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Zur Ausstellung von Michaela Niederkircher
(Kunst im Gang 12/06/06)

Autor:Braun Bernhard
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2006-06-14

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Mit Michaela Niederkircher zeigen wir hier im Gang zum ersten Mal Photoarbeiten. Niederkircher präsentiert mehrere verschiedene Werkgruppen, die zwischen 2000 und heute entstanden sind. Das ist die Erklärung für den rätselhaften Titel der Ausstellung. Der Interpret steht nun - wie immer - vor der Herausforderung, die die Alten in den schönen Spruch kleideten: sapientis est ordinari, es ist die Kunst des Weisen, die Dinge zu ordnen, durch die verschiedenen Serien einen roten Faden zu legen.

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Von vielen Zugängen versuche ich es einmal mit der Reisemetapher. Die Unstetigkeit des Reisens, das Flüchtige, täuscht ja darüber hinweg, dass das Reisen ein Suchen ist nach dem Ort des Bleibens, anders gesagt: nach sich selbst.

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Von der Lebensgeschichte der Michaela Niederkircher weiß ich so gut wie nichts. Aber bei den Begegnungen zur Vorbereitung dieser Ausstellung war nicht zu übersehen, dass sie mit ihrer Kamera eine rastlos Suchende nach solchen Orten des Bleibens ist, ein wenig der Hoffnung verfallen, durch das Reisen ein Ziel zu finden. Und solche Orte findet sie auch immer wieder und hält sie möglichst authentisch fest. Zu dieser Authentizität gehört auch, dass sie der klassischen Photographie, dem analogen Verfahren verbunden bleibt. Jedes Bild ist ein Unikat, es wird weder nachbearbeitet, noch vervielfältigt, es existiert nur einmal, so, wie es vor Ort entstanden ist. Ihre Dokumente sind nicht von langer Hand geplant, es sind Zu-fälle, etwas, was ihrer künstlerisch geschärften Wahrnehmung zufällt.

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Da fällt ihr einmal eine geschenkte Stunde in den Schoß, etwa wenn ein Zug in einem abgelegenen kroatischen Provinzbahnhof Verspätung hat. In der Bahnhofserie "Matuli" fängt Niederkircher die Stimmung eines Raumes ein, in dem die Zeit stehengeblieben scheint. Dass ausgerechnet ein Bahnhof dafür steht, macht den besonderen Reiz dieser Serie aus. Der Bahnhof ist üblicherweise ein hektisches Monstrum, wo der Durchsatz von Menschenmassen kalkuliert, die Zeit in die unerbittliche Form der Kronosgestalt gezwungen wird und für die beglückende des Kairos kein Raum bleibt. Der gute Ort und die geschenkte Zeit - das macht gutes Reisen eigentlich aus!

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Eine ähnliche Raum- und Zeitparadoxie ereignet sich in einem verlassenen Wintergarten, dem sie nachspürt und in dem die zyklische Zeit, die den Garten auszeichnet, das Blühen, Reifen, Absterben und Wiedergeborenwerden, gleichsam selbst zur Ruhe gekommen ist. Ein Wintergarten, dem scheinbaren Verfall preisgegeben, ist ein Ort vielfacher Brechungen und Konnotationen. Die im Zyklus sich beruhigende Zeit ist paradox überformt von der linearen Achse des steten Vergehens. Ein solcher Ort steht für die Absicht des Menschen, den Zyklus der Natur zu domestizieren, ihn der natürlichen Zeit zu entreißen. Er erzählt vm verständlichen Begehren des Menschen, den Ort des Glücks konstruieren und festhalten zu wollen. Die Brechung Niederkirchers liegt in der List der Natur, sich diesen artifiziellen Kosmos zurück zu erobern.

