- Leseraum
| 'Charta Oecumenica'Autor: | Hell Silvia |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | # Originalbeitrag für den Leseraum |
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Datum: | 2003-01-23 |
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Inhalt1
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Die Plausibilität christlicher Kirchen steht und fällt mit der Frage, wie sehr es ihnen gelingt, die biblische Heilsbotschaft nach innen und außen zu vertreten. Alle christliche Kirchen haben eine wichtige, gesellschaftspolitische Aufgabe. Das gesellschaftspolitische Engagement der Kirchen stellt keine horizontalistische Verkürzung der Heilsbotschaft dar, sondern folgt aus dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes: Wenn Gott sich nicht davor scheut, auf die Ebene des Menschen herabzusteigen, dürfen sich auch die Kirchen dafür nicht zu gut sein. Verkündigung hat immer mit dieser kenotischen Dimension zu tun. Ökumene hat folglich 'kenotisch' zu sein.
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Die 'Charta Oecumenica' ist ein wichtiges Beispiel für das gesellschaftspolitische Engagement, zu dem sich verschiedene christliche Kirchen in ökumenischer Verantwortung klar bekennen. Am 22. April 2001 ist sie von höchstoffizieller Seite unterschrieben und allen Kirchen und Bischofskonferenzen von Europa zur Annahme und Umsetzung in ihren jeweiligen Kontext empfohlen worden. Sämtliche Kirchen sind sich darin ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe bewußt. Die Leitlinien sollen der wachsenden Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa dienen. Sie stellen damit zugleich ein Modell für eine mögliche weltweite Zusammenarbeit dar. Die Verbindlichkeit der Charta besteht in einer Selbstverpflichtung der europäischen Kirchen und ökumenischen Organisationen. Die Charta stellt keine Erklärung dar, der lehramtlich-dogmatischer oder kirchenrechtlich-gesetzlicher Charakter zukommt. Es ist nun an den Kirchen, die Charta anzunehmen und jeweils in ihrem Bereich anzuwenden.
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Unterzeichnet worden ist die Erklärung vom Metroploiten Jéremié, dem Präsidenten der Konferenz Europäischer Kirchen, und Kardinal Miloslav Vlk, dem Präsidenten des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen.
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Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) versteht sich als regionale ökumenische Organisation von orthodoxen, anglikanischen, altkatholischen und protestantischen Kirchen Europas (s. dazu Charta Oecumenica Einleitung / Anm. *). Als Basisformel dient der KEK folgendes Bekenntnis: "Die Konferenz Europäischer Kirchen ist eine ökumenische Gemeinschaft von Kirchen Europas, die den Herrn Jesus Christus gemäss der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes."(1) Die KEK arbeitet eng mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen zusammen und will die Einheit der Christen fördern: "Von Anfang an hat die KEK eine ihrer Hauptaufgaben darin gesehen, Brücken zwischen Ost- und Westeuropa zu bauen. Um solche Brücken hat sie sich auch zwischen Minoritäts- und Majoritätskirchen und zwischen Christen verschiedener konfessioneller Traditionen bemüht." (2) Die Bewegung, die schließlich zur Entstehung der KEK geführt hat, geht auf die 40er und 50er Jahre zurück, auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Es ging damals darum, politische Spaltungen zu überwinden und Völker miteinander zu versöhnen, die der 2. Weltkrieg auseinandergerissen hatte. 1959 ist es in Dänemark zur 1. Vollversammlung der KEK gekommen.
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Die Charta Oecumenica wurde vom Vorsitzenden der KEK gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen unterschrieben. Im Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (Concilium Conferentiarum Episcoporum Europae = CCEE), der 1971 gegründet und 1977 vom Papst offiziell anerkannt wurde, sind die römisch-katholischen Bischofskonferenzen in Europa zusammengeschlossen. Derzeit besteht der CCEE aus 34 Bischofskonferenzen.
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Die gemeinsam unterschriebene Erklärug befindet sich zur Zeit in einer Phase der Prüfung: Können die Kirchen die zentralen Inhalte der Charta annehmen? Wie kann die Charta in den jeweiligen Kontext umgesetzt werden? Wo gibt es Probleme?
