eigenart der nach-Einsteinschen Physik nicht einfach auf die Vorstellung der Ewigkeit. Aber die Schwierigkeit, Simultaneität bereits innerhalb der Zeit zu definieren, zeige, daß die damit verbundenen Probleme nicht nur für Verteidiger und Verteidigerinnen der Konzeption der Ewigkeit bestünden, und deshalb eine solche Konzeption nicht schon aufgrund dieser Schwierigkeiten zurückgewiesen werden könne. (25) Aus dem Gesagten könne man jedenfalls für die zwischen Zeit und Ewigkeit herrschende Simultaneität folgern:
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" ... Because in ET-simultaneity we are dealing with two equally real modes of existence, the definition must be constructed in terms of two reference frames and two observers." (26)
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Dem entspreche der Entwurf der ET-Simultaneität. Interessanterweise folgt aber aus diesem Entwurf etwas Wichtiges für das Problem der Transitivität dieser Beziehung:
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"ET-simultaneity is symmetric, of course, but, since no temporal or eternal entity or event is ET-simultaneous with itself(27), the relationship is not reflexive; and the fact that there are different domains for its relata means that it is not transitive." (28)
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Mit der Einführung der ET-Simultaneität meinen Kretzmann und Stump im weiteren Verlauf ihres Artikels, auf viele der Einwände gegen die thomanische Konzeption der Ewigkeit antworten zu können.(29) D. Burrell sieht die Konzeption der ET-Simultaneität als hilfreich an, den Verdacht einer Inkohärenz in Thomas' Entwurf zurückzuweisen, betont aber, daß in dessen Verständnis nicht von der Ewigkeit als einem 'Bereich' irgendeiner Art geredet werden könne, sondern Gott mit seiner Ewigkeit identisch sei, und sie auch die einzige Ewigkeit sei. (30)
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Mir scheint bereits an einem der Bilder, die Thomas für das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit verwendet, abzusehen, daß eine transitive Fassung der speziellen Simultaneität von Zeit und Ewigkeit nicht in seinem Sinne liegt: der Vergleich mit Kreismittelpunkt und Kreislinie. (31) Sicherlich 'hinkt' dieser Vergleich, insofern hier innerhalb zweier räumlicher Dimensionen verglichen wird, Zeit-Ewigkeit aber ein Verhältnis der zeitlichen Dimension zu etwas ist, wovon man möglicherweise überhaupt nicht sagen kann, daß es irgendeine 'Dimension' ist. Auch geht dadurch der spezielle sukzessive Charakter, sowie die eindeutige Gerichtetheit des Zeitlichen verloren. Doch der Vergleichspunkt, auf den es Thomas hier ankommt, ist der, daß der Mittelpunkt "directe oppositio"(32) zu jedem Punkt der Kreislinie hat. Dies impliziert auch: wenn ein Punkt A auf der Kreislinie 2 cm vom Mittelpunkt M des Kreises entfernt liegt und ein Punkt B auf der selben Kreislinie (notwendigerweise) ebenfalls 2 cm von M entfernt ist, so folgt daraus für die Entfernung von A und B voneinander, egal ob "Luftlinie" oder entlang der Kreislinie gemessen, überhaupt nichts. Es folgt lediglich, daß die Entfernung von A via M nach B 4 cm beträgt. Das heißt, das Bild von der Kreislinie schließt Transitivität gerade aus, und dies scheint doch ein Element des Bildes zu sein, das relevant ist, auch wenn Thomas dies nicht eigens ausführt.
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P. Geach meint sogar, zeigen zu können, daß Simultaneität überhaupt keine Relation im eigentlichen Sinne sei. Sie vergleiche nämlich nicht zwei Dinge oder Ereignisse mit Hilfe einer feststehenden Maßeinheit, wie es die englische Paraphrasierung "at the same time as" nahelege, sondern:
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" ... Simultaneity ... is one of those concepts ... that ... are not departmental but crop up in discourse generally. Because of this topic-neutrality ... our practical grasp of this logic is not to be called in question on account of recondite physics; for without such a practical grasp we could not understand even elementary propositions in physics ... ." (33)
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Was Geach hier zurückweist, ist nicht der Vergleich mit der Relativitätstheorie, wie ihn Kretzmann und Stump vornehmen, sondern das Argument, Simultaneität werde mit Hilfe einer Versuchsanordnung bestimmt, die zwei Ereignisse mit einem dritten, feststehenden Maß, vergleiche. D. h. Geach hätte Einwände gegen Kretzmann's und Stump's Konzeptionen der T- und der E-Simultaneität, nicht aber gegen die der ET-Simultaneität, denn er behauptet für alle Arten von Simultaneität, was Kretzmann und Stump nur für ihre spezielle ET-Simultaneität in Anspruch nehmen:
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"... It is not conceptually possible to construct a definition for ET-simultaneity ... by spelling out 'at once' as 'at one and the same ___' and filling in the blank appropriately. What is temporal and what is eternal can co-exist, ..., but not within the same mode of existence; and there is no single mode of existence that can be referred to in filling in the blank in such a definition of ET-simultaneity."(34)
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Aufgrund der Definition der Ewigkeit allein muß man also nicht zu der Folgerung kommen, ihr Begriff leugne die Realität der Zeit. Hat er aber nicht doch diese Konsequenz? Gerade an das Bild von Kreislinie und -mittelpunkt schließt sich ein Einwand gegen den Entwurf des Aquinaten an, der wohl einige Aufmerksamkeit verdient:
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"Of course, with respect to location, the points on the circumference differ. But with respect to existence, all of the points on the circumference are on an equal ontological footing. If time is related to eternity just as the circumference is related to the center of a circle, then all temporal things - past, present, and future - are on a par ontologically, because they all exist timelessly in the eternal present. ... What does follow is that all temporal objects and events coexist timelessly in the eternal present." (35)
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Könnte man hier nicht auch argumentieren, man dürfe dieses Element des Bildes nicht übertragen? Mir scheint nicht, denn es wird von dem, das wir als übertragbar ansehen, als dessen logische Voraussetzung impliziert: Das Verhältnis von Punkten auf der Kreislinie zum Mittelpunkt setzt notwendig voraus, daß alle involvierten Punkte vorhanden und in diesem Sinne "ontologisch gleichgestellt" sind. Das Gleiche gilt von der Metapher des erhöhten Beobachters oder der erhöhten Beobachterin, die auf den Weg hinunterblicken. (36) Der Vergleichspunkt setzt Gleichheit in Bezug auf die Existenz der Wandernden voraus. Lewis zieht nun aus dieser Beobachtung weitreichende Folgerungen für das von Thomas und von mittelalterlichen Philosophen auf der gleichen Linie implizierte Verständnis von Zeit:
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"We are now in a position to see how the concept of eternity is allied with a particular philosophical view of time."(37)
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"In the eternal present in which God beholds all of temporal reality, there is no contrast between past, present, and future with respect to existence. This alone suffices to show that the concept of eternity presupposes a tenseless view of time. ... Let us assume with these theologians [Boethius, Anselm, Aquinas] that God's view of things must be the correct view. Since God is unaware of an objective nonrelational difference between the existence of things present and the existence of things past and future, there is no such difference as there appears to be from our perspective in time."(38)
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Der etwas seltsam scheinende Ausdruck "tenseless view of time" dürfte wohl das meinen, was sonst als die Ansicht bekannt ist, Zeit und Raum seien nicht grundsätzlich verschieden, sondern die Wirklichkeit sei in vier Dimensionen zu fassen, von denen drei räumlich und eine zeitlich seien. (39) In dieser Konzeption geht gerade das, was an unserem Zeitempfinden das Wesentliche ausmacht, daß das eine früher, das andere später ist, verloren, zugunsten einer objektiven Sicht von oben, so wie man eben Raum-Zeit-Punkte in ein Koordinatensystem eintragen kann, eine Sicht, die dem Beispiel Thomas von Aquins von einem Menschen, der auf den Weg hinunterblickt, sehr ähnlich zu sein scheint. Gerade das Vorher und Nachher unseres Zeitempfindens wird aber in dieser Sicht zur Illusion, eine Auffassung, die wir meinen, Thomas nicht zuschreiben zu können. So ist etwa für ihn ein zukünftiges Seiendes noch kein reales Seiendes, deshalb ist auch eine Beziehung zwischen einem gegenwärtigen und einem zukünftigen Seienden eine nur einseitig reale, eine Beziehung zwischen zwei zukünftigen eine rein rationale. (40) Damit stimmt auch Lewis überein, denn er meint:
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"I doubt whether this implication of the doctrine of divine eternality was ever recognized by Boethius, Anselm or Aquinas. In fact, these theologians seem to appeal to the reality of tense in order to justify the a priori need for divine timelessness. ... However, a philosopher cannot accept the doctrine without thereby committing himself to the truth of the tenseless account." (41)
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Da viele Philosophierende ein solches Verständnis von Zeit aber ablehnen, weisen sie die thomanische Konzeption der Ewigkeit zurück. P. Geach etwa argumentiert:
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"... Temporal succession itself cannot be an illusion, since the so-called illusion of successiveness is already a real succession of experiences: just as misery cannot be an illusion, because to be under the illusion of misery would be real misery." (42)
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Aus diesem Grund kommt Geach zu dem Schluß, daß es entscheidende Gründe gibt "for rejecting as logically incoherent the theory that time and succession do not exist 'from God's point of view'" (43). Es kommt also darauf an, ob Thomas' "aeternitas" so verstehbar ist, daß eine solche Folge nicht impliziert wird, oder, in Antwort auf Lewis formuliert: Thomas' Ewigkeitsverständnis impliziert dann keinen "tenseless view of time" (44), wenn gezeigt werden kann, daß Gott nicht "unaware of an objective nonrelational difference" (45) zwischen Gegenständen mit verschiedenem Zeitindex ist. Behauptet oder impliziert Thomas das?
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"Si autem sua [Dei] /76 visio tota simul posset existere, simul praesentialiter /77 omnes videret, quamvis non omnes /78 simul praesentialiter transirent; unde, cum /79 visio divinae scientiae aeternitate mensuretur, /80 quae est tota simul, et tamen totum tempus /81 includit, nec alicui parti temporis deest, sequitur /82 ut quidquid in tempore geritur, non /83 ut futurum, sed ut praesens videat: hoc /84 enim quod est a Deo visum est quidem futurum rei /85 alteri, cui succedit in tempore; sed ipsi divinae /86 visioni, quae non (est) in tempore, sed extra /87 tempus, non est futurum, sed praesens."(46)
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Unmittelbar anschließend folgt wieder der Vergleich mit den verschiedenen Wandernden, von denen relativ zueinander ein Vorher und Nachher ausgesagt werden könne, die aber eine von einer Erhöhung herunterblickende Person doch aufeinmal wahrnehme. Die Einteilung, des "Sehens" der Ereignisse erfolgt also "quoad" den jeweiligen Beobachtern oder Beobachterinnen. "Quoad nos" sind die Ereignisse zukünftig, vergangen oder gegenwärtig, "quoad Deum" sind sie präsent. Nun gilt außerdem:
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"41 Res naturales, a quibus intellectus noster /42 scientiam accipit, mensurant intellectum nostrum, ... : sed sunt /44 mensuratae ab intellectu divino, in quo sunt /45 omnia sicut omnia artificiata in intellectu /46 artificis. Sic ergo intellectus divinus est /47 mensurans non mensuratus; res autem naturalis, /48 mensurans et mensurata; sed intellectus /49 noster mensuratus et non mensurans /50 res quidem naturales, sed artificiales tantum. /51 Res ergo naturalis ... secundum ... adaequationem ad /54 intellectum divinum dicitur vera, in quantum /55 implet hoc ad quod est ordinata per intellectum /56 divinum, ... ." (47)
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Wenn also wir Menschen etwas "ut futurum" sehen, das Gott "ut praesens" sieht, dann würde tatsächlich daraus folgen, daß wir einer Illusion erliegen. So meinte auch N. Kretzmann, aus Thomas' Auffassung der Ewigkeit folge "that from a God's-eye point of view there is no time, that the passage of time is a universal human illusion" (48). Wenn dagegen Geach's Argument für die Realität der Zeit zutrifft, müßte damit auch Thomas' Konzept der Ewigkeit fallen. In der Literatur, die ich für diese Arbeit einsehen konnte, gibt es verschiedene Versuche, dieses Dilemma zu lösen. Die Entwürfe eines zeitlichen Gottes, auf die ich hier nicht näher eingehen will, scheinen mir nicht sehr überzeugend zu sein. (49) D. Burrell meint, der Folgerung nur dadurch entgehen zu können, daß Gott eben kein rezeptiver Zuschauer sei, weder auf einem Hügel noch sonstwo, sondern eben letztlich in kausativem, d. h. praktischem Wissen die Dinge kenne. (50) Doch diese Konzeption von Gottes Wissen birgt in sich selbst große Schwierigkeiten, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Am nächsten kommt wohl M.-Th. Liske einer Lösung durch seine Unterscheidung von erkannter Sache und Modus des Erkennens:
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"Auf ... [den] Einwand ...: Wegen der Zeitlichkeit der Geschehensstruktur seien Zeitstufen die unverzichtbare Bedingung jedes Erkennens ... überhaupt, stellt die Unterscheidung eines modus significandi von der res significata eine Erwiderung dar: ... ." (51)
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"Unter ... [der] Voraussetzung, daß grundsätzlich ein Objekt in unzeitlicher Weise begreifbar ist, läßt sich auch widerspruchsfrei annehmen, daß das göttliche Erkennen die zeitlichen Objekte, die wir nur zeitlich erfassen können, in unzeitlicher Weise begreift, zumal da zwischen göttlichem und menschlichem Erkennen eine unüberwindliche qualitative Differenz besteht (Nichtunivozität)."(52)
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Man könne also unterscheiden zwischen der Art des Erkannten - den zeitlichen Gegenständen - und der Art des Erkennens - dem zeitlichen menschlichen, und dem ewigen göttlichen. Nach Liske müsse es also möglich sein, einen zeitlichen Gegenstand auf ewige Weise zu erkennen, ohne daß man damit einen Irrtum begehe, und es müsse ebenso möglich sein, einen zeitlichen Gegenstand zeitlich zu erkennen, ohne dadurch einem Irrtum zu verfallen. Wie das unüberwindlich andere göttliche Erkennen das bewerkstelligt, darauf muß auch Liske die Antwort schuldig bleiben.
