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Das Geheimnis der Hingabe: Im Himmel und auch auf Erden
(Predigt zum Sonntag der Heiligsten Dreifaltigkeit (Patrozinium), gehalten in der Jesuitenkirche am 12. Juni 2022)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-06-17

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Nein! Wissen tun wir es nicht. Ob Gott wirklich so ist, wie uns das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit nahelegt. Ein Geheimnis, das wir letztendlich auch nicht ganz verstehen werden. Und doch glauben wir es! Und warum? „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen“, hieß es in der heutigen Lesung (Röm 5,5) Und: „Gott ist die Liebe“. Nur: auch diese wichtigste Sache des zwischenmenschlichen Lebens können wir nicht verstehen. Jene Liebe, die ganz und gar selbstlos bleibt. Gewaltige Nachteile in Kauf nimmt, unter Umständen gar den Tod, bloß damit der andere Mensch leben kann, oder aber ein Stück der Fülle des Lebens genießen kann. Liebe Schwestern und Brüder, Wie soll man denn am Fest der heiligsten Dreifaltigkeit predigen? Ich möchte mich bei dieser Patroziniumspredigt an das Geheimnis des Festes mit dem Hinweis auf zwei Lebensgeschichten herantasten. Die Eselsbrücke dabei, zumindest auf den ersten Blick? Beide sind heuer mit runden Zahlen verbunden; der Zufall kann ja hin und wieder etwas Erhellendes haben.

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Erste Geschichte: Als junges Mädchen wurde sie von einem verheirateten Mann geschwängert.  Musste dann einen anderen Mann heiraten, bloß um dem Kind einen Vater zu schenken. Und auch der Schande im Dorf zu entgehen. Als Folge davon musste sie dann tagtäglich einen Alkoholiker ertragen, Schläge einstecken und sich Misshandlungen gefallen lassen. Jahrzehntelang! Kein Wunder, dass sie depressiv wurde und sich schlussendlich auch das Leben nahm. In der harten Realität des Krieges und der Nachkriegszeit lebend, kannte diese Frau nur Eines: Entsagung und Opfer. So hat sie – und nicht nur sie – die Liebe verstanden. Man fragte sie nie danach, ob sie glücklich ist. Und auch sie hat darüber niemals nachgedacht. Vielmehr ging sie im rituellen Geschehen auf: dem Ritus, dem das Leben des Dorfes unterworfen war. Die Passionsandachten, der schmerzhafte Rosenkranz und der Blick auf die schmerzhafte Mutter Gottes, jene Frau, die ihren Sohn auf ihrem Schoß hält und den Beterinnen und Betern zu sagen scheint: „Ihr alle, die ihr des Weges zieht, schaut doch und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz, den man mir angetan“ (Klgl 1,12): all das schenkte doch Trost in diesem trostlosen Leben. Dem Leben, das von ihrem Sohn einmal als „Wunschloses Unglück“ qualifiziert wurde. Knapp ein Jahr nach dem Selbstmord seiner Mutter veröffentlicht Peter Handke genau vor 50 Jahren seine erschütternde Erzählung: „Wunschloses Unglück“. Das Urteil des Sohnes ist hart und ambivalent zugleich: es erschüttert, es animiert zur Wut und vielleicht auch zur Empathie. Zur Empathie mit jener Frau, in deren Herzen scheinbar kaum die Liebe Gottes ausgegossen wurde. Bloß die Opferung für ihre Familie, eine Haltung, die ihr – gemäß dem Urteil des Sohnes – den Inbegriff des Unglücks bescherte.

