- Leseraum
| Die österlichen AugenAutor: | Niewiadomski Jozef |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | predigt |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | Originalbeitrag für den Leseraum |
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Datum: | 2003-04-15 |
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InhaltsverzeichnisInhalt1
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Es war ein Tag wie jeder andere, und doch war er es nicht. Und dies nicht nur für jene kleine Gruppe von Menschen, die an diesem Morgen an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft geraten sind. Was sich an diesem "ersten Tag der Woche" (Mk 16,2; Lk 24,1; Mt 28,1; Joh 20,1) in Jerusalem ereignet hat, war so überwältigend, dass nicht nur die unmittelbaren Zeugen ihr Leben lang um eine adäquate Artikulation des Erlebten gerungen haben. Deren österliche Augen wurden ja in den nachfolgenden Jahrhunderten für Millionen von Menschen zum entscheidenden Fokus für die Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung ihrer Lebensgeschichten. Wie sind aber die österlichen Augen möglich geworden und was nahmen sie eigentlich wahr?
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Nur die Tatsache des leeren Grabes? Die kleine Gruppe von Jüngerinnen und Jüngern hat doch die schreckliche Kreuzigung, das Sterben und die Verzweiflung der Gottverlassenheit gesehen. Sie haben den leblosen Leichnam vom Kreuz abgenommen, liebevoll gewaschen, pietätsvoll gesalbt und begraben. Damit erklärten sie die Beziehung zu diesem Menschen für abgeschlossen, ja für beendet. Mindestens sofern sich diese auch leiblich verwirklichte. Auch wenn sie geglaubt haben sollten, dass in diesem Menschen Gott in ihrer Gegenwart Gestalt angenommen hat, so hat sie die Erfahrung der Kreuzigung eines Besseren belehrt. Und auch ihr eigenes Verhalten dabei! Deswegen stellte ihnen die Tatsache des leeren Grabes höchstens den Grund dar für Zorn und Panik. Woran konnten sie bei der Tatsache des leeren Grabes gedacht haben? An Leichenraub und Leichenschändung. Dies würde allerdings bloß eine Verletzung der Gefühle, die den Trauerprozess begleiten mit sich bringen. Noch einmal also die Erfahrung des Bruches! Mehr noch: es wäre bloß die Potenzierung dessen gewesen, was sie schon beim Verrat, bei der Auslieferung und bei der Kreuzigung erlebt haben. Ihr emotionaler Haushalt ist ja durch die konfliktuelle Zuspitzung der letzten Tage radikal in eine Krise geraten. Es war dabei vor allem die beschämende Erfahrung der Feigheit aber auch der Allianz mit den Gegner da: - weil man sich dem Gedanken, dass man auf den Falschen gesetzt und deswegen auch einige Jahre an Lebensgeschichte verloren hat, nicht entziehen konnte;
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- weil man von panischer Angst erfüllt wurde, dass die eigene leib-seelische Integrität durch analoge Auslieferung, Misshandlung und Tötung zerstört werden könnte;
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- weil all das, was man bis dahin mühsam zu glauben gelernt hat - gerade im Hinblick auf den Gott dieses Mannes - nun brutal falsifiziert wurde. Solche und viele andere konfliktuelle Zuspitzungen und Infragestellungen des emotionalen Haushalts brauchen geradezu notwendig den Leichnam für eine sinnvolle Gestaltung der weiteren Lebensgeschichte, für die Klärung dessen, was aus früheren Zeiten gerettet, was aber der Vergänglichkeit preisgegeben werden konnte. Sie brauchen das Grab, an dem man weinen und fluchen, sich selbst bemitleiden konnte bis man eben mit der Vergangenheit versöhnt wird. Das leere Grab allein stellt also nur die Verstärkung der Bruchserfahrung dar und hilft kaum dazu, den Klärungsprozess kreativ zu fördern.
