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Eine ebenbürtige Hilfe zum Menschsein. Gedanken zum 27. Sonntag im Jahreskreis (LJ B)

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-10-11

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Gen 2,18-24; (Hebr 2,9-11); Mk 10,2-16

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Liebe Gläubige,

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was bietet uns da die Kirche für eine Lesung an? Den alten Schinken, dass Gott die Frau aus der Seite des Menschen schafft – wohl gemerkt, aus der Seite des Menschen, so als ob die Frau kein Mensch wäre! Ein Märchen mit fatalen Auswirkungen, so könnte man meinen, aufgrund dessen Frauen seit Jahrtausenden Unrecht getan wird.

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Dass Letzteres der Fall ist, lässt sich nicht bestreiten. Dass aber dieser Text daran schuld sein soll, möchte ich schon bestreiten. Denn indem man diesem Text das unterstellt, tut man auch ihm Unrecht, denn seine Absicht ist gerade das Gegenteil: nämlich zu zeigen, dass Männer und Frauen gleichwertig und aufeinander angewiesen sind, auch wenn er das in der Verkleidung einer recht naiv scheinenden Erzählung tut.

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Da heißt es gleich zu Beginn, dass es nicht gut ist, wenn der Mensch alleine ist. Das ist eine Erkenntnis, die uns alle modernen Wissenschaften vom Menschen bestätigen: Wir sind Gemeinschaftswesen und Einsamkeit kann uns schwer belasten. Daher möchte Gott dem Menschen eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist. Es geht also um Ebenbürtigkeit um Gleichwertigkeit. Gleich am Anfang macht die Bibel das klar. Und doch ist da von einer Hilfe die Rede – das scheint ja irgendwie nicht dazu zu passen. Entweder Hilfskraft oder ebenbürtig, so möchte man sagen. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn dann alle möglichen Tiere dafür in Betracht gezogen werden. Man könnte sich fragen, warum es nicht von vornherein klar ist, dass diese dem Menschen nicht ebenbürtig sind. Aber ist das wirklich so selbstverständlich? Jedenfalls: Die anderen lebenden Geschöpfe dieser Welt beim Namen zu nennen und die ihnen zukommende Würde als Geschöpfe Gottes anzuerkennen, kann nicht falsch sein. Als Hilfen haben Menschen Tiere seit Urzeiten eingesetzt. Nur – daran hält die Bibel fest – ebenbürtig waren ihm diese trotzdem nicht.

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Und weil das so ist, macht Gott in dieser Geschichte aus der Rippe des Menschen eine Frau und nun erkennt der Mensch, dass sie ihm ganz ebenbürtig ist, denn sie ist ja Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. Die naive Geschichte von der Rippe, sagt also letztlich: Mann und Frau sind aus demselben Holz geschnitzt und darum sind sie auch gleichwertig. Die Aussage „Frau soll sie genannt werden; / denn vom Mann ist sie genommen“ macht auf Deutsch natürlich keinen Sinn. Im Hebräischen Original haben wir da aber ein aussagekräftiges Wortspiel vor uns: Mann heißt dort Isch, und Frau heißt Ischa, und wenn man es schreibt, wird dieses a von Ischa nur wie ein verschwindend kleines Häkchen unter das Sch geklebt. Ischa soll sie heißen, denn vom Isch ist sie genommen und der Unterschied ist nur ein kleines Häkchen, ansonsten sind die beiden gleichwertig und ebenbürtig, das ist der Sinn der Aussage.

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Und deshalb verlassen ja beide das Elternhaus und gründen einen neuen Hausstand und im Idealfall eben auch ein neues Elternhaus. Sie gründen eine neue Gemeinschaft, indem sie ein Fleisch werden. Wenn wir das bedenken, kann da das Wort von der Hilfe wirklich meinen: eine Haushaltshilfe oder eine Erziehungshilfe? Ich denke, nicht. Ich denke, es kann sich nur um eine ganz fundamentale Hilfe handeln: um eine Hilfe zum gemeinsamen Menschsein. Wir Menschen sind aufeinander verwiesen und aufeinander angewiesen, um unser Potenzial als menschliche Personen zu vertiefen und zu verwirklichen, und von Eheleuten gilt das auf besondere Weise.

