- Leseraum
| Heil in Jesus ChristusAutor: | Schwager Raymund |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | |
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Datum: | 2001-10-09 |
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Inhalt1
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Die Aufklärung brachte eine fundamentale Veränderung in der Frage nach dem Heil der Menschen. Suchte man vorher das Heil vor allem im Jenseits (Himmel), so begann das neue Denken sich ganz um das Heil auf Erden zu kümmern. Man träumte von einem Himmelreich auf Erden, wie dies der große Skeptiker Heinrich Heine (1797 - 1856) im Gedicht ausdrückte:
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"Ein neues Lied, ein besseres Lied
O Freunde, will ich Euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten."
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Angesichts dieser neuen Erwartung schien das Christentum versagt zu haben, denn es hatte das Leben auf dieser Erde als eine Prüfung und als eine Existenz im Tränental verstanden, zur Geduld ermahnt und das irdische Dasein kaum zu verbessern versucht. Durch seine gewalttätige Geschichte (Kreuzzüge, Inquisition, Religionskriege, etc.) hatte es zudem viel an Glaubwürdigkeit verloren. Ein neuer Fortschrittsglaube begann deshalb den traditionellen Glauben an das Heil in Jesus Christus zu ersetzen.
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Manche Christen, die zugleich modern sein wollten, meinten allerdings, die neuen irdischen Erwartungen mit der biblischen Botschaft von der Gottesherrschaft verbinden zu können. Sie verstanden die Verkündigung Jesu als Lehre von einem gütigen Vater im Himmel und als Ankündigung eines Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens hier auf Erden. Die liberale protestantische Theologie, in der solche Gedanken gepflegt wurden, ließ deshalb die Lehre vom Erlösertod Christi weitgehend fallen und sah im Gleichnis vom verlorenen Sohn eine Zusammenfassung der ganzen Botschaft Jesu.
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Trotz echter wissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Fortschritte brachte das neue Denken nicht jenes Heil, das man erträumte. Vor allem die Kriege wurden nicht überwunden, sondern die religiösen Auseinandersetzungen wurden durch nationale Kriege, die oft noch brutaler waren, abgelöst. Die Erwartung eines Heiles im Jenseits blieb deshalb trotz des aufklärerischen Denkens lebendig. Im protestantischen Raum war es vor allem der große Schweizer Theologe Karl Barth, der ausgehend von den Erfahrungen des ersten Weltkrieges wieder mit Macht auf die traditionelle Lehre vom Kreuz zurückgriff. Im Anschluß an Luther und Calvin verstand er das Kreuz als Ausdruck des Zornes Gottes und als weltgeschichtliches Gericht über alle Sünde der Menschheit, und er sah im Gekreuzigten jenen Gott-Menschen, der an unserer Stelle den göttlichen Zorn erduldet und alles Böse in der Welt besiegt hat. Im Unterschied zu den Reformatoren, die auf der Linie von Augustinus einen Teil der Menschheit für die ewige Hölle bestimmt sahen, deutete Barth das Kreuz aber zugleich als universales Heilsereignis, das allen Menschen die Hoffnung auf ein ewiges Heil bei Gott eröffnet.
