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Vom Fasten und Lieben: Begnadete Gelassenheit finden

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:Tiroler Tageszeitung vom 26. Februar 2004.
Datum:2004-02-25

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Beide Männer haben etwas gemeinsam. Sie fasten! Sie fasten mehr als der Durchschnittsbürger es tut. Beide beten auch und sind auf ihre Art und Weise religiös. Doch der Unterschied zwischen den beiden kann nicht größer sein. Ein menschenverachtender Fanatiker auf der einen Seite und ein liebenswürdiger Menschenfreund auf der anderen. Ausgemergelt, mit wildem Haarwuchs, überall Teufel am Werk vermutend, verurteilt der eine die Welt und die Menschheit. Weil ihm seine Zeitgenossen zu lax sind, schickt er sie alle gleich in die Hölle. Selbst Gott vermag gegen die Unerbittlichkeit seiner Logik nichts auszurichten. Denn: Gott ist ihm zum Spiegelbild seiner selbst geworden. Ein verurteilender, Angst und Schrecken einjagender Richter. Ganz anders der andere Mann. Schon seine äußere Gestalt vermag Menschen für ihn zu gewinnen. Sie erweckt Vertrauen. Anstatt die Hölle zu beschwören, erzählt er immer und immer wieder Hoffnungsgeschichten. Selbst im größten Schlammassel vermag er den Funken des Vertrauens zu wecken. So erzählt er darüber, dass Heilige, Maria und Jesus sich gar in die Hölle der Menschen hineinwagen und dort für Unterbrechungen von Qual und Hoffnungslosigkeit sorgen. Er liebt ja die Menschen, mehr noch: er liebt sie auch in ihrer Sünde. Denn nur eine solche Liebe gleicht der Liebe Gottes. Dieser hat ja die Menschen schon geliebt, als sie noch Sünder waren. Und er liebt auch sein eigenes Leben. Auch wenn er fastet, gönnt er sich bewusst diese oder jene Freude.

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Und wer sind die Männer? Der große russische Schriftsteller Dostojewskij hat die Gestalten in seinem Meisterroman: "Die Brüder Karamasow" geschaffen. Der fromme, aber stolze und letztlich auch neidische Pater Ferapont gleicht dort schlussendlich dem Antichrist. Der menschliche Pater Sossima stellt jenen Prototyp von Menschen dar, der "das Mark des Ganzen" in sich trägt, deswegen auch erlösend auf andere und auch auf sich selber wirkt. Und warum dies?

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Weil er sich irgendwann entschlossen hat zu fasten und Buße zu tun? Nein! Das tut eher der andere, der mit seinem frommen Willen bloß seinen Stolz füttert, deswegen auch sukzessiv sich selber und seine Umgebung zerstört. Vielmehr vollzog Sossima in seinem Leben eine fundamentale Umkehr. Aus dem stolzen, in sich selbst verliebten, letzendlich destruktiven Individuums, ist er nach und nach zu einem Mensch geworden. Weil er in der Begegnung mit Menschen Bescheidenheit und auch den Wert der Gnade entdeckt hat. Nicht den Wert seiner eigenen Leistung!

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Warum dieser Einstieg? Weil er im Grunde schon alles über den religiösen Wert des Fastens sagt. Dass dieses nämlich ambivalent ist, deswegen auch einer starken inhaltlichen Einbindung bedarf. Die Heilwirkung des Fastens soll ja zuerst darin bestehen, dass man durchs Fasten frei wird. So etwas brauchen wir heute mehr denn je! Doch die Freiheit von Abhängigkeiten und Zwängen ist noch lange nicht mit der inneren Freiheit identisch. Man kann ja frei werden für die Begegnung mit Gott. Oder aber für die Begegnung mit den "Dämonen". Auch das wissen wir heute besser denn je! Schon Jesus begegnete nach den vierzig Tagen des Fastens als erstes dem Versucher. Deswegen haben schon die alttestamentlichen Propheten die Praxis des Fastens an die Solidarität gebunden. Der Augenmerk auf die Leidenden sollte die gefährliche Versuchung zur Selbstgerechtigkeit bei Fastenden unterbinden. Die Fesseln des Unrechts zu lösen, den Hungernden das Brot auszuteilen, sich den Verwandten nicht zu entziehen (vgl. Jes 58,6f): diese und ähnliche Impulse sollten die "Selbstsucht" mindern. Unsere Zeit entdeckt das Fasten neu. Als Unterbrechung, als teuer bezahlten Event, als Reinigung der Seele und Stärkung des Willens. Wollen wir nicht zu einer unfrommen Gestalt des selbstgerechten Paters Ferapont mutieren, brauchen wir einen gewaltigen Schuss der begnadeten Gelassenheit eines Paters Sossima. Und seiner Gottes- und Menschenliebe.

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