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Interessant ist allerdings, daß N. Kretzmann seine Meinung inzwischen geändert und sich korrigiert hat. Er meint nun, die Konzeption der ET-Simultaneität könne die Realität von Zeit und von Ewigkeit im Sinne des Thomas gewährleisten; 'Realität' allerdings in einem bestimmten Sinn:
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"What the concept of eternity implies ... is that there is one objective reality that contains two modes of real existence in which two different sorts of duration are measured by two irreducibly different sorts of measure: time and eternity." (53)
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Es scheint also, daß es möglich ist, Thomas in der Annahme einer Simultaneität von Zeit und Ewigkeit zu folgen, ohne damit zu implizieren, auch alle Zeitpunkte seien miteinander simultan und die Zeit daher irreal. Allerdings muß der entsprechende Simultaneitätsbegriff erheblich vom sonst üblichen abweichen. Der Verdacht, Thomas von Aquins Ewigkeitskonzeption habe eine Leugnung der Realität der Zeit zur Folge, ist aber damit noch nicht ausgeräumt.
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Zusätzliche Stützung erfährt dieser Verdacht durch eine Reihe von Arbeiten, die darauf aufmerksam machen, daß in dieser Konzeption Gott keinen indexikalischen (54) Zeitbezug habe und er deshalb nicht, wie es die abendländische Tradition annimmt, allwissend sein könne. Denn bestimmte Wissensgehalte seien wesentlich an die indexikalische Ausdrucksweise gebunden, so daß jemand, dem oder der kein indexikalischer Zeitbezug zugesprochen werden dürfe, diese nicht wissen könne, d. h. ein im Sinne Thomas von Aquins ewiger Gott könne nicht zugleich allwissend und unveränderlich sein. Eines von diesen drei Prädikaten müsse aufgegeben oder jedenfalls stark uminterpretiert werden, wenn die Konzeption stimmig sein solle. Sehr deutlich wird dieses von Th. D. Sullivan (55) dargestellt. Die Kritik geht davon aus, daß indexikalische Aussagen wie "Heute ist der 12. Mai" einen bestimmten Gehalt haben, der nicht in eine objektive Rede übergeführt werden kann. Nehmen wir an, Gott weiß, daß heute der 12. Mai ist. Dann gilt:
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"... That knowledge would seem to locate God's awareness, and thus God Himself, in a time frame. For knowing that today is the twelfth of May entails knowing one's temporal position. And it follows ... that one has a temporal position. Thus it is a necessary condition of knowing that it is now the twelfth of May that one have a temporal position." (56)
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Man könnte darauf antworten, daß jede indexikalische Zeitangabe ja in eine objektive übergeführt werden könne, etwa in der Form, daß Gott weiß, ein bestimmtes Ereignis sei zu einer bestimmten, objektiv angebbaren Zeit. (57)
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Doch das genügt nicht, um die Allwissenheit Gottes zu gewährleisten. Sullivan zeigt das im Anschluß an Kretzmann(58) durch folgenden Vergleich:
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"The knowledge of contingent events attributed to God on this account would be like the knowledge you would have of a movie you had written, directed, acted in, and seen many times. You would know every scene in complete detail and you would know the sequence of scenes, and if there were a visible clock in every scene, you would also know the time of every scene. But if the film were now showing in a distinct theatre, the patrons would have one big advantage over you. They, but not you, would know what was on the screen now. An omniscient being must not only know the entire scheme of temporal events, but as Kretzmann notes, at what stage of realization that scheme now is." (59)
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Dann könnte Gott aber nicht mehr ewig sein, und dann könnte er nach Meinung einiger Kritiker auch nicht mehr unveränderlich sein, denn es bedeute eine Veränderung, wenn jemand wisse, "jetzt ist es 10 Uhr" und eine Stunde später "jetzt ist es 11 Uhr". Darauf gibt es zwei Antwortversuche. Zum einen kann man feststellen, daß das Wesentliche der indexikalischen Rede gerade das ist, daß die Bedeutung eines Indexicals so festgelegt ist, daß sein Referenzobjekt immer ein anderes ist. Deshalb sei es keine Änderung des Wissens, wenn man um 10 Uhr weiß, daß es 'jetzt' 10, und um 11 Uhr, daß es 'jetzt' 11 ist.