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Nach dem zweiten Weltkrieg und vor allem nach dem zweiten Vatikanischen Konzil drangen die Probleme, die in der protestantischen Theologie schon lange behandelt wurden, auch in die katholische Theologie Westeuropas und Nordamerikas ein, was sich mit besonderer Deutlichkeit in der Exegese zeigte. Bezüglich der Frage nach dem Heil glaubte man nun in den neutestamentlichen Schriften zwei unterschiedliche, ja gegensätzliche Lehren zu finden, von denen man an der einen festhalten und die andere verwerfen wollte. Der bekannte deutsche Exeget Heinz Schürmann beschrieb 1983 die exegetische Lage auf folgende Weise: "Nun finden wir aber bereits in den neutestamentlichen Schriften zwei unterschiedliche Heilslehren, die sich auf den ersten Blick als qualitativ recht andersartig geben. Die eine sagt (in unsere Sprache übersetzt): Christ ist, wer gläubig darauf vertraut, daß Jesus für mich (und die ganze Menschheit) den stellvertretenden Sühnetod gestorben ist, indem er sich am Kreuze gehorsam ergeben dem Vater hingab, sich 'opferte' ('staurologische Soteriologie')... Die exakt-kritisch arbeitende Exegese unserer Tage behauptet auf breiter Front recht zuversichtlich: Diese Erlösungslehre hat Jesus vorösterlich noch nicht öffentlich vorgetragen, schwerlich überhaupt dezidiert so denken können. Er selbst hat zu seiner Zeit eine andersartige Heilslehre verkündet, eine 'eschatologische Soteriologie', die Markus so zusammenfaßt: 'Die Zeit ist erfüllt, und die Gottesherrschaft - Gottes Reich - ist nahe herangekommen' (Mk 1,15a)" (1). Gemäß dieser vorherrschenden Exegese hätte Jesus, wie Schürmann folgert, "eine andere Heilslehre verkündet, als die Kirche es - seit Paulus und Markus und schon vor Paulus und vor Markus - getan hat und noch heute tut. Jesus verkündete die Befreiung durch das Reich Gottes - und es kam die kirchliche Erlösungslehre." (2) Die von Schürmann beschriebene, von ihm selber aber nicht vertretene exegetische Sicht fand deshalb viel Anklang, weil sich nach dem zweiten Weltkrieg einerseits wieder ein innerweltlicher Fortschrittsoptimismus zeigte und weil anderseits die Vorstellung von einem zornigen Gott, der durch Blut versöhnt werden muß, spontan auf größten Widerstand stieß. Man sprach deshalb die harten Gerichtsworte in den Evangelien Jesus ab und schrieb sie einer nachösterlichen Gemeinde zu, die von der wahren Botschaft abgefallen wäre.
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Ist der skizzierte Gegensatz zwischen einer Botschaft Jesu von der nahen Gottesherrschaft, die das Heil auf Erden beginnen läßt (eschatologische Soteriologie), und einer kirchlichen Verkündigung vom Gericht und vom Erlösertod am Kreuz, die nur ein jenseitiges Heil kennt (staurologische Soteriologie), sachlich begründet? Dies ist heute die zentrale Frage für eine neutestamentliche Heilslehre, und ich gebe darauf eine negative Antwort. Meiner Ansicht nach kam es zur Konstruktion eines Gegensatzes, weil man die komplexe Wirklichkeit der alt- und neutestamentlichen Heilsgeschichte intellektualistisch verkürzt und alles von einzelnen Ideen her beurteilen wollte. Die tatsächliche Offenbarungsgeschichte bietet uns jedoch ein anderes Bild. In ihr spricht Gott durch seine Boten zunächst die Menschen an, wartete auf ihre Antworten und reagiert darauf - je nach Gehorsam oder Ablehnung - mit Heil oder Gericht. Der Plan Gottes entfalten sich so über mehrere Stufen und Etappen. In Analogie zu einem Drama auf der Bühne ist deshalb das Wirken Gottes in der alt- und neutestamentlichen Geschichte als ein Drama in mehreren Akten zu verstehen.
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Die Einführung dramatischer Kategorien in die Theologie hat Hans Urs von Balthasar in seinem monumentalen Werk "Theodramatik"(3), das stark von K. Barth inspiriert ist, ausführlich gerechtfertigt. Ich folge ihm auf diesem Weg, auch wenn ich die Interaktion zwischen Jesus, seinen Jüngern und seinen Gegnern stärker betone als von Balthasar und deshalb auch sein Verständnis des Zornes Gottes nicht in allem teile.
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Auf dem Hintergrund der dramatischen Geschichte zwischen Jahwe und dem Volk Israel mit ihrer Heilszusage und ihrem Abfall verkündete Johannes der Täufer ein nahes Gericht Gottes. In das Geschehen, das damit ausgelöst wurde, brach mit Jesus etwas Neues ein.
