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Nicht nur ein Traum vom radikalen Neuanfang. Eine – von humorvollem Unterton begleitete – Predigt zu „Mariä Empfängnis“
(Gehalten in der Jesuitenkirche am 8. Dezember 2024 um 11.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-12-10

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Mir träumte!  Und wie träumte es mir? Ich saß am Schreibtisch und zerbrach mir den Kopf, was ich denn am 8. Dezember in der Jesuitenkirche predigen soll. Da läutete es an der Tür. Immer noch im Traum öffnete ich und traute meinen Augen nicht. Das Treppenhaus: gestopft voll! Mit Frauen. Einige sahen so aus, als ob sie einem Museum entlaufen wären.  Andere Frauen ärmlich bekleidet, wiederum andere fast schon modern. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. „Wir dachten uns, sagte eine resolute Dame“ – sie hat sich gerade nach vorne durchgekämpft – „wir dachten uns, wir besuchen dich, trinken mit dir etwas Glühwein (so wie ich dich kenne, hast du bestimmt einiges an Wein zu Hause) und wir reden…, wir reden über die Predigt. Wir wissen es: als Dogmatiker liebst du dieses Fest!“ Mir verschlug es die Sprache. Denn: die Frau, die da sprach sah aus, wie die Maria selbst – so als ob sie von der Annasäule in der Maria-Theresien-Straße heruntergestiegen wäre und nun im Treppenhaus vor meiner Wohnung landete. Nicht allein, sondern mit der ganzen Kohorte von Frauen. Alle bestens aufgelegt.

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„Was blieb mir also übrig“, liebe Schwestern und Brüder, als die fidele Gemeinschaft hereinzulassen zu einer Stehparty, denn vom Sitzen konnte angesichts der Menge keine Rede sein. Anfänglich machten sich einige Frauen ein bisschen lustig darüber, dass die meisten Menschen den 8. Dezember mit dem 25. März verwechseln. Eine junge fesche Frau warf ein, daran sei auch die Liturgie mitschuldig, weil sie an diesem Tag das Evangelium von der Verkündigung (Lk 1,26-38) vorlesen lässt. So werden Menschen in die Irre geführt und meinen, es werde an diesem Fest die jungfräuliche Empfängnis Jesu gefeiert. „Als Theologe wirst Du wohl wissen“ – sagten sie mit einem leicht ironischen Unterton –, „dass dieses Evangelium doch nur deswegen vorgelesen wird, weil der Engel darin Maria als „Begnadete“ tituliert. Deswegen wäre es gut, wenn du das Evangelium nach dem Satz:  ‚denn du hast bei Gott Gnade gefunden‘ (L. 1,30) abbrichst“. Sie musste wohl Theologie studiert haben, dachte ich mir – immer noch im Traum.

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Bald schon waren sich alle Frauen einig, was das eigentliche Thema der Predigt sein soll – natürlich die Wahrheit von der Erbsünde, eingeführt durch den Hinweis, woran die heutige Welt am meisten krankt. Natürlich sind es die Kriege und der Hunger. Es sei dies aber auch der öffentliche Umgang mit dem Bösen. Man beschuldigt einander, macht Menschen und Gruppen zu Sündenböcken, verteufelt sie sogar. „Wenn ich mir“, so sprach in meinem Traum Maria selbst, „wenn ich mir eure Tageszeitungen anschaue oder eure Nachrichten im Fernsehen, so glaube ich, ihr könnt euch nicht sattkriegen an den Skandalnachrichten, leider auch an Skandalgeschichten aus Kirche und Religion. Die Welt watet geradezu im Bösen; eure sich modern gebende Welt tut aber so, als ob Kirche und Religion die größten Übeltäter wären“.

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Und dann hat mich Maria – immer noch in meinem Traum – an die Geschichte aus dem alttestamentlichen Buch Sacharja erinnert. Dort gibt es das Bild von einem riesigen Fass, das man mit einem Deckel aus Blei verschlossen hat. Und was ist im Fass drin? Das, worauf das ganze Land versessen war: das Böse verdichtet in der Bösen, der Bösen par excellence, in der Gestalt einer Frau, die man ja grundlos beschuldigte. Man habe sie mit Gewalt im Fass eingesperrt. Alle waren sich einig, sie muss weg, weil sie und nur sie allein schuldig ist. Man müsse sie also hinausstoßen und außer Landes bringen (vgl. Sach 5,5-11). Ein Paradebeispiel einer Sündenbockgeschichte!

