So habe ich nun bereits zum dritten Mal „De Profundis“ von Oscar Wilde gelesen. Der Titel ist die lateinische Übersetzung des Beginns von Psalms 130: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir…“ Oscar Wilde war ein berühmter Schriftsteller am Ende des 19. Jahrhunderts. Seine Theaterstücke sprühen nur so vor Witz (z. B. „The Importance of Being Earnest“), seine kunstvoll erzählten Märchen (z. B. „The Selfish Giant“) bewegen bis heute. Wegen eines Konflikts aufgrund einer homosexuellen Beziehung wurde er zu Zuchthaus verurteilt, zuerst zu schwerer Arbeit, die ihn körperlich ruinierte, später wurde ihm erlaubt zu schreiben. Es war eine sehr schwere Zeit für ihn, und in dieser Zeit entstand diese Schrift „De Profundis“. In deren zweiten Teil fängt er an, über Jesus Christus zu schreiben und er gerät ins Schwärmen. Er spricht vom Charme Christi. Christus übe eine große Faszination auf ihn aus. Er sei ein Künstler, und sein Leben ein einziges Kunstwerk. „Aus der Zimmermannswerkstatt in Nazareth war eine unendlich größere Persönlichkeit hervorgegangen, als je eine in Mythen und Sagen erstandene, eine Persönlichkeit, die seltsamerweise dazu bestimmt war, der Welt die geheimnisvolle Bedeutung des Weins und die wahre Schönheit der Lilien des Feldes zu enthüllen.“ Und Wilde kommt auf die heutige Evangelienstelle zu sprechen, wo Jesus sagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“ Wilde schreibt: „It was worth while living to have said that.” Es lohnte sich zu leben, dies gesagt zu haben. Am Ende seines Hymnus an Christus resümiert er: „Das ist letztlich der Charme, der von Christus ausgeht: er gleicht einem Kunstwerk. Er lehrt uns nicht wirklich etwas, aber dadurch, dass wir mit ihm in Berührung kommen, werden wir etwas. Und jeder ist dazu bestimmt, in seine Gegenwart zu kommen. Mindestens einmal im Leben geht jeder Mensch mit Christus nach Emmaus.“ |