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Gedanken zum sechzigsten Jahrestag des Beginns des Zweiten Vatikanischen Konzils

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-10-10

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Gaudet mater Ecclesia“: Es freut sich die Mutter Kirche! Mit diesen Worten eröffnete der schon schwer kranke Papst Johannes XXIII. am 11. Oktober 1962 das Zweite Vatikanische Konzil. Die Welt hielt den Atem an, schließlich war sie Zeugin eines großartigen Events. Schon die Prozession der Konzilsväter über den Petersplatz übertraf all das, was man dort bisher gesehen hat: Ein unübersehbares Meer von Mitren und sonstiger – exotisch anmutenden – feierlichen Kopfbedeckungen von 2498 Konzilsvätern dominierte das Bild. Fast eineinhalb Stunden dauerte der Einzug in den Petersdom, an dessen Schwelle der Papst von seiner „sedia gestatoria“ hinunterstieg und als Zeichen der Demut zu Fuß – wie alle übrigen Konzilsväter – zum Altar schritt. Vor mehr als zwei Jahren, am 25. Januar 1959, hat er mit der Ankündigung eines neuen Konzils die Welt, die Kirche, vor allem aber die vatikanische Kurie überrascht, um nicht zu sagen überrumpelt. Es war nämlich seine fast spontane Idee.

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Doch was sollte das werden: ein Konzil? Das letzte wurde 1870 abgebrochen – präzise gesagt: auf unbestimmte Zeit vertagt –, nachdem das Königreich Italien den Vatikan besetzt hatte. Kein Mensch konnte also als Experte aus Erfahrung hier Hilfe leisten. Und das Kirchenrecht? Der 1917 promulgierte Kodex des kanonischen Rechts definierte die Sache minutiös. Er hielt fest, dass das Konzil zusammen mit dem Papst die höchste Vollmacht in der Kirche hat; er sei also so etwas wie ein „kollektiver Amtsträger“ (ein „Stachel im Fleisch“ für all jene, die bloß die „monarchische Struktur“ der Kirche sehen wollen). Alle höchsten „Jurisdiktionsträger“ (Patriarchen, Metropoliten, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, die Mönchskongregationen und die Generaloberen der unmittelbar Rom – und nicht den Diözesanbischöfen – unterstellten Orden) sind dabei stimmberechtigt. Theologen und sonstige Experten haben eine beratende Stimme, sie sind es aber, die an den Textentwürfen mitarbeiten und so die harte Knochenarbeit leisten. Nur zusammen mit dem Papst hat das Konzil seine Vollmacht, es steht also auch unter dem Papst. Es kann also keinen Beschluss gegen den Papst geben, damit auch den Papst nicht absetzen, wie dies noch beim Konzil von Konstanz [1414–1418] der Fall war, als in der radikalen Krise der Kirche drei Päpste agierten und das Konzil den legitimen Papst bestätigte, indem es einen „vierten“ wähle und die anderen drei absetzte. Paradoxerweise wurde dieses Konzil von Johannes XXIII., einem der Gegenpäpste einberufen, der aber durch dieses Konzil abgesetzt wurde. Aus diesem Grund war auch der Name Johannes als Papstname jahrhundertelang tabu, bis Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli 1958 sich diesen Namen – samt der Zählung XXIII. – wählte und schon damit einigen Kardinälen für kurze Zeit Atemnot bescherte. Berühmt wurde der Spruch des Erzbischofs von Genua, Kardinal Giuseppe Siri: „Die Kirche wird 50 Jahre brauchen, um sich von den Irrwegen Johannes XXIII.’ zu erholen“. Der – durch all das, was mit Johannes XXIII. in die Kirche kam – schockierte Kardinal hoffte umsonst bei den Konklaven des Jahres 1978, dass er zum Papst gewählt und so das Rad der Geschichte zurückdrehen werde (sowohl beim Konklave, aus dem Johannes Paul I., als auch bei jenem, aus dem Johannes Paul II. hervorgegangen sind, hatte es eine starke Gruppe der Kardinäle gegeben, die ihn gerne an die Spitze der Kirche gestellt hätten. Doch gehen wir zurück zu den Monaten vor dem Konzil. Den durch die Kurie während der Vorbereitungsjahre konzipierten Entwürfen für etwaige Beschlüsse merkt man die Atemnot deutlich, sind sie doch bloß der Mentalität des Stillstands verpflichtet. Um das kaum brennende Feuer zu entfachen, setzt Johannes auf neue Institutionen und neue Menschen. Schon vor der Ankündigung des Konzils, knapp zwei Monate nach der Papstwahl ernennt er den späteren Papst Paul VI., den Erzbischof von Mailand Giovanni Battista Montini zum Kardinal, genauso wie den Erzbischof von Wien Franz König und den damals erst 45-jährigen Erzbischof von Berlin Julius Döpfner. Alle drei sind zu prägenden Gestalten des späteren Konzils geworden. 1960 ruft der Papst neue Kurialbehörde ins Leben: „Sekretariat für die Förderung der Einheit der Christen“, an dessen Spitze er den brillanten jesuitischen Theologen Augustin Bea stellte, den er ein Jahr vorher zum Kardinal ernannte. Zusätzlich zu dem innovativen Amt „bestellte“ er bei ihm auch einen Text über das erneuerte Verhältnis der Kirche zum Judentum. Eine kaum zu überschätzender Quelle der Innovation stellten die vom Papst ernannten „Periti“ (vom lateinischen: klug, erfahren) und Konzilstheologen. Der deutsche Sprachraum glänzte dabei mit dem Moraltheologen Bernhard Häring, und den Dogmatikern: Karl Rahner, Michael Schmaus, den beiden „Teenager-Theologen“ Hans Küng (bei der Eröffnung des Konzils 34 Jahre alt) und Joseph Ratzinger (damals 35 Jahre alt), sowie dem späteren Kardinal Alois Grillmeier.

