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Einander Engel sein
(Predigt beim Gottesdienst zur Eröffnung des Studienjahres 2006/2007 in der Jesuitenkirche am 2. Oktober um 11 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2006-10-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich auf den Händen tragen, und du deinen Fuß nicht an einem Stein stößt.“ Felix Mendelsohn-Bartholdy hat den biblischen Psalmvers (Ps 91,11f.) vertont; der wunderbare Choral stellt einen Teil des Oratoriums „Elijas“ dar. Der Choral wird an einer Stelle präzise eingefügt, an einer Stelle, deren Dramatik kaum zu steigern ist. Der Elija ist auf der Flucht. Er wird verfolgt. Hunger und Durst plagen ihn. Der Lebenswille ist geschwächt. Die Zukunftshoffnung geschwunden. Im Grunde mag er nicht mehr; er hat resigniert. Er will sterben. Diesem ausgebrannten Propheten gilt der Zuspruch: „Die Engel tragen ihn auf den Händen.“ Soll das ein Hohn sein?

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Exakt nach dem Choral trifft unser ausgebrannter Prophet eine Witwe. Und diese beleidigt ihn: „Was willst du von mir, du Mann Gottes?“ Kein Wunder. Ihr Sohn ist sterbenskrank. Sie selber hat kaum etwas mehr, um leben zu können. Zwei Menschen, die dringend der Hilfe bedürfen, treffen da aufeinander und werden einander zu Engeln. Mendelsohn-Bartholdy exegetiert den Psalm auf eine kaum zu übertreffende Art und Weise: Zwei Menschen, die der Hilfe bedürfen, zwei Menschen, die mit dem Leben abgeschlossen haben, können unter dem Vorzeichen des Zuspruchs des Psalmgebetes: ‚Gott habe doch seinen Engeln befohlen, die Menschen auf den Händen zu tragen’, sie können selber zu diesen Engeln werden, und zwar füreinander!

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Diesen Zuspruch schenkt uns allen die heutige Liