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Wenn die Blinden sehend und die Sehenden blind werden
(Gedanken zu Laetare 2005. Lesungen: (1 Sam 16,1b.6-7.10-13b); Eph 5,8-14; Joh 9,1-41)

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Jesus öffnet auch uns die Augen, gerade zu einem richtigen Umgang mit unseren dunklen Seiten.
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2005-03-07

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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ich möchte noch einige Gedanken zu diesem langen Evangelium des Sonntags Laetare, Freue dich, anschließen.

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Haben wir nicht gerade eine ganz alltägliche Geschichte gehört? Natürlich – es ist nicht alltäglich, dass einer, der blind geboren wurde, so mir nichts dir nichts sehen kann. Das nicht. Aber, was sich dabei abspielt, ist schon sehr alltäglich: Da gibt es eine Gruppe von Menschen, deren Urteil schon feststeht, die sicher sind Bescheid zu wissen: dieser Jesus ist ein Sünder. Und nun werden sie mit einem unwiderleglichen Faktum konfrontiert, das dem widerspricht: er tut ein machtvolles Werk der Gnade, ein Werk Gottes. Und wie reagieren sie? Indem sie die Aussage dieses unleugbaren Faktums in ihr Gegenteil verkehren, geradewegs pervertieren. „Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren?" (Joh 9,34).

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Was ganz offensichtlich darauf hinweist, dass dieser Jesus ein heiliger Mensch ist, wird so auf einmal zum Beweis seiner Niederträchtigkeit: Einer, der in Sünde geboren war, spricht für ihn, da ist doch schon alles klar. Das, was Jesus zeigen wollte, dass eine Behinderung oder Krankheit nicht Strafe Gottes für Sünde sein muss, kann man dann natürlich erst recht nicht mehr wahrnehmen, denn dann wäre die Argumentation ja wieder zunichte gemacht.

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Ja, man muss sagen: wenn diese Menschen dazu kämen, dem blind Geborenen zu glauben, dadurch Jesus anzuerkennen und schließlich zuzugeben, dass die Behinderung durch die Blindheit keine Strafe Gottes war – es käme einer totalen Umkehrung ihres Wertesystems gleich. Sie würden wie der Blindgeborene mit einem Mal sehend. Da sie diese Chance aber nicht nutzen, passiert genau das Gegenteil: Sie, die gerade noch Leuchten des Glaubens und Seher der göttlichen Gesetze waren, sie entpuppen sich als blind.

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Der Blindgeborene bringt es auf den Punkt: „Darin liegt ja das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher er kommt; dabei hat er doch meine Augen geöffnet." (Joh 9,30) Es ist wirklich erstaunlich, dass oft Menschen, die sich ganz genau auskennen mit dem Wirken Gottes in der Vergangenheit („wir wissen, dass Gott zu Mose gesprochen hat"), sein Handeln in der Gegenwart nicht erkennen, weil sie schon alles eingeteilt haben und unfähig sind, diese Einteilung aufbrechen zu lassen. Jesus sagt dazu nur: „Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden." (Joh 9,39), denn er ist gekommen, um Gottes barmherziges Wirken immer im Jetzt und nie in der Vergangenheit deutlich zu machen. Jesus ist die gegenwärtig wirkende Kraft Gottes, durch die jene, die das erkennen, sehend, und jene, die das verleugnen, blind werden.

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Und gerade da könnte das Evangelium auch für uns ungemütlich werden. Wie sehen wir das? Ist Jesus für uns – so wie Moses für die Pharisäer – eine Gestalt aus der Vergangenheit, von der wir wissen, dass Gott mit ihr war, oder ist er der Immanuel, der Gott mit uns: die treibende und tragende Kraft unseres Lebens, die wir immer wieder entdecken in unserem Alltag und Festtag, die uns Grund gibt zu jubeln – laetare? Ist er das für unsere Kirche und uns?

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Ein Element in einem solchen Leben, sagt der Epheserbrief, ist ein bestimmter Umgang mit uns selber: „Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, sondern deckt sie auf! Denn man muss sich schämen, von dem, was sie heimlich tun, auch nur zu reden. Alles, was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet." (Eph 5,10-13) Der Brief empfiehlt das Aufdecken des Dunkeln und Finsteren – und warnt doch davor, davon zu reden. Wie soll das gehen?

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Mir fielen dabei die Skandale um den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Vertreter der Kirche ein: Da geschah es, dass ein Opfer des Missbrauchs sich meldete – und die Reaktion der Kirche war nur: das kann nicht sein, wir kennen den Beschuldigten, er ist ein anständiger Mann, wer den beschuldigt, muss lügen. Und sofort kam das Opfer eines Verbrechens, das einen Schritt zur Befreiung getan und das Böse aufgedeckt hatte, unter den Vorwurf selber böse zu sein, so ganz nach dem Motto „Du bist ganz und gar in Sünden verstrickt, und du willst uns belehren?" Und so wird der Unschuldige schuldig und der Schuldige zum Opfer. Andererseits aber: Stürzten sich nicht die Medien wie die Aasgeier auf die Geschichten vom kirchlichen Kindesmissbrauch? Denn solche Geschichten garantieren Absatzzahlen und Einschaltquoten und das Surfen auf den Wogen der Empörung ist sehr vieler Menschen Freizeitsport, der wahrscheinlich nicht zur Abschreckung sondern zur Verführung weiterer potenzieller Täter beiträgt.

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Zwischen diesen Straßengräben – das Böse zudecken und den Aufdecker zum Täter zu stempeln oder sich am aufgedeckten Bösen ergötzen und es auskosten – dazwischen meint der Epheserbrief liegt ein christlicher Umgang mit dem Finsteren: es soll ans Licht kommen, weil es so seine größte Macht – die Macht der Angst und des Tabus – verliert; es soll aber nur dort ans Licht, wo es auch wirklich Frucht bringt.

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Für unseren Umgang mit der Schuld und dem Leid anderer folgt daraus sehr viel. Aber auch für unseren Umgang mit unserer eigenen Schuld und unserem eigenen Leid. Gerade wenn wir christlich leben wollen, brauchen und sollen wir das Dunkle in uns nicht verleugnen, verdrängen und unter den Teppich kehren, wir dürfen es aus der Finsternis unserer Einsamkeit ans gnädige Licht Gottes holen – im Gebet, im Schuldbekenntnis, in einer geistlichen Begleitung, in der doch so aus der Mode gekommenen Beichte. Dies alles sind Orte des Lichts und doch keine öffentlichen Striptease-Veranstaltungen.

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Und in diesen Orten des Lichts wirkt Christus auch und gerade heute. Er hilft uns, von Blinden zu Sehenden zu werden: sehend, was unsere Schwächen und Dunkelheiten angeht, aber auch sehend, was sein heilsames Wirken in uns betrifft. Lernen wir, dieses wahrzunehmen, und wir sind auf gutem Weg uns über Christi immer gegenwärtiges Wirken in unserem Leben freuen zu können. –

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 Laetare!

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