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Wider das Minderwertigkeitsgefühl von Christen
(Predigt vom 14. Juli 2024 in der Jesuitenkirche)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-07-21

Inhalt

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Wer sind wir eigentlich? Wir, die Christen im westeuropäischen Raum, wir die Katholiken in Tirol? Wer sind wir? Wir, die regelmäßigen Messbesucher? Wie steht es um unser Selbstbewusstsein? Um das Selbstbewusstsein einer immer mehr an den Rand des gesellschaftspolitischen Lebens gedrängten Gruppe? Der Gruppe jener, die sich noch als „gläubige Christen“ bezeichnen? Und dies in einer Welt, der die Religion als ein Überbleibsel der gestrigen, nicht aufgeklärten Kultur gilt und als Ursache von Fanatismus. Hecheln wir bloß jedem neuesten Trend der Öffentlichkeit nach, bloß um zu beweisen, dass wir doch nicht so zurückgeblieben sind? Dass die Kirche doch modern ist in der modernen Welt, einer Welt, die selbst schon an ihrer Modernität zu modern beginnt. Elektrisieren wir uns deswegen bei jeder „Skandalschlagzeile“ in der die Kirche vorkommt? Und erstarren wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange beim Anblick soziologischer Daten?

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Mit dem christlichen, mit unserem katholischen Selbstbewusstsein ist es nicht gut bestellt. Minderwertigkeitsgefühle, die den inneren Rechtfertigungsdruck provozieren, Wunden lecken im Kontext eigener religiöser Biographie, oder aber Kirchenträume, die im Dienste der Selbstverwirklichung stehen: all das dominiert heutzutage unsere Kirchlichkeit. Mutlosigkeit und Fatalismus sind dann die Folgen.

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Liebe Schwestern und Brüder, unsere Kirchenmusikerin Brigitte Wurzer hatte bei der Planung der Kirchenmusik für heute eine brillante Idee. Sie ließ Frau Helene Grabitzky mit ihrem wunderschönen Sopran die Arie: „Höre Israel“ aus dem Oratorium: „Elias“ von Felix Mendelsohn-Bartholdy singen. Eine Arie, die den  kämpferischen, aber auch den müden und entmutigten Propheten Elija in den Vordergrund rückt; eine Arie, in der die Stimme Gott dem verunsicherten Volk Israel seine Wurzel (also den Gott des Bundes) in Erinnerung ruft, aber auch seine triste und konfliktgeladene Lage deutet. „Wem wird der Arm des Herrn geoffenbart? Wer glaubt schon unserer Predigt?“ Die Arie spricht vielen von uns aus der Seele, wenn wir darüber nachdenken, wer da heutzutage in der Öffentlichkeit den letzten Wertehorizont zu etablieren sucht. Wenn wir defätistisch Urteile über „sterbende Kirche“ fällen und resigniert jammern, dass sie heutzutage scheinbar niemanden anspricht – vor allem die Jugend nicht.  Das Oratorium öffnet aber nach der Arie, die wir gehört haben, die große Perspektive: ‚Wer seid ihr denn, wenn ihr verzagt und euch vor den Menschen fürchtet, die ja alle doch sterblich sind? Ich, ich euer Gott stärke euch, ich bin euer Tröster.‘ Warum diese Zwischenreflexion? Diese (nicht gesungene) Arie des Oratoriums wird in der heutigen Liturgie durch die Lesung (Eph 1,3-14) quasi aufgenommen, verstärkt und auf eine nicht mehr zu überbietender Art und Weise vertieft. Und wie?

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Uns allen, die wir unsere Minderwertigkeitsgefühle pflegen, uns, deren christliches Selbstbewusstsein angeknackt ist, uns wird etwas Großartiges in Erinnerung gerufen. „Hallo, ihr Christen des 21. Jahrhunderts, ihr Katholiken in Tirol, ihr Messbesucher in der Jesuitenkirche: Gesegnet seid ihr! Gesegnet und erwählt, und dies schon vor der Grundlegung der Welt.“ „So a Blödsinn“, wird der religionsarme Zeitgenosse sagen. Der Zeitgenosse, der aber selber nach Akzeptanz, nach Annahme, ja nach Liebe lechzt. Und wenn er diese nicht erfährt, sich immer mehr in sich selber verschließt, zu einem „homo incurvatus in seipsum“ wird. Deswegen im Grunde auch keine Kompetenz hat, um über uns und unser Selbstverständnis zu urteilen. Denn diese seine Urteile sind den Urteilen des Blinden über die Farben vergleichbar.

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Gesegnet und erwählt sind wir! Deswegen brauchen wir unser Selbstbewusstsein gemäß den Maßstäben dieser Welt zu konstruieren. Jenen Maßstäben, die Religion bloß nach Nützlichkeitskriterien oder dem Unterhaltungswert messen. Andere Maßstäbe dieser Welt sollen wir beachten, denn sie stellen nichts anderes dar als christliches Erbe, ein Erbe, das die liberale Kultur längst verdrängt und vergessen hat. Längst bevor der Mensch denken, planen oder auch lieben konnte, war er schon geplant und geliebt. Geliebt von Gott mit seiner unendlichen Liebe. Darin liegt die tiefste Wurzel der Würde der menschlichen Person. Denn: Ohne diese Liebe wäre die Menschheit bloß eine Megaansammlung von Frankensteins, von geistlosen Gliederpuppen.

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Das Wort Gottes, das uns heute durch diese Lesung trifft, ruft uns den Mut zu, wie jenes Wort, das wir durch die Sopranstimme von Frau Grabitzky gehört haben. „Hört ihr Christen, hört des Herren Stimme. Ich habe euch reichlich beschenkt. Ihr seid als Erben vorherbestimmt, wenn ich die Fülle der Zeiten heraufführe und das All in Christus als dem Haupt zusammenfasse. Nicht zu jammern und auch nicht zu hecheln nach den Modetrends euerer Zeit seid ihr bestimmt. Vielmehr soll das Lob der Herrlichkeit, damit auch die gläubige Gelassenheit euere Markenzeichen sein. Denn: ich habe mich an euch gebunden. Auf immer und ewig und ich bleibe treu!“ Das ruft uns heute unser Gott zu. Auf diese seine Bindung an uns können wir ruhig stolz sein. Und nun in dieser Eucharistiefeier in den Lob Gottes einstimmen: zusammen mit Millionen von Christen auf dieser Welt.

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Text der Arie und des Rezitativs (auf die in der Predigt Bezug genommen wird)  aus dem Oratorium Elias:

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Sopran Arie: Höre, Israel, höre des Herren Stimme! Ach, dass du merkest auf sein Gebot! Aber wer glaubt unserer Predigt, und wem wird der Arm des Herrn geoffenbart?

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Rezitativ: So spricht der Herr, der Erlöser Israels, sein Heiliger, zum Knecht, der unter den Tyrannen ist, so spricht der Herr:

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Arie: Ich bin euer Tröster. Weiche nicht, denn ich bin dein Gott! Ich stärke dich! Wer bist du denn, dass du dich vor Menschen fürchtest, die doch sterben? Und vergießest des Herrn, der dich gemacht hat, der den Himmel ausbreitet und die Erde gegründet. Wer bist du denn?

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Chor: Fürchte dich nicht, spricht unser Gott, fürchte dich nicht, ich bin mit dir, ich helfe dir! Denn ich bin der Herr dein Gott.

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