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Thomas - Lehrer des rechten Glaubens
(Gedanken zum Weißen Sonntag 2005)

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Der Apostel Thomas sagt uns Wichtiges über unseren Glauben, gerade auch jetzt, da sich die Kirche von Papst Johannes Paul II. verabschiedet.
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2005-04-04

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: (Apg 2,42-47); 1 Petr 1,3-9; Joh 20,19-31

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 Liebe Gläubige,

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wir hören in diesen Tagen viele gute – und auch weniger gute – Nachrufe auf den gestern verstorbenen Papst Johannes Paul II. Ich möchte dem nicht noch einen hinzufügen, sondern dieses epochale und für viele traurige Ereignis bewusst ins Licht der heutigen Lesungstexte stellen. Wir feiern den zweiten Ostersonntag und in diesem Licht wollen wir auch den Tod des Heiligen Vaters betrachten.

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Mir drängen die heutigen Lesungen eine Frage an Sie auf: Warum kann ich Sie so ansprechen, wie ich es gerade getan habe, als Gläubige? Warum sind Sie eigentlich Gläubige? Warum glauben Sie? Das könnte man jeden und jede von uns fragen, und man bekäme vielleicht so viele Antworten wie Menschen hier sitzen. Ich möchte noch eine andere Frage stellen: Warum sollen wir glauben? Was haben wir denn vom Glauben? – Vielleicht werden manche von Ihnen nun denken, dass das eigentlich eine ungehörige Frage sei, dass doch wenigstens die Religion und der Glaube frei sein sollten von dieser Frage nach dem Nutzen, den man daraus zieht. In einer Zeit, in der alles nur nach dem beurteilt wird, was es mir bringt, könnte doch der Glaube nur einfach zweckfrei da sein. Und so stelle ich die Frage anders, mache sie dadurch aber scheinbar noch komplizierter: Warum will denn Gott, dass wir an ihn glauben? Warum macht er sich die Mühe, uns zum Glauben zu bewegen? Welches Ziel verfolgt er damit?

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Liebe Gläubige, der erste Brief des Apostels Petrus beantwortet uns diese Frage auf knappe und klare Weise. Er schreibt seinen Adressaten: ihr „jubelt in unsagbarer, von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude, da ihr das Ziel des Glaubens erreichen werdet: euer Heil.“ Gott will, dass wir glauben – nicht damit wir brav und folgsam sind, nicht damit wir Angst haben vor dem mächtigen Gott, nicht damit wir ein Beruhigungsmittel für unsere alltäglichen Probleme (das berühmte „Opium des Volkes“) haben –, sondern damit wir das Heil erlangen. Es geht um das „unzerstörbare, makellose und unvergängliche Erbe …, das im Himmel für … [uns] bereitet ist“. Es geht um eine reale Tatsache, um etwas, das schon da ist und auf uns wartet. Gott will, dass wir glauben, damit wir es erreichen.

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Ist das aber dann auch unsere Motivation zu glauben, der Nutzen des Glaubens für uns? Und aus der Vorfreude darauf können wir dann die Widrigkeiten des Lebens, die „mancherlei Prüfungen“, von denen der Brief spricht, besser ertragen – ist es so gedacht? Wäre es so gedacht, dann wäre der Vorwurf, der dem Glauben häufig gemacht wird, er sei nur Vertröstung und Beruhigung, sehr berechtigt. Ein Glaube, den man nur hat, um sich damit das Leben zu erleichtern, wäre tatsächlich eine Art Opium des Volkes.

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Vor allem aber: Was berechtigt mich denn zu der Hoffnung auf Heil, die mir hier das Leben erleichtern soll? Was für Hinweise habe ich denn, dass es wahr ist, dass der Glaube das Heil schenkt? Jemand, der glaubt, damit ihm die Hoffnung auf das ewige Heil das Leben heute erleichtert, aber sich gar keine Rechenschaft ablegt darüber, ob diese Hoffnung berechtigt ist, ist ja wie jemand, der einen Regenschirm mitnimmt, damit es nicht regnet – weil manche Leute ihm gesagt haben: wenn du einen Schirm dabei hast, regnet es bestimmt nicht. Das führt uns also zurück zur ersten Frage: Warum sind wir Gläubige – warum fühlen wir uns berechtigt, zu glauben?

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Thomas, der Kritiker unter den Aposteln, gibt uns da wertvolle Hinweise: Er ist nicht da, als die anderen den Auferstandenen sehen und dieser sie – die Jünger, die ihren Meister verleugnet und im Stich gelassen haben – mit „Friede sei mit euch“ begrüßt und ihnen den Heiligen Geist schenkt. Sie berichten Thomas davon voller Überschwang und Freude. Ja, wäre es nicht das, was auch er sich wünschen würde, dass der Herr auferstanden wäre, und dass alles Leid der Passion und der Tod, alles Versagen der Jünger vergessen wären? Aber Thomas, der vorsichtig kritische unter den Aposteln, zögert. Könnte das nicht gerade eine Wunschprojektion sein, eine raffinierte Möglichkeit die eigene Mitschuld am Leiden Jesu zu verdrängen und sich billig zu trösten: es war eh nicht schlimm, er lebt ja schon wieder – Opium für die wunde Seele?

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Thomas weigert sich, dieses Opium einzunehmen. Er stellt Kriterien auf, die erfüllt sein müssen, damit er an die Auferstehung glauben kann und will. Die Wundmale Jesu möchte er sehen und berühren, die bleibenden Spuren von Verrat, Verleugnung, Leid und Tod – die möchte er gegenwärtig haben, sonst kann er nicht an deren wirkliche Überwindung glauben. Hat er nicht Recht? Kann Auferstehung, Erlösung, ewiges Heil dort sein, wo man das Leid und den Tod verleugnet und vertuscht? Eigentlich nicht. Denn unsere Welt ist voll von Leid und Tod. Eine solche Welt kann nur erlöst werden, wenn das alles nicht weggezaubert, sondern verwandelt wird – nicht negiert, sondern verklärt wird.

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Und genau das geschieht: Der Auferstandene kommt noch einmal, wieder sagt er ihnen allen, diesmal auch dem Thomas, „Der Friede sei mit euch“ – und bietet ihm an, genau das zu tun, was er wollte: die Spuren des Leids an seinem Körper zu inspizieren. Und dann geschieht etwas Seltsames: Das Evangelium erzählt nicht, dass Thomas das tut, es berichtet uns sofort, dass er einen, ja den, Ausruf des Glaubens macht: „Mein Herr und mein Gott“. Anders als in den großen Darstellungen der Kunst bohrt der Thomas im Evangelium nicht, wie er es angekündigt hatte, in den Wunden Jesu herum. Es genügt ihm zu sehen, dass diese Wunden noch da sind. Und er ist vom Anblick des mit diesen Wunden Auferstandenen so überwältigt, dass er eine weitere Beschäftigung mit ihnen nicht mehr nötig hat.

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Dieser Thomas ist der erste im Neuen Testament, der Christus direkt als Gott anspricht, weil er erkannt hat: das kann nur Gott, Leid so zu verklären, dass es einerseits nicht verdrängt und wegrationalisiert ist, aber andererseits uns auch nicht mehr niederdrückt und fesselt, sondern mitgenommen ist ins ewige Heil. Und der Weg dazu ist, es zu vergeben, den Schuldigen den Frieden zu wünschen statt den Unfrieden einer Vergeltung. Dadurch zeigt Christus seine wahre Göttlichkeit.

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Warum glauben wir? Weil andere uns gesagt haben, dass Jesus wahrhaft auferstanden ist? Ja, zum Teil, denn ohne ihr Zeugnis würde uns die Bestätigung fehlen, dass Gott wirklich rückhaltlos vergibt, dass er wirklich die Wunden verklärt, d. h. heilt ohne sie ungeschehen zu machen. Aber, das allein reicht nicht. Gelebter Glaube wird dies dann, wenn wir selber erfahren haben, dass Wunden auf diese Weise geheilt werden und verwandelt in neue Kraft und Zeichen des Heils. Weil wir selber erfahren haben, dass uns vergeben wird für Wunden, die wir geschlagen haben aus Dummheit, Rücksichtslosigkeit oder gar Bosheit, vergeben in einer Großherzigkeit, wie wir es nie vermutet hätten, darum glauben wir. Eine solche Erfahrung lässt uns in unserem Leben spüren, was Auferstehung Christi letztlich für alle Menschen bedeutet: Gottes Bereitschaft, all unser Leid und all unsere Bosheit nicht wegzuzaubern, sondern zu verwandeln – dadurch, dass sein Sohn es alles getragen hat und wiedergekommen ist um uns den Frieden zuzusagen.

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Johannes Paul II. hat gestern Nacht sein Amt endgültig abgegeben und sein Leben in die Hände Christi gelegt. Als Karol Woitila tritt er vor unseren Herrn. Sein Leben war geprägt vom Glauben an diesen Auferstandenen mit den verklärten Wunden. Johannes Paul II. hat Leid, Dunkelheit und Tod nicht verleugnet und vertuscht: weder das Leid, das Christen in einer langen Geschichte verursacht haben, noch das Leid, das ihnen in der Welt zugefügt wurde, und schon gar nicht – wie wir in den vergangenen Wochen gesehen haben – sein eigenes Leiden und Sterben. Er hat dies alles nicht verleugnet, er hat es nicht abgelehnt. Er hat es in Liebe erduldet; hat um Vergebung gebetet und hat selbst Vergebung gewährt. Den Weißen Sonntag, den wir heute feiern, hat er vor fünf Jahren zum Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit erklärt, in seinem starken Glauben, dass Gott immer und vor allem, der gütige, barmherzige und vergebende ist, wie es der auferstandene Christus dem Thomas gezeigt hat. In diesem Glauben ist er gestern Nacht von uns gegangen.

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 Liebe Gläubige,

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Warum also sollen wir glauben? Weil uns der Glaube und die Liebe zu Christus befähigen, irgendwann nicht mehr in alten Wunden herumzustochern, sondern sie von Gottes Kraft heilen zu lassen und dann denen zu vergeben, die sie uns geschlagen haben. Das haben wir von unserem Glauben: Dass wir lernen zu vergeben und die Vergebung anderer anzunehmen. Dadurch erreichen wir das Ziel, das Gott mit jeder und jedem von uns hat: unser Heil.

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