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"There is no more a contradiction here than if I say 'I am Kenny' and someone else says 'I am not Kenny'. What is expressed by these two propositions could be known by someone who is neither of us; and similarly what is expressed by the propositions 'It is now t1' and 'It is now t2' could be known by somebody who was outside either of the times in question." (60)
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Zu diesem Antwortversuch ist zu sagen, daß er zwar ein Argument zugunsten der Unveränderlichkeit Gottes liefert. Andererseits dürfte die Behauptung, die genannten Sachverhalte könnten von jedem und jeder gewußt werden, wohl für Philosophierende, die die Eigenart der indexikalischen Rede betonen, nicht überzeugend sein: Sie würden gerade leugnen, daß ich genau wissen könne, was es für Herrn Kenny heißt, wenn er sagt "Ich bin Kenny", und ebenso, wie jemand, der außerhalb der Zeit steht, wissen solle, welche Zeit es 'jetzt' ist. E. Runggaldier stellt fest, daß es eine
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"... offenkundige Tatsache [ist] ..., daß nicht alle indexicals jederzeit durch objektive referentielle Terme ersetzbar sind. Durch eine solche Ersetzung kann es nämlich zu wesentlichen Sinn- oder Bedeutungsverlusten und z. T. auch zur Änderung der Wahrheitsbedingungen jener Sätze kommen, in denen sie vorkommen." (61)
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"Die Aussage, daß ich E. R. bin, besagt nicht nur, daß ich 'E. R.' heiße, sondern drückt die Tatsache aus, daß ich als bewußtes Erlebnissubjekt identisch bin mit der Person, die in der objektiven Rede Träger des Eigennamens 'E. R.' ist." (62)
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Hilft uns das weiter? Indexicals plazieren also ihr Referenzobjekt auf sozusagen 'subjektive' Weise in einem Bezugssystem. Hierbei soll 'subjektiv' nicht bedeuten, daß es sich dabei um eine Täuschung handle, sondern nur, daß entweder das Referenzobjekt des Indexicals (63), das Subjekt, auf das es sich bezieht, oder die den Sprechakt vollziehende Person, das Subjekt durch deren Rede die Referenz des Indexicals festgelegt wird, die ausschlaggebende Instanz für die Plazierung ist. Wenn ich also behaupte "Ich bin Kenny", so ist diese Behauptung falsch, da ich nicht als bewußtes Erlebnissubjekt mit Herrn Kenny identisch bin. Wenn nun Gott ewig ist, d. h. gerade außerhalb der Zeit steht, wäre es falsch, würde er 'behaupten' "Jetzt ist der 12. Mai", selbst dann, wenn für die meisten Menschen auf der Welt gerade der 12. Mai wäre. Insofern kann Gott gar nicht 'wissen', ob 'heute' oder 'morgen' oder an einem anderen durch einen indexikalischen Term bestimmten Zeitpunkt der 12. Mai ist, weil Gott als bewußtes Erlebnissubjekt mit keiner Zeitspanne koinzidiert. Gott muß also auch gar nicht wissen, an welcher Stelle der "Film der Welt" sich 'jetzt' befindet, weil es für ihn kein zeitliches Jetzt gibt. Das Beispiel des Films setzt bereits einen zeitgebundenen Gott voraus und nicht einen ewigen im Sinne Thomas'. Der ewige Gott Thomas von Aquins kann keine Szenen in einem Film hintereinander sehen, er sieht sie gerade simul. Und die Frage, welche jetzt gerade dran ist, ist daher gar nicht stellbar. Kretzmann ist inzwischen dieser Meinung. Sein früher aufgestelltes Argument
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" ... may be said to succeed in showing the incoherence of the concept of an omniscient, immutable, temporal entity; but that is not the concept of the perfect being that has been identified as God in orthodox Christian theology, which takes God to be eternal" (64).
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Allerdings, und das ist durchaus problematisch, muß dieses 'simul' so konzipiert sein, daß die anderen Bedingungen, die Kretzmann in seinem früheren Artikel aufstellte, erfüllt sind: Gott muß wissen, was quoad nos früher und was später ist und welche Zeit zur jeweiligen Konstellation gehört, obwohl er es quoad se als simul sieht. Dies sei durch die Einführung der ET-Simultaneität gewährleistet. (65)
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Es folgt allerdings in der Tat, daß Gott, gerade weil er ewig ist, keinen indexikalischen Zeitbezug hat. Dies ist jedoch nur dann ein Mangel am Wissen Gottes, wenn wir voraussetzen, er habe einen solchen Zeitbezug. D. h. es handelt sich um eine petitio principii, wenn man sagt, Gottes Wissen sei unzulänglich, wenn er nicht wisse, 'heute' sei der Soundsovielte, denn dadurch setzt man voraus, daß es quoad Deum ein Heute gibt, was ja durch die Einführung des Begriffs der Ewigkeit ausgeschlossen ist. (66) Zwar sagt Thomas, der "ordo divinae /65 cognitionis ad rem quamcumque est sicut /66 ordo praesentis ad praesens" (67). Er legt aber an anderer Stelle Wert darauf, daß dies richtig verstanden wird:
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"... Nunc temporis est idem subiecto /2 in toto tempore, sed differens ratione, eo quod, sicut tempus /3 respondet motui, ita nunc temporis respondet mobili; mobile autem /4 est idem subiecto in toto decursu temporis, sed differens ratione, /5 inquantum est hic et ibi. Et ista alternatio est motus. Similiter /6 fluxus ipsius nunc, secundum quod alternatur ratione, est tempus. /7 Aeternitas autem manet eadem et subiecto et ratione. /8 Unde aeternitas non est idem quod nunc temporis."(68)
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Das indexikalische 'Jetzt' müßte also nach Thomas als nur "differens ratione" aufgefaßt werden, wenn es sich mal auf diesen, dann auf jenen Zeitpunkt bezieht. Damit sollte gezeigt sein, daß das 'Fehlen' eines indexikalischen Zeitbezugs Gottes, das durch seine Ewigkeit bedingt ist, seine Allwissenheit und Unveränderlichkeit nicht beeinträchtigen muß. Gott kann nicht wissen, welcher Tag quoad Deum heute ist, weil es für Gott kein Heute gibt. Aber, wenn Gott allwissend ist, muß er wissen, welcher Tag quoad me oder für jeden anderen Menschen 'heute' ist. Wie soll das möglich sein, wie soll ein Seiendes, das selbst keinen indexikalischen Zeitbezug hat, von meinem indexikalischen Zeitbezug wissen?
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Das Problem ist sogar noch weiter faßbar, wenn man nicht nur zeitliche Indexicals berücksichtigt, sondern etwa auch Personalpronomen. H.-N. Castañeda (69) hat sich dieses Problems insbesondere in Antwort auf Kretzmann's ursprüngliche Ablehnung (70) des thomanischen Ewigkeitsbegriffs angenommen. Dort kam Kretzmann zu dem weitreichenden Schluß:
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"Every person knows certain propositions that no other person can know. Therefore, if God is omniscient, theism is false; and if theism is true, God is not omniscient." (71)
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Castañeda weist dagegen darauf hin, daß man zwischen 'oratio recta' und 'oratio obliqua' unterscheiden müsse, und Kretzmann's Behauptung nur für erstere zutreffe. Die selbe Proposition könne behauptet und gewußt werden in 'oratio recta' durch Indexicals, dies aber in vielen Fällen nur von einer Person; in 'oratio obliqua' durch Quasi-Indexicals (72), und dies auch von anderen Personen.(73)
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So kommt Castañeda zwar zu dem Ergebnis, bestimmte von Gott ausgesagte Eigenschaften müßten in ihrem Sinn modifiziert werden, diese Änderungen aber seien
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"not so revolutionary as those ... derived from the principle that a person's indexical statement cannot be known by another person. ... It follows that: First, ... an omniscient being does not know every proposition in oratio recta: indexical propositions he must know in oratio obliqua, in the form of quasi-indexical propositions. Second,... an omniscient immutable being knows the contents of other minds on grounds other than behavior and circumstances: for in order to know of changes in behavior or circumstances he must think of them, quasi-indexically, as known by other persons. ... Fourth, an omniscient being who is also immutable cannot be omnipotent, or omnipotence does not include the ability to formulate indexical propositions." (74)
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Durch diese Einschränkungen scheint die Möglichkeit gewährleistet, Gott als ewig im Sinne Thomas' und ebenso als allwissend und unveränderlich aufzufassen, obwohl er keinen direkten Zeitbezug hat.
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In dem nun folgenden letzten Teil, soll noch einmal versucht werden, die Auffassung Thomas von Aquins zu erläutern. Abschließend wird noch ein Einwand gegen Thomas' Konzept angeführt, der es von Grund auf in Frage stellt, in der mir bisher zugänglichen Literatur aber nicht gebührend berücksichtigt wird.
