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Letzte Generation? Zum Wahrheitskern der Apokalypse
(Predigt in der Jesuitenkirche am 13. November 2022)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-11-14

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Zutiefst verunsichert! Das waren sie. Tagtäglich erwarteten sie die große Katastrophe, waren felsenfest davon überzeugt, dass sie die letzte Generation sind. Was soll da noch der Allerweltkram und die Alltagsroutine, wenn das Ende buchstäblich schon vor der Tür steht und das Licht ausgeknipst wird? „Aus die Maus. Für alle!“, lautet das Gerücht, das nach dem Muster von „Breaking News“ die Alltagsgespräche in der christlichen Gemeinde von Thessaloniki unterbricht. Da taucht nämlich plötzlich ein Brief auf. Und der Absender? Der Apostel Paulus selbst! Größer und glaubwürdiger kann also die Autorität, die hinter der Nachricht steht, nicht sein. Und der Brief hat es an sich; er setzt die Sensation, die alles umstürzende Botschaft, in die Welt. Kein Wunder, dass sie gleich multipliziert wird. Von Mund zu Mund weitergegeben. Ständig wiederholt, mutiert das Gerücht zur unumstößlichen Wahrheit. Die Logik der modernen Nachrichtenagenturen lässt grüßen. Und der Inhalt? „Der Tag des Herrn ist gekommen!“ Die Wiederkunft Christi sei eine Angelegenheit, wenn schon nicht der Stunden, so zumindest der Tage. Außerdem hat man ihn schon dort und da gesehen. Ganze Gruppen geraten ins Schwärmertum, suhlen sich im Geist des Quietismus, warten und warten, möchten am Liebsten Nichtstun, wohl aber versorgt werden, wenn der Magen knurrt. Die Kehrseite des Schwärmertums lässt auch nicht lange auf sich warten: der aggressionsschwangere Aktionismus der letzten Generation.

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„Fake News! Fake News!“, schreibt aufgebracht der echte Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Thessaloniki. Beruhigt euch! Schenkt dem Gerücht, schenkt der Sensationsmeldung und der Panikmache keinen Glauben. Macht die Lüge nicht zur Wahrheit. Vor allem aber: Kehrt auf den Boden der Realität zurück, bemüht euch um den täglichen Lebensunterhalt, geht eurer Arbeit nach, damit ihr das sprichwörtliche tägliche Brot essen könnt.

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Liebe Schwestern und Brüder. Vermutlich haben sich viele von ihnen beim Zuhören der heutigen Lesungen, durch die uns das Wort Gottes verkündet wird, gedacht: Das passt doch zueinander wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Die Endzeitstimmung im Evangelium (Lk 21,5-19): die Rede von Seuchen und Kriegen, von Erdbeben und Verfolgung, und dann…, dann der banale Alltagskram in der Lesung (2 Thess 3,7-12) mit der Ermahnung, der täglichen Arbeit nachzugehen. Doch! Die beiden Texte sind miteinander verwoben. Denn der zweite Brief an die Gemeinde in Thessaloniki, dem die Lesung entnommen ist, reagiert schon auf die Situation, die in den apokalyptischen Reden Jesu in den Evangelien beschrieben wird. Den Sinn solcher Reden verstanden und ihn auch missverstanden zugleich gerät die Gemeinde außer Rand und Band und leidet am apokalyptischen Fieber. Und Paulus holt sie auf den Boden der Realität zurück.