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Jesus hat die nahe Gottesherrschaft verkündet und sein eigenes Tun in einen nahtlosen Zusammenhang mit dem beginnenden neuen Handeln Jahwes gebracht. Er verkündete Gott als ein Vater, der sich mit zuvorkommendem Erbarmen den Menschen und Sündern zuneigt. Die göttliche Güte machte Jesus durch Zeichen und Wunder und durch seinen Umgang mit Zöllnern und Sündern zeichenhaft erfahrbar. Entsprechend der göttlichen Zuneigung und Vorleistung forderte er die Menschen auf, ebenfalls durch Vorleistungen Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen und den Kreislauf der Gewalt durch zuvorkommende Güte zu unterbrechen: "Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin" (Mt 5,39). Selbst öfter erlittenes Unrecht sollte durch entsprechendes Verzeihen besiegt werden. Petrus wurde deshalb eingeladen, nicht bloß siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal zu verzeihen (Mt 18,21f). - Wäre diese Botschaft auf gutes Erdreich gefallen, dann hätte sich von ihr aus in Israel tatsächlich ein Reich der wahren Gerechtigkeit und des Friedens ausgebreitet. Jerusalem wäre zum Zentrum eines Friedensreiches schon auf dieser Erde geworden. Tatsächlich liefen die Dinge aber anders. Die Botschaft der zuvorkommenden Güte stieß auf Unverständnis, Gleichgültigkeit, Widerstand, ja Ablehnung. Sie prallte an den harten Herzen der Menschen ab.
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Der Widerstand gegen den Willen, Israel als Reich Gottes neu zu sammeln, schuf eine negative Situation. Jesus deutete sie mittels der Gerichtsworte: "Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind. Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt" (Lk 13,34). Im ablehnenden Willen Jerusalems diagnostizierte Jesus, wie das zitierte Wort zeigt, einen Willen zum Prophetenmord. Er deutete den Widerstand Israels und aller Menschen - seit Kain - gegen die Gottesherrschaft einerseits als Willen zur Gewalt (vgl. Mk 12,1-12; 13,3-20; Mt 23,29-35; Lk 11,49-51; Joh 8,31-44) und anderseits als Lüge oder Heuchelei, die den gewalttätigen Willen zu verbergen sucht (vgl. Mt 23,13-35; Joh 8,44).
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Dem Widerstand sagte Jesus das Gericht an. Bedeutet dies, daß er einen himmlische Richter verkündete, der auf die menschlichen Gewalttäter mit himmlischer Gegengewalt reagiert? In den neutestamentlichen Gerichtsworten finden sich tatsächlich Bilder von einem derartigen Richter. Wenn man die Worte Jesu aber genauer analysiert, zeigt sich in ihnen auch deutlich ein anderes Gerichtsverständnis, nämlich das Selbstgericht. Mit dem Maß, mit dem die Menschen messen, wird ihnen zugeteilt werden (Mt 7,2). (4) Schon ihm Alten Testament wird das göttliche Gericht teilweise als menschliches Selbstgericht gedeutet, etwa in Psalm 7, wo es vom Frevler heißt, er stürze in die Grube, die er selber gegraben hat, und die Gewalttat falle auf sein eigenes Haupt zurück. (5) Auch Paulus spricht vom Selbstgericht, wenn er schreibt, der Zorn offenbare sich dadurch vom Himmel her, daß Gott die Menschen ihren eigenen bösen Gedanken und perversen Begierden ausliefert, wodurch sie sich selber bestrafen (vgl. Röm 1,18-32). Da sich neben dieser Idee vom menschlichen Selbstgericht im Neuen Testament aber auch Bilder von einem gewalttätigen himmlischen Richter finden ist die Frage nicht leicht zu beantworten, wie die Gerichtsworte letzlich zu deuten sind. Von weiteren Geschick Jesu her muß deshalb die Antwort auf diese Frage erwartet werden.
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Die Gerichtsworte waren als letzte Aufrüttelung gedacht. Tatsächlich bewirkten sie aber das Gegenteil, nämlich eine Verhärtung der Gegner und eine gewaltsame Reaktion von ihrer Seite. Jesus, der das Gericht Gottes angekündigt hatte, wurde von den Menschen selber gerichtet. Traf ihn dabei der Zorn Gottes, und waren die Menschen, die Jesus zum Verbrechertod verurteilten, "nur Instrumente in der Hand Gottes"(6), wie K. Barth meinte? Diese Sicht wirft große Probleme auf. Warum sollte beim Kreuz nicht mehr das Verhalten Jesu, sondern das Tun der sündigen Menschen Ausdruck und Offenbarung des göttlichen Willens sein? Um gefährliche Mißverständnisse zu vermeiden, sind deshalb die Handlungen der verschiedenen Akteure im Kreuzesdrama - sündige Menschen, Jesus, himmlischer Vater - genau zu unterscheiden.
