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Ein Gott des Lebens
(Gedanken zum 13. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Unser Gott ist ein Gott des Lebens, so bekennen wir. Und doch begegnen wir ständig Tod und Zerstörung, so vielem, was unser Leben beschneidet und verhindert. Im Evangelium von der blutflüssigen Frau und der Tochter des Jairus eröffnet Jesus zwei Frauengestalten neue Lebensmöglichkeiten - und es zeigt sich, dass beide mehr miteinander zu tun haben, als man auf den ersten Blick vermutet.
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2006-07-21

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Weish 1,13-15; 2,23-24 (2 Kor 8,7.9.13-15); Mk 5,21-43

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 Liebe Gläubige,

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die Lesung aus dem Buch der Weisheit sagt uns unmissverständlich, dass Gott ein Gott des Lebens ist und alles Lebensfeindliche nicht von ihm kommt. Mehr Frohbotschaft, mehr Lebensbejahung scheint gar nicht mehr möglich—wenn da nicht der letzte Satz wäre. Da ist auf einmal vom Teufel, seinem Neid und dem dadurch in die Welt eintretenden Tod die Rede. Und diesen Tod erfahren alle, die dem Teufel angehören.

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Wie ein Schlag ins Gesicht ist dieser letzte Satz. Wir sterben doch alle—gehören wir also dem Teufel an? Die Welt ist voll von Leid und Tod—wie kann die Bibel sagen, dass kein Gift des Verderbens in irgendeinem Geschöpf Gottes ist und der Tod keine Macht hat auf der Erde? Wir spüren seine Macht doch tagtäglich. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man da nicht lachen, ob einer solchen Behauptung?

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 Liebe Gläubige,

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wenn wir zu einem solchen zynischen Lachen neigen, dann gleichen wir den Bekannten des Jairus. Sie sind überzeugt, die Tochter des Synagogenvorstehers ist gestorben und können Jesu Aussage „Sie schläft nur“ bloß als billigen Vertröstungsversuch ansehen. Da kommt einer, der die Wirklichkeit in ihrer ganzen Schwere nicht wahrhaben will und sie schönredet. Gott hat nichts Gefährliches geschaffen, der Tod hat keine Macht und die Tochter des Jairus schläft nur. Wer’s glaubt, wird selig!

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Aber schauen wir uns dieses seltsame Evangelium etwas genauer an: zwei Frauengestalten—ein Mädchen und eine Erwachsene—begegnen uns darin; sie scheinen beide miteinander nichts zu tun zu haben, sondern wie zufällig zur gleichen Zeit Jesu Weg zu kreuzen. Ja, sie scheinen sich gar gegenseitig in die Quere zu kommen, weil sie beide jetzt Jesu Hilfe brauchen. Oder ist es ganz anders? Gehören sie auf einer tieferen Ebene zusammen und heilt Jesus die eine, gerade weil er auch der anderen hilft? (1)

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Beginnen wir mit der erwachsenen Frau: Seit 12 Jahren leidet sie an Blutungen. Das ist nicht nur ein krankhafter und unangenehmer Zustand für sie. Das machte sie in ihrer Welt zu einer Ausgestoßenen. Eine Frau galt nach dem Gesetz des Mose für die Tage ihrer Blutung als unrein und als Folge davon galt: „Wer sie berührt, ist unrein bis zum Abend. Alles, worauf sie sich […] legt, ist unrein; alles, worauf sie sich setzt, ist unrein. Wer ihr Lager berührt, […] ist unrein bis zum Abend. Wer irgendeinen Gegenstand berührt, auf dem sie saß, […] ist unrein bis zum Abend. Befindet sich etwas auf dem Bett oder auf dem Gegenstand, auf dem sie saß, wird derjenige, der es berührt, unrein bis zum Abend. Schläft ein Mann mit ihr, so kommt die Unreinheit ihrer Regel auf ihn. Er wird für sieben Tage unrein. Jedes Lager, auf das er sich legt, wird unrein.“—so sagt es das Buch Leviticus (Lev 15,19-24), und entsprechende Reinigungsriten sind vorgeschrieben. Was aber wenn die Blutungen nicht nach einigen Tagen aufhören, sondern 12 Jahre andauern?

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Dann gilt dies alles für 12 lange Jahre. Nur auf diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum die Frau Jesus nur heimlich und mit Angst und Zittern berührt und zu Tode erschrickt, als dieser es bemerkt und nachfragt. Der heilige Prediger aus Nazareth kommt in ihre Stadt und sie hat nichts besseres zu tun als ihn zu besudeln—so musste sie doch befürchten, dass die Leute reagieren, ja dass Jesus selbst reagiert. Was würde er tun, wenn er merkte, dass sie ihn verunreinigt hatte?

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Hinter dem Gesetz verbirgt sich eine menschliche Erfahrung: Blut hat mit Gewalt und Tod zu tun, daher verunreinigt es. Die jüdischen Reinigungsvorschriften haben im Mittelalter und der frühen Neuzeit viele Juden und Jüdinnen vor ansteckenden, tödlichen Krankheiten bewahrt, weil durch die monatlich wiederkehrenden, vorgeschriebenen Waschungen Körperhygiene betrieben wurde, lange bevor man etwas wusste von Bakterien und Viren als Krankheitserregern. Aber für diese Frau und andere in ihrer Lage bedeutete dieses Gesetz, dass sie selbst zu einem Hort der Unreinheit wird, ja ihre Identität als Frau wird zu etwas Schmutzigem, etwas, vor dem man sich ekeln und schützen muss.