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Bereits Liske hat uns darauf hingewiesen, daß es wichtig ist, nicht nur die Art des Erkannten, sondern auch die des Erkennens zu beachten. (75) Th. D. Sullivan meint ebenso, ein wesentliches Element in Thomas' System sei die Art und Weise des Erkennens Gottes. Er vertritt die Auffassung, das Problem der indexikalischen Rede sei nicht das eigentliche Problem, wenn es um den Zeitbezug Gottes oder um sein Wissen von indexikalischen Aussagen, die andere Personen von sich machen, gehe. Um dies zu belegen verweist Sullivan auf folgenden Thomastext:
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"14 Et ideo concedendum est quod haec non est vera, quidquid Deus /15 scivit, scit, si ad enuntiabilia referatur. Sed ex hoc non sequitur /16 quod scientia Dei sit variabilis. ... Esset autem ... scientia Dei /21 variabilis, si enuntiabilia cognosceret per modum enuntiabilium, /22 componendo et dividendo, sicut accidit in intellectu nostro." (76)
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Daß Gott nicht "per modum enuntiabilium" erkennt, deutet er so:
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"... God's knowledge is nonpropositional, i. e. God does not form propositions to understand the world. And if God knows everything without forming propositions, then there is something wrong with the challenge to state in propositional form just what God represents to himself of temporal events."(77)
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Sullivan meint, die Alternative indexikalisch-nichtindexikalisch stelle sich nur unter der Voraussetzung von propositionaler Erkenntnisweise im Erkennen Gottes. Dies aber gerade leugne Thomas, und so müsse, wer seinen Entwurf widerlegen wolle, zeigen, daß es keine nichtpropositionale Erkenntnis geben könne. (78) Sullivan stimmt Thomas darin zu, daß dies nicht möglich sei, und Argumente in diese Richtung nur daher rührten, daß wir unsere menschliche Weise des Erkennens als die Weise des Erkennens ansähen und auf Gott übertrügen. Doch: "Our way of knowing is accidental to knowing. It is a grave error to assimilate the divine to the human mode of knowing."(79) Der Grund für das andere Erkennen Gottes sei seine absolute Einfachheit und der Umstand daß sein Wissen ein praktisches Wissen sei. So meint Sullivan sagen zu können:
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"By one intellectual act the divine mind attains intimate epistemic acquaintance with every concrete occurrence. God knows the whole of it, in all of its individuality. He displays occurrences to himself through a single intellectual act, without relying on impoverished abstraction, and since he is beyond space and time, without temporal self-reference." (80)
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"... From the fact that we find it difficult to imagine such knowledge, nothing whatever follows about its possibility. ... It follows that we cannot adequately state in propositional form God's knowledge of the present as present. Adequate representation of God's knowledge as he represents it to himself requires more than representing the same facts. It requires representing them in the same way."(81)
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Sullivan verwendet einen Vergleich, um dies deutlich zu machen: Wenn jemand, der oder die bisher Lesen nur als lautes Vorlesen kenne, annehme, man könne nicht still und ohne Lippenbewegung lesen, dann würde diese Person sich täuschen. Eine Definition der Tätigkeit Lesen als lautes Vorlesen wäre rein willkürlich. Ebenso, meint Sullivan, wäre eine Beschränkung von Erkennen auf propositionales Erkennen willkürlich und nicht auf Gott anwendbar. (82) Mit seiner Unterscheidung der Art und Weise des Erkennens meint Sullivan auch andere Einwände entkräften zu können: aus seinem Standpunkt folge nicht, daß Gott keine Propositionen erkennen könne, aber auch sie erkenne er auf nichtpropositionale Weise, wie Thomas dies auch vertreten hat:
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" ... Deus autem scit quidquid est in potentia sua /3 vel creaturae, ...; /5 necesse est quod Deus sciat /6 omnia enuntiabilia quae formari possunt. Sed ... scit /8 enuntiabilia non per modum enuntiabilium, ... ."(83)
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Ebensowenig folge daraus, daß die Zeit eine Illusion sei:
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"... I am not saying that time is unreal or only a human construct, as if there is no temporal reality for God to know. There is, and he knows it, but not in a way that requires temporal self-reference." (84)
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Es zeigt sich also, daß Sullivan und Liske in ihrer Thomasinterpretation, sowie in der Bewertung des Interpretierten übereinkommen und es als philosophisch haltbar ansehen. Ich selbst möchte mich allerdings einer Meinung enthalten, ob Sullivan und Liske die genannten Probleme damit wirklich gelöst haben. Es fällt auf, daß etwa A. Kenny Thomas' Versuch einer Lösung in diese Richtung zur Kenntnis nimmt, selbst unter Verweis auf die zentrale Stelle der Unterscheidung von 'enuntiabilia'und 'modus enuntiabilium', sie aber letztlich doch als unzureichend ablehnt. Kenny meint:
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"... A changeless being cannot know time, then it cannot know either what is expressed by tensed propositions. ... A believer in divine omniscience must, it seems, give up belief in divine immutability." (85)
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Es sei nun noch ein letzter Einwand gegen Thomas' Konzeption der Ewigkeit angeführt, zu dessen Entkräftung - soweit ich sehe - keiner der von mir eingesehenen Texte eine Lösung anzubieten hat. D. Lewis weist darauf hin, daß sich aus der Einführung des Begriffs der Ewigkeit in Abhebung vom aristotelischen Zeitbegriff Schwierigkeiten ergeben. Zeit wurde eingeführt als das Maß der Veränderung. Nun ist es aber nicht so, daß etwas, wenn es sich gerade nicht verändert, dann außerhalb der Zeit wäre, das heißt ein bloßes Sich-nicht-Verändern Gottes könnte seine Ewigkeit nicht bedingen.