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Die sündigen Menschen taten Jesus das an, was er in ihnen aufgedeckt hatte. Er hatte in ihnen einen lügnerischen Geist enthüllt, und er selber wurde lügnerisch hingerichtet. Er hatte den Willen zur Gewalt bloßgelegt, und er selber wurde gewaltsam getötet. Alles, was Jesus in den Menschen aufgedeckt hatte und was diese bei sich selber nicht sehen wollten, warfen sie - unbewußt - auf ihn zurück. Sie machten ihn so zur Sünde (2 Kor 5,21), zum Träger der Sünde (1 Petr 2,24), zum Lamm Gottes (Joh 1,29) oder zum Sündenbock.
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Auf das Unrecht und die Gewalt, die ihm angetan wurde, hat Jesus so reagiert, wie er es selber gelehrt hatte. Er vergalt das Böse nicht mit Bösen, sondern überwand es durch Verzeihen und Feindesliebe. Er entschuldigte seine Feinde vor Gott und betete für sie (Lk 23,34), ja er identifizierte sich mit ihnen, insofern sie selber Opfer des Bösen und der Sünde waren. (7) Seine scheinbar unrealistischen Forderungen nach Gewaltfreiheit und Feindesliebe sind in seinem eigenen Leben Wirklichkeit geworden. Deshalb legt sich schon hier die Vermutung nahe, daß es keinen Gegensatz zwischen der Botschaft von der Gottesherrschaft und dem Kreuz gibt. Es gibt nur einen Schritt von der Lehre zur Tat - wegen des Widerstandes der Menschen.
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Wie reagierte aber der himmlische Vater? Während des ganzen Kreuzesdramas schien der Himmel verschlossen zu sein, und der Gott, dem Jesus alles anvertraute hatte, schwieg. Sein Urteil blieb deshalb in diesem Akt des Dramas offen, und wir haben auf den nächsten Akt zu warten.
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Durch die Auferweckung Jesu hat sich der himmlische Vater voll zum Verurteilten bekannt und damit das Verhalten des Gekreuzigten als Ausdruck des göttlichen Willens bestätigt. Die Gewaltfreiheit und Feindesliebe Jesu - und nicht das Tun seiner Gegner - erweisen sich folglich als tiefste Offenbarung des göttlichen Willens und Wesens. Dadurch erhält auch das göttliche Schweigen beim Kreuz eine klare Deutung. Der himmlische Vater hat den grausamen Tod seines Sohnes nicht deshalb zugelassen, weil er ein Opfer gebraucht oder Freude am Schmerz seines Sohnes gehabt hätte. Als radikal gewaltfreier Gott wollte er seine Feinde, die Sünder, nie mit Gewalt besiegen, sondern allein durch Liebe, Überzeugung und Verzeihen gewinnen.
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Der Auferweckte ist seinen Jüngern mit dem Friedensgruß erschienen. Dieser Gruß war mehr als eine Höflichkeitsformel. Die Jünger hatten längere Zeit mit Jesus gelebt, seine Wunder gesehen und manches von seiner Botschaft verstanden, dennoch haben sie ihn verraten und verlassen. Wenn jemand bei seinem Tod auch im moralischen Sinn schuldig geworden ist, dann waren es vor allem sie. Gerade ihnen, den Schuldigen, ist der Auferweckte aber mit dem Friedensgruß erschienen. Er hat ihnen folglich an Ostern ihre Schuld verziehen und ihnen eine neue Versöhnung mit Gott geschenkt.
