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Nur weil ihr so hartherzig seid ...
(Gedanken zum 27. Sonntag im Jahreskreis (LJ B))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Jesu Worte über die Scheidung klingen streng und unnachgiebig. Und er begründet sie mit einer naiven Stelle aus dem Alten Testament, der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes. Können wir dem heute Sinnvolles und Wichtiges für das Verhältnis der Geschlechter und den Umgang mit Geschiedenen Wiederverheirateten entnehmen?
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2003-10-07

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Gen 2,18-24; (Hebr 2,9-11); Mk 10,2-16

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 Liebe Gläubige,

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wir haben es da heute mit zwei schwierigen Texten zu tun: zuerst die Version der Erschaffung der Frau, in der die Frau aus der Rippe des Mannes gemacht wird - eine Stelle, die heute vielen einerseits wegen ihrer kindlichen Naivität lächerlich erscheint und sie andererseits ärgert, weil doch damit durch die Jahrtausende immer wieder die angebliche Minderwertigkeit der Frau begründet wurde; dann eine Stelle aus dem Markusevangelium, in der Jesus so redet, wie wir es nicht gerne haben: er ist streng, spricht von der Scheidung als Ehebruch und begründet das auch noch mit jener Stelle aus dem AT; und diese Worte Jesu sind ein Grund für den Umgang der Kirche mit Wiederverheirateten Geschiedenen, der heute vielen als so weltfremd und hartherzig erscheint. Und doch haben wir auf die beiden Texte mit einer Antwort des Glaubens geantwortet: „Dank sei Gott" und „Lob sei dir, Christus."

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Wofür haben wir uns da also bedankt und gelobt? Schauen wir noch einmal genauer hin. Beim Text aus der Gen bedeutet das auch: schauen wir hindurch durch die naive, fast 3000 Jahre alte Ausdrucksweise, darauf, was denn darin die göttliche Offenbarung sein könnte, die immer gilt - unabhängig von der Zeit und der menschlichen Ausdrucksweise. Worum geht es denn da eigentlich?

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Es geht darum, dass der Mensch nicht allein bleiben soll, eine Hilfe bekommen soll, die ihm entspricht. Und diese findet er erst, als er jemanden vor sich hat, der Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch ist, also jemanden, der ihm völlig gleichwertig und ebenbürtig ist. Der hebräische Text sagt das sehr schön, in der deutschen Übersetzung wird das aber nicht deutlich, wenn da steht: „Frau soll sie heißen, denn vom Mann ist sie genommen." Hebräisch wäre das: Ischa soll sie heißen, denn vom Isch ist sie genommen. Dieses „a" am Ende wird im Hebräischen wie ein kleines t unter dem „sch" geschrieben, ein kleines Häkchen. Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist im Schriftbild so unscheinbar, wie er für den Schöpfer ist: es geht hier gerade nicht darum, die Frau herabzusetzen, sondern ihre Ebenbürtigkeit zu betonen. „Sie werden ein Fleisch" - das können sie nur, weil sie völlig gleichwertig sind. Mit der Hilfe, die der Mann hier bekommt, ist also ganz sicher keine Haushalts- und Putzhilfe gemeint, sondern die Begleitung durchs Leben, die ihm - und umgekehrt auch ihr - hilft, das Leben zu bestehen.

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Am Schluss heißt es noch: „Beide … waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander." Das zeigt uns einerseits, wie sehr die gesamte Persönlichkeit, einschließlich der Körperlichkeit und all ihrer erotischen und sexuellen Kräfte, auch diesem Ziel der gegenseitigen Ergänzung und Lebenshilfe dient. Es betont andererseits auch, dass diese Menschen sich so kennen und lieben, dass es nichts gibt, das sie voreinander verbergen müssten. Es gibt nichts, wofür sie sich voreinander schämen müssten.

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Dies ist ein Zustand, der uns ziemlich fremd ist. Von uns hat jeder seine dunklen Seiten, die er am liebsten für sich behalten möchte. Und das ist auch der Grund, warum enge Beziehungen, wenn sie scheitern, gar so tiefe Wunden reißen. Je näher man sich stand, desto besser kennt man die wunden Punkte des anderen, desto mehr weiß man, wo er verletzlich ist oder wo er selber andere verletzt. Dieser Zustand der unbedingten Offenheit ist ein paradiesischer Zustand. Sobald Adam und Eva das Paradies verlassen, brauchen sie etwas, um ihre Nacktheit zu bedecken, können sie diese absolute Offenheit voreinander nicht mehr aushalten, eben weil sie so schmerzhaft sein kann. Sie tun das zuerst, ganz unbeholfen, mit Feigenblättern. Gott selbst ist es, der ihnen dann Fellröcke macht, um sie auch in dem Zustand ihrer neuen Verletzlichkeit so gut wie möglich zu schützen (vgl. Gen 3,21).

