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Ein Jahrhundert Reinhold Stecher: Theologische Einordnungen und Erinnerungen

Autor:Moosbrugger Mathias
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-11-04

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Anlässlich der Präsentation des Bandes: Martin Kapferer, Mathias Moosbrugger und Dirk Rupnow (Hg.) Ein Jahrhundert Reinhold Stecher. Kontexte – Einordnungen – Erinnerungen (notae. Historische Notizen zur Diözese Innsbruck 7), Innsbruck 2024.

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Tiroler Landesarchiv, 22. Oktober 2024, 18.30 Uhr

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 Sehr geehrter Herr Bischof Gletter, Herr Landeshauptmann Mattle, Herr Direktor Haidacher als Hausherr, liebe Interessierte,

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was tut man als Kirchenhistoriker, wenn man von der Vizerektorin für Forschung – damals war das Ulrike Tanzer – völlig unerwartet das Anliegen präsentiert bekommt, man möge sich doch bitte an der Ausrichtung einer wissenschaftlichen Tagung aus Anlass des hundertsten Geburtstags von Bischof Reinhold Stecher, einem Ehrendoktor der Universität Innsbruck, beteiligen? Nun: Zuerst einmal greift man natürlich mit vollen Händen zu! Wie oft kommt es schon vor, dass das Fach Kirchengeschichte quasi auf höchster universitärer Ebene überhaupt wahrgenommen wird? Und wenn das dann auch noch heißt, dass man die Chance auf eine Zusammenarbeit mit der fleischgewordenen Innsbrucker Zeitgeschichte Dirk Rupnow hat, der von Ulrike Tanzer ebenfalls für ihr wichtiges Anliegen aktiviert worden ist, dann fällt eine Zusage zu einem solchen Projekt sogar noch leichter.

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Man greift also als Kirchenhistoriker bei einer solchen Chance selbstverständlich zu – und kommt dann sofort arg ins Schnaufen. Denn was soll man als gelernter Mediävist und Frühneuzeitler hier konkret beitragen, wenn man sich mehr mit spätmittelalterlichen Pfarrern und frühneuzeitlichen Jesuiten auskennt als mit Tiroler Bischöfen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert? Glücklicherweise bin ich – ich habe Dirk Rupnow, momentan Dekan der hiesigen Philosophisch-Historischen Fakultät, schon erwähnt – nicht als Einzelkämpfer an diese Tagung herangegangen. Und glücklicherweise arbeite ich an der Theologischen Fakultät, wo so viel geballte Kompetenz greifbar war, die ich – und ich erkläre gleich wie konkret – skrupellos angezapft habe. Denn auch das war das Erfreuliche an dieser Tagung: Es sollte eine wirklich interdisziplinäre Tagung werden: mit historischen Tiefenbohrungen, aber auch mit explizit theologischen Einordnungen von Reinhold Stecher. Und aus dieser wirklich interdisziplinären Tagung mit ihrer historisch-theologischen Doppelstruktur, die wir mit coronabedingter Verspätung nicht schon 2021, sondern erst im Dezember 2022 (also quasi zum hundertersten Geburtstag von Reinhold Stecher) durchgeführt haben, ist dann wunderbarerweise auch ein Tagungsband hervorgegangen, der dieselbe historisch-theologische Doppelstruktur aufweist.

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Dirk Rupnow, der gemeinsam mit dem Diözesanarchivar Martin Kapferer und mir die Herausgeberschaft für diese siebte Nummer der Schriftenreihe „notae. Historische Notizen zur Diözese Innsbruck“ übernommen hat, hat bereits skizziert, wo und wie die historischen Autoren angesetzt haben, um Reinhold Stecher geschichtlich greifbar zu machen und einzuordnen. Ich möchte Ihnen in einigen wenigen Strichen andeuten, welche Schwerpunkte die Theologen, die in unserem Band versammelt sind, gesetzt haben. Tatsächlich nur „andeuten“, denn – neudeutsch gesagt – ich will nicht allzu sehr spoilern. Ich möchte Sie mit dem Folgenden vielmehr auch theologisch dazu verführen, sich das Buch zu besorgen und selbst nachzulesen.

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Beginnen möchte ich mit Roman Siebenrock. Er war bis 2022 zuständig für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät Innsbruck und hat in seinem Beitrag Reinhold Stecher als einen „Lehrer der Weisheit aus Tirol“ erschlossen. Diese Weisheit von Stecher zeichnet Siebenrock als eine nüchterne, ja sogar ernüchternde Weisheit, die mit wachen Augen das Zerbröseln der staats- und traditionskirchlichen Strukturen in Tirol wahrgenommen hat. Stecher wird dabei aber zugleich greifbar als jemand, der hier vor allem Chancen sah: Chancen einer Neubelebung einer genuin christlichen Weisheit, die allzulange von diesen Strukturen zugedeckt gewesen ist: eine Weisheit der kleinen Leute, die nach Stecher eine existenzielle Intuition dafür haben, wie Leben als gutes Leben funktionieren kann, auch wenn es dafür keine obrigkeitlichen – kirchlich-hierarchischen – Sicherheiten mehr gibt; eine Intuition dafür also, wie man das Leben in experimenteller Unsicherheit leben kann. Es ist dieselbe Weisheit, die auch die Bibel durchzieht, wie Siebenrock mit Blick auf die Dissertation von Stecher nachweist: eine Weisheit die Ja zum Leben und Nein zu Lebensfeindlichem sagt (wie z.B. zum Anderl-Kult). Wie Siebenrock das alles mit den großen Theologen John Henry Newman und Karl Rahner verbindet, ist erhellend. Nur nebenbei und natürlich augenzwinkernd gesagt: Ein ernstes Wörtchen reden muss ich mit Roman Siebenrock noch wegen seiner Zustimmung zu Aristoteles, demzufolge es „von der realen Geschichte keine Wissenschaft geben kann“. Da muss man als Berufshistoriker mindestens Gesprächsbedarf anmelden – vielleicht gleich im Anschluss, denn Roman Siebenrock ist erfreulicherweise heute Abend auch hier.

