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alles ist bedeutend oder unbedeutend gleichermaßen
(Ausstellung von n. pümpel am 28.11. Imst)

Autor:Braun Bernhard
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-11-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Wer über Kunst von Norbert Pümpel zu sprechen hat, auf dem lastet mittlerweile eine breite Rezeptionsarbeit. Vieles und Zutreffendes ist bereits gesagt worden, und auch ich selbst war ja schon mehrfach eingeladen, Pümpels Kunst zu kommentieren. Lassen Sie mich daher versuchen, einen zusammenfasssenden Blick auf den größeren Kontext von seiner Arbeit zu werfen, um von da her einen Schlüssel für die heute hier präsentierte Werkphase zu gewinnen.

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Es ist nachgerade Gemeingut, daß Pümpels Werk seit seinen Anfängen - dem Interesse des Künstlers entsprechend - mit den Einsichten der Physik korrespondiert, die am Beginn unseres Jahrhunderts unser Weltbild radikal umgestürzt haben:

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Die Relativitätstheorie hat uns unsere naive Vorstellung einer absoluten und linearen Zeit und eines objektiven dreidimensionalen statischen Raums genommen. Die Quantenmechanik hat zur Aufhebung einer strengen Kausalität und einer subjektunabhängigen Objektivität geführt.

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Diese aktuelle Sicht der Wirklichkeit hat Pümpel - wenn ich recht sehe - zumindest dreifach künstlerisch beantwortet - und zwar in verschiedenen Werkphasen, zugleich aber auch in jedem einzelnen Werk selbst:

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Einmal durch Kommentierung von Naturkonstanten, der eigenartigen Spannung zwischen (physikalischer) Theorie, und Weltbildentwürfen auf der einen und harter Maschinentechnik, die daraus resultiert, auf der anderen Seite.

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Zum zweiten vollzieht Pümpel in einigen Werkphasen die von uns entschlüsselten Vorgänge in der Natur gleichsam nach. Es geht ihm nicht mehr darum, reale Gegenstände in mimetischer Absicht abzubilden, weil es eine reale, vom Betrachter unabhängige Welt nicht mehr gibt, vielmehr geht es ihm darum, die in der zeitgenössischen Sicht konstatierte Auflösung der Materie in den Geist und die Vereinigung von Subjekt und Objekt auf der Leinwand nachzuvollziehen und diesen Nachvollzug jedem Betrachter ebenfalls zu ermöglichen. In einer an Jackson Pollock erinnernden Bildreihe (Strukturzeichnungen, Hammerschläge) - dieser Einfluß meldet sich auch hier leise im Hintergrund - fertigt er gleichsam eine Momentaufnahme von unserer Vorstellung vom dynamischen Tanz der Elementarteilchen auf der Leinwand an. Es ist ein unendliches Spiel, wo Materie in harmonische Schwingung übergeht, in den Geist aufgehoben wird.

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Da sind wir zum dritten bei jenem spannenden Umschlag von Realität in Mystik, an dem sich Pümpel in vielen Anläufen entlanggearbeitet hat. Denn Bedeutung und Funktion solcher Bilder entsprechen den Erfahrungen eines mystischen Erlebnisses. Der scheinbar leere Raum, in den sich der Betrachter/die Betrachterin geworfen empfindet, wird gleichsam zum Behälter einer authentischen Selbsterfahrung. Das geht hin bis zur Aufhebung des benutzten Mediums, des Bildes, was die Erfahrung der Ikone nachvollzieht. Norbert Pümpel versteht seine Bilder als „autonome Aussage zu den Phänomenen, von denen sie handeln und die sie gleichzeitig sind".

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Von diesem Hintergrund her erhalten die Transfigurations- und Regressserien ihre ungeheure Kraft und Authentizität. Kunst wird hier zu erlebbarem Kult, zur Meditation, Lyrik, ja gar Gebet, jedenfalls subjektiv und sehr intim.

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Was Pümpel in der jüngsten Vergangenheit offenbar besonders beschäftigt hat, ist die Frage nach der Exaktheit der Realität. Wir haben schon festgestellt, daß die Sicht des Physikers ein allzuklares Weltbild kausaler Exaktheit und Vorhersehbarkeit beendet hat. Seine micro stills sind alles andere als Stillleben, eher schon Standphotos eines hochdynamischen Prozesses, der sich teilweise relativ zu einem darübergezogenen Systemraster bewegt. Er überschwemmt nicht nur diesen Raster, sondern fließt auch über die Bildränder, die den Ausschnitt einer unendlichen Bewegung markieren. Zum Unterschied von früheren Werkphasen, die teilweise auf Computerkonstruktionen zurückgreifen, zeigen diese Bilder einen starken malerischen, ja poetischen Gestus. Mit lavierenden Farben und verschmierten Strukturen entwirft der Künstler eine relative Zustandsbeschreibung des Realen.

