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Mehr Synodalität wagen? Kirchenreform als pastorale Selbstevangelisierung
(Impulsreferat vom Dies facultatis am 26. April 2022)

Autor:Bauer Christian
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-03-14

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Er hat gesagt, dass ich von Gott verflucht bin und dass Gott mich hasst. Er hat mich vor dem Allerheiligsten missbraucht, geschändet und gesagt, dass Gott das will […]. Was ich mit dir mache, macht Gott mit dir.“[1] – ein schockierender Originalton aus dem Bericht der Klasnic-Kommission zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Vollends beschämend wird es, wenn man diese diabolische Aussage eines Priesters mit Aussagen des Pfarrers von Ars zusammenliest, den Papst Benedikt XVI. ausgerechnet im ‚Missbrauchsjahr’ 2010 zum Patron aller Priester erheben wollte: „Der Priester ist ein Mensch, der den Platz Gottes einnimmt […]. [Die Weihe erhebt ihn] […] hinauf zu Gott. […] Nach Gott ist der Priester alles.“[2] 

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Dieser  verstörende Problemzusammenhang markiert den Anfang eines synodalen Umkehrweges, den unsere Kirche mit dem Pontifikat von Papst Franziskus eingeschlagen hat – und dessen Beginn im Selbsterschrecken der Kirche über ihre eigenen Abgründe wir auch im Zusammenhang mit dem synodalen Weg hier in Innsbruck nicht aus dem Blick verlieren dürfen. In dem von Papst Franziskus initiierten synodalen Weltprozess hängen fünf Begriffe eng zusammen, denen ich mit Ihnen und Euch im Folgenden entlanggehen möchte. An fünf Finger lässt sich abzählen, worum es dem Papst dabei geht: Missbrauch, Klerikalismus, Synodalität, Evangelisierung und Mission.

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Zunächst zum ersten Begriff: dem MISSBRAUCH. Er legt die systemischen Ursachen der gegenwärtigen Kirchenkrise schonunglos offen. Die Aufarbeitung von sexuellem und spirituellem Missbrauch darf sich nicht in einer (sicherlich notwendigen) Etablierung von Präventionskonzepten und Mitarbeiter:innenschulungen erschöpfen. Sie muss vielmehr auch die systemischen Probleme unserer Kirche anpacken – insbesondere die Gefahren eines sakralisierend überhöhten Priesterbildes.

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Das ist daher auch der zweite Begriff, um den es Papst Franziskus geht: den habitualisierten KLERIKALISMUS vieler Priester und Laien im Volk Gottes. Die sogenannte MHG-Studie, die in Deutschland zu dem ambitionierten Reformprojekt Synodaler Weg führte, definiert das zu bearbeitende Grundproblem sehr präzise: „Klerikalismus meint ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen kann, nicht geweihte Personen in Interaktionen zu dominieren, weil er qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position innehat. Sexueller Missbrauch ist ein extremer Auswuchs dieser Dominanz.“[3] Papst Franziskus bringt diesen Zusammenhang zwischen einem toxischen Priesterbild und der Missbrauchskrise in aller Deutlichkeit auf den Punkt: „Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen.“[4]

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Damit sind wir nun auch schon beim dritten Begriff angelangt: der SYNODALITÄT. Für den Papst ist diese ein probates „Gegenmittel“[5] gegen den (auch hier bei uns) äußerst wirkmächtigen Klerikalismus bzw. Co-Klerikalismus im Volk Gottes – denn sie bedeutet, dass in der Kirche „niemand über die anderen „erhöht“ werden kann“[6]. Synodalität erweist sich dabei als weit mehr als ‚nur’ eine Reform von innerkirchlichen Machstrukturen (so nötig diese ist). Sie greift tiefer und reicht weiter. Sie ist im Wortsinn radikal, denn sie geht an die Wurzel der Kirche – das Evangelium. Sie zielt nämlich auf eine Kirche, die sich nicht mehr als eine Societas perfecta begreift, die sich in ihrer vermeintlichen Heiligkeit[7] über die sündige Welt erhebt, sondern als eine Societas Jesu – als eine gleichstufige Weggemeinschaft („syn-odos“) von Christ:innen, die sich als Sociae und Socii Jesu aufmachen, um mit allen Menschen guten Willens einen gemeinsamen Weg zu gehen. Kirche als glaubwürdige Weggemeinschaft der Nachfolge Jesu auf den Straßen der Gegenwart.

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Wir stehen damit vor einem tiefgreifenden und weitreichenden Paradigmenwechsel: Synodalität oder Klerikalismus – das ist hier die Frage. Sie entscheidet über das Sein oder Nichtsein der uns bekannten Form von Kirche. Unterhalb dieses Problemniveaus darf auch der weitere synodale Prozess in unserer Diözese nicht fortgesetzt werden. Denn er ist mit der Meldung der österreichischen Voten nach Rom ja noch längst nicht abgeschlossen. Es braucht vielmehr auch hier einen entschlossenen synodalen Umbau aller unserer kirchlichen Strukturen und Haltungen. Sr. Nathalie Becquart, die Untersekretärin der Bischofsynode, bringt die damit verbundene Chance einer gesamtpastoralen Selbstbekehrung auf den Punkt: „Die Synode kann uns helfen, aus einer klerikalen Kirche eine synodale zu machen.“[8]