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Nicht hier ist Georg Fischer, der bei einer anderen Veranstaltung sein muss und sich entschuldigen lässt. Er ist ebenfalls bis 2022 an der Theologischen Fakultät Innsbruck tätig gewesen und hat dort jahrelang als Professor für Altes Testament gewirkt. Dementsprechend nimmt er sich Stecher als biblisch geprägten Menschen zur Brust. Er tut das mit spürbarer Sympathie. Nach einem konzentrierten Durchgang durch die Dissertation Stechers zur Weisheit in den alttestamentlichen Sprichwörtern – Georg Fischer erspart einem damit quasi das Durcharbeiten dieser technisch-exegetischen Arbeit – würdigt er ihn als eine seltene bischöfliche Erscheinung, da er erstens nicht nur das Neue, sondern auch das Alte Testament bestens kannte, und zweitens von dieser intensiven Beschäftigung mit einer nicht nur religiös, sondern auch kulturell fremden Welt gedanklich fähig gemacht worden war „für Begegnungen und Diskussionen mit anderen Positionen, Überzeugungen und Lebenswelten“. Ein bisschen hemdsärmelig zusammengefasst: Stechers wissenschaftliche Beschäftigung mit der alttestamentlichen Weisheit hat ihn fähig gemacht, die handfest-poetische Weisheit im Alltag der Menschen aus den unterschiedlichsten Lebenskontexten wahrzunehmen und als Seelsorger daran anzuknüpfen.

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In ein ähnliches Horn stößt Paul Michael Zulehner – auch er kann heute leider nicht hier sein –, der Stecher pastoraltheologisch würdigt. Stecher war als Bischof demnach jemand, der vor allem wahrgenommen hat, welche Zeichen der Zeit pastoral zu berücksichtigen waren: Laienengagement, Wahrnehmung der Frauen, Nächstenliebe als kirchlicher Grundauftrag, Hören auf die Bedürfnisse der ganz konkreten Menschen. Und nicht zuletzt der Mut zum offenen und klaren Wort – nach oben, wenn Rom nach seiner Wahrnehmung die menschenwürdige Seelsorge aus den Augen verlor, aber auch nach unten, wenn es, wie im Fall des Anderl-von-Rinn-Kultes, galt Bestände einer menschenfeindlichen Volksfrömmigkeit anzugehen.

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Einen schönen, sehr persönlichen Abschluss unseres Bandes bilden dann noch fünf knappe, aber lesenswerte Zeitzeugnisse von Menschen, die mit Stecher unmittelbar zu tun gehabt haben. Der erst kürzlich verstorbene Peter Stöger erinnert sich als Schüler an den inspirierenden Lehrer Reinhold Stecher an der Innsbrucker Lehrerbildungsanstalt in den 1960ern. Klaus Egger erzählt aus seinem reichen Erfahrungsschatz als jahrelanger Generalvikar von Bischof Stecher; nicht nur von Stechers zahlreichen Aktivitäten, sondern auch von seinen dahinterliegenden Grundhaltungen als oberster Seelsorger der Diözese. Wolfgang Palaver, bis vor Kurzem Sozialethiker an der Theologischen Fakultät, erinnert sich als ehemaliger Jugendvertreter an die Sträuße, die er mit Stecher auszufechten hatte – von Stechers zuerst noch wenig entwickeltem Gespür für theologisch ausgebildete Laien bis hin zu politischen Ansichten, mit denen er in den 1980er Jahren bei einem Friedensbewegten wie Wolfgang Palaver aneckte. Wolfgang Palaver betont aber auch, was Stecher als Bischof ausgezeichnet hat: Er konnte dazulernen und seine Meinung ändern (an ihm zeigt sich, dass es vielleicht doch eher ein Gerücht ist, dass kirchliche Würdenträger diese Tugend des Dazulernenkönnens mit der Weihe verlieren). Den Schlusspunkt setzt dann Esther Fritsch, die langjährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in Innsbruck. Sie macht Stecher als großen Freund nicht nur der Juden im Allgemeinen, sondern der Juden in Tirol bzw. der hiesigen Israelitischen Kultusgemeinde im Speziellen greifbar, der wie kein anderer für die Wiederbelebung jüdischen Lebens vor Ort gesorgt hat.

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Sie merken, meine Damen und Herren, es gibt viel zu entdecken in diesem Band: Persönliche Erinnerungen, umfassende theologische Einordnungen, erhellende historische Neuverortungen. Am Ende sind wir mit Bischof Stecher damit aber noch lange nicht, weder historisch noch theologisch. Als Herausgeberteam war es Martin Kapferer, Dirk Rupnow und mir von Anfang an klar, dass dieser Band nicht nur der papierne Abschluss einer Tagung sein soll, sondern Ansatzpunkte für künftige Beschäftigungen mit Reinhold Stecher und seiner Zeit liefern.

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Und ganz am Schluss noch der halb kaufmännische, halb intellektuelle Appell: Kaufen Sie das Buch – für sich selbst und für andere (Weihnachten naht!). Und vor allem: Lesen Sie selbst!

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Mathias Moosbrugger

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