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Nur zwei Tage lang konnte sich „mater Ecclesia“ gemäß dem Wunsch des Papstes offiziell ungetrübt freuen. Am 13 Oktober kam es in der Basilika St. Peter zum ersten Kräftemessen zwischen der Kurie und dem Weltepiskopat. Bei der Besetzung der „Konzilskommissionen“, die für die Systematisierung und Präsentation der Ergebnisse der Diskussionen zuständig sein sollten und bei denen 16 Mitglieder durch die Konzilsväter gewählt und 8 vom Papst ernannt werden sollten, weigerten sich viele Konzilsväter die vorfabrizierten Wahlzettel mit den bisher in den Vorbereitungskommissionen arbeitenden Kandidaten (der Kurie) abzuzeichnen. Die Wahl wurde verschoben; der Papst „billigte das Sich-Einlaufen“ des Konzils, damit auch den kleinen Aufstand der Konzilsväter, die ihrer Rolle gerecht werden, sich also nicht bloß den Entscheidungen der Kurie fügen wollten. Damit kann der 13. Oktober als der Zeitpunkt des eigentlichen „Aufbruchs“ verstanden werden. Denn nach und nach sind all die vorbereiteten Schemata entweder verworfen oder bis zur Unkenntlichkeit überarbeitet worden. Der vom Papst in seiner Eröffnungsansprache gewünschte „Sprung nach vorne“ wurde damit zur Wirklichkeit. Der inzwischen heiliggesprochene Johannes XXIII. hat diesen Sprung nicht mehr erlebt – wohl aber aus der Ewigkeit wahrgenommen. Am Pfingstmontag, dem 3. Juni 1963, starb er. Gemäß dem Kirchrecht wäre damit das Konzil beendet, außer der neue Papst würde es wieder ins Leben rufen. Nun gerieten die Befürworter der Erneuerung der Kirche in Atemnot. Auch den Kardinälen ist die Tragweite ihrer Entscheidung beim Konklave mehr als deutlich gewesen. Im fünften Wahlgang wurde am 21. Juni 1963 der „Nachfolge-Wunschkandidat“ von Johannes XXIII., der Erzbischof von Mailand Kardinal, Giovanni Battista Montini (mit 65 von 80 Stimmen) gewählt. Als Paul VI. sorgte er für die Fortführung des Konzils. In der nun folgenden zweiten, dritten und vierten Sitzungsperiode wurde das kirchliche Leben in der vollen Breite einer grundlegenden theologischen Reflexion und Reform unterzogen. Von der Veränderung der Einstellung der Kirche zur modernen Welt bis zu einer neuen, ökumenisch gestimmten Vision der Kirche selber reicht die Palette der Erneuerung. Nicht zur ungeteilten Freude aller Gläubigen. Das programmatische „Gaudet mater Ecclesia“ wurde mit der Zeit deutlich getrübt.

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„Lasst die in Rom beschließen, was sie wollen, ich bleibe katholisch!“, sollte ein norddeutscher Bauer gesagt haben als Reaktion auf die umfassenden Veränderungen in der Kirche. Konservativ aus knochentiefer Überzeugung sollte man auch ohne und gegen Rom „katholisch“ bleiben. Was dem Bauer recht war, sollte dem 1991 verstorbenen Erzbischof Marcel Lefebvre billig sein. Als Haupt der Traditionalisten ist er zur Symbolfigur der Ablehnung des Konzils geworden. Zwar hat er noch die Konstitution zur Liturgiereform „Sacrosanctum concilium“ unterschrieben (Verabschiedung des Schemas am 22. November; feierliche Promulgation am 4. Dezember 1963). Verweigert hat er seine Unterschrift erst bei den Dokumenten über das Verhältnis der Kirche zur modernen Welt, zu anderen Religionen und zur Frage der Religionsfreiheit, die bei der letzten Sitzungsperiode am 7. Dezember 1965 verabschiedet wurden. Rückblickend auf all die Jahre konnte er dann doch nichts Gutes am Konzil finden und stilisierte die Liturgiereform zum Grundübel des konziliaren Geistes.

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Johannes XXIII. hat das Konzil einberufen. Der inzwischen auch heiliggesprochene Paul VI. hat den Großteil der Arbeit geleistet. Nicht nur, dass er die Beschlüsse in Kraft setzte und damit auch dem Konzil die kanonische Gültigkeit verlieh. Er führte auch zahlreiche institutionelle Reformen durch, die das Gesicht der Kirche nicht nur oberflächlich verändert haben. Es ist nicht nur die Liturgiereform, die hier zu erwähnen wäre, sondern auch die Umgestaltung des Heiligen Offiziums zur Kongregation für die Glaubenslehre. Ein deutliches Zeichen für die Veränderung des Klimas war die Abschaffung des Index der verbotenen Bücher und die Gründung des Presseamtes. Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ und der „Codex iuris canonici“, die aus der Theologie des Konzils hervorgingen, wurde erst vom heiligen Johannes Paul II. promulgiert.

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Am 11. Oktober war die Welt nicht nur Zeuge eines großartigen Events. Was an diesem Tag begann, ist zu der größten und beispiellosen Reform einer weltweiten Institution geworden. Schon deswegen dürfen wir Katholiken stolz sein und zum Jubiläum ein Dankgebet, ein Te Deum, anstimmen. Aber auch ein Gläschen auf die vielen Konzilsväter trinken. Sie mögen vom Himmel aus für die Kirche unserer Gegenwart den Segen erbitten.

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