Nun ist dem Konzil ein Befreiungsschlag Extraklasse in Sachen „Bibel und Kirche“ gelungen. Von der ersten bis zur letzten Sitzungsperiode wurde um die „Dogmatische Konstitution über die Offenbarung: Dei verbum (Gottes Wort)“ gerungen. Insgesamt acht Fassungen gab es, sowohl Papst Johannes XXIII. als auch Paul VI. intervenierten, damit die Sache ordentlich vorwärtskommt und die sehr große Schar der Gegner schrumpft. Dass am Schluss bei der Abstimmung nur noch acht Stimmen dagegen waren, darf man ruhig als ein Wunder betrachten. Denn: herausgekommen ist ein dogmatisches Dokument, das neue Wege der Auslegung einer heiligen Schrift für die Zukunft beispielhaft anzeigt. Lebten ganze Generationen von Gläubigen mit der Vorstellung, dass Gott dem Autor der biblischen Schrift die einzelnen Worte diktiert, diese deshalb unfehlbar sind, so ging das Konzil mutig auch über die schon abgeschwächte Vorstellung hinaus, dass die biblischen Autoren so etwas wie redigierende Sekretäre sind. Der wahrhaft revolutionäre Text lautet: „Zur Abfassung der Heiligen Bücher hat Gott Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten, all das und nur das, was er – in ihnen und durch sie wirksam – geschrieben haben wollte, als echte Verfasser schriftlich zu überliefern.“ (DV 11). Denn: Gott spricht „in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart“ (DV 12); die Menschen sind deshalb nicht bloß Werkzeuge und Sekretäre, sondern auch „echte Verfasser“ der Schriften, deren „Urheber“ Gott allein ist. Damit besteht die Offenbarung nicht in der Mitteilung einzelner Sätze; sie ist identisch mit dem Lebensvollzug eines bestimmten Lebens; jenes Lebens, in dem sich Gott durch Wort und Tat selber mitteilt. Die Theologen fanden dafür eine wunderbare Formel: Offenbarung ist identisch mit der Selbstmitteilung Gottes. Dementsprechend kann der Glaube nicht auf die Annahme bestimmter Sätze und Formeln reduziert werden; es sei eine personale Begegnung mit dem sich offenbarenden Gott. Und die Wahrheit der Bibel? Es ist nicht die „Tatsachenwahrheit“, um die es in der Bibel geht, vielmehr ist es die Wahrheit, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte. Und wie finden die Menschen des 21. Jahrhundert zu dieser Wahrheit? Mit Hilfe der Tradition, die mit der lebendigen Stimme der je gegenwärtigen Kirche gleichgesetzt werden kann. Denn Schrift und Tradition bleiben „eng miteinander verbunden und haben aneinander Anteil“. |