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Wie sind also die österlichen Augen möglich geworden und was nahmen sie eigentlich wahr? Nur eine Erscheinung? Bei den radikal verunsicherten, durch Angst voneinander isolierten und auf sich selbst geworfenen Menschen, sind Erscheinungen bei Gott keine Offenbarungen. Geister und Gespenster stellen eher die Regel denn die Ausnahme dar, und dies weil sie die Erfahrung des Bruches verfestigen und dem Bruch selber entspringen. Sie versöhnen keineswegs mit der Vergangenheit, weder mit sich selber noch mit den Anderen; im Gegenteil: nach und nach zerstören sie die biographische Kontinuität. So wie die Tatsache des leeren Grabes, wenn man sie isoliert, nur den Bruch potenziert, so auch die Erscheinungen: Die Jünger meinten zwar zuerst einen Geist zu sehen, fühlten sich dadurch aber noch mehr in ihrem emotionalen Haushalt bedroht .
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Wie sind diese österlichen Augen also möglich geworden und was nahmen sie wahr? - lautet immer noch die Frage. Wie die Bibelwissenschaftler sagen, ist es die Tatsache, dass der Auferweckte wiedererkannt wird, die zu den entscheidenden Impulsen des Osterglaubens zählt. Er wird wiedererkannt! Seine Identität und auch Integrität durch den Tod hindurch wird von anderen Menschen als eine Identität erlebt, die immer noch gegeben ist. Er wird also wiedererkannt - aber nicht aufgrund seines Personalausweises - Nein! Er wird wiedererkannt - aber auch noch nicht als derjenige beschrieben, der durch die metaphysisch zu definierenden Bestandteile seiner Seele und seines Leibes als derselbe zu identifizieren wäre. Er wird wiedererkannt... Ja, aber schon gar nicht im Kontext eines primär naturwissenschaftlich orientierten Forschungsprogramms, bei dem man aus der ganzen breiten Palette der Identifikationsprinzipien zu wählen hat, woran man sich zu halten habe: von den einfachen biologistischen Kriterien bis hin zu den informationsgenetischen.
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Er wird wiedererkannt - so banal es klingen mag - im Kontext seiner Relationen, seiner vielfältigen Beziehungen also. Ein solches Ereignis kann kein rein kognitiver Vorgang sein. Wiedererkennen im Kontext der Beziehung, die radikal zu Bruch gegangen ist, bedeutet nämlich die Neuaufnahme einer solchen Beziehung, hier: die Neuaufnahme sogar durch den Tod hindurch. Es muß dies eine Neuaufnahme sein, die den Transformationsprozess all des Negativen impliziert, es keineswegs ungeschehen macht. Nur so ist Kontinuität möglich, eine Kontinuität für Leib und Seele. Und warum ist dies von Bedeutung?
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Sie haben doch diesen Jesus in ihrem Leben als eine integrative Persönlichkeit erlebt. Er näherte sich ja jenen, die ausgeschlossen oder an den Rand gedrängt wurden, den Opfern also, den Sündern und den Außenseitern, den Kranken, den Schwachen, Kindern und Frauen und holte sie in die menschliche Gemeinschaft zurück. Er mied aber auch nicht die Häuser der Geachteten und der als gerecht Angesehenen. Er sprengte die Grenzen und zeigte, dass sein Gott, sein Vater sich bedingungslos einem jeden Menschen zuwendet. Welche Konsequenzen zeigte aber eine solche Offenbarung? Anstatt einer universalen Integration aus der Kraft eines Gottes kam eine universale Allianz gegen den Offenbarer zustande. Nicht nur die expliziten Gegner Jesu rotteten sich gegen ihn zusammen. Die Universalität der Ablehnung kann nicht zuletzt durch den Hinweis auf die Jüngerinnen und Jünger, die im Kontext der Krise versagen und fliehen, ausgrenzen und verraten verständlich gemacht werden. Selbst beim letzten Liebesmahl entlarvte man den Verräter und stieß ihn aus, weil man ihn gehen ließ in der Überzeugung der eigenen ethischen Überlegenheit und der Solidarität untereinander: nun ohne das schwarze Schaf. Abendmahl als eine Gemeinschaft der Verschworenen! Wie schnell zerriss der Schleier einer vermeintlichen Überlegenheit. Die Verschworenengemeinschaft der Jünger ließ den Einen dann doch ausgrenzen und verbluten. Und sie suchte dies auch zu vergessen und zu verdrängen. Man ging ja auseinander auf der Suche nach neuen Gemeinschaften und neuen Liebesmählern.