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Man liest schnell über die trinitarische Anrufung hinweg oder hält sie bloß für einen frommen Auftakt. Es steckt aber mehr dahinter. Man hat bei dieser Präambel zwar verzichtet, "Einheit" genauer zu beschreiben bzw. sich auf ein bestimmtes Modell von "Einheit" festzulegen, es geht aber dennoch deutlich hervor, daß der dreieine Gott etwas mit der anzustrebenden Einheit zu tun hat. Deutlich wird dies vor allem im I. Kapitel, wo der Glaube an den dreieinen Gott ausdrücklich in Beziehung zu der "einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche" gesetzt wird: "Mit dem Evangelium Jesu Christi, wie es in der Heiligen Schrift bezeugt wird und im Ökumenischen Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381) zum Ausdruck kommt, glauben wir an den Dreieinigen Gott: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Weil wir mit diesem Credo 'die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche' bekennen, besteht unsere unerlässliche ökumenische Aufgabe darin, diese Einheit, die immer Gottes Gabe ist, sichtbar werden zu lassen" (I./1, Hervorheb. S.H.).
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Das Hohepriesterliche Gebet Jesu (Joh 17,21) wird allem vorangestellt. Es ist die 'Magna Charta' der Ökumene. Man möge sich der Schuld bewußt und zur Umkehr bereit sein und sich bemühen, die noch bestehenden Spaltungen zu überwinden (vgl. Einleitung). Die Zielsetzung ist klar formuliert: Es geht darum, die Botschaft des Evangeliums unter den Völkern glaubwürdig zu verkünden (vgl. ebd.), Zeugnis zu geben von der Liebe und Hoffnung für alle Menschen (vgl. ebd.), für die Würde der menschlichen Person als Gottes Ebenbild einzutreten und als Kirchen gemeinsam dazu beizutragen, Völker und Kulturen zu versöhnen (vgl. ebd.). Gemeinsam soll das Evangelium durch Wort und Tat für das Heil aller Menschen verkündigt werden (vgl. II./2). Es geht um ein gemeinsames Glaubenszeugnis, das "des verstärkten Engagements und des Erfahrungsaustausches in Katechese und Seelsorge in den Ortsgemeinden" (ebd.) bedarf, um eine gemeinsame Verkündigung des Evangeliums "in die gesellschaftliche Öffentlichkeit hinein" (ebd.), um sozialen Einsatz und um Wahrnehmung von politischer Verantwortung (vgl. ebd.).
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Um das Evangelium plausibel verkünden zu können, müssen sich die Kirchen absprechen, schädliche Konkurrenz sowie die Gefahr neuer Spaltungen vermeiden und keinen Druck aufeinander ausüben (kein Zwang zur Konversion, vgl. ebd.).
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Die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die - wie wir vorhin gesehen haben - mit dem Glauben an den dreieinen Gott zu tun hat, wird als die eine Kirche Jesu Christi verstanden. Deren Einheit ist eine sichtbare Größe. Klar wird aber auch, daß faktisch noch "wesentliche Unterschiede im Glauben" (I./1) die sichtbare Einheit verhindern: verschiedene Auffassungen, vor allem von der Kirche und ihrer Einheit, von den Sakramenten und den Ämtern. Damit dürfen wir uns, so heißt es in der Charta, nicht abfinden (vgl. ebd.); wir müssen in der Nachfolge Jesu Christi alles uns Mögliche tun, um die noch bestehenden kirchentrennenden Probleme und Hindernisse zu überwinden (vgl. ebd.). Das Ziel ist eine sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi in dem einen Glauben, die ihren Ausdruck in der gegenseitig anerkannten Taufe und in der eucharistischen Gemeinschaft findet sowie im gemeinsamen Zeugnis und Dienst (vgl. ebd.).
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"Zum Dialog gibt es keine Alternative" (II./6); "die Bemühungen um einen Konsens im Glauben sind unbedingt fortzusetzen" (ebd.), denn "ohne Einheit im Glauben gibt es keine volle Kirchengemeinschaft (ebd.). Bei Kontroversen, vor allem bei Fragen des Glaubens und der Ethik, ist das Gespräch zu suchen. Kontroversielle Fragen sind im Licht des Evangeliums zu erörtern (vgl. ebd.). Bei ethischen Kontroversen ist vor allem an den verschiedenen Umgang mit geschieden Wiederverheirateten und an die Diskussion bezüglich Segnung homosexueller eheähnlicher Gemeinschaften zu denken.
