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Weihnachten angesichts der Tragödie im Gazastreifen
(Predigt zum Stephanitag, gehalten in der Jesuitenkirche am 26. Dezember 2023)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-12-28

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Der Blick nach Bethlehem erschüttert. Von der Weihnachtstimmung keine Spur. Denken sich all jene, die Weihnachten bloß mit bürgerlicher Idylle und dem rollenden Rubel des Kommerzgeschäftes identifizieren. Die Eskalation der Gewalt, die Tragödie von Millionen von Menschen im Gazastreifen und die Unerbittlichkeit der Kämpfe scheinen den Weihnachtsfrieden zunichte zu machen. Oder aber: sie fordern heraus den tiefsten Sinn dieses christlichen Festes neu zu entdecken. Und warum dies? Die Welt ist machtlos und auch sprachlos geworden wie schon lange nicht angesichts des tiefen Hasses und der Sehnsucht nach Rache. Die Verbitterung über die gemeinsame Geschichte, die im Grunde keine solche war, bemächtigt sich dermaßen der Vorstellungskraft beider Völker: der Palästinenser und Juden, dass nur noch apokalyptisch anmutenden Bilder einer totalen Zerstörung der jeweils anderen Seite die Alltagshoffnungen der Menschen lebendig zu halten scheinen. Noch einmal gefragt: Geht da die christliche Weihnachtsbotschaft, die sich ja an die ganze Welt richtet – also auch an Juden und Muslime – nicht an der Wirklichkeit vorbei? Weil sie bloß eine kitschige und fromme Idylle sei? Nein! Und warum nicht?

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Immer und immer wieder kamen mit in den letzten Tagen als Hilfe zur Beantwortung dieser Frage die Worte aus dem alttestamentlichen Buch der Weisheit in den Sinn. Es sind dies die Worte, die sich jede der Konfliktparteien zu eigen machen kann, ganz gleich ob in frommen oder aufgeklärt-säkularen Gewand. Es sind dies auch die Worte, von denen die Weihnachtslogik inspiriert wurde. Es sind dies aber auch die Worte, die durch das Weihnachtereignis selbst radikal in Frage gestellt wurden. „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab als harter Krieger mitten in das dem Verderben geweihte Land. Es trug das scharfe Schwert deines unerbittlichen Befehls, trat hin und erfüllte alles mit Tod.“ (Weish 18,14–16).

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Liebe Schwestern und Brüder, das allmächtige Wort stieg tatsächlich in der Mitte der Nacht vom Himmel herab. Es nahm aber die Gestalt eines hilflosen Kindes an. Ein Skandal sondergleichen für all diejenigen, die sich bloß den Sieg und die totale Vernichtung der Feinde wünschen. Kein harter Krieger wurde in Bethlehem geboren, weder ein potentieller Terrorist, noch ein den Terror bekämpfender Soldat und schon gar nicht ein scheinbar allmächtiger Herrscher, ein Diktator, der nur eines wirklich gut kann: alles mit Tod zu erfüllen. Das allmächtige Wort, das da in der Mitte der Nacht herabgestiegen ist, stellt deswegen all diese Krieger in Frage und macht mit all den Phantasien vom Endsieg einer Konfliktpartei ein Ende. Die Wahrheit dieses Wortes, das als hilfloses Kind zur Welt kam, zeigt die radikale Alternative an, wie das dem Verderben geweihte Land, das menschliche Gesicht wiederbekommt. „Alles, was ihr dem Geringsten getan habt, dem Kind, dem alten Menschen, dem Kranken, dem Verletzten, dem Freund und dem Feind, das habt ihr mir getan.“ (vgl. Mt 25, 40). So paradox es zuerst klingen scheint, diese Wahrheit und die mit der Wahrheit verbundene Politik stören. Sie stören im Grunde alle Konfliktparteien, all diejenigen die ihre Wahrheit mit Gewalt durchzusetzen suchen, all diejenigen, die deswegen mit Halbwahrheiten, mit Vorurteilen und Zerrbildern arbeiten. Dieser Konflikthaftigkeit wegen endet der irdische Lebensweg des allmächtigen Wortes, der Weg, der in Bethlehem begann, er endet auf dem Hügel von Golgotha.

