- Leseraum
| Hören und Fragen. Ansprache zur feierlichen Sponsion und Promotion am Samstag 18. Jänner 2025Autor: | Guggenberger Wilhelm |
---|
Veröffentlichung: | |
---|
Kategorie | fak |
---|
Abstrakt: | |
---|
Publiziert in: | |
---|
Datum: | 2025-01-30 |
---|
InhaltsverzeichnisInhalt1
| Magnifizenz, liebe Frau Vizerektorin Walde, geschätzte Frau Prof. Ralser, liebe Studierende, verehrte Verwandte, Freunde und Bekannte unserer AbsolventInnen und natürlich ganz besonders Sie, die Sie heute den erfolgreichen Abschluss Ihres Studiums feiern. Es freut mich, dass ich bei diesem schönen Anlass als Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät mit Ihnen feiern darf. | 2
| Feiern sollen Sie an diesem Tag jedenfalls, denn Sie haben ein großes Ziel erreicht, Sie sind auf dem Weg Ihrer beruflichen Karriere und - wie ich hoffe - auch auf dem Weg Ihrer persönlichen Entfaltung ein ordentliches Stück vorangekommen. | 3
| Ich erlaube mir an diesem Tag noch einmal das zu tun, was wir als Lehrende an der Universität so gern tun, nämlich zu versuchen etwas von dem weiterzugeben, was uns selbst wichtig ist. Keine Sorge, ich fasse mich kurz. Allerdings wird an dieser Stelle der Theologe, der vor Ihnen steht, auf eine seiner zentralen Quellen zurückgreift, auf das Neue Testament. Vor zwei Wochen wurde in der Katholischen Kirche das Fest der Heiligen Familie gefeiert. Als ich heuer dem Evangelientext zugehört habe, der bei diesem Anlass gelesen wird (Lk 2, 41-52), dachte ich mir, das wäre doch eigentlich ein guter Aufhänger für meine Ansprache heut, hier bei Ihnen. | 4
| Wie das? Dieser Text der so gar nichts kitschig-romantisches enthält, das einem beim Begriff einer Heiligen Familie vielleicht in den Sinn kommt, handelt vom pubertären Jesus, der seiner Familie bei einer Jerusalemreise verloren geht. Nach Tagen wird er im Tempel, der damals auch eine Bildungseinrichtung war, wiedergefunden. Er sitzt dort unter der intellektuellen Elite seiner Zeit. Landläufig heißt es dann: Der 12-jährige Jesus lehrt im Tempel – ein Wunderkind halt. So wurde es auch oft in der Kunst dargestellt. Nur steht davon gar nichts im Text. Dort heißt es nämlich: Er saß mitten unter den Lehrern hörte ihnen zu und stellte Fragen. | 5
| Er hörte zu und stellte Fragen; eine Formulierung, die nicht nur für uns Theolog:innen bedeutsam ist, die - und damit verlasse ich auch schon wieder mein Fachgebiet - für jegliche Form von Wissenschaft und auch für jegliche Form von Wissensvermittlung essentiell ist, wie ich meine. | 6
| Fragen wurden Ihnen, liebe Absolventi:nnen in den zurückliegenden Jahren oft gestellt. Bedeutsamer scheint mir, dass Sie nicht nur gelernt haben Fragen zu beantworten, damit Prüfungen zu bestehen und Credits zu erwerben, sondern, dass Sie in Ihren Studien auch gelernt haben Fragen zu stellen. Ohne fragende Neugier gibt es keine Wissenschaft. Viel wichtiger noch als die Vermittlung aller Inhalte und aller anderen Kompetenzen, ist es, dass es uns Lehrenden gelungen ist, diese fragende Neugier in Ihnen nicht nur zuzulassen, sie vielmehr immer neu zu wecken und wachzuhalten. | 7
| Wer keine Fragen mehr hat, steckt auch ganz ohne Internet in einer Filter-Bubble fest. Wer meint auf alles schon eine Antwort zu haben, wird nicht nur unleidlich für andere, er tritt auch selbst auf der Stelle. Keineswegs alles, was uns als selbstverständlich erscheint ist auch wirklich alternativlos. Nicht nur die Wissenschaft, unsere ganze Gesellschaft braucht daher - heute mehr denn je - Menschen, die Fragen stellen und bereit sind zuzugeben, dass sie selbst Fragen haben. Es ist wohl ein Irrtum zu meinen, das Vertrauen in die Wissenschaft, in die Politik würde zunehmen, wenn dort nur im Brustton der Überzeugung fixe Antworten verlautbart werden. Diese erweisen sich notwendigerweise immer wieder als fehlerhaft und enttäuschen damit zuvor aufgebaute, überzogene Erwartungen. Wissen, Information, Fakten nehmen uns bei aller Bedeutung, die sie haben, letztlich die Last der Entscheidung ohnedies niemals ab. Aber Hilfestellung zu geben für ein kritisches, rational-argumentatives und regelgeleitetes Suchen nach Antworten und nach Gründen für eine Entscheidung, das kann unser Beitrag als Wissenschaftler:innen sein, in einer Welt, die ja wahrlich voller Probleme ist. Ein bescheidener Anspruch, mag sein, aber einer den wir erfüllen können. | 8
