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Wider moralisierende giftige Schablonen unserer Gegenwart
(Predigt zum 3. Fastensonntag, gehalten in der Jesuitenkirche am 23. März 2024)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2025-03-26

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zum 3. Fastensonntag, im Anschluss an Lk 13,1–9), , gehalten in der Jesuitenkirche am 23. März 2024 um 11.00 Uhr 

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Was wir da gerade gehört haben – ich meine die ersten Sätze des heutigen Evangeliums (Lk 13,1–5) – das steht quer zu alldem, was Menschen, also auch wir heutzutage, normalerweise hören, lesen, denken oder auch selber aussprechen. Deswegen stellen diese Worte auch eine gewaltige Herausforderung an die geistige Atmosphäre unserer Zeit. Ganz aufgeregt kommen Menschen mit einer Schreckensnachricht zu Jesus. Sie wissen längst selber, was man davon halten soll, wollen aber ihre Schemata von Jesus bestätigt bekommen. Konfrontiert mit diesem politischen Skandal, reagiert Jesus ganz anders als die Fragessteller damals dachten und unsere medial so geschätzten Experten es heute tun, oder die Kommentatoren und die sich objektiv gebenden Berichterstatter. Die Reaktion Jesu auf die Nachricht hat nichts zu tun mit der Logik einer schreienden Schlagzeile, die ja meistens der Versuchung des erhobenen – auf andere ausgerichteten und anklagenden – Zeigefingers entspringt; ganz im Gegenteil: sie schleudert denjenigen, die ganz aufgeregt von der Sensation berichten und schon längst wissen, wie man den Skandal bewerten soll, eine sie selber  betreffende und beunruhigende Wahrheit ins Gesicht. Hart und unbequem sind diese Sätze! Ist das der Grund, dass sie nur im Lukasevangelium tradiert wurden?

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Worum geht es? Der brutale Statthalter Pilatus, der mit unerbittlicher Härte jeden Aufstand im Keim erstickte, ließ wiederum einige Menschen niedermetzeln. Im Tempelbezirk. Dort, wo die blutigen Tieropfer dargebracht werden. Das Blut der getöteten Galiläer vermischte sich mit dem Blut der Opfertiere. Was dachten die Nachrichtenüberbringenden damals und was wird man heute dazu sagen? „Eine nicht nur himmelschreiende Ungerechtigkeit sei das, ein Skandal politischer und religiöser Natur ersten Ranges. Und auch ein klares Beispiel für die menschenverachtende Politik des blutrünstigen Statthalters, gar eines Diktators.“ Oder aber als Alternative: „Die Fremden – denn den Juden waren Galiläer ja nicht ganz koscher – die Fremden haben das Unglück selber provoziert. Ließen sich von ihren religiösen Gefühlen hinreißen. Waren also selber schuld an dem, was ihnen wiederfahren ist.“ Die schockierten Menschen brauchen ja immer eine Einordnung dessen, was sie gehört haben und im Grunde eine Bestätigung dessen, was sie selber denken. Deshalb fragen sie: „Jesus, was sagst du dazu? Bist doch selber ein Galiläer?“

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Im klaren Gegensatz zu den Erwartungen seiner Zuhörer, aber auch im Gegensatz zu der medialen Logik der Berichterstattung, also auch zu den von uns allen so geliebten Schemata für Reaktion auf politische Skandale, auf all die „Breaking News“-Sensationen, übergeht Jesus das allgegenwärtige Thema der Brutalität des Statthalters mit Schweigen. Er beteiligt sich nicht an der Dämonisierung des verhassten Machthabers, rechtfertigt auch nicht sein Handeln. Um auch die gängigen Schemata des Denkens über die Opfer zu hinterfragen und eine radikal neue Perspektive zu öffnen, fügt er selber das Beispiel eines anders gelagerten tragischen Ereignisses. Man denke an den Einsturz eines Turmes. Achtzehn Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Warum? Sie haben doch sicher das Unglück selber nicht provoziert. Ganz anders als bei den heutigen Wahrnehmungen solcher Fälle erinnert Jesus an das Unglück nicht bloß deswegen, um die Fahrlässigkeit und Korruption beim Bau des Turmes ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und die Bestrafung der Verantwortlichen zu fordern. Er erklärt auch nicht die Unglücksfälle, weder das des Turmeinsturzes, noch jenes der politischen Tragödie.

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Beurteilt man diesen Jesus mit den Maßstäben, die unsere Öffentlichkeit als selbstverständlich und nicht hinterfragbar ansieht, so wird man wohl sagen: dieser Jesus mit seiner Rationalität sei ein Mensch, der nicht von dieser Welt ist. Er stellt ein Ärgernis dar, genauso wie er schon damals ein Ärgernis war. Warum?

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Was will er, was will dieses Evangelium? Jesu Kritik, die er regelrecht seinen Zuhörern ins Gesicht schleudert, fokussiert zuerst zwei fatale Reaktionen der Menschen auf das Unglück anderer.  Sie sind uns allen bestens vertraut, denn auch wir bedienen uns dieser Schemata. Und wie lauten sie? „Selber schuld! Derjenige, dem das Unglück zustößt, der wird schon wissen, warum?“  Das Unglück verführt zur Logik des erhobenen, auf Andere ausgestreckten und anschuldigenden Zeigefingers. Mehr noch: „Sollte beim Unglück so etwas wie eine Strafe im Spiel gewesen sein, dann bin ich froh, dass es den anderen traf, nicht aber mich. Eine Strafe, die den anderen trifft, entlastet mich.“ Die Menschen sind ja stark versucht, die Betroffenen: die Opfer aber auch die Täter durch die Logik des Sündenbocksmechanismus zu verdecken. Demgegenüber das harte Urteil Jesu: Niemand ist frei von Schuld und Sünde. Und schon gar nicht ihr selber, die ihr euch so aufregt, aber auch aus dem Unglück bloß moralisches Kapital für sich selber zu schlagen versucht.