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Nun liest die Kirche am Ende des Kirchenjahres in ihrer Liturgie Jahr für Jahr jene Textfragmente aus den Evangelien, in denen das apokalyptische Klima vorherrschend ist. Was bezweckt sie damit? Will sie Ängste erzeugen, wie dies die Kirchenkritiker immer und immer wieder sagen? Will sie damit den strafenden Gott mit seiner Drohbotschaft, er werde bald die Welt und das Universum zerstören, in Erinnerung rufen? Spätestens seit dem Abwurf der Atombombe müsste die Welt begriffen haben, dass man für die Entfesselung des apokalyptischen Szenarios keinen Gott braucht. Der Mensch selber genügt. Doch: ist damit schon alles über Gott gesagt? Die Wahrnehmung des Klimawandels heute, das mediale Bombardement mit den wissenschaftlich abgestützten Prognosen über den Weltuntergang versetzen viele Menschen in Panik. Weil sie das Ende vor der Tür sehen. Für die an der biblischen Tradition geschulte Glaubensmentalität ist die Botschaft vom Weltende bei Gott keine Offenbarung. Denn: die Welt ist endlich und die Geschichte wird einmal ein Ende haben. Die Erkenntnis der Endlichkeit schenkt beides: die Gelassenheit und den Willen zum Engagement. Solch ein berühmtes Dictum wird beispielsweise Martin Luther zugeschrieben: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“ Die Welt in Gottes Händen wissend und sich für das Beste einsetzend, das macht die Eigenart der christlichen Existenz in dieser endlichen Welt aus.

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Nun hat sich aber unsere Welt aus den „bergenden Händen Gottes“ befreit, sie hat das Vertrauen und die Hoffnung, die ihren Namen auch verdienen würden, weitgehend verloren und verfehlt nach und nach der Mentalität der „letzten Generation“. Diese kann zum Quietismus und Resignation führen, ganz nach dem Motto: „Lass uns essen und trinken, den morgen sind wir tot.“ (vgl. Jes 22,13). Oder aber zu Allmachtsphantasien! Einer der führenden Politiker dieses Landes sagte mal vollmündig: „Wir werden die Welt retten!“ Nehmen wir uns da nicht zu viel vor? Allmachtsphantasien enden meistens in Gewalt!

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Welchen Sinn hat aber – liebe Schwestern und Brüder – die biblisch ausgerichtete apokalyptische Predigt, wie etwa jene aus dem heutigen Evangelium? Zwei Punkte sind es, die von Bedeutung sind. Sie will zuerst die Augen öffnen auf die real existierende Gefahr. Alle echten Propheten und auch Jesus selber sensibilisieren uns – in der zeitbedingten Sprache freilich – auf die Konsequenzen unseres eigenen Lebens und Handelns. Sie treffen sich darin mit den modernen Diagnostikern, Wissenschaftlern und ethisch denkenden Politikern. Diese aber – wenn sie ehrlich wären – müssten mit einem Zusatz fertig werden: Ein Mensch, der sich von Gott verabschiedet hat, hat sich keineswegs aus seinen Ängsten befreit. Davon kann ja unsere säkularisierte Gegenwart inzwischen nicht nur ein Lied, sondern gleich eine Kantate singen. Und der zweite Punkt? Gott ist zwar nicht der Urheber und Autor der möglichen Katastrophe, aber er steht auch nicht ganz abseits von ihr. Er begleitet uns, auch oder gerade in der Katastrophe. Er rettet nämlich, rettet gar durch den Tod hindurch, befreit uns durch seine Gegenwart von der Ideologie der „letzten Generation“, von Allmachtsphantasien und von Quietismus. Die kirchliche Verkündigung der apokalyptischen Texte will uns dorthin bringen, wohin der Apostel Paulus die verunsicherte Gemeinde in Thessaloniki brachte: Bleibt auf dem Boden der Realität! Bemüht euch um einen Lebenswandel, der der Christen würdig ist – und das kann heute, in der Zeit der Ängste, die durch den Klimawandel provoziert werden, heißen –, setzt euch für eine verantwortbare Umweltpolitik ein. Hütet euch aber vor der Verführung der Ideologie der letzten Generation. Denn: auch wenn diese Welt endlich ist und auch ein Ende haben wird, so kennt doch den Tag und die Stunde niemand, außer dem lieben Herrgott. Was bleibt also aus dieser Predigt unter dem Strich? Gelassenheit. Gläubige Gelassenheit, die Hoffnung ausstrahlt und so dem alltagsrelevanten Engagement auf die Beine verhilft. Denn: wie sagten es unsere Großmütter: Wir können nicht tiefer fallen, als in die Hand Gottes. Diese Lebensweisheit schenkte ihnen größere Lebensqualität als die Mentalität der „letzten Generation“. 

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