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Krippe und Kreuz liegen im irdischen Leben des allmächtigen Wortes dicht beieinander, fast genauso wie der Christtag und der Stephanitag. Das christliche Weihnachtsfest verbindet nämlich die beiden Tage zu einer unauflöslichen Einheit. Denn: Stephanus hat die die tiefste Wahrheit des Wortes, das vom Himmel herabgestiegen ist, bestens verstanden. Der gebildete, junge Mann hat sich dessen Lebensprogramm verpflichtet, war sich nicht zu schade, Alltagsdienste zu übernehmen, Menschen zu bedienen und ihnen auch zu dienen. Er ist zum Prototyp des diakonischen Dienstes geworden: säkular ausgedrückt: der humanitären Hilfe. Diesen Befund dürfen wir nicht vergessen, ihn zu einer Selbstverständlichkeit zu banalisieren. Die „humanitäre Hilfe“, die unabhängig von den durch Menschen gerade in Konfliktfällen gebildeten Fronten gewährt wird, hat ihren Ursprung im Ereignis des vom Himmel in der Gestalt eines hilflosen Kindes herabgestiegenen Wortes. In den Spuren Jesu wandelnd wird Stephanus zum Dorn im Auge all jener, die die Allmacht (Gottes) mit Gewalt identifizieren, sich deswegen mit Halbwahrheiten begnügen und dort, wo die Logik der Argumente nicht mehr hält zu Steinen greifen. Und das waren in der Geschichte auch nicht nur Muslime, oder säkular-rational denkenden Menschen, auch Christen sind dieser Logik verfallen. Und auch die Juden sind von der Versuchung nicht gewappnet, wie der Nahostkonflikt es deutlich zeigt. Der Diakon Stephanus, derjenige, der paradigmatisch für die humanitäre Hilfe stehen kann, wird zum Opfer der Gewalt. Doch endet sein Leben nicht bloß beim Geschick des Opfers, eines Opfers des scheinbar unlösbaren Konfliktes. „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an“ (Apg 7,60), waren seine letzten Worte. Es waren dies die Worte der Vergebung, Worte die auf dem Gipfel des diakonischen Dienstes an den Feinden angesiedelt sind. Es sind dies die Worte, die den einzigen – auch logischen – Ausweg aus dem Dilemma Wahrheit und Gewalt darstellen. Eine „Deradikalisierung“ im tödlichen Konflikt der Feinde ist ohne diesen „Dienst“ am Feind nicht möglich. Die tiefste Wahrheit des Weinachtsfestes, die uns in diesem Jahr deutlich aufleuchtet lautet ja: Krippe und Kreuz liegen dicht beeinander. Deswegen ist auch die „Friedensbotschaft von Weihnachten“ gerade angesichts des Konfliktes im Nahen Osten, besonders aber angesichts der Tragödie im Gazastreifen aktueller denn je.

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Liebe Schwestern und Brüder, am Fest des christlichen Protomärtyrers feiert P. Otto Muck SJ seinen 95. Geburtstag. Er stellte sein Leben – so überraschend es zuerst klingen mag – in den „diakonischen Dienst“ der rationalen Durchdringung des von mit heute in Erinnerung gerufenen Dilemmas: des Dilemmas zwischen der menschlichen Vorstellung der Allmacht und Gewalt des Wortes Gottes (ganz gleich ob im frommen, oder säkulären Gewand) und der faktischen Menschwerdung dieses Wortes in Jesus Christus. Der Philosoph ersten Ranges (an unserer Theologischen Fakultät) plagte sich sein akademisches Leben lang mit allen möglichen lebensrelevanten Fragen und Konflikten, wehrte sich gegen den allzu schnellen Ausschluss weltanschaulicher und religiöser Aussagen aus den wissenschaftlichen Diskursen, aber auch der (auch scheinbar rational begründeten) Versuchung zum Missbrauch solcher Aussagen im Dienste partikulärer Interessen. Oder aber im Dienste der Rechtfertigung von Gewalt. Ganze Generationen von Innsbrucker Studierenden haben seine goldene Regel gelernt: Eine Aussage ist erst dann absolut verlässlich, wenn keine – für sie – relevante Frage offen ist. Allen gewaltsamen Versuchen, dies zu kaschieren zum Trotz. Und was hat das mit der Wahrheit des Wortes, das vom Himmel herabgestiegen ist, zu tun? Mit dem christlich verstandenen Weihnachtsfest, bei dem Krippe und Kreuz dicht beieinander liegen? Dieses Fest rückt – angesichts der Tragödie im Nahen Osten – die zwei wirklich zentralen, tiefer als die politischen Strategien ansetzenden Antworten auf die heute so relevant gewordene Frage der Zukunft dieser Region ins Zentrum: es ist dies der diakonische Dienst der humanitären Hilfe und die Notwendigkeit der Vergebung als Chance für die Zukunft.

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Und zum Schluss:  lieber Otto: wir gratulieren Dir zum 95er! Und wir stimmen ein: „Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen…“

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