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Es wurde seinerzeit als großer Durchbruch in der Physik gefeiert, als die Quantentheorie mit ihrer Probabilitätsthese aufwartete. Das heißt mit der Theorie, daß der die Natur und Umwelt beobachtende Mensch nur mehr wahrscheinliche Aussagen über die Realität machen kann. Eine Einsicht, die, wenn man so will, in der Spannung zwischen dem streng geometrischen Grundraster und der verschmierten Wirklichkeit in den Bildern Pümpels ausgedrückt wird.

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Doch ästhetische Ereignisse lassen sich immer auch anders lesen. Das Netz, das über eine dislozierte Realität gezogen ist, könnte schlicht auch gedeutet werden als Symbol allgemeiner intimer Vernetzung. Verschmierte Zustände sind keine Spezialität der sich mit der Mikrowelt beschäftigenden Physiker, sie sind das Wesen der Wirklichkeit schlechthin und sie sind Grundlage jeder mystischen Erfahrung.

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Eine mystische Erfahrung, näherhin beispielsweise eine Gotteserfahrung, basiert auf einem Verschwimmen der Grenzen des Menschlichen und des Göttlichen. Zwischen diesen beiden Polen stellt sich ein stabiles dynamisches Gleichgewicht her, also eine Art prozeßhafter Stabilität, und, ähnlich mikrophysikalischen Zuständen, ist auch der Ort der beiden Pole: Mensch - Gott, nur mehr ein wahrscheinlicher. Die Struktur mystischer Erfahrung wiederum wiederholt sich in einem viel größeren Kontext. Ich möchte so weit gehen, Pümpels hier gezeigte Bilder ästhetische Erlebnisberichte der Globalisierung zu nennen. Globalisierung ist ein dynamisch sich immer wieder neu stabilisierender Zustand. Kapitalflüsse, Warenflüsse, Menschenflüsse lassen sich nicht mehr lokalisieren, sondern mit verschmierter Aufenthaltswahrscheinlichkeit erzeugen sie gleichsam stehende Wellen einer rhythmischen Bewegung rund um den Globus.

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Wenn ich den Vergleich von mystischer Erfahrung und technischer, ökonomischer und wissenschaftlicher Globalisierung ziehe, tue ich das nicht von ungefähr. Ich möchte Pümpels Œuvre - um heute abend wenigstens zu irgendeinem neuen Aspekt zu gelangen - aus der Ecke physikalischer Esoterik herausholen, in die es die meisten Interpreten - ich nehme mich dabei keineswegs aus - gestellt haben. Wolfgang Falch vergleicht im Vorwort des neuen Katalogs Pümpels Arbeiten mit „Spiegeln, in denen sich Welten fangen" und mit orientalischem Fabulieren.

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Lassen Sie es mich noch verbindlicher formulieren: Pümpels bisherige Arbeit ist eine Spurensuche der Wirklichkeit des Seienden. Damit verfolgt sie eine Aufgabenstellung, die traditionellerweise der Metaphysik zugeschrieben wird. Das Ergebnis dieser Spurensuche ist, gemessen an der klassischen Sicht der Metaphysik, überraschend und unkonventionell. Warum? Metaphysik gilt gemeinhin als Suche nach einem statischen, zeitenthobenen Sein - man kann es auch Wahrheit nennen - und daher bleibt jedes dynamische Verständnis, jede Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit, ein Ärgernis. Aber es ist der unbeugsamen Beharrlichkeit des Künstlers Recht zu geben, der in allem das Dynamische entdeckt, das alles gleichermaßen bedeutend wie unbedeutend macht.

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Es ist dieser metaphysische Hintergrund, der jedes einzelne Werk so wie auch die vorliegenden Bilder dreifach konnotiert: Pümpel beschreibt in jedem seiner Bilder einen Zustand, er vollzieht diesen Zustand am Bild und er löst durch das Bild beim Betrachter eine neue Erfahrung aus.

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Es sind Erfahrungen, die von einer falschen Hoffnung statischer Endgültigkeit wegführen. Sie führen auch weg vom krampfhaften Versuch, hinter der Ästhetik etwas zu suchen, was die Bilder bedeuten sollen. Sie stehen für sich selbst, und inwieweit sie zur Selbsterkenntnis des einzelnen beitragen, liegt an unserer Bereitschaft, uns auf sie einzulassen.

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