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Wundert es einen da, wenn es junge Mädchen gibt, die sich schlicht weigern, überhaupt eine Frau werden zu wollen, so wie die Tochter des Jairus? Sie ist gerade zwölf Jahre alt: so viele, wie die Frau an Blutungen litt; so alt, wie man ungefähr ist, wenn man vom Mädchen zur jungen Frau wird; so alt, dass sie nach dem Gesetz als heiratsfähig galt. Und genau in diesem Alter ist sie nicht das blühende Leben, sondern liegt starr und bewegungsunfähig im Sterben; so als wollte sie sagen: wenn Frausein das bedeutet, dann höre ich hier auf, weiterzugehen, dann sterbe ich lieber, als mir das antun zu lassen!

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Diesen beiden Frauen, der 12-jährigen Tochter des Jairus und der seit 12 Jahren an Blutfluss Leidenden, eröffnet Jesus Heilung und neues Leben, indem er ihren Glauben stärkt, indem er ihr Vertrauen darin stärkt, dass Gott der Gott des Lebens ist. Dadurch haben sich die Rollenerwartungen an eine Frau nicht plötzlich geändert, die Einstellungen der Masse sind die gleichen geblieben. Geändert hat sich der Blick der beiden Frauen auf sich selbst und die Welt, ihre Fähigkeit, mit dem Bedrohlichen umzugehen.

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Die Erwachsene erfährt: Dieser Prediger fühlt sich von mir nicht beschmutzt, er distanziert sich nicht von mir. Er nennt mich seine Tochter, er sagt mir den Frieden zu, und er sagt, dies alles ist Folge meines Glaubens an ihn; des Glaubens daran, dass das, was mich belastet, nicht von Gott kommt, dass es widergöttlich ist. Nicht Gott schickt es mir, sondern Gott ist an meiner Seite und hilft mir damit zurecht zu kommen. Nicht die mir sagen, ich sei unrein, sprechen Gottes Wort, sondern derjenige, der mich annimmt, ernst nimmt und wertschätzt, er sagt mir darin Gottes Wort zu.

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Die Zwölfjährige bekommt eine unmissverständliche Aufforderung—Markus überliefert sie uns auf aramäisch, wie Jesus sie sprach: Talitha kum—Mädchen steht auf. Steh auf eigenen Beinen, lass dich nicht entmutigen von all dem Fremden, Gefährlichen, das auf dich zukommt: Die neuen, wilden Kräfte in dir, die du noch nicht kennst; die begehrlichen Blicke der Männer, die auf einmal an dir hängen bleiben; die Sehnsüchte in deinem Herzen nach Freiheit und Geborgenheit—das alles kann ich dir nicht ersparen; aber ich gebe dir die Kraft Gottes, dass du auf eigenen Beinen da hindurch gehen kannst in dein Leben, weil dieses dein Leben von Gott kommt—und nur der Neid des Teufels (so sagt es das Buch der Weisheit) Tod und Lebensverneinung bringt. Gott aber ist auf der Seite des Lebens und nicht auf der Seite derer, die das vermeintlich oder wirklich Besudelte aus der menschlichen Gemeinschaft ausschließen oder alles Schöne, Junge und Heranreifende in Besitz nehmen wollen.

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 Liebe Gläubige,

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so betrachtet, ist die Situation der Tochter des Jairus und der blutflüssige Frau der heutiger Menschen gar nicht so unähnlich, der heutiger Mädchen und Frauen, aber auch der von Jungen und Männern. Die äußeren Umstände mögen andere sein, aber die Fragen sind immer wieder die gleichen: Woher kommt das Beeinträchtigende, Tötende in meinem Leben? Wie steht Gott zu mir, zu der Person, die ich bin? Bin ich unrein? Will ich so weiterleben? Kann ich so weiterleben? Und wir sind immer wieder herausgefordert uns zu entscheiden, ob wir die Aussage, dass Gott den Tod nicht geschaffen hat und keine Freude am Untergang hat, glauben können oder ob wir sie mit zynischem, besserwisserischem Lachen beantworten und uns damit auf die Seite der Lebensverneinung stellen. Im letzteren Fall laufen wir Gefahr, der Versuchung des Teufels zu erliegen und seine Agenten zu werden. Der Teufel kann Gott nur als einen wahrnehmen, der seinen Geschöpfen das Leben neidet. In Wahrheit verbirgt sich dahinter nur der eigene Neid und die eigene Unzufriedenheit. So erfahren alle den Tod, die dem Teufel angehören.

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Wenn wir aber an Gott als kompromisslosen Freund des Lebens glauben können—trotz all der Erfahrungen, die das Gegenteil nahelegen—, dann wird auch uns dieser Glaube durch alle Widrigkeiten des Lebens hindurchführen. Die Widrigkeiten gehen dadurch nicht weg, aber wir können aufstehen und auf eigenen Beinen in der Kraft Gottes durch sie hindurch ins Leben gehen, ins irdische und erst recht ins ewige, in dem es keinen Tod mehr gibt, weil der Gott des Lebens ihn ein für allemal abgeschafft hat.

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Anmerkungen:  

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 1.

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1 Die Erkenntnis dieses Zusammenhangs und wesentliche Anstöße verdanke ich: Drewermann , Eugen: Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. II: Wunder, Vision, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis. Olten Sonderausgabe 31992, 277-309.

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