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Die Gleichzeitigkeit verschiedener Raum- und Zeiterfahrungen bietet in verschlüsselter Form der Blick in einen Bücherspeicher der Universitätsbibliothek. Er ist ein gigantisches Reservoir beschriebener "Gut-Orte", wie man U-topie als Eu-topos übersetzen könnte. Im Zeitalter der virtuellen Datenspeicher mutet so ein verstaubt-muffiger Raum, randvoll mit Büchern anachronistisch an, analoge Mimesis des jahrhundertealten Speichermediums Buch. Man kann ob dieser unbarmherzigen Dokumentation ins Sinnieren kommen, ob es nicht beruhigend ist, dass der Großteil der erdachten und beschriebenen Heilsentwürfe Nicht-Orte (wieder: U-topie) geblieben sind. Vermutlich stimmte der Ironiker Roman Herzog einem solchen Befund zu, wenn er sähe, wie sein Buch friedlich und sanft neben jenem Che Guevaras zu stehen gekommen ist. Harmlos zwischen Buchdeckeln abgelegt entschärft großherzig der Staub manche Utopien. Die 16 Photographien dieser Serie offenbaren in beklemmender Stimmung einen Blick auf die oft so sonderbaren Archive des Kreativen, auf die Oasen geistiger Höhenflüge im Schnittpunkt von Vergangenem und Gegenwärtigem, wo zwischen Anspruch und Wirklichkeit verloren der Mensch seinen Ort sucht. Und doch blitzen immer wieder Sehnsüchte auf und Erinnerungen an die eigene Identität, an Stationen des Glücks in den Beschwernissen der je eigenen Lebensreise mit den vielen Mühen und Irrwegen. Und es ist eine originelle Idee der Künstlerin, in diese geistigen Landschaften natürliche Landschaftsbilder zu setzen, denn es ist schon so, dass das Glück sich auch in den Entzauberungen hartnäckig als Spiegelung am Leben erhält.

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Die Spiegelungen! Immer wieder arbeitet die Künstlerin damit. Sie ließen sich vielfach ausdeuten. Schiebt sich hier die Ebene des Reflektierens in jene des Emotionalen, stehen sie für die Gleichzeitigkeit verschiedener Raum- und Zeitstrukturen, oder ist es eben ein Ineinanderfließen von Traum und Wirklichkeit? In einem Bild der Wintergartenserie (hier leider nicht ausgestellt) ist in den vermeintlich so autonomen Wintergarten die Gestalt eines Mädchens hineingespiegelt, das unwirklich, scheinbar ohne Bodenhaftung, Zeit in diesen zeitlosen Ort bringt, ihn mit Sehnsucht koppelt und ihn dadurch zu einem menschlichen Ort macht.

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Der Mensch nimmt einen wichtigen Stellenwert in den Arbeiten Michaela Niederkirchers ein. Er ist schließlich das Subjekt einer jeden Suche nach dem Ort. Daß eine Photographin die Spannung zwischen Männlichem und Weiblichem thematisiert, wird nicht überraschen, es ist bei Niederkircher subtil und originell verschlüsselt. Das frohe Porträt zweier junger Mädchen setzt sie neben einen männlichen Ort einer sehr männlichen Religion. Aber die Geschlechterdifferenz hat auch viele Stationen der Versöhnung, feinsinnig symbolisiert mit dem Bild "Bluse und Hemd". Das Menschliche liegt naturgemäß am nächsten in den Porträts. Was hier von der Kamera festgehalten wird, ist der Speicher einer Geschichte des immer gelingenden und mißlingenden Suchens nach dem Ankunftsort der Reise "Leben". Wir kennen die Spuren, die einem Porträt diese Lebensreise einschreibt und jedes Gesicht zu einem würdigen Ausdruck machen der Stationen dieser Reise. Aber was uns - aller Mühe zum Trotz - immer wieder Kraft für diese Reise gibt, ist vielleicht die offene Hoffnung in den Kinderaugen, die noch nichts wissen von Scheitern, Abschied und Tod.

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