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Erinnern – muss das sein?
(Ein Beitrag zum Totengedenken)

Autor:Quast-Neulinger Michaela
Veröffentlichung:
Kategoriekurzessay
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-10-30

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Auf zur jährlichen Modeparade. Die Großtante, die ihren besten Pelz auspackt und den Schmuck, der wieder mal an die Luft darf. Sehen und gesehen werden bei der Friedhofsrallye, wie es manche wenig respektvoll nannten. Und heute, muss das sein? Dieser Totenkult. Aus die Maus. Was soll es noch?

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Aber so einfach ist es nicht. Sich zu erinnern, einander zu gedenken und im Herzen zu tragen gehört zu den Fähigkeiten, die den Menschen erst zum Menschen machen. Wo Menschen Erinnerungsorte gestalten, sich im Gedächtnis behalten, dort entsteht eine Gemeinschaft, die weit über dieses Leben hinausgeht. Im christlichen Glauben nimmt das Erinnern einen zentralen Platz ein. „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“, spricht Jesus beim letzten Abendmahl. „Seht, was ihr seid und werdet, was ihr empfangt: der Leib Christi“, fasst Augustinus das Geschehen zusammen. Etwas moderner Huub Oosterhuis: „Wer zu dieser Stunde seine offene Hand hinhält, Brot nimmt und isst, sagt damit: dass er eine neue Welt will, wo Brot und Freiheit ist für alle Menschen“.

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Erinnern ist gefährlich. Wen erinnern wir überhaupt? Wer hat seine Gedenktafeln und wer stirbt den zweiten Tod, wird noch einmal entwürdigt, weil sein Name gelöscht wird? Erinnern ist die Suche nach Wegen einer solidarischen Zukunft, in der alle in Freiheit und Würde leben können – im Angesicht der Abgründe, die die Generationen vor uns hinterlassen haben und die wir Gefahr laufen, gerade grausam zu wiederholen. Wen brandmarken wir heute als „gestört“, „Verräter“, „Schmarotzer“? Es sind schmerzhafte Fragen, denen wir uns stellen müssen.

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Wenn ich in diesen Tagen jener gedenke, die ich in meinem Herzen trage, dann wird mir bewusst, dass es zu klein ist für alle Opfer, Ermordeten, aber auch die Täter und Chamäleons, die es sich richteten. Ich hoffe darauf, dass wir gemeinsam zu einer solidarischen Form des Erinnerns finden, in der wir das Schöne, aber auch die Brüche und Abgründe erinnern können.

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Nein, es ist noch lange nicht vorbei. Es ist nie vorbei. Denn Erinnern ist uns aufgetragen, als Menschen und als Christ:innen im Besonderen. TUT dies zu meinem Gedächtnis – damit alle ein Leben in Würde finden.

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Michaela Quast-Neulinger, Oktober 2024

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