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Wiedererkennen Jesu nach seiner gewaltsamen Ausgrenzung und dem Tod durch seine Jüngerinnen und Jünger ist also identisch mit der Wiederherstellung jener Relationen, die vor dem Tod und der Ausgrenzung die spezifische Identität dieses Einen ausgemacht haben. Trotz der gewaltsamen Ausgrenzung, trotz der Isolation, die in den Tod führten, ist er immer noch derselbe; mehr noch: gerade durch den Tod hindurch kann er aus derselben Kraft seines Gottes weiterhin die Trennungen und Ausgrenzungen überwinden. Was bedeutet das konkret?
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Für diese Perspektive ist es geradezu konstitutiv, dass die erste Zeugin der Auferweckung, der erste Mensch mit österlichen Augen, Maria von Magdala ist: die Außenseiterin per excellence! Mich stört die kirchliche Identifizierung der früheren Hure und der späteren Jüngerin Jesu mit der ersten Zeugin der Auferweckung keineswegs. Ich finde sie geradezu sinnkonstitutiv. Die Beziehung durch den Tod hindurch wird durch Jesus auf dieselbe Art und Weise geknüpft, wie schon damals, als er sie als Außenseiterin beim Namen ansprach und in die Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger integrierte. Jene Person also, die Jesus radikal aus der Position des Außenseiters vor seinem Tod erlebt hat, nur sie - die von den Menschen erniedrigt wurde, die viel geglaubt, wenig moralisiert und sehr viel gelitten hat, weil sie öfter als die gut sozialisierten Bürger das Zerbrechen ihrer Wünsche und die Brüche in ihrer eigenen Lebensgeschichte erlebt hat - kann mit einer so elementaren Handlung etwas anfangen, die die Nennung beim Namen: „Maria!". So etwas ruft eine Kraft hervor, die die Grenze des Scheiterns und des Todes überwindet. Er ist immer noch derselbe, weil er sie beim Namen anspricht, genauso wie früher: ohne den moralisierenden, erniedrigenden und triumphierenden Beigeschmack. Der Name steht bei dieser Begegnung für das Programm, einer tiefen leib-seelischen Beziehung, die auch das Erotische nicht ausklammert (die mittelalterlichen Künstler haben von dieser Szene sehr viel verstanden, weil sie diese Szene als Projektionswand für ihre erotischen Wünsche begriffen haben). Der Leib des Auferweckten wird ja in dieser Szene geradezu zur Verdichtung jener Leiblichkeit, die in den unzähligen Berührungen, Heilungen, in den unzähligen Kommunikationsvorgängen den irdischen Leib Jesu zum Realsymbol der ganzen Person gemacht haben.
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Neben der Begegnung mit Maria sind es vor allem die Begegnungen mit den verstörten Jüngern im Abendmahlsaal, die von Bedeutung sind. Der Auferweckte erscheint dort immer mit einem Friedensgruß und speist sogar mit ihnen. Der Friedensgruß ist hier mit der bedingungslosen Schuldvergebung und der Versöhnung identisch. Er, der selber ausgegrenzt und getötet wurde, er, der zum Opfer geworden ist, erscheint mit einem Wort der Versöhnung, und nimmt am Versöhnungsmahl teil. Er bewirkt Frieden dort, wo der Friede scheinbar unmöglich ist, angesichts der Grenze des Todes.
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Die österlichen Augen haben etwas mit der Perspektive der Integration zu tun. Der Integration der Außenseiter und der Randexistenzen. Der Integration von ausgegrenzten Lebensaspekten. Der Integration der Leiblichkeit etwa. Sie haben mit der Integration der Erfahrungen des radikalen Scheiterns etwas zu tun. Mit der Überwindung der Brüche. Sie haben mit jenem Frieden etwas zu tun, der nach dem Krieg, nach jedem Bruch, nach jeder Verletzung neu zur Diskussion steht. Der Friede des Auferstandenen!
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