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„Wirklich ist, was an einem geschieht“, sagte mal ein kluger Kopf. „Soll so etwas, muss denn so etwas ‚wirklich‘ sein? Wirklich in meinem Leben?“, schrie entsetzt die 68-er Generation, zu der auch ich mich zähle. Wir gingen auf die geistigen Barrikaden. Um einem ähnlichen Geschick zu entgehen, warfen wir – die Töchter und die Söhne solch wunschlos unglücklicher Mütter – jene Opfermentalität über Bord, eine Opfermentalität, die unserer Meinung nach dem Lebensglück im Wege stand. Weil dieser Generation aber die Hingabe, die Hingabe und Liebe, mit solchen destruktiven Opfern identisch zu sein schien, wurde auch die Hingabe nach und nach nicht nur aus unseren Gesprächen verband. Das Thema der Hingabe und die Einübung der Haltungen der Hingabe wurden aus den meisten pädagogischen Programmen verbannt, Programmen, die nun – mit bestem Wissen und Gewissen – bloß die Selbstverwirklichung der Kinder und Jugendlichen förderten und weiterhin fördern: Koste es, was es wolle! „Hingabe“ – damit auch die Liebe – schien ja diese erwünschte und ersehnte Selbstverwirklichung zu verhindern.

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Keine Frage – liebe Schwestern und Brüder: dieser Kulturumbruch der 68-er steigerte unser aller Lebensqualität enorm. Nur das Unglück ist nicht verschwunden. An die Stelle des wunschlosen Unglücks traten lediglich die Steigerung der Wünsche und der Ansprüche und die emsige Bemühung, sich all die Wünsche auch zu erfüllen. Doch das in der Geschichte der Menschheit beispiellose Wachstum von Wirtschaft, Technik und Warenverkehr steigerte eine Zivilisation, die von uns allen enorme Opfern fordert. Und dies nicht nur aufgrund des Krieges. Wer hätte das damals gedacht? Wer hätte es damals gedacht, dass das Leben einen enormen Preis kostet? Und dieser wird entweder freiwillig gezahlt, oder er wird mit Gewalt genommen. Wer hätte das gedacht?

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Einer tat es sicher. Der Ausnahmekünstler, der vor 90 Jahren geboren wurde: Der sowjetische Filmregisseur Andrej Tarkowskij. Sein Schaffen war durch ein „Glaubensbekenntnis“ geradezu strukturiert: „dort, wo die Bereitschaft zum Opfer fehlt, verliert das Menschsein an Sinn, dort geht die Geistigkeit an die Erfüllung bloß materieller Wünsche verloren.“ Doch – fragte er immer wieder – was heißt schon Opfer? Muss Opfer die Gestalt des „Wunschlosen Unglücks“ haben und Zerstörung, gar Selbstzerstörung bedeuten?

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Das Monumentalwerk von Andrej Tarkowskij: „Andrej Rubljow“, ein Film, der lange Zeit in seiner Heimat nicht gezeigt werden dürfte, bündelt all diese Fragen und stellt sie auch überraschend in das Geheimnis des heutigen Festes. „Andrej Rubljow“ zeigt – und das ist nun die zweite Geschichte – der Film zeigt das dramatische Leben des berühmten Mönchs und Ikonenschreibers. Krieg und das damit Hand in Hand gehendes Elend und Zerstörung, Rivalitätskämpfe unter den Mönchen im Kloster, allgegenwärtige Niedertracht strukturieren den Alltag in dem es dem Mönch Andrej zu leben gegeben worden ist. „Wirklich ist, was an einem geschieht!“, sagte ein kluger Kopf. Was geschah denn an der Existenz des Mönchs und Ikonenschreibers? All das, was auch an der Existenz seiner Zeitgenossen geschah. All das täglich erduldete Böse. Das Böse, an dem er selber auch seinen Anteil hatte. Doch war sein Leben – so karg und voll von Entbehrung, Zerstörung, gar Selbstzerstörung es gewesen sein mag – nicht der Inbegriff des „wunschlosen Unglücks“. Denn: Nicht nur die destruktiven Opferzusammenhänge, all das, was die Theologie erbsündhaftig bedingte Schädigung unseres Lebens nennt, prägten seinen Alltag. Nicht nur die entsetzliche Gewalt des Krieges, eines Krieges, der in seiner Brutalität durchaus dem heutigen Krieg in der Ukraine glich. Und auch nicht nur die alltägliche Niedertracht. Der mit der Opferfrage ringende geniale Regisseur des Films stellte in seinem Monumentalfilm die entscheidende Frage – eine Frage, die nicht nur den damaligen sowjetischen Apparatschiks, sondern all den Selbstverwirklichungsmonstern ein Dorn im Auge ist –: Welche Kraft vermochte diesen Mönch, dem es mitten in der irdischen Höllen  zu  Leben gegeben war – , welche Kraft vermochte ihn zu – seiner wohl berühmtesten – Ikone der „Philoxenia/Gastfreundschaft“ zu inspirieren? Was geschah also an ihm, dass durch seine Hand diese Ikone wirklich wurde?