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Ökumene hat "mit der Erneuerung der Herzen und der Bereitschaft zu Busse und Umkehr" (II./3) zu tun. Es geht darum, gemeinsam die Geschichte der christlichen Kirchen aufzuarbeiten (vgl. ebd.), wo Schuld vorhanden ist, diese einzugestehen (vgl. ebd.), die geistlichen Gaben der verschiedenen christlichen Traditionen "zu erkennen, voneinander zu lernen und sich so beschenken zu lassen" (ebd.). In diesem Zusammenhang wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, "die Erfahrungen und Erwartungen der Jugend einzubeziehen und ihre Mitwirkung nach Kräften zu fördern" (ebd.), sich um "ökumenische Offenheit und Zusammenarbeit in der christlichen Erziehung, in der theologischen Aus- und Fortbildung" zu bemühen sowie diese auch in der Forschung zu fördern (vgl. ebd.).
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Ökumene ist ein geistlicher Prozeß. Durch Gebete und Gottesdienste soll die geistliche Gemeinschaft zwischen den Kirchen vertieft werden (vgl. II./5). In der Selbstverpflichtung wird ausdrücklich dazu aufgefordert, "füreinander und für die christliche Einheit zu beten, die Gottesdienste und die weiteren Formen des geistlichen Lebens anderer Kirchen kennen und schätzen zu lernen, dem Ziel der eucharistischen Gemeinschaft entgegenzugehen" (ebd., Selbstverpflichtung). Leider wird in der Selbstverpflichtungsformel nicht gesagt, daß es nicht nur um ein Füreinander-Beten geht, sondern auch um ein Miteinander-Beten. Dahinter stehen konkrete Schwierigkeiten, die orthodoxe Kirchen, allen voran die russisch-orthodoxe Kirche, mit einem gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst haben. Um miteinander beten und Gottesdienst feiern zu können, ist ihrer Meinung nach Kirchengemeinschaft notwendig. Und diese ist derzeit noch nicht gegeben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Diskussion bezüglich einer Umstrukturierung des Ökumenischen Rates der Kirchen. (3) Auch hier lauten die Einwände ähnlich: Man möge 'konfessionelle' und 'interkonfessionelle Andachten' halten, aber von einem 'ökumenischen Gottedienst' Abstand nehmen. Daß der Ökumenische Rat der Kirchen auf solche Einwände reagiert, wird als ein Entgegenkommen den orthodoxen Kirchen gegenüber gedeutet. (4)
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Im Text der 'Charta' ist dann allerdings wieder ausdrücklich von einem gemeinsamen Hören des Wortes Gottes die Rede. In die Selbstverpflichtung eingegangen ist der Auftrag an die Kirchen, "dem Ziel der eucharistischen Gemeinschaft entgegenzugehen" (II./5).
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Die Kirchen haben sich ihrer gesellschaftspolitischen Augabe bewußt zu werden und gemeinsam für ein vereintes Europa einzutreten: "Aufgrund unseres christlichen Glaubens setzen wir uns für ein humanes und soziales Europa ein, in dem die Menschenrechte und Grundwerte des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Toleranz, der Partizipation und der Solidarität zur Geltung kommen. Wir betonen die Ehrfurcht vor dem Leben, den Wert von Ehe und Familie, den vorrangigen Einsatz für die Armen, die Bereitschaft zur Vergebung und in allem die Barmherzigkeit" (III./7). Der Gefahr muß entgegengetreten werden, "dass Europa sich sich zu einem integrierten Westen und einem desintegrierten Osten entwickelt" (ebd.); jeder "Eurozentrismus" (ebd.) muß vermieden und die Verantwortung Europas für die ganze Menschheit gestärkt werden (vgl. ebd.). Die Kirchen haben den Dienst der Versöhnung wahrzunehmen, Völker und Kulturen miteinander zu versöhnen, für die absolute Gleichwertigkeit aller Menschen (in Kirche und Gesellschaf) einzutreten, den Prozeß der Demokratisierung in Europa zu fördern und sich für eine Friedensordnung auf der Grundlage gewaltfreier Konfliktlösungen zu engagieren (vgl. III./8). Die Bewahrung der Schöpfung wird als gemeinsame Aufgabe der Kirchen verstanden.
