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Unterscheiden, nicht Trennen
(Reaktion auf die Rahnertage 2004)

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2004-04-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Im Rahmen der Karl Rahner-Festtage war am 2. April Prof. Thomas Ruster aus Dortmund zu Gast in Innsbruck. Er hielt einen, meines Erachtens höchst spannenden Vortrag zum Thema "Die Einheit der Unterscheidung und das unterscheidend Christliche." Rusters Grundduktus war dabei der, dass durch Rahners Theologie, oder zumindest in ihrem Gefolge, klassische Unterscheidungen der traditionellen, christlichen Theologie ihre Anwendbarkeit verloren hätten, wodurch auch das unterscheidend Christliche in der modernen Welt nicht mehr auszumachen sei. Dargelegt wurde dieses Argument anhand der Unterscheidung von Natur und Gnade, die bei Rahner durch eine starke Annäherung beider Begriffe aneinander, keine wirkliche Distinktion mehr sei - so Ruster.

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Ob diese Einschätzung der Rahnerschen Gnadentheologie treffend ist oder nicht, mag von kompetenterer Stelle beurteilt werden, was meine Aufmerksamkeit in besonderer Weise erregte, war allerdings der Referenzautor, der Ruster gleichsam das Instrumentarium seiner Kritik liefert: Niklas Luhmann. Ich meine Luhmanns Systemtheorie einigermaßen zu kennen und war daher doppelt gespannt auf die Anwendung, die dieses sozialwissenschaftliche oder vielleicht doch eher metaphysische Modell im Kontext einer Rahnerexegese finden kann.

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Der Referent ging auf den Grundansatz Luhmanns ein, wonach alle "Ordnung" in unserer Welt ein Ergebnis der Selbstabgrenzung von Systemen gegenüber ihrer Umwelt ist. Diese Systeme können biologischer, psychischer, sozialer, ... Natur sein, auf jeden Fall reduzieren sie unbewältigbare Komplexität dadurch, dass sie eine Unterscheidung setzen und gemäß dieser Unterscheidung fähig zum Bezeichnen werden. Bezeichnet wird das, was zum System gehört und das was nicht zum System gehört - so wird Form ins haltlose Chaos gebracht. Zum Gesellschaftssystem gehört für Luhmann etwa alles, was Kommunikation ist, alles andere bezeichnet er als Umwelt der Gesellschaft. Wer immer einen solchen Schritt setzt, kann sich selbst nur auf einer Seite der gezogenen Grenzlinie positionieren. Die Kriterien dafür, was ein System oder ein Beobachter sich selbst zurechnet, und was es als Umwelt "ausscheidet" sind nun im Konzept der Systemtheorie aber auch nicht einfach Zugehörigkeiten zu bestimmten Seinskategorien, sondern neuerlich Unterscheidungen. (Luhmann will alles Denken konsequent von Einheit auf Differenz umstellen.) Für Teilsysteme der Gesellschaft bedeutet das konkret: Wissenschaft ist überall dort, wo zwischen wahr bzw. richtig und falsch unterschieden wird, Politik ist überall dort, wo zwischen Macht (Regierung) und Ohnmacht (Opposition) unterschieden wird, Recht überall dort wo zwischen Recht und Unrecht, Moral dort, wo zwischen gut und böse unterschieden wird etc. Nach dieser Logik ist Religion dort, wo die Leitunterscheidung Immanenz-Transzendenz zur Anwendung kommt.

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Jede dieser Unterscheidungen hat nach Luhmann einen blinden Fleck, das ist jener Punkt, an dem sie auf sich selbst angewandt wird. Dies ist die Stelle der paradoxen Einheit der Unterscheidung, die in jeden System verheimlicht, invisibilisiert werden muss, soll das System nicht kollabieren und aktionsunfähig werden. Wenn der Ethiker fragt, ob es gut ist zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, kann er keine ethischen Urteile mehr fällen und der ökonomisch Tätige wird in grobe Probleme mit seinem geschäftlichen Agieren gerate, sobald er sich die Frage vorlegt, wer dafür bezahlt, dass wir ein Wirtschaftssystem betreiben, das auf dem Wechselspiel zwischen Zahlen und Nichtzahlen, bzw. Kredit und Verschuldung basiert. Kurz und gut, der blinde Fleck jeder Unterscheidung ist jener fatale Ort, an dem diese Unterscheidung nicht funktioniert ohne in Selbstwiedersprüche zu geraten. Solch blinde Flecken können nur von außen straflos ins Auge gefasst werden, von einem Beobachter zweiter Ordnung, der dann allerdings die systemstrukturierende Unterscheidung nicht mehr als Differenz wahrnimmt, sondern als Einheit.

