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Letztlich hängt alles miteinander zusammen. Ansprache zur feierlichen Sponsion und Promotion am Samstag, 1. März 2025

Autor:Lumma Liborius
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2025-03-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Sehr geehrte Absolventinnen und Absolventen[1], liebe Angehörige, Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren!

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Falls Sie durch den Haupteingang dieses Gebäudes gekommen sind – das übrigens heuer 101 Jahre alt wird –, hat Ihr Weg an vier großen Tafeln mit kurzen Sinnsprüchen vorbeigeführt. Ich möchte Ihnen einen dieser Sprüche näher vorstellen, und zwar den, mit dem ich als Theologe mich am besten auskennen müsste: In principio erat verbum, Im Anfang war das Wort.

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Das ist ein Vers aus der christlichen Bibel in lateinischer Sprache, er hat weit über den religiösen Bereich hinaus große Strahlkraft entfaltet.

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Diese Strahlkraft dürfte vorrangig in der Originalfassung begründet sein. Die ist aber nicht Latein, sondern Griechisch, und wie so oft konnte man beim Übersetzen die Bedeutungsfülle nicht ganz präzise abbilden. Denn es kommt nur selten vor, dass man für ein Wort ein exakt passendes Wort in einer anderen Sprache findet.

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Im Anfang war das Wort heißt auf Griechisch en archē ēn ho logos. Schon die Gelehrten, die das ins Lateinische übersetzten, wussten, dass logos nicht nur das Wort bezeichnet, sondern auch die Vernunft, die Weisheit oder einen zusammenhängenden Gedanken. Wenn man zum Beispiel etwas korrekt berechnet, dann handelt man gemäß dem logos. Daher kommt auch das Wort Logik, und Logik hat hoffentlich auch in Ihren Studien eine große Rolle gespielt: die Kunst, richtige Schlussfolgerung zu ziehen.

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Archē, der Anfang, kann im Griechischen ein bestimmter Zeitpunkt sein, es kann aber auch das Prinzip oder die Ursache gemeint sein.

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Anstatt zu übersetzen Im Anfang war das Wort könnten wir also auch sagen Vernunft und Weisheit stehen über allem oder Letztlich hängt alles miteinander zusammen. Und das ist doch allemal ein interessantes Konzept, über das sich nachzudenken lohnt.

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Im Studium haben Sie wissenschaftliche Methoden gelernt und sind zu neuen Erkenntnissen gelangt. Das war nur möglich im Vertrauen auf die Vernunft, auf die Logik und darauf, dass es Zusammenhänge gibt und wir sie erkennen können. Wir Menschen können verstehen und Schlussfolgerungen ziehen. Wir können Dinge in einem größeren Kontext sehen und deshalb Verantwortung übernehmen, ja, manchmal – auch wenn man immer wieder daran zweifeln kann –, manchmal können wir sogar richtig weise sein, übrigens oft auch ganz ohne akademischen Titel. Was frühere Generationen getan, gesagt und geschrieben haben, können wir aufnehmen, kritisieren und weiterentwickeln.

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Sie haben auch gelernt, Dingen auf den Grund zu gehen. An der Oberfläche sieht man nur einen kleinen Teil, so wie auch der deutsche Satz Im Anfang war das Wort nicht alles abbilden kann, was im griechischen Original enthalten ist. Ein Studium soll daher immer auch Sprachkompetenz ausbilden. Und damit meine ich nicht nur Deutsch oder Griechisch, sondern die Fähigkeit, Dinge aus ihrem Kontext heraus zu verstehen, sie in einen anderen Kontext zu übertragen und dadurch Missverständnissen und falschen Schlussfolgerungen überzeugend entgegentreten zu können.

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Wissenschafterinnen und Wissenschaftern kommt daher gesellschaftliche Verantwortung zu. Nur Sie selbst können Ihre Kompetenz nun einbringen in die Medien, in gesellschaftliche Diskussionen und in das persönliche Umfeld. Reihen Sie sich nicht unter die Zynikerinnen und Zyniker ein, die alles für sinnlos halten und bestenfalls noch auf den eigenen Vorteil hinarbeiten, sondern stehen Sie ein für die Vernunft, für die überzeugende Rede und für die Freude an neuen Erkenntnissen.

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Liebe Angehörige! Der Weg, den Sie mitgegangen sind – manchmal vielleicht etwas ratlos, aber hoffentlich nicht allzu oft mitleidend –, dieser Weg ist an ein Etappenziel gelangt und wird nun in unterschiedlichen Berufsfeldern und Lebensgestaltungen weitergehen, vielleicht auch in einem weiteren Studium. Fragen Sie unsere Absolventinnen und Absolventen, was sie gelernt und entdeckt haben. Und wenn die Antwort unverständlich erscheint, dass bedenken Sie, dass das Übersetzen aus der Sprache der Wissenschaft in die Sprache des Freundeskreises und der Familie gar nicht so einfach ist, manchmal auch scheitert und immer neu geübt werden muss. Die Universität jedenfalls ist davon überzeugt, dass Wissenschaft wesentlich dazu beiträgt, eine Gesellschaft nicht durch Vorurteile, sondern durch überprüfbare Erkenntnisse zu gestalten, die sich ständig gegenseitig in Frage stellen und gerade auf diese Weise weiterentwickeln.

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Liebe Absolventinnen, liebe Absolventen, zu Ihren Studienabschlüssen gratuliere ich Ihnen herzlich! Genießen Sie den heutigen Tag, feiern Sie mit Ihren Angehörigen und bleiben Sie der Universität Innsbruck verbunden.

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Anmerkung

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[1] Die Ansprache wurde in der Aula der Universität Innsbruck gehalten: für Absolventinnen und Absolventen der Fakultät für Bildungswissenschaften, der Fakultät für Biologie, der Fakultät für Chemie und Pharmazie, der Fakultät für LehrerInnenbildung, der Fakultät für Mathematik, Informatik und Physik, der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft, der Fakultät für Technische Wissenschaften, der Katholisch-Theologischen Fakultät, der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, der Philosophisch-Historischen Fakultät und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät.

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