"Das scheint Lichtjahre entfernt. Mittlerweile hat die Wirklichkeit auch die Gutgläubigen wieder eingeholt, und zwar ziemlich brutal." So sieht die vorsichtige Neue Zürcher Zeitung (9./10. Nov. 2002) die Situation in Deutschland sieben Wochen nach der Wahl, und sie stellt fest: "Fast jede Prognose von damals muss jetzt korrigiert werden, kaum ein Wahlversprechen hat noch Geltung. In den Schlagzeilen der deutschen Presse dominiert ein Vokabular, das ungeschminkt auf 'Wahlbetrug' anspielt." Haben wir es tatsächlich mit einem Wahlbetrug zu tun? Die Zahlen, die heute auf dem Tisch liegen und die Bauchweh bereiten, waren auch vor Wochen und Monaten genau bekannt. Es wäre damals Aufgabe der Medien und der heutigen Opposition gewesen, darauf immer wieder mit Nachdruck hinzuweisen. Wenn es einen Wahlbetrug gegeben hat, dann haben die Medien und alle Parteien dabei voll mitgespielt. Und der wichtigere Teil der Wahrheit wird auch heute noch verschwiegen. Politiker versuchen z.B. die bittere Pille der Erhöhung der Rentenbeiträge mit der Behauptung zu versüßen, damit seien die Renten auf lange Zeit gesichert. Doch dies stimmt in keiner Weise. Bereits ein oberflächlicher Blick auf die Alterspyramide zeigt, dass die Zahl der Rentner und Rentnerinnen in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird, was höhere Ausgaben verlangt. Ähnliches gilt für das Gesundheitswesen und für die Pflege alter Menschen. Auch die Sicherheit dürfte in einer Zeit des Terrors wachsende Kosten verursachen. Wie soll unter derartigen Bedingungen das System weiter funktionieren? Der einfache Hausverstand sagt: entweder durch weitere Erhöhung der Steuern und Beiträge oder durch Reduzierung der sozialen Leistungen. Aber keines von beiden wagen die Medien und die Opposition heute klipp und klar zu sagen. So verfällt man einem allgemeinen Kartell des 'Verschweigens'.
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