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Im Gerichtsgleichnis von den bösen Winzern zeigt der Weinbergsbesitzer zunächst auch eine unbegreifliche Güte. Wie aber sogar sein geliebter Sohn umgebracht wird, schlägt seine Güte in ein unerbittliches Gericht um (vgl. Mk 12,9). Am Kreuz ist der geliebte Sohn tatsächlich ermordet worden, die das Gleichnis es angekündigt hatte. Dennoch reagierte der himmlische Vater anders als der Weinbergsbesitzer. Er brachte kein Gericht über die mordenden Menschen und bot gerade den Jüngern, die am meisten versagt hatten, einmal mehr Verzeihung an. Die Gerichtsworte erhalten folglich durch das Kreuz und die Auferweckung Jesu eine klärende Deutung. Wenn sogar die Ermordung seines Sohnes den himmlischen Vater nicht zum Rächergott werden ließ, dann dürfen wir darauf vertrauen, daß Gott nie die Geduld mit uns verlieren wird. Er hört nie auf, um die sündigen Menschen zu werben. Diese können sich nur selber richten, indem sie sich in ihre eigene Welt einschließen und sich dem göttlichen Erbarmen hartnäckigst widersetzen.
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Trotz der Ostererfahrungen blieben die Jünger weiterhin im Bannkreis der alten Welt. Furcht beherrschte sie, und sie hielten sich hinter verschlossenen Türen auf (Joh 20,19.26). Erst der Geist von Pfingsten schenkte ihnen den wahren Freimut und befähigte einen Petrus, der kurz vorher noch seinen Meister vor einer Magd verraten hatte (Mk 14,66-72), sich in der Öffentlichkeit Jerusalems zum Gekreuzigten zu bekennen. Erst durch diesen Geist wurde das Tun und das Heilswerk Jesu in den Herzen seiner Jünger voll gegenwärtig und zu einer Kraft, die zeichenhaft in die Öffentlichkeit dieser Welt hineinwirken konnte.
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Die fünf Akte sind mehr als ein historisches Drama. Sie umschreiben die grundsätzlichen Dimensionen des Heilswirken Gottes, das sich auf offene oder verborgene Weise in allen Menschen vollzieht. Der Vater Jesu Christi ist von seinem tiefsten Wesen her ein Gott der Feindesliebe und der Gewaltfreiheit, der seinen Feinden nie mit Zorn begegnet, sondern um sie wirbt, wie vor allem die Basileia-Botschaft Jesu und Ostern zeigen. Dennoch verliert das Gericht nichts von seiner Strenge. Niemand darf sich selbstgerecht über jene Menschen erheben, die Jesus abgelehnt haben. Seine Verwerfung macht deshalb deutlich, wie sehr alle Menschen dazu neigen, sich in eine Welt des Bösen einzuschließen, eine Welt, die immer gottferner wird und zur Hölle tendiert. Gerade von dieser gewalttätigen Menschheit hat sich Jesus aber freiwillig treffen lassen und sich mit seinen Gegnern, insofern sie selber Opfer des Bösen sind, identifiziert. Er will folglich allen, die bereits auf dem Weg der Verlorenheit sind, nochmals ganz nahe kommen und um das Herz jener, die einem machtvollen Gott Widerstand leisten, in der Gestalt eigener Schwäche und Ohnmacht werben. Durch seinen Tod will er den vom Verderben Bedrohten nochmals einen Weg zum Heil öffnen. Dieses kann auf Erden beginnen - in der Versöhnung der Menschen mit Gott und untereinander dank des Pfingstgeistes. Es bleibt hier aber Stückwerk, weil es immer wider auf den Widerstand der massiven Mächte der Lüge und Gewalt stößt. Zum vollen Heil bedarf es deshalb einer neuen Schöpfung durch Tod und Auferweckung. Real-symbolisch wird das endgültige Heil dennoch bereits hier auf Erden gegenwärtig, nämlich in den liturgischen Feiern der Kirche und vor allem in der Eucharistie, wenn die betende Gemeinde sich der vergangenen Heilsereignisse in Jesus Christus erinnert und um deren Vergegenwärtigung im Hl. Geist bittet.
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H.U. von Balthasar versteht die Erlösung am Kreuz als Trennung der Sünde vom Sünder. Das skizzierte dramatische Modell teilt diese Sicht, denn es sieht einerseits in den Menschen, insofern sie Sünder und Täter des Bösen sind Feinde Christi, die von ihm getrennt werden; anderseits versteht es die Hingabe des Gekreuzigten, der selber zum Opfer (victima) des Bösen wurde, als Identifizierung mit seinen Feinden, insofern diese ebenfalls Opfer (victima) des Bösen sind. Die Kreuzeshingabe eröffnet deshalb eine Scheidung in den Menschen selber, zwischen den Tätern und den Opfern des Bösen, wobei alle Menschen - außer Maria - zugleich auf beide Seiten gehören.