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All das klingt sehr kompliziert, ist es im Grunde aber nicht, hat man sich einmal an Logik und Terminologie der Systemtheoretiker gewöhnt. Thomas Ruster - und um seine Ausführungen geht es ja nach wie vor - sieht die Krise der gegenwärtigen abendländischen Kirche und Theologie offenbar darin, dass sie als Religionssystem unfähig geworden ist ihre zentralen Unterscheidungen anzuwenden, weil sie wie das Kaninchen auf die Schlange, auf die paradoxe Einheit ihrer Differenzen starrt. Das wirkt sich dann darin aus, dass viele Christen davon ausgehen, es würden ohnedies alle Menschen irgendwie an den gleichen Gott glauben und dass die Rede vom spezifisch Christlichen als zu vermeidende Peinlichkeit erscheint, bei einfachen Durchschnittschristen ebenso, wie in der akademischen Theologie. Die Wurzel dieser Übel glaubt Ruster in theologischen Konzepten zu finden, die sich des messerscharfen Unterscheidens begeben haben und das macht er eben auch Karl Rahner zum Vorwurf.

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Ich kann das Anliegen von Prof. Ruster verstehen und teile es auch ein Stück weit; seine Schlussfolgerungen halte ich jedoch für verhängnisvoll und falsch.

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Ruster bezieht sich auf Luhmann nicht, um mit ihm Theologie zu treiben, wie er sagt, sondern, weil dieser eine treffende Wirklichkeitsbeschreibung liefert. Ich halte Luhmann ebenfalls für einen guten Diagnostiker. Wem oder was stellt er aber die Diagnose? Luhmann beschreibt nach seinen eigenen Worten die Gesellschaft der Gesellschaft, also eine gesellschaftliche Selbstbeschreibung, die in unserer westlichen Welt immer mehr an Überzeugungskraft und damit auch an realer Wirkung gewinnt. Was beschrieben wird - und dies mit großer Nüchternheit und ehrlich - ist gesellschaftliches Konstrukt der (Post)Moderne und damit gerade das, wovon Ruster als Theologe und Christ sich kritisch absetzen möchte. Dass der Versuch eines Theologen eine kritisch gesehene soziale Realität mit den Mitteln ihrer eigenen Logik in ihren Fundamenten zu erschüttern fehl schlagen muss, lässt sich auch inhaltlich aufweisen.

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Einer jener Sätze, die Raymund Schwager immer wieder wiederholte ist der, dass sich christliche Theologie dadurch auszeichne, zu unterscheiden ohne zu trennen. Ich versuche mein Theologietreiben an diesem Satz zu messen, wenngleich ich feststellen muss, immer wieder daran zu scheitern; nichts desto weniger bin ich von seiner Richtigkeit überzeugt. Theologie als Glaubenswissenschaft muss sich exakter Argumentation befleißigen und das ist nicht möglich ohne sauberes Unterscheiden. Die mystische Gottesbegegnung hat das nicht nötig, sie allerdings findet auch im Schweigen statt oder in lobpreisender Zungenrede, jedenfalls in einem Bereich, der intersubjektiver Vermittlung nicht wirklich zugänglich ist, wie Martin Buber im Vorwort zu den Ekstatischen Konfessionen feststellt.