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Immer noch im Traum unterbrach eine jüngere Frau die dozierende Maria und sagte: „Erzählt aber nicht die Geschichte vom Paradies etwas Ähnliches? (Gen 3,1-24) Der Mann, dieser Adam aus dem Paradies macht doch nichts anderes als die Menschen in deiner Geschichte von der Frau im Fass. Auch er beschuldigt Eva, sie sei am Bösen schuld. Die Frau tut es zwar auch, weil sie die Schlange schuldig spricht, aber es ist doch immer dasselbe. Maria lächelte keck und sagte: „Ja.  Ich würde dir Recht geben, wenn es da bloß um die Beschuldigung gehen würde. Immer und immer wieder verfallen ja die selbstgerechten Menschen ein und derselben Versuchung. Lasst mich das ausnahmsweise ganz derb ausdrücken (diese Sprache versteht doch die heutige Welt am besten): In der Scheiße sitzend, jener Scheiße, die die Menschen selber tagtäglich produzieren, verfallen sie immer und immer wieder der Versuchung, den alleinigen Stinker klar zu identifizieren, ihn dann in ein Fass oder weiß Gott wo einzusperren. Damit sie sich selber sauber glauben können! Ich gebe dir aber nicht Recht“, setzte Maria ihre Antwort bezüglich Adam und Eva fort, „wenn man das Ende der paradiesischen Geschichte ernst nimmt. Denn dort ist davon die Rede, dass der Nachwuchs einer Frau diesen Teufelskreis sprengt. Mehr noch: Die Geschichte vom Paradies spricht doch deutlich davon, dass mit einer Frau, mit der Empfängnis und der Geburt einer Frau ein radikaler Neuanfang gesetzt wird…“ (vgl. Gen 3,15)

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Maria verstummte, weil alle begriffen haben, dass sie den zentralen Inhalt des Festes vom 8. Dezember angesprochen hat. Jenen Inhalt vom begnadeten Neuanfang, den Inhalt, der sich nur den gläubigen Menschen erschließt. Dass nämlich Gott selber den fragwürdigen Bemühungen der Menschheit, ganz gleich ob damals im Altertum oder im Jahr 2024, dass Gott selber eine Gegenstrategie beisteuert. Den Menschen, denen die Strategie der Schuldabschiebung fast schon zur zweiten Natur geworden ist, den Menschen, die sich deshalb nur noch an Skandalgeschichten aufgeilen und so ihren Lebensmut animieren, deswegen permanent die Lawinen des Bösen lostreten und dabei gerade die Religion am liebsten in ein Fass einsperren würden, dass Gott selber diesen Menschen die Gestalt einer begnadeten Frau schenkt. Begnadet zum Guten! Gott tat dies schon damals, als Er der Menschheit eine Frau schenkte, Maria, die frei war von Lüge und Gewalt, frei von Zynismus, frei von Sünde. Frei nicht aufgrund einer übermenschlichen Disziplin, frei aufgrund göttlicher Gnade. Jener Gnade, die alles vermag, jener Gnade, die allein imstande ist, das Böse zu überwinden, jener Gnade, die das Böse verwandelt. Und Gott hat dies nicht nur damals, nicht nur einmal getan. Immer und immer wieder erwählt er und beruft Menschen (vgl. Eph 1,3-6.11-12), ja – gerade am heutige Tag müsste man es deutlich sagen – er erwählt nicht nur Männer, sondern auch Frauen, damit sie – oft unerkannt und anonym – mitten im Alltag die Geschichte des Bösen nicht tradieren, das Böse nicht weitergeben, sondern die Teufelskreise des Bösen sprengen. Durch ihr Gebet, durch ihr Tun, durch ihre Solidarität – eine Solidarität, die nicht neue Fronten aufbaut, sondern Fronten überwindet. Fronten, die Gesunde von Kranken trennen, Fronten zwischen Arm und Reich, Fronten zwischen Generationen, gar Fronten zwischen Geschlechtern.

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Jetzt schaltete sich Maria doch noch einmal in die Diskussion ein und fragte mich: „Hast du dich lieber Jozef“ – und da lächelte Maria liebevoll, weil sie natürlich an ihren Joseph aus Nazareth dachte – „hast du dich lieber Jozef schon einmal gefragt, warum die Frauen in der Kirche meistens aktiver sind? Vielleicht hat das damit zu tun, dass Gott Frauen öfters erwählt und begnadet, wie er das bei mir getan hat…“ Ich blieb mit offenem Mund stehen.

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Nun – liebe Schwestern und Brüder – von den Träumen weiß man nicht, ob sie bloß einen Sekundenbruchteil dauern, oder Stunden – in meinem Traum war die Frauenrunde von dem Glühwein jedenfalls schon ordentlich angeheitert, als Maria dem Ganzen ein Ende bereite und sagte: „predige in der Jesuitenkirche doch davon, dass Kirche und Religion nicht nur ein menschliches, oft allzumenschliches Gesicht haben, zeige das Göttliche auf, zeige die göttliche Strategie der Erwählung, der täglichen Verwandlung des Bösen in das Gute, denn all das wird am 8. Dezember gefeiert. Es ist nicht nur ein Traum, sondern Wirklichkeit: Gott setzt immer wieder einen Neuanfang, er schenkt das Gute immer wieder neu, gar oder gerade in der Erfahrung der Teufelskreise des Bösen.“

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