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Liebe Schwestern und Brüder, der Regisseur deutet es an, so glaube ich zumindest, dass die Liebe Gottes im Herzen dieses begnadeten Mönchs ausgegossen wurde. Und er sich dessen bewusst war! So schrieb er eine Ikone (denn: Ikonen werden geschrieben), die den heute gefeierten Dreifaltigkeitssonntag und damit auch das Geheimnis der Trinität geradezu genial verdichtet. Eine Ikone, die in den nachfolgenden Jahrhunderten Millionen von Menschen ihren Glauben erschloss, ihre Hoffnung stärkte und sie zur alltäglichen Liebe motivierte. Drei göttliche Personen, dargestellt in der Haltung der vollkommenen Hingabe aneinander, einer Hingabe: die allein den Inbegriff dessen darstellt, was ein wahres Opfer ist. Denn: das Opfer wird auf dem Bild durch den Kelch auf dem Tisch angedeutet – dem Tisch, der einem Altar gleicht. Er verdichtet das gelebte Opfer der Hingabe, ein Opfer, das nicht bloß Zerstörung bedeutet!  Das Sacrificium: die vollkomme Hingabe als das Geheimnis des geglückten Lebens – hier auf dem Bild: das Geheimnis des Himmels!

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Ist so etwas in dieser Welt denkbar? Wir – die Christen glauben es! Ich möchte diesen Glauben heute mit den Worten der Dichterin Christine Lavant artikulieren. Sie hat gefragt: „Kniet sich der Himmel niederkniet, wenn wir zu schwach sind, um hinaufzukommen?“ Ja, der Himmel hat sich niedergekniet vor der „wunschlos unglücklichen Mutter“. Und warum? Weil der dreifaltige Gott eine Gemeinschaft ist, kommt er in seinem Sohn in die Welt, um diese Hingabe Gegenwart werden zu lassen, um Menschen zu retten, gar durch die Katastrophe hindurch, durch den Tod hindurch, zu retten. Und um uns alle in dieser göttlichen Liebe zu integrieren. Alle: auch all jene Frauen und Männer, deren Leben in der Logik des „wunschlosen Unglücks“ beendet wurde. Das ist auch der Grund, warum auf dem Bild der Heiligsten Dreifaltigkeit in unserem Hauptaltar der göttliche Sohn mit dem Kreuz dargestellt wird. Es deutet die Verwandlung an, die durch die Radikalität der Liebe des Dreifaltigen Gottes sich immer wieder in dieser sündhaften Welt ereignet. Gott ist die Liebe, eine Gemeinschaft von Personen, die in Hingabe aneinander das Leben ermöglichen, erhalten und heilen, damit auch Opfer und Tod verwandeln. Weil sie sich an uns hingeben, die wir zu schwach sind, um selber in den Himmel zu kommen. So etwas kann man letztendlich nicht verstehen. Aber glauben! Glauben, dass die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen wurde. Und was sagte mal ein kluger Kopf? Wirklich ist, was an einem geschieht. Lass uns also das Geheimnis anbeten. Denn: Anbetung und Lob – das ist der Inbegriff der gläubigen Haltung der göttlichen Dreifaltigkeit gegenüber.

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