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"Focusing on Aristotle's definition [of time] puts the attribution of illimitable life to God in a new light, for it suggests that there can be no before and after in as well as around a truly illimitable life, because this would subject that life to boundaries." (86)
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Dieses 'around' spezifiziert Lewis zunächst nicht näher. Und er scheint anzunehmen, daß es nicht spezifizierbar ist, ja daß die Einführung der Ewigkeit in sich widersprüchlich ist. Da es Ewigkeit gemäß der Einführung nur geben kann, wenn 'in' und 'around' dem Seienden, das ewig sein soll, keine Bewegung oder Veränderung auftritt, faktisch aber gerade behauptet wird, daß es 'around' Gott, nämlich in der Schöpfung, Bewegung gibt, könne es per definitionem keine Ewigkeit geben, und damit könne Gott nicht ewig sein. Lewis formuliert das in einem anderen Artikel in Zusammenhang mit dem Begriff der Schöpfung und behauptet:
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"... To say that some X comes into existence or begins to exist is just to say that reality is such that first, X does not exist, and next, X does exist. ... The description 'an object that comes into existence or begins to exist through the action of an eternal God' is contradictory, for the simple reason that if anything begins to exist (...), whether God brings it about or not, then God is not timeless." (87)
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Lassen wir das hier vorausgesetzte Schöpfungsverständnis, das nicht dem des Thomas entspricht, da für ihn Schöpfung gerade keine Veränderung ist (88), beiseite, denn Lewis sagt ja, sein Argument treffe zu, ob etwas als von Gott hervorgebracht oder auch nicht angesehen werde. Er scheint sagen zu wollen, daß, wenn man Gott Ewigkeit im Sinne Thomas' zusprechen will, man jede Bewegung im gesamten Universum ausschließen müsse, da nach Thomas' eigener Auffassung der Zeit, diese dann "existiere", wenn sich irgendetwas verändere. Wenn nun auch der Schöpfungsakt selbst nicht als Veränderung verstanden wird, so verändern sich jedenfalls die Geschöpfe, und damit gibt es Zeit. Lewis' Argument läuft also darauf hinaus, daß die Feststellung jedweder Veränderung im Universum die Behauptung, es könne ein ewiges Seiendes geben, widerlege.
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Eine mögliche Entgegnung bestünde darin, zu leugnen, daß die Geschöpfe in irgendeinem Sinn 'around' Gott seien. In diese Richtung scheint mir folgende Erläuterung zu gehen:
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"Eine Koexistenz von Zeit und Ewigkeit Gottes im eigentlichen Sinne gibt es nicht, da weder die Zeit an der Ewigkeit noch die Ewigkeit an der Zeit gemessen werden kann; sie sind schlechthin inkommensurabel, haben kein gemeinsames Maß (...)." (89)
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Diese Zeilen betonen die unendliche Verschiedenheit zwischen Schöpfer und Geschöpfen. Nun ist es aber eine Frage, wie man Koexistenz versteht: Im Sinne Lewis' würde aus obigem Text gerade folgen, daß es die Ewigkeit nicht geben kann, denn daß es Zeit gibt, wissen wir; wenn die Ewigkeit nicht mit ihr koexistieren könne, könne sie also überhaupt nicht existieren, d. h. anders gesagt, Gott könne nicht ewig sein. Brugger scheint aber nicht so etwas sagen zu wollen, sondern, daß die Wirklichkeit Gottes und die Wirklichkeit der Geschöpfe so verschieden seien, daß eine Veränderung in der Welt Gott auf keine Weise betrifft, so daß sie auch seine Ewigkeit nicht beeinträchtigt. - Wir stehen wieder vor dem Problem, das die 'triplex via' zu lösen versuchte: Gott ist uns nicht völlig unzugänglich, da er mit dem geschaffenen Sein darin übereinkommt, daß er Sein ist, und in diesem Sinn betrachtet koexistiert er schon in irgendeiner Weise mit dem Geschaffenen; er ist aber von allem Geschaffenen dadurch völlig unterschieden, daß er ungeworden ist, und dieser Unterschied verbietet jede Kommensurabilität.(90) Die Probleme, die daraus für die Rede von der Ewigkeit Gottes entstehen, haben wir nun ausführlich betrachtet.
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Der vorangegangene lange Einblick in Thomas' Verständnis von Ewigkeit und der Durchgang durch Argumente gegen und für diese Auffassung sollten vor allem gezeigt haben, wie schwierig das Problem ist. Es scheint so zu sein, daß Thomas zwei Perspektiven auf die geschaffene Wirklichkeit anerkennt, eine menschliche, die zeitgebunden ist; und die göttliche, die ewig und daher unzeitlich ist. Wie wir gesehen haben, hat die jeweilige Perspektive gravierende Folgen, da von der ewigen Perspektive aus kein indexikalischer Zeitbezug möglich ist und so auch gewisse Erkenntnisinhalte nicht ausdrückbar sind; allerdings, so versuchte ich darzulegen, sind dies Inhalte, die auf einen ewigen Gott nicht zutreffen, so daß daraus nicht eine Einschränkung der Allwissenheit Gottes folgt. Ferner hat der Unterschied in der Perspektive zur Folge, daß die Ereignisse der Zukunft von uns nicht mit Sicherheit gewußt werden können, von Gott aber schon.
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Es bliebe nun zu fragen, ob die Zeitgebundenheit des menschlichen Erkennens eine Geltungseinschränkung bedingt. Ich möchte folgenden Antwortversuch wagen: Wenn die Kritiker Thomas' von Aquin Recht haben, die ihm vorwerfen, seine Konzeption impliziere, daß die Zeit nicht real und unser Zeitempfinden eine Illusion sei, dann findet sich ganz klar eine Geltungseinschränkung aller unserer Aussagen - nach Thomas ist jede menschliche Erkenntnis "consignificans differentias temporum"(91) -, so daß sie nur für den Bereich unserer Wahrnehmung gelten. Dies wäre ein Standpunkt, der dem Kants entspräche (92), und von dem zumindest philosophiegeschichtlich gesagt werden kann, daß ihn Thomas wohl nicht zu vertreten intendierte.
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Im anderen Fall, wenn es möglich ist, Ewigkeit Gottes auf der einen und reale Zeitlichkeit innerhalb des Geschaffenen auf der anderen Seite zu vereinbaren, könnte man höchstens von einer Beschränkung unserer Erkenntnisfähigkeit durch deren temporalen Modus sprechen; aber die auf diese Weise gewonnene Erkenntnis, wäre gültig. In gewisser Weise könnte man sogar sagen, durch die Zeitlichkeit würde dann ein Geltungsbereich begründet, nämlich der von indexikalen zeitgebundenen Aussagen, durch die Ewigkeit würde der von wahren Aussagen über 'contingentia futura' begründet.
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Es sei hier betont, daß die Konzeption, die Kretzmann und Stump vorstellen, um Zeit und Ewigkeit zu verstehen, darauf hindeutet. Danach sind, wie gesehen, Zeit und Ewigkeit zwei Weisen des Existierens und zwei Weisen des Messens, die, jede für sich, relativ zu den jeweiligen Beobachtenden gültig sind. (93) Für Kretzmann und Stump impliziert der ewige Standpunkt Gottes nicht, daß die Zeit eine Illusion wird, vielmehr sind die göttliche und die menschliche Perspektive auf die Realität in diesem Fall gleichberechtigt und gültig. Der Gedanke scheint mir interessant; ob und inwiefern er einen Subjektivismus oder Idealismus impliziert, kann hier nicht mehr erörtert werden.
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1. Die Thomastexte werden zitiert nach:
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Thomae Aquinatis Opera Omnia. Cum Hypertextibus in CD-Rom. Auctore Roberto Busa S. J. Milano 1992. (Dem Institut für Christliche Philosophie der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck danke ich herzlich für die Möglichkeit, diese technische Errungenschaft zu nutzen.)