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Dennoch muss Theologie sich dessen bewusst bleiben, dass all ihre Unterscheidungen, begriffe und Bilder mit denen sie operiert etwas höchst unzulängliches und vorläufiges sind, das bestenfalls eine Annäherung an ihren Gegenstand erlaubt, dem nur in "Mystik" wirklich begegnet werden kann. Eine Theologie, in der das Unterscheiden nicht zum Trennen entarten soll, darf nicht nur, sie muss meines Erachtens die paradoxe Einheit all ihrer Entscheidungen denken und ansprechen (auch wenn sie sich damit selbst entwertet - gegenüber dem worum es ihr eigentlich geht). Luhmanns Unterscheidungen sind - nicht zuletzt wegen seiner konstruktivistischen Grundausrichtung - immer auch Trennungen und jede menschliche Distinktion steht in der permanenten Gefahr tödliche Scheidung zu werden. Dagegen ist nicht nur aus akademischer Spitzfindigkeit anzukämpfen, sondern vor allem deswegen, weil tennendes Denken sich früher oder später auch in handfester gesellschaftlicher Realität niederschlägt.

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Die biblisch-christliche Botschaft läuft vor und jenseit jeder philosophischen Debatte Sturm gegen das Trennen. Ich halte es daher auch für höchst unangemessen den systemtheoretischen Religionsbegriff auf den biblischen Glauben zu übertragen. Jegliche Theologie, nicht nur die christliche, hat die Frage dem Verhältnis zwischen Immanenz (Welt, Mensch) und Transzendenz (Gott) immer klarer zu bestimmen und in ihrern Feinheiten zu entdecken. So viel scheint mir jedoch evident: auf dem Fundament der biblischen Texte, kann man dieses Verhältnis nicht im Sinne einer binären Entweder-Oder-Logik in der Manier Luhmanns fassen. Der biblische Gott ist einer, der die Trennungslinie zwischen Immanenz und Transzendenz permanent unterläuft und durchkreuzt. Man müsste hier lediglich über Inkarnation sprechen und eng daran angeschlossen über Himmelfahrt und Geistsendung. Es mag an dieser Stelle jedoch genügen auf ein Bild zu verweisen. Ich meine das Bild der "Jakobsleiter" (Gen 28,12), die eine Stelle markiert, an der Himmel und Erde miteinander in Verbindung stehen, wo von Gotte eine Brücke geschlagen ist, die von Seiten der Menschen nie und nimmer erbaut hätte werden können (Gen 11,4f). Im Johannesevangelium wendet Jesus dieses Bild auf sich selbst an. Er identifiziert sich mit der "Leiter", die Himmel und Erde verbindet (Joh 1,51). Auf dieser Grundlage fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass ein moderner Theologe vor allen dafür zu kritisieren sei, dass er, wenngleich immer wieder sehr fein und subtil unterscheidend, eine letzte Einheit hinter allen theologischen Unterscheidungen angesprochen hat.

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Man könnte zugespitzt formulieren: Das unterscheidend Christliche, auf das es Ruster ankommt, ist gerade die Distanzierung vom Trennenden. Thomas Ruster will die Unterscheidung zwischen dem Gott Israels und den anderen Göttern (!) gewahrt wissen. Damit habe ich kein Problem, wenngleich ich mich doch eher auf den Gott Jesu beziehen würde, weil an ihm klarer wird, was Israel an seinem Gott erst mühsam und schmerzlich erlernen musste und was auch uns heute zu erkennen nicht leicht fällt. Der Gott Israels ist nicht der, der binär unterscheidbar gegen andere Götter steht, er ist nicht der, der zu einem ethnisch-politischen System gehört im Unterschied zur Umwelt dieses Systems. Der Gott Israels ist der Schöpfer Himmels und der Erde, die paradoxe Einheit hinter der Unterscheidung aller Völker, die die Götter als Götzen erkennbar macht. Sprechen wir diese Einheit nicht an, verleugnen wir sie vielmehr im Interesse kirchlicher Selbstbehauptung, wird christlicher Glaube tatsächlich zur Kreuzzugsreligion, die sich nur noch als wehrhaftes Bollwerk verwirrend und verstörend in die Schlacht mit ihrer Umwelt werfen kann. Mag sein, das ist ein Selbstbild, das den Schulterschluss der kleinen Herde fördert, mit der grenzensprengenden Botschaft Jesu hat das nichts mehr zu tun.

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In diesem Sinne kann ich nur für den mystischen Christen der Zukunft plädieren, den Rahner gefordert hat, auch wenn wir damit Gefahr laufen, die ein oder andere Kante unseres christlichen Profils einzubüßen, sofern nur die Gestalt dessen erkennbar bleibt, der gekommen ist um die Welt zu retten.

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