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Diese ersten Sätze des heutigen Evangeliums stehen quer zu all dem, was Menschen damals dachten, aber auch zu dem, was wir heute hören, denken und auch selber sagen. Heute vielleicht mehr denn je. Denn: Unsere Welt erstickt geradezu im Moralismus. Es ist eine Welt, die den auf Andere ausgerichteten erhobenen beschuldigenden Zeigefinger mit Politik verwechselt und Menschen hemmungslos anprangert, sie gar dämonisiert. Moralismus und Sündenbockmentalität haben aber die fundamentale Wahrheit über den Menschen und auch das Zusammenleben von Menschen verdrängt. Und wie lautet sie? Wir alle sind Sünder − und damit auch erlösungsbedürftig. In unserem Denken, Reden und Handeln benötigen wir in diesem Zusammenhang dauernd einer Korrektur! Die Umkehr, zu der wir in der Fastenzeit des Jahres 2025 also zuerst aufgerufen sind, betrifft die moralisierenden giftigen Schablonen unseres Denkens in Gesellschaft und Kirche mit denen wir bloß moralisches Kapital für uns selber schlagen. Und wie lauten die Schablonen? „Nur die anderen seien schuld! Nur die anderen haben ihre Sündenböcke. Ich dagegen nur legitime Feinde, die ja an der Misere der Gegenwart schuld sind.“

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Liebe Schwestern und Brüder, die jesuanischen Worte, die uns heute die unbequeme Wahrheit in Erinnerung rufen, dass wir alle Sünder sind, stellen keineswegs den auf uns ausgestreckten anschuldigenden Zeigefinger dar, den Zeigefinger, der uns nur bloßstellen und verurteilen würde. Jesus schlägt mit seiner Rede keineswegs moralisches Kapital für sich, seine Verkündigung versprüht keineswegs moralisierendes Gift. Als absolut Sündenreiner distanziert er sich von uns – den Sündern – nicht. Im Gegenteil: Er steigt hinein in unseren vom Moralismus und Selbstgerechtigkeit vergifteten Alltag, identifiziert sich geradezu mit uns Sündern und spricht von der voraussetzungslosen Liebe Gottes zu den Sündern, einer Liebe, die die Umkehr erst möglich macht.

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Die Menschen sind Sünder. Sie bedürfen der Vergebung, damit sie zur Versöhnung fähig werden.  Verdrängen sie diese Tatsache dann gewinnt die Versuchung des auf Andere ausgestreckten Zeigefinger, die Versuchung zur Schuldabschiebung und subtilen Sündenbockstrategien die Oberhand. Dann werden das Leben und Zusammenleben durch Moralismus vergiftet. Deswegen braucht unsere Gegenwart mehr denn je dieser harten Worte Jesu, sie braucht mehr denn je seine erlösende Liebe. Damit unser Zusammenleben das menschenfreundliche Gesicht nicht ganz verliert.

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Wie schon gesagt: Die Umkehr, zu der wir in der Fastenzeit des Jahres 2025 zuerst aufgerufen sind, betrifft die moralisierenden giftigen Schablone unseres Denkens. Als Sündenreiner steigt Jesus in diese vom Moralismus vergiftete Welt hinein. Deswegen weiß er auch, wie schwierig die Umkehr für den Menschen ist. So nötig sie ist, so geduldig muss derjenige sein, der auf diese Umkehr wartet. Das an die harten Worte der ersten Sätze des heutigen Evangeliums folgende Gleichnis vom Feigenbaum, der trotz seiner Unfruchtbarkeit nicht umgehauen wird, soll uns allen, die wir ja auch nicht immer gute Früchte bringen und uns auch mit der Umkehr in Sachen unserer eigenen Sündhaftigkeit schwer tun, dieses Gleichnis soll uns heute Hoffnung vermitteln. Uns damit auch zur gläubigen Gelassenheit motivieren.

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Und damit auch etwas von dieser trockenen Predigt in Erinnerung bleibt, soll noch eine alte Geschichte in Erinnerung gerufen werden. Es ist eine Geschichte, die den Geist des Moralismus im Keim erstickt. Wiederum waren Mönche skandalisiert. Über das Verhalten eines ihrer Mitbrüder. Weil er gesündigt hat. „Wisst ihr“, sagte ihnen der große spiritueller Meister: „Gott steht dem Sünder näher als dem Heiligen!“ Die eifrigen, in Askese geübten, Mönche schüttelten nur den Kopf. „Wie kann das sein?“, fragten die Skandalisierten. „Ganz einfach“, antwortete der Meister. „Gott ist mit jedem Menschen durch ein langes Seil verbunden. Wenn der Mensch sündigt, dann schneidet dieser Mensch das Seil durch. Doch der liebe Gott lässt den Menschen niemals fallen. So bindet er das Seil neu. Und jedes Mal, wenn er den Knoten neu zusammenbinden muss, wird das Seil halt kürzer. So bringt Gott den Sünder immer näher zu sich. Merkt euch ihr alle, die ihr so heilig tut und doch der subtilen Sündenbockmentalität verhaftet bleibt: Immer und immer wieder schneidet auch ihr, oder gerade ihr durch eure Sünden das Seil durch. Und Gott – nicht aber ihr selber – tut es immer und immer wieder neu binden. Deswegen steht er dem Sünder näher als dem Heiligen.“

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Im Fall und im Versagen bleibt uns Gott nahe. Er lässt uns niemals fallen. Nur deswegen kann ich mit der Wahrheit. „Ich sei ein Sünder“ leben und auch gläubige Gelassenheit ausstrahlen.

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