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Die hochgestellten Nummern mit Schrägstrich geben die in der CD angegebenen Zeilennummern des von Busa verwendeten Originals wieder. Großschreibung am Satzanfang und von Namen wurde von mir ergänzt. Im Folgenden nun die Werke des Aquinaten, die in der Arbeit zitiert wurden oder auf die ich verwiesen habe, mit Angabe der in der CD verwendeten Originalausgabe nach dem Beiheft zur CD (bei einigen sind textkritische Veränderungen gegenüber dieser vermerkt. Diese Vermerke gebe ich nicht wieder, kennzeichne aber betroffene Werke durch * ):
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In I Sententiarum. Textus ex ed. Prima Americana t. VI, VII-1 et VII-2. New York 1948 (reimpressio editionis Parmensis t. VI, 1856 et t. VII, 1858).
| 131
|
Summa contra gentiles. Textus Leoninus (t. XIII, XIV, XV: 1918, 1926, 1930) ex ed. Marietti 1961.
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Summae theologiae prima pars. Textus ed. Leonine t. IV (1888): qu. 1-49, textus leoninus ex ed. Marietti 1948: qu 50-finis.
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* Qu. disp. de veritate - 1. Quaestio Disputata De Veritate, usque ad qu. XXII - art. 11 corpus, inclusive: textus Leonino aequiparatus, t. XXII (vol. 1 fasc. 2, vol. II fasc. 1 et 2: 1970-1972; reliqua ex plagulis leoninis de prelo emendatis).
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* Qu. disp. de potentia. Textus ed. Marietti 1953.
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De aeternitate mundi. Textus aequiparati textui leonino, qui nobis dactyloscriptus et adhuc non editus est communicatus a. 1972.
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Compendium theologiae. Textus ed. Marietti 1954.
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2. Boethius: De Consolatione Philosophiae, zitiert nach: D. Lewis, Eternity, time and tenselessness. In: FaPh 5 (1988) 72-86, hier 72. Ab jetzt zitiert als Lewis, Eternity. Thomas übernimmt das Zitat in der Wiedergabe des ersten Arguments gegen Boethius' Definition; vgl.: Summa Theologiae, Ia qu 10 a 1 ag 1. Ab jetzt zitiert als S. Th.
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3. Vgl.: S. Th. Ia qu 10 a 4 co und ebd. a 1 co.
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4. Vgl.: De aeternitate mundi, S. Th. Ia qu 46 a 2 co, ebd. ra 8; Quaestio disputata de potentia qu 3 a 17 co, ab jetzt zitiert als De pot.
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5. D. B. Burrell, God's eternity. In: FaPh 1 (1984) 389-406, hier 393. Ab jetzt zitiert als Burrell, Eternity. Burrell zitiert hier aus S. Th. Ia qu 10 a 1 ag 1.
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6. S. Th. Ia qu 10 a 1 ra 2.
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7. S. Th. qu 14 a 13 ra 3.
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8. Vgl.: S. Th. Ia qu 14 a 13 ra 3, Quaestio disputata de veritate qu 2 a 12 co (ab jetzt De ver.) und Compendium theologiae lb 1 cp 133 (ab jetzt Comp. theol.).
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9. Vgl.: Comp. theol. lb 1 cp 133.
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10. De Ver. qu 2 a 12 co.
| 146
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11. Summa contra gentiles, lb 1 cp 66 N.-8, ab jetzt SCG.
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12. Ebd.
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13. Lewis, Eternity 76 stellt mit Bezug auf das Lateinische und Englische fest, was auch vom Deutschen gilt: "The ... adjective praesens , ..., is ambiguous between a locative sense of existing alongside or with something and the epistemological sense of registering to the awareness of someone." Man könnte noch hinzufügen: und einem temporalen Sinn der, wörtlich, Gleich-Zeitigkeit. Daß Thomas auf jeden Fall die zweite bewußtseinsmäßige Bedeutung im Sinn hat, ist unbestritten; ob er die lokale oder temporale dadurch impliziert, und sie daher auch gegeben ist, wird unter den Kommentatoren diskutiert. Lewis ebd. meint, ja.
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14. Comp. theol. lb 1 cp 133.
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15. A. Kenny, Divine Foreknowledge and human freedom. In: Aquinas. A collection of critical essays. Ed. A. Kenny (Modern Studies in philosophy). Garden City, N. Y. 1969, 255-270, hier 264.
| 151
|
16. Vgl. hierzu: De Pot. qu 7 a 5 ra 2, ebd. a 1 ra 9, ebd. a 10 co und O. Muck, Philosophische Gotteslehre (Leitfaden Theologie 7). Düsseldorf 11983, 2 1990, 150-152, P. Geach, Logic matters. Oxford 1972, 318-327 (ab jetzt: Geach, Logic.) und M.-Th. Liske, Kann Gott reale Beziehungen zu den Geschöpfen haben? Logisch-theologische Betrachtungen im Anschluß an Thomas von Aquin. In: ThPh 68 (1993) 208-228. Ab jetzt: Liske, Beziehung.
| 152
|
17. M.-Th. Liske, Was meint Thomas von Aquin mit "Gott weiß das Zukünftige als gegenwärtig"? In: ThPh 60 (1985) 520-537, hier 529. Ab jetzt: Liske, Zukunft.
| 153
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18. Ebd.
| 154
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19. Vgl. ebd.
| 155
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20. Vgl.: N. Kretzmann - E. Stump, Eternity. In: JPh 78 (1981) 429-458. Ab jetzt: Kretzmann - Stump.
| 156
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21. Vgl. ebd. 435.
| 157
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22. Ebd. 436
| 158
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23. Ebd. 439.
| 159
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24. Ebd. 438.
| 160
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25. Vgl. ebd. 438f.
| 161
|
26. Ebd. 439.
| 162
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27. Zeitliche Ereignisse sind nur zeitlich simultan, d. h. T-simultan, mit sich selbst, und ewige nur ewig simultan, d. h. E-simultan, mit sich selbst, keines von beiden aber ET-simultan mit sich selbst, nach der oben zitierten Einführung.
| 163
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28. Ebd. 439f.
| 164
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29. Vgl. ebd. 441-458.
| 165
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30. Vgl.: Burrell, Eternity, 398.
| 166
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31. Vgl. oben S. 2 und SCG lb 1 cp 66 N.-8.
| 167
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32. SCG, lb 1 cp 66 N.-8, Zeile 11.
| 168
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33. Geach, Logic 312.
| 169
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34. Kretzmann - Stump 436.
| 170
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35. Lewis, Eternity 80.
| 171
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36. Vgl. oben S. 2, S. Th. Ia qu 14 a 13 ra 3 und Comp. theol. lb 1 cp 133.
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37. Lewis, Eternity 81.
| 173
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38. Ebd. 82f. Vgl. sinngemäß, sogar teilweise wörtlich gleich: W. L. Craig, Aquinas on God's knowledge of future contingents. In: Thom. 54 (1990) 33-79, bes. 62-67. Ab jetzt, Craig.