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Hervorzuheben ist, daß die Charta bei der Darstellung der gemeinsamen Verantwortung auch den Umgang mit nichtchristlichen Religionen im Blick hat. Es ist positiv zu werten, daß dem Judentum ein eigener Abschnitt gewidmet ist. Dadurch wird die tiefe Verbindung des christlichen Glaubens zum Judentum bewußt gemacht (vgl. III./10). In einer älteren Textversion wurde im Vergleich dazu das Judentum in einem Atemzug mit anderen Religionsgemeinschaften behandelt, was wohl zu Recht mehrfach Kritik hervorgerufen hat.
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Erst nach der Behandlung der Gemeinschaft mit dem Judentum kommen andere Religionsgemeinschaften zur Sprache (Islam, östliche Religionen, neue religiöse Gemeinschaften). Ausdrücklich wird gesagt, daß sich die Kirchen verpflichten, die Religions- und Gewissensfreiheit von Menschen und Gemeinschaften anzuerkennen und dafür einzutreten, "dass sie individuell und gemeinschaftlich, privat und öffentlich ihre Religion oder Weltanschauung im Rahmen des geltenden Rechts praktizieren dürfen" (III./12). Sie verpflichten sich, für das Gespräch mit allen Menschen guten Willens offen zu sein, gemeinsame Anliegen mit ihnen zu verfolgen und ihnen den christlichen Glauben zu bezeugen (vgl. ebd.). Deutlich wird aber auch, daß dem Dialog Grenzen gesetzt sind, daß es Gemeinschaften gibt, vor denen gewarnt werden muß.
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Die Charta Oecumenica ist eine Weltneuheit. Noch nie zuvor hat es einen Text gegeben, wo sich so viele verschiedene christliche Kirchen zu einer gemeinsamen Selbstverpflichtung durchgerungen haben. Es mag zwar stimmen, daß es keine offizielle Appellationsinstanz gibt, die die Einhaltung der Selbstverpflichtungen überprüft. Dennoch handelt es sich um Leitlinien, auf die sich die Kirchen verpflichtet haben. Und dies hat moralischen Charakter. Es bleibt nur zu hoffen, daß es sich bei dieser Erklärung nicht um ein Papier handelt, das in der Schublade verschwindet, sondern breite Beachtung und vor allem Umsetzung erfährt. Arbeitshilfen dafür gibt es. Es sei hier z.B. auf die Arbeitshilfe der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland e. V. hingewiesen, die den Wortlaut der "Charta Oecumenica" enthält und wertvolle Tipps für die konkrete Umsetzung der Charta in einer Pfarrgemeinde, in einem ökumenischen Gottesdienst, usw. gibt (zu beziehen: Ökumenische Centrale, Ludolfusstraße 2-4, D-60487 Frankfurt a. Main).
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Zur Charta Oecumenica im Internet
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Inhaltsangabe:
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In der 'Charta Oecumenica' entwickeln verschiedene christliche Kirchen in ökumenischer Verantwortung Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa. Am 22. April 2001 ist sie vom Metropoliten Jéremié, dem Präsidenten der Konferenz Europäischer Kirchen, und Kardinal Miloslav Vlk, dem Präsidenten des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen, unterzeichnet worden. Die Kirchen sind sich darin ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe bewußt. Sie verpflichten sich in der Charta zu einem gemeinsamen Eintreten für zentrale christliche Werte. Der Charta kommt zwar kein lehramtlich-dogmatischer oder kirchengesetzlicher Charakter zu, besitzt aber einen hohen moralischen Stellenwert. Die Selbstverpflichtungsformulierungen zeugen davon.
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Anmerkungen:
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1. Nähere Information im Internet unter: <http://www.cec-kek.org/Deutsch/>.
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2. Ebd.
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3. Der ÖRK am Scheideweg. Zentralausschuß billigt Abschlußbericht zur orthodoxen Mitarbeit im ÖRK. In: MD 4-5/2002, 61f.
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4. Ebd. 62.
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