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Damit stehen wir vor dem vierten Begriff: der EVANGELISIERUNG. Synodalität zielt auf eine Selbstbefreiung der Kirche aus ihrem machtförmigen Klerikalismus, die eine pastorale Umkehr („conversión pastoral“) der gesamten Kirche ermöglicht. Evangelisierung ist, so Papst Paul VI. in Evangelii nuntiandi, zunächst einmal und vor allem anderen kirchliche Selbstevangelisierung. Die Art und Weise, in der wir Kirche sind, wird heute nämlich gar nicht selten als ein Zeugnis wider das Evangelium wahrgenommen. Eine reformunwillige Kirche ist ein manifestes Evangelisierungshindernis. Oder positiv gewendet: Glaubwürdigkeit entsteht genau dann, wenn Evangelium und Evangelisierende zusammenpassen. Es gibt daher nicht nur keinen Gegensatz zwischen Kirchenreform und Evangelisierung, vielmehr ist eine grundlegende Reform unserer Kirche auch selbst bereits ein glaubwürdiges Zeugnis für das Evangelium. Denn Evangelisierende sind selbst immer zuerst Evangelisierte. Und klerikale Selbstsakralisierung erfordert synodale Selbstevangelisierung.

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Von dorther können dann auch die die vom Papst vorgeschlagenen synodalen Themenkreise der Gemeinschaft („communio“), der Teilhabe („participatio“) und der Sendung („missio“) von den Hotspots innerkirchlicher Konflikte her diskursöffnend angegangen werden: Machtstrukturen, Priesteramt, Geschlechtergerechtigkeit und Sexualmoral. Es geht auch hier um eine jesuanische Praxis, die Menschen im Horizont der anbrechenden Gottes- und nicht Klerikerherrschaft über sich hinauswachsen lässt, sie zu sich und zueinander finden lässt, ihnen aufrechten Gang ermöglicht und ihr Leben zum Guten wendet.

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Erst vor diesem Hintergrund wird aus den drei Arbeitsbegriffen der Weltsynode eine evangeliumsgemäße Gesamtvision mit innerem Zusammenhang: Es geht um eine kirchliche Weggemeinschaft mit Jesus, die ad intra eine echte Teilhabe aller in der Kirche und ad extra eine glaubwürdige Sendung in die Welt ermöglicht. Damit kommt nun auch der letzte unserer fünf Begriffe ins Spiel, dessen Dringlichkeit wir in den multiplen Krisen unserer Zeit (Stichworte: Klimakatastrophe, Coronapandemie, Ukrainekrieg) gerade hautnah spüren: die pastorale MISSION der Kirche in der Welt. Papst Franziskus über diese Welt-Mission: „Unser Blick weitet sich auch auf die ganze Menschheit. Als Kirche, die mit den Menschen ‚gemeinsam vorangeht’ und an den Mühen der Geschichte teilhat, hegen wir den Traum, dass die Wiederentdeckung […] des Dienstcharakters der Autorität auch der Zivilgesellschaft helfen kann, sich in Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit aufzubauen […].“[9]

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Missbrauch, Klerikalismus, Synodalität, Evangelisierung und Mission – diese fünf Begriffe spannen einen weltpastoralen Gesamtzusammenhang auf, in den wir auch die Ergebnisse unseres synodalen Prozesses in Innsbruck stellen müssen. Synodalität ist in diesem Zusammenhang kein verzichtbares Additum zum ‚eigentlichen’ Sein der Kirche, sondern laut Papst Franziskus ihr innerstes Wesen – wenn auch eher in normativem als in deskriptivem Sinn. Der Schritt von der ekklesiologischen Soll-Norm zur beschreibbaren Ist-Erfahrung steht auch hier in Innsbruck erst noch an – auch wir müssen unseren Klerikalismus und Co-Klerikalismus[10] verlernen und, um das geflügelte Wort Willy Brands zu variieren, mehr Synodalität wagen. Das geht im Übrigen auch an die eigene Adresse, denn es gilt auch für mich als Theologieprofessor und für unsere Theologische Fakultät. Denn auch hier gibt es so etwas wie epistemischen Klerikalismus. Und auch wir müssen in Forschung, Lehre, Transfer und Verwaltung mit gutem theologischem Beispiel vorangehen – und mehr Synodalität wagen. In jedem Fall gilt hier wie überall nicht nur die vielzitierte Synodenweisheit ‚Wege entstehen im Gehen’, sondern auch deren Umkehrung, die sich einem glücklichen Versprecher auf der vorletzten Versammlung des Synodalen Weges in Deutschland verdankt: Wege entgehen im Stehen.

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In diesem Sinne: Bon courage!

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Anmerkungen

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[1] Zit. nach Waltraud Klasnic (Hg): Missbrauch und Gewalt. Erschütternde Erfahrungen und notwendige
Konsequenzen, Graz 2013, 46.

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[2] Zit. nach Bernard Nodet: Jean-Marie Vianney. Curé d’Ars. Sa pensée – son coeur, Paris 1958, 99f.

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[4] Schreiben von Papst Franziskus an das Volk Gottes vom 20. August 2018, zu finden unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/letters/2018/documents/papa-francesco_20180820_lettera-popolo-didio.html.

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[6] Papst Franziskus: Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode (17. Oktober 2015), zu finden unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/october/documents/papa-francesco_20151017_50-anniversario-sinodo.html.

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[7] Vgl. Karl Rahner: Sündige Kirche nach den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Ders.: Schriften zur Theologie VI, Einsiedeln 1965, 321-348.

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[9] Papst Franziskus: Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode (s. o.).

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[10] Michael Schüßler: Un/doing Co-Klerikalismus, in: Lebendige Seelsorge 73 (2022), 50-54.

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