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39. Vgl. hierzu: Geach, Logic 302-305 und W. v. O. Quine, Word and object. Cambridge, Mass., 1960, 170-176.
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40. Vgl.: De Pot. qu 7 a 11 co, Z. 31-38, sowie Liske, Beziehung 211f. und J. Wennemann, Saint Thomas' doctrine of extrinsic denomination as mediate correspondence in naming God ex tempore. In: MSM 65 (1987-88) 119-129, bes. 123.
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41. Lewis, Eternity 83.
| 177
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42. P. Geach, God and the soul. London 1969, 92. Zu dem in diesem Kapitel, >>Praying for things to happen<< (S. 86-99), zum Ausdruck kommenden Gebetsverständnis ist zu bemerken, daß es vom theologischen Standpunkt aus als zu eng gefaßt und daher nicht haltbar erscheint.
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43. Ebd.
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44. Lewis, Eternity 83.
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45. Ebd. 82.
| 181
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46. De Ver. qu 2 a 12 co.
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47. De Ver. qu 1 a 2 co.
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48. N. Kretzmann, Omniscience and immutability. In: JPh 63 (1966) 409-421, hier 415. Ab jetzt: Kretzmann, Omniscience.
| 184
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49. Vgl. etwa R. Swinburne, The coherence of theism. Oxford 1977, 172-178. Diese Konzeption scheint mir durch A. Fouts, Divine self-limitation in Swinburne's doctrine of omniscience. In: RelSt 29 (1993) 21-26 sogar überzeugend widerlegt zu sein.
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50. Vgl.: D. Burrell, Maimonides, Aquinas and Gersonides on providence and evil. In: RelSt 20 (1984) 335-351, hier 347.
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51. Liske, Zukunft 535.
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52. Ebd. 536.
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53. Kretzmann - Stump 443. Das Zitat impliziert, daß es für Kretzmann und Stump so etwas wie "eternal duration" gibt. In der Tat ist es so. Dieser Begriff wird aber so eingeführt (vgl. ebd. 444-447), daß er dem thomanischen Begriff der Ewigkeit nicht zuwider läuft, sondern so zu verstehen ist, wie Thomas von der Ewigkeit als "mensura permanentis esse" (vgl.: S. Th. Ia qu 10 a 4 co) spricht, wo "permanens" auch keine zeitliche Dauer implizieren soll. Es bliebe natürlich zu fragen, ob es das nicht doch tut.
| 189
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54. Zur Eigenheit der indexikalischen Rede vgl.: E. Runggaldier, Analytische Sprachphilosophie (Grundkurs Philosophie 11) (Urban-Taschenbücher; Bd. 395). Stuttgart 1990, 134-139. Ab jetzt: Runggaldier.
| 190
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55. Vgl.: Th. D. Sullivan, Omniscience, immutability and the divine mode of knowing. In: FaPh 8 (1991) 21-35. Ab jetzt: Sullivan.
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56. Ebd. 23.
| 192
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57. Vgl. z. B. Craig 47.
| 193
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58. Vgl.: Kretzmann, Omniscience 414.
| 194
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59. Sullivan 24. Er zitiert Kretzmann, Omniscience 414.
| 195
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60. A. Kenny, The God of the philosophers. Oxford 1979, 42. Ab jetzt: Kenny, God.
| 196
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61. Runggaldier 136.
| 197
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62. Ebd. 137.
| 198
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63. Zur Problematik, ob bestimmte Indexicals überhaupt referieren, vgl. ebd.
| 199
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64. Kretzmann - Stump, 457f. Hervorhebung von mir.
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65. Vgl. ebd. 455-457.
| 201
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66. Vgl. ebd.
| 202
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67. De Ver. qu 2 a 12 co.
| 203
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68. S. Th. Ia qu 10 a 4 ra 2.
| 204
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69. Vgl.: H.-N. Castañeda, Omniscience and indexical reference. In: JPh 64 (1967) 203-210. Ab jetzt: Castañeda, Omniscience.
| 205
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70. Vgl.: Kretzmann, Omniscience.
| 206
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71. Kretzmann, Omniscience 421.
| 207
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72. Zu Einführung und Funktion der Quasi-Indexikals vgl.: H.-N. Castañeda, Indicators and Quasi-indicators. In: APQ 4 (1967) 85-100. Ders., Sprache und Erfahrung. Texte zu einer neuen Ontologie. Frankfurt 1982, 148-201. Ders., Thinking, language, and experience. Minneapolis 1989, Kap. 4f. und Runggaldier 138f.
| 208
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73. Vgl.: Castañeda, Omniscience 209f.
| 209
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74. Castañeda: Omniscience 210.
| 210
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75. Vgl. oben S. 8.
| 211
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76. S. Th. Ia qu 14 a 15 ra 3. Hervorhebung von mir in Anlehnung an Sullivan 25.
| 212
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77. Sullivan 26.
| 213
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78. Vgl. ebd.
| 214
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79. Ebd. 27. Er verweist auf S. Th. Ia qu 14 a 16 ra 2 und In I Sententiarum, ds 38 qu 1 a 5 co.
| 215
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80. Sullivan 30.
| 216
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81. Ebd. 31.
| 217
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82. Vgl. ebd. 27.
| 218
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83. S. Th. Ia qu 14 a 14 co. Vgl. Sullivan 32.
| 219
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84. Sullivan 32.
| 220
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85. Kenny, God 48. Zum ganzen Argument vgl. ebd. 38-48. Anders dagegen, wie gesehen Kretzmann - Stump 453-457.
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86. Lewis, Eternity 74.
| 222
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87. D. Lewis, Timelessness and divine agency. In: IJPR 21 (1987) 143-159, hier 152.
| 223
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88. Vgl. hierzu S. Th. Ia qu 45 a 3 ra 2, qu 46 a 2 co, qu 46 a 2 ra 8, De Pot. qu 3 a 2 co, qu 3 a 3 co, ebd. ra 6, qu 3 a 17 co und F. D. Wilhelmsen, Creation as a relation in Saint Thomas Aquinas. In: MSM 56 (1978-79) 107-133.
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89. W. Brugger, Summe einer philosophischen Gotteslehre. München 1979, 324.
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90. Positives und negatives Element versuchen Kretzmann und Stump durch die Unterscheidung von "existence" und "mode of existence" wiederzugeben. Vgl. oben S. 6 bei Anm. Fehler! Nur Hauptdokument und Kretzmann - Stump 436.
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91. De Ver., qu 2 a 12 co.
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92. Vgl. zu 'Zeit' bei Kant: E. Coreth - H. Schöndorf, Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts (Grundkurs Philosophie 8) (Urban-Taschenbücher; Bd. 352). Stuttgart 1983, 111-113.
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93. Vgl.: Kretzmann - Stump 436. 439. 443. 457.
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