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Nachösterlich führt diese Scheidung zu einer neuen Form des Gerichts, wie sie im ersten Korintherbrief des Hl.Paulus zweimal beschrieben wird. Der Apostel spricht von Gläubigen, die auf dem Fundament Christi mit Gold, Silber und kostbaren Steinen oder mit Holz, Heu und Stroh weiterbauen und deren Werke im Gericht geprüft werden. Was die letzteren aufgebaut haben, wird verbrannt, sie selber aber werden "gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch" (1 Kor 3,15). Noch deutlicher ist nach dem Urteil des Apostels das Gericht über einen Gläubigen, der schlimmer lebt als die Heiden. Die Gemeinde soll diesen "dem Satan übergeben zum Verderben seines Fleisches, damit sein Geist am Tag des Herrn gerettet wird" (1 Kor 5,5). In beiden Fällen haben wir es mit einem massiven Versagen zu tun, und in beiden Fällen kommt es zu einem harten Gericht, zu einer Scheidung in den Menschen selber, wodurch das Böse auf ewig verworfen, die sündigen Menschen aber gleichsam in ihrer nackten Existenz - und ohne ihr Lebenswerk - gerettet werden.
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Die dramatisch verstandene Erlösungslehre rechnet mit einem Drama zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit. Sie nimmt keinen göttlichen Standpunkt ein, um von ihm aus den Ausgang des Dramas zu überblicken, sondern zeichnet nur die verschiedenen Etappen des Ringens nach, wie es durch die biblischen Schriften bezeugt wird. Gott vergewaltigt nie die menschliche Freiheit, er überläßt die Menschen aber auch nie ihrem bösen Tun, sondern geht ihnen - in der Gestalt seines Sohnes - wie ein guter Hirt nach, um ihnen in ihrer letzten Verlorenheit nochmals ganz nahe zu kommen. Jene menschliche Freiheit, die sich vom Bild des machtvollen Schöpfers und Richters nicht gewinnen lassen will, soll durch die Gestalt des getöteten Sohnes, der das Schicksal aller Verlorenen teilt, aufgeschlossen und gerettet werden.
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Die menschliche Freiheit, die in der dramatisch gedeuteten Erlösungslehre eine entscheidende Rolle spielt, ist mehr als die Fähigkeit zur Wahl zwischen guten und bösen Taten. Sie wählt auch den Maßstab, an dem sie gemessen wird. Heil und Unheil, Belohnung und Bestrafung kommen letzlich nicht von außen auf die Menschen zu, sondern ergeben sich aus der inneren Dynamik des eigenen Tuns. Wer die Liebe zum Maßstab wählt, öffnet sich anderen Menschen, empfängt deshalb auch von ihnen her Gutes, was ihn zu noch größerer Liebe befähigt. Dieser Kreislauf weitet sich Schritt für Schritt aus, bis er zur vollen Harmonie mit der ganzen Wirklichkeit - mit Gott, den Mitmenschen und sich selber - führt (Himmel). Wer hingegen den Egoismus zum Maßstab nimmt, stößt andere Menschen ab, empfängt von ihnen her seinerseits Böses und wird so noch egoistischer. Es beginnt ein negativer Kreislauf, der immer mehr zu einer Wahnwelt führt, die letztlich die Hölle ist.