| Allerdings, meine Damen und Herren, es besteht ein feiner, doch bedeutsamer Unterschied zwischen „Fragen stellen“ und „alles in Frage stellen“. Wer alles für Fake hält, kann sich problemlos eine Welt aus alternativen Fakten zimmern. Wer keiner Antwort mehr traut, und sei es auch nur vorläufig, der tappt allzu leicht in die Falle von Verschwörungstheorien. Daher scheint es mir wichtig, wie im vorhin zitierten Bibeltext, nicht nur Fragen zu stellt, sondern auch zuzuhören. | 9
| Sie, liebe Absolvent:innen, mussten in der Zeit ihres Studiums viel zuhören, manchmal vielleicht eher wider Willen. Sie mussten sich anhören und aneignen was andere sagen, denken, deren Theorien rezipieren und reproduzieren. Ich weiß, das ist mitunter mühsam, ermüdend und ich hoffe, dass wir als Lehrende sie dadurch nicht zum gedankenlosen Konsum von Stoff und Datenmaterial verleitet haben. Doch das aufmerksame und genaue Hinschauen und Hinhören ist eine Kompetenz, die die Fähigkeit Fragen zu stellen unbedingt ergänzen muss. Ich fürchte, unsere Gesellschaft leidet an einem massiven Mangel dieser Kompetenz; der Kompetenz einander ein wirklich offenes Ohr zu schenken. | 10
| Vielleicht ist es ja gerade die Kombination aus ehrlichem Zuhören und kritischem Nachfragen, das uns vor dem bewahren könnte, was Thomas Mann einmal als die große Gereiztheit bezeichnet hat, eine brandgefährliche Grundstimmung mit enormem Konfliktpotential. | 11
| Die ungarische Philosophin Agnes Heller, nach der unser jüngstes Universitätsgebäude benannt ist, hat einmal drei sehr einfache Regeln für ein zielführendes, konstruktives Gespräch formuliert. Was sie sagt, kommt aus dem Blick auf ein Leben, in dem sie am eigenen Leib mehrfach erfahren musste, was es bedeutet, wenn einer Gesellschaft die Gesprächsfähigkeit verloren geht. Ihre Regeln lauten: Sag ehrlich was du meinst, wovon du überzeugt bist. Aber prüfe zweitens deine Überzeugungen immer wieder selbstkritisch. Und drittens, geh davon aus, dass auch das was andere meinen, grundsätzlich berechtigt ist. Das heißt nicht, dass ich in jedem Fall meine Überzeugung aufgeben und den anderen zustimmen muss; keineswegs. Allerdings sollte ich bereit sein, davon auszugehen, dass auch in Konzepten, Theorien, Meinungen anderer ein berechtigtes Anliegen stecken kann. | 12
| Einfach klingende Regeln, die aber gar nicht so leicht in die Praxis umzusetzen sind. Ich versuche sie im Hinhören auf die berechtigten Anliegen anderer und im kritischen und selbstkritische Nachfragen zu praktizieren – sicher nicht immer mit Erfolg. Ich versuche meine Studierenden dazu anzuregen und wenn ich es wage das gerade auch mit Ihnen allen zu tun, dann nicht nur im Interesse einer guten wissenschaftlichen Diskurskultur, sondern auch aus Sorge um die Zukunft unserer Gesellschaft. | 13
| Liebe Absolventinnen und Absolventen, ich bin überzeugt davon, dass Sie einen wertvollen Beitrag dazu leisten können, dass diese, meine Sorge unberechtigt ist. Sie ist unberechtigt, wenn Sie als Hörende und Fragende Ihr Wissen und Können in sozialer Verantwortung zum Abbau von Irrtum und Vorurteilen einsetzen und sich so um eine Kultur der geistigen Freiheit und Toleranz zu bemühen, wie sie gleich im Anschluss geloben werden. Wir bauen auf Sie, wo auch immer Ihr weiterer Weg Sie hinführen mag. | 14
| Im Vertrauen darauf, darf ich Sie nochmals ermuntern; feiern Sie heute, genießen Sie diesen Tag und freuen Sie Sich über Ihren Erfolg, wir freuen uns mit Ihnen. |
| - Autor
- Lesen Sie auch
- Zusatzfunktionen
|