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Wenn Jesus in seinem Reden über die Ehe zurückgreift auf diese Stelle, dann spricht er darüber, wie alles vom Schöpfer gedacht war: dass zwei sich finden und dann so eng zusammengehören, ein Fleisch sind, weil Gott sie als zusammengehörig geschaffen hat. Er ruft seine Zuhörer, und auch uns, auf, uns zu besinnen darauf, wie die Schöpfung ursprünglich von Gott gedacht war. Aber auch er weiß, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Es gibt Scheidung - und es gibt das Gesetz des Mose, das sie erlaubt. Und Jesus stellt fest: Das hat Moses nur getan, weil ihr - weil wir Menschen - so hartherzig sind. Und ist es nicht wahr? Gehört es nicht immer zum Scheitern einer Ehe, dass mindestens einer - meistens aber beide Partner - hartherzig sind? Hartherzigkeit kann viele Formen annehmen, von der physischen und psychischen Gewalt, zum Fremdgehen oder zur Missachtung des anderen. Die Weigerung zu vergeben, es noch einmal zu versuchen kann aber auch hartherzig sein. Es ist wahr: Wenn Ehen scheitern und geschieden werden, dann weil Menschen hartherzig sind; oder anders gesagt, weil wir nicht mehr im Paradies leben, sondern in dieser von der Sünde gezeichneten Welt. Wenn dies aber geschieht, dann antwortete Moses auf diese Hartherzigkeit der Menschen mit seiner Scheidungsregelung. Er tat also etwas ganz Ähnliches wie Gott im Paradies: Gott gab den sündigen Menschen Fellröcke, um sie in ihrer Verletzlichkeit zu schützen; Moses gibt den hartherzigen Menschen eine Scheidungsregelung, um die Verletzungen, die sie sich in ihrer Hartherzigkeit zufügen, geringer zu halten.

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Was bedeutet das aber für die kirchliche Praxis, für den kirchlichen Umgang mit diesem Scheitern? Jesus sagt: Wenn jemand seine Frau oder seinen Mann entlässt und eine andere Person heiratet, begeht er Ehebruch. Jesus hat aber auch gesagt: „Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen." (Mt 5,28) Auch hier erscheint Jesus überstreng, unnachgiebig. Es ist jedoch nicht sein Ziel, nun allen Männern, die sich dessen schuldig bekennen müssen - und seien wir ehrlich, wen von uns beträfe das nicht? - ein schlechtes Gewissen zu machen und sie womöglich von der Eucharistie auszuschließen. Vielmehr geht es ihm darum, ihnen den Hochmut und die Überheblichkeit schwer zu machen, wenn sie andere sehen, die an ihrer Ehe scheitern. Bevor ich andere verurteile, auf sie herabschaue, soll ich denken: Ich bin eigentlich, in meinem Inneren, nicht besser: ich bin ein Ehebrecher im Herzen.

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So ähnlich ist es wohl auch mit Jesu Wort über die Scheidung. Jede Scheidung ist ein Beweis für die Hartherzigkeit der Menschen, das soll man nicht verharmlosen und so tun, als sei eine Scheidung etwas ganz Unproblematisches. Und darum hat die Kirche Recht, wenn sie festhält, dass es keine Scheidung einer kirchlichen Ehe geben kann; wenn sie einmal besteht, bleibt sie auch bestehen.

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Wir leben aber nicht mehr im Paradies, wir sind alle hartherzige Menschen, nicht nur die, bei denen es sich im Scheitern einer Ehe zeigt. Und darum ist es problematisch, wenn die Kirche Menschen, die sich ernsthaft bemühen in einer zweiten bürgerlichen Ehe die selben Fehler nicht noch einmal zu machen, auf Distanz halten will und von den Sakramenten ausschließt. Sie sagt damit indirekt: die Sakramente sind nur für solche, die leben wie im Paradies. Doch das tut niemand mehr. Die Sakramente sind für Menschen, die sich des Verlusts der ungetrübten, paradiesischen Freude und Unschuld schmerzlich bewusst sind, weil sie wissen, dass wir eigentlich für dieses Paradies geschaffen sind und doch immer wieder daran scheitern. Und die Sakramente helfen uns auf unserem Weg, trotz der Verletzungen und Hartherzigkeiten, die wir in uns tragen, von Christus wieder ins Paradies geführt zu werden.

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Geben wir die Sehnsucht danach nie auf, aber verordnen wir paradiesisches Leben nicht per Gesetz, denn sonst verdoppeln wir die Hartherzigkeit in der Welt anstatt sie zu mildern.

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