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Die christlich verstandene Freiheit erweist sich so als Aufgabe und Befähigung, sich in Übereinstimmung oder Widerspruch zur Wirklichkeit eine eigene Welt aufzubauen. Die moderne Evolutionslehre, die von gläubigen Christen längere Zeit bekämpft wurde, entspricht diesem Freiheitsverständnis und hilft sogar, die christliche Schöpfungslehre besser zu verstehen. Sie macht nämlich einsichtig, daß der Selbstaufbau, der zum freien Geschöpf gehört, nicht erst beim Menschen beginnt, sondern - auf analoge Weise - schon in der vormenschlichen Schöpfung anhebt. Atome und Elemente, Sterne und Galaxien, Moleküle und lebende Zellen, Pflanzen und Tiere bauen sich unter der Einwirkung Gottes in langen Prozessen schrittweise selber auf. (8) Die Freiheit als Fähigkeit zum Selbstaufbau erscheint in diesem Kontext nicht mehr als völliger Fremdkörper und als isolierte Ausnahme in einer Welt, die sonst in allem statischen Normen und deterministischen Gesetzen unterworfen wäre. In einer evolutionären Welt gibt es vielmehr von Anfang an eine Art Unbestimmtheit und gewisse Freiräume für weitere Entwicklungen. Die Freiheit geistiger Geschöpfe wird so schon in der vormenschlichen Evolution umrißhaft angekündigt.(9)
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In einem ähnlichen Licht sind die neuen Möglichkeiten der Gentechnik zu sehen, die nicht zufällig in einer vom Christentum geprägten Kultur entdeckt wurden. Auch sie zeigen, daß die geschöpfliche Ordnung nicht starr vorgegeben ist, sondern daß die Menschen die Fähigkeit haben, in ihr eigenes Erbe einzugreifen und es schrittweise zu verändern. Der Spielraum der Freiheit und der menschlichen Verantwortung wird so stark ausgeweitet und erstreckt sich auf immer weitere Bereiche, die früher für vorgegeben und unveränderlich gehalten wurden. Gewiß ist die Gefahr sehr groß, daß die neuen Möglichkeiten massiv mißbraucht werden. Wenn die Menschen sogar auf die Botschaft Jesu von der nahen Gottesherrschaft negativ reagiert haben, ist mit einer fast an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu rechnen, daß auch die neuen Fähigkeiten zum Bösen benützt werden. Eine dramatisch verstandene Erlösungslehre verfällt trotz dieser Einschätzung dennoch keinem grundsätzlichen Pessimismus. Jesus hat gerade das Böse, das ihm angetan wurde, benützt, um die Radikalität der Gewaltfreiheit und Feindesliebe Gottes zu offenbaren und den verlorenen Menschen nahezubringen. Auf ähnliche Weise kann die Vorsehung auch die heutige Welt mit ihren Möglichkeiten so führen, daß gerade dort, wo Menschen Böses tun, von Gott her auf überraschende Weise Gutes gewirkt wird: "Wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden" (Röm 5,20). Gegen K.Barth ist zwar festzuhalten, daß Gott das Böse nie direkt benützt, um damit Gutes zu bewirken, wohl aber kann sein Tun beim Bösen ansetzen, um auf dieses neu zu antworten, es gleichsam umzukehren und so ein übergroßes Gut entstehen zu lassen. (10) So ist denkbar, daß über eine dramatische Entwicklung aus den neuen technischen Möglichkeiten auch neue zeichenhafte Ansätze des Heils entstehen.
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1. H. Schürmann, Gottes Reich - Jesu Geschick. Jesu ureigener Tod im Licht seiner Basileia-Verkündigung. Freiburg i.Br. 1983, 11f.
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2. Ebd. 12.
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3. H.U. von Balthasar, Theodramatik (4 Bände). Einsiedeln 1973 - 1983.
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4. Ausführlicher: R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre. Innsbruck: Tyrolia 21996, 87 - 94.
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5. Vgl. R. Schwager, Brauchen wir einen Sündenbock? Gewalt und Erlösung in den biblischen Schriften. Thaur: Druck- und Verlagshaus 31994, 70 - 81.
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6. K. Barth, Kirchliche Dogmatik 4/1, Zollikon - Zürich 1953, 262.
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7. Vgl. Schwager, Jesus im Heilsdrama (s. Anm. 4) 133 - 148.
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8. Vgl. R. Koltermann, Grundzüge der modernen Naturphilosophie. Ein kritischer Gesamtentwurf. Frankfurt a. M. 1994.
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9. Vgl. R. Schwager, Erbsünde und Heilsdrama. Im Kontext von Evolution, Gentechnologie und Apokalyptik (BMT 4). Münster: Lit Verlag 1997, 116 - 127.
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10. Ebd. 61 - 94.
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