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Auf diesen Urzustand der Schöpfung verweist Jesus zurück, wenn er erklärt, dass eine Ehe etwas ist, das nicht mehr aufgelöst wird. Und gleichzeitig weiß auch Jesus, dass wir uns nicht mehr im Urzustand der Schöpfung befinden, dass sich Menschen, die einander zum wahren Menschsein helfen sollten, manchmal zu den größten Hindernissen zum wahren Menschsein werden können. Und er sagt uns unumwunden zu: das ist, weil ihr so hartherzig seid. Diese harte Ansage müssen wir uns gefallen lassen: Beziehungen zwischen Menschen gehen kaputt, manchmal irreparabel kaputt, weil Menschen hartherzig sind.

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Und doch müssen wir damit umgehen, dass wir nicht mehr im Urzustand der Schöpfung sind, und die Hartherzigkeit auf ein Minimum beschränken. Papst Franziskus hat in seinem Schreiben Amoris laetitia auch in der Kirche den Weg dafür geöffnet, einen differenzierten und konstruktiven Umgang mit gescheiterten Ehen möglich zu machen.[1] Es müssten ihm da allerdings alle Verantwortlichen in der Kirche folgen, damit das auch fruchtbar wird.

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Unser Evangelium endet allerdings mit einer seltsamen Szene: die Jünger wollten die Kinder nicht zu Jesus lassen und er weist sie zurecht und stellt die Kinder als Vorbild hin. Ja, nicht nur als irgendein Vorbild, sondern Jesus macht die Haltung der Kinder geradezu zur Einlassbedingung in das Reich Gottes. Nur, wer dieses Reich annimmt wie ein Kind, kann hineinkommen. Aber, was zeichnet denn Kinder aus?

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Ohne Kinder allzu sehr idealisieren zu wollen, haben sie doch einige Haltungen, die ihnen im Laufe des Erwachsenwerdens abhanden kommen können, und die uns Jesus einlädt, wieder zu erwerben: Kinder sind – noch mehr als Erwachsene – auf andere angewiesen um ihr Potenzial als Menschen zu verwirklichen. Sie brauchen andere, die sie einerseits als gleichwertig anerkennen und doch auf ihre Kindlichkeit Rücksicht nehmen und sich auf sie einlassen. Kleine Kinder sind vertrauensvoll gegen alle, bevor sie Angst bekommen vor Fremden oder dann gar aufgrund schlechter Erfahrungen misstrauisch werden. Wenn wir Gott gegenüber nicht so vertrauend werden wie es kleine Kinder zunächst sind, haben wir es schwer, in sein Reich zu kommen.

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Kinder sind darüber hinaus sehr gut im Annehmen. Es ist für sie selbstverständlich, dass sie etwas bekommen: Zuwendung, Nahrung, Wärme. Natürlich: sie können es sich ja noch nicht „verdienen“. Das Reich Gottes aber, so will Jesus uns deutlich machen, kann sich niemand „verdienen“. Wir dürfen es mit derselben Selbstverständlichkeit von Gott annehmen, wie kleine Kinder die Liebe und Zuwendung der Eltern annehmen. Wir können es nicht verdienen und wir müssen es nicht verdienen. Wenn wir an der irrigen Vorstellung festhalten, das sei anders, dann können wir nicht hineingehen.

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Und schließlich: Kinder sind alles andere als hartherzig, sie können sehr großzügig sein. Wenn sie etwas bekommen haben, dann wollen sie es oft weiterschenken – ganz schlecht für auf Hygiene bedachte Erwachsene, wenn das ein angelutschtes Essen ist, das man nun von dem Kind aufgedrängt bekommt. Aber diese Haltung: Ich habe etwas bekommen ohne es zu verdienen, und gerade darum kann ich etwas davon weiterverschenken, diese Haltung verlieren wir oft im Laufe des Lebens, ja manchmal wird sie uns absichtlich aberzogen. Für das Reich Gottes brauchen wir sie aber. Dieses Reich kann nicht wachsen, wenn wir es festhalten und für uns allein haben wollen, sondern nur dann, wenn wir es großzügig weiterverschenken.

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Und so schließt sich der Kreis: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Allein gibt es kein Paradies und kein Reich Gottes. Dazu müssen wir Gott vertrauen wie kleine Kinder und unsere Mitmenschen – Männer und Frauen – als ebenbürtige Hilfen zum wahren Menschsein verstehen. Dann wird es uns einfach geschenkt.

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Anmerkungen

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[1] Vgl. Papst Franziskus, Amoris Laetitia, v.a. Nr. 305 mit zugehörigen Fußnoten, v.a. Fußnote 351: https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20160319_amoris-laetitia.html

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