… weil auch ich von Christus Jesus ergriffen bin. Predigt zur Steinigung der Ehebrecherin (Joh 8,1-11)

Autor:Niederbacher Bruno
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2025-04-10

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zum Nachlesen über Phil 3,8-14 und Joh 8,1-11 von P. Bruno Niederbacher SJ, 6. April 2025

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Seit Jugendtagen bin ich vom Apostel Paulus angetan, von seiner Leidenschaft, von seinem Einsatz für Jesus. Dabei hat er den irdischen Jesus nie gesehen. Dennoch hat er zu einer lebendigen Beziehung zu ihm gefunden. Er schreibt, dass er von Christus Jesus ergriffen worden ist.

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Auch wir haben den irdischen Jesus nicht getroffen. Wie können wir nach mehr als 2000 Jahren von ihm ergriffen werden? Wie können wir ihn erkennen?

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Ich lese gerne Berichte von Menschen, die Christus für sich entdeckt haben. Was ist da vor sich gegangen? Wie ist es passiert? Was kann ich von ihnen lernen?

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So habe ich nun bereits zum dritten Mal „De Profundis“ von Oscar Wilde gelesen. Der Titel ist die lateinische Übersetzung des Beginns von Psalms 130: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir…“ Oscar Wilde war ein berühmter Schriftsteller am Ende des 19. Jahrhunderts. Seine Theaterstücke sprühen nur so vor Witz (z. B. „The Importance of Being Earnest“), seine kunstvoll erzählten Märchen (z. B. „The Selfish Giant“) bewegen bis heute. Wegen eines Konflikts aufgrund einer homosexuellen Beziehung wurde er zu Zuchthaus verurteilt, zuerst zu schwerer Arbeit, die ihn körperlich ruinierte, später wurde ihm erlaubt zu schreiben. Es war eine sehr schwere Zeit für ihn, und in dieser Zeit entstand diese Schrift „De Profundis“. In deren zweiten Teil fängt er an, über Jesus Christus zu schreiben und er gerät ins Schwärmen. Er spricht vom Charme Christi. Christus übe eine große Faszination auf ihn aus. Er sei ein Künstler, und sein Leben ein einziges Kunstwerk. „Aus der Zimmermannswerkstatt in Nazareth war eine unendlich größere Persönlichkeit hervorgegangen, als je eine in Mythen und Sagen erstandene, eine Persönlichkeit, die seltsamerweise dazu bestimmt war, der Welt die geheimnisvolle Bedeutung des Weins und die wahre Schönheit der Lilien des Feldes zu enthüllen.“ Und Wilde kommt auf die heutige Evangelienstelle zu sprechen, wo Jesus sagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“ Wilde schreibt: „It was worth while living to have said that.” Es lohnte sich zu leben, dies gesagt zu haben. Am Ende seines Hymnus an Christus resümiert er: „Das ist letztlich der Charme, der von Christus ausgeht: er gleicht einem Kunstwerk. Er lehrt uns nicht wirklich etwas, aber dadurch, dass wir mit ihm in Berührung kommen, werden wir etwas. Und jeder ist dazu bestimmt, in seine Gegenwart zu kommen. Mindestens einmal im Leben geht jeder Mensch mit Christus nach Emmaus.“

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Und tatsächlich kann die Szene aus dem heutigen Evangelium als Visitenkarte Jesu verstanden werden. In einem Augenblick offenbart sich der ganze Charakter seiner Person. Wenn ich nichts von ihm wüsste außer dies – wie er diese Frau mit einem einzigen Satz gerettet hat – so wäre dies Grund, von ihm ergriffen zu sein und zu sagen: Schon rein menschlich betrachtet ist er für mich ein Vorbild.

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Es gibt noch viel anderes, wodurch Christus mich ergriffen hat. Mit seinen wunderbaren Bildern und Vergleichen, hat er Wege zu Gott eröffnet. Gottes Gegenwart ist wie ein Schatz. Wer Gott entdeckt, wird sich riesig freuen und alles darum geben, diesen Schatz zu gewinnen. Oder: Gott ist wie ein geradezu verrückter Vater, der alle Etikette vergisst und seinem gefallenen Sohn mit offenen Armen entgegenläuft.

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Aber es geht über die historische Gestalt hinaus. Ich glaube, dass Christus lebt und in meinem Leben gegenwärtig ist. Von ihm ergriffen zu werden geschieht daher auch in Momenten des Gebets, wenn ich mir vorstelle, dass er an meiner Seite ist; wenn ich mein Herz öffnen und meine Lasten vor ihm ablegen kann; wenn Schuldgefühle mich bedrücken und ich die Kraft seiner Worte höre: „Ich verurteile dich nicht.“ Während meiner Zeit in der MK hatten wir eine Christusikone. Sie zeigte Jesus mit einer Rolle, worauf stand: „Ich verurteile dich nicht.“ Stundenlang habe ich in dieses Gesicht Jesu hineingeschaut… Oder wenn ich ihm meine Ängste zeigen kann, meine Trauer … Wenn ich bei ihm Hoffnung schöpfen und meine Freude über ein schönes Erlebnis darbringen kann. Da ist es wie Oscar Wilde sagt: In seiner Gegenwart werde ich jemand. Er lässt mich ganz mich sein und baut mich auf. So war er und so ist er.

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Und wenn ich überheblich werde und leichtfertig über andere urteile, dann wünsche ich mir, dieses Wort Jesu zu hören: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Und wenn Schuldgefühle mich plagen, dann wünsche ich mir, dieses andere Wort Jesu zu hören: „Auch ich verurteile dich nicht.“

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So kann Erkenntnis Jesu geschehen. Und sie ist noch lange nicht abgeschlossen. Es ist wie Paulus schreibt: „Nicht, dass ich es schon erreicht hätte… Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin.“

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