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Meditationen beim Osterfestival 2004 zu: Joseph Haydn - Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:# Meditation beim Osterfestival 2006
Datum:2006-04-10

Inhalt

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1. Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

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Ausgeliefert, von Freunden im Stich gelassen, von Feinden erniedrigt, im Rausch der Gewalt niedergeschlagen, angenagelt, zum Opfer bestimmt übernimmst Du nicht die Rolle, die man Dir aufdrängte. Lässt nicht über Dich bestimmen. Als Opfer wirst Du zum Handelnden, unterwirfst Dich aber nicht dem archaischen Drehbuch. Anstatt zu fluchen, betest Du. Doch nicht um Rache, sondern um Vergebung!

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Jene Menschen, die über Dich bestimmen wollten, werden von Dir neu bestimmt; jene, die sich Deiner bemächtigt haben, bekommen von Dir neue Rollen zugewiesen. Henker und Mörder und Vergewaltiger, jene, die Böses tun und jene, die nur wegschauen: sie alle schaust Du als Opfer an, als verblendete Opfer ihrer Lebensgeschichte, als Opfer der Sünde. Du blickst sie an und - nun selber zum Opfer geworden - bittest um Vergebung für sie, wissen sie doch alle im Grunde nicht was sie da tun und warum. Wenn sie den Kreislauf des Bösen bedienen.

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2. Gewiss sage ich dir: heute noch wirst du mit mir im Himmel sein.

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Dein erstes Wort ging nicht ins Leere. Die Wandlung hat bereits begonnen. Der Mörder, jener den die Menschen als Abschaum für seine Taten verurteilt haben und mit Dir ans Kreuz genagelt, hat die Logik begriffen. Als erster schert er nun aus dem archaischen Szenario aus. Will nicht bloß die Rolle des hassenden Opfers spielen und den Kreislauf der Vergeltung und Rache in Bewegung halten.

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Die alltägliche Banalität des Bösen wird am Karfreitag schon deswegen unterbrochen, weil dieser eine Täter den Rollentausch verinnerlicht. Als Opfer des Sünde wird er schuldfähig, bekommt Einsicht in das, was er tat. Deswegen kann er der Banalität des Bösen entrinnen. Und dies nicht irgendwann und irgendwo. Heute. Hier und da. An seinem Kreuz am Golgatha. Heute hat sich für ihn der Himmel geöffnet.

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3. Frau, siehe Dein Sohn, und du: sieh deine Mutter!

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“Sie haben keinen Wein mehr” sagte die Mutter zum Sohn bei einer Hochzeit, die in einer Sackgasse zu enden droht. Und bekam zu hören, dass Deine Stunde noch nicht gekommen ist. Und trotzdem wurde sie aktiv, gab Anweisungen zum Auffüllen von Wasserkrügen. Weil sie unerschütterlich an Dich: ihren Sohn geglaubt hat. So wurde sie zur Patin Deines ersten Wunders. Des Wunders einer geglückten Hochzeit. Als sich der Himmel über die Brautleute öffnete.

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Nun, wo Deine Stunde schlägt, steht die Mutter unter Deinem Kreuz. Und der Himmel ist verschlossen: über der Mutter und auch jene, die da geblieben sind.

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Wolltest Du mit deinem dritten Wort schlicht und einfach nur Deine Kindessorge um die Mutter zum Ausdruck bringen, oder auch den verschlossenen Himmel den Hinterbliebenen öffnen? Das Weinwunder von Kana auch auf Golgatha Wirklichkeit werden lassen? Die unerschütterlich an seinen Sohn glaubende Mutter und der Jünger, der zur Liebe besonders fähig war: Glaube und Liebe öffnen zusammen den verschlossenen Himmel. Selbst unter dem Kreuz.

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4. Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

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Nirgends kommen die Spötter, Zweifler und Gläubige so nahe aneinander wir in diesem Deinem Schrei. Wir alle - ganz gleich zu welchem Lagen wir zählen - fragen uns ja: Steht es für Dich fest, dass Gott Dich verlassen ... (hat) trotz Deiner herzzerreisenden Bitte am Ölberg? Doch, Du rufst mit lauter Stimme! Zum ersten, ja zum einzigen Mal wendest Du Dich nicht an den Vater. Das Dir so vertraute Abba/Papa kommt nicht über Deine Lippen. Du schreist nach Gott!

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Nicht die Sohnschaft, nicht diese innigste Beziehung, sondern die nackte Kreatürlichkeit steht hier im Vordergrund. Nicht Sohn, sondern das Geschöpf schreit hier seine abgründige Angst heraus.

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Und der Schrei ist ein Anruf. Mit dem hartnäckigen “Warum?” fällst Du tiefer als je ein Mensch zu fallen vermag..., in die Hölle der Gottverlassenheit. Du fällst, damit wir alle - die Spötter, Zyniker, Zweifler, Gläubige und Deisinteressierte - in unserem je eigenen Fall Anteil haben an Deinem Anruf. An Deinem verzweifelten Gebet..., gerade dann, wenn wir selber zu beten nicht im Stande sind.

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5. Mich dürstet.

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“Gib mir zu trinken”, sagtest Du zu jener Frau (am Jakobsbrunnen), deren Leben so brüchig war. Unbändige Lebenslust war da, aber auch unzählige Partnerschaften, gescheiterte Beziehungen, Risse, Täuschungen und Lügen. Und Du trankst aus ihrem Becher, konntest sie gar in ein Gespräch verwickeln und das Wunder einer sich herstellenden Gemeinschaft vollbringen.

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Gebt mir zu trinken. “Mich dürstet”, sagst Du nun angenagelt an Deinem Kreuz. Deine Zunge klebt an Gaumen, Deine Kehle ausgetrocknet, isoliert, dem Verdursten preisgegeben, mit Essig und Galle getränkt, betäubt durch Lügengeschichten.

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Und indem Du trinkst, aus meinem zerbrechlichen Gefäß trinkst, dem Gefäß meiner Lebensgeschichte: mit den vielen Rissen der Täuschung, der Lüge, der Verletzung, indem Du meinen Essig und meine Galle trinkst, vollzieht sich ein Wunder an mir. Meine brüchige Lebensgeschichte wird zu Deiner Geschichte, meine Leidensgeschichte zu Deiner Passion, Dein Leiden zu meiner Auferstehung.

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6. Es ist vollbracht.

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Bald ist es vollbracht, denkt der Selbstmordattentäter im Augenblick der Zündung des Sprengstoffs. Als Opfer seines Hasses und Opfer der Erwartung einer blutrünstigen Öffentlichkeit bringt er sein Leben dar auf dem Altar moderner Götzen. Damit alles neu wird. Die alte Welt zerstört, die Gegner und Feinde vernichtet. Und die Getreuen? Aus dem Tod, aus der Vernichtung soll das neue Leben kommen.

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Hast Du den Willen Deines Vaters auch so verstanden? Bist Du auch zum Opfer Deines Vaters geworden und sprachst Dein: “Es ist vollbracht” mit der Inbrunst eines Selbstmordattentäters?

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Nein! Nicht einmal den Tod des Sünders will Dein Vater, von Deinem Tod schon ganz zu schweigen. Nicht der Wille zum Sterben wurde Dir zum Kompass auf Deinem Lebensweg. Und auch nicht das Leben selbst. Wohl aber der Gott des Lebens. Und weil er der Liebhaber des Lebens bleibt, konnte in Deinem Geschick dieses Leben selbst im Tod Wirklichkeit werden. Nicht nur für die Getreuen. Auch für die Gegner und Feinde. Eben: für alle!

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7. Vater, in deine Hände gebe ich meinen Geist.

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Hängst angenagelt und zur Passivität verurteilt den an die Schläuche der Intensivstation angeschlossenen nicht ganz unähnlich. Stirbst einen grausamen Gewalttod, genauso wie ihn millionenfach Gewaltopfer sterben. Verurteilt als Gotteslästerer, aus der Gesellschaft ausgeschlossen, der damnatio memoriae preisgegeben, wurdest zur Sprachlosigkeit verurteilt, wie unzählige Sündenböcke.

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Die Rolle der Sterbenden im allgemeinen und der in Isolation und gesellschaftlichen Ächtung Sterbenden im besonderen ist klar umschrieben. Sie haben sich dem Urteil des Todes zu fügen. Sonst gar nichts!

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Doch Du konntest den Inbegriff der Passivität zur höchsten Aktivität verwandeln. Im innersten Kern Deiner Person entziehst Du dich den Henkern und den Spöttern, entziehst Du dich der Gewalt, entziehst Du dich gar dem Tod. Weil Du Dich in die Hände eines anderen anvertraust. In die Hände des Vaters. Und er ist der Inbegriff des Lebensliebhabers. So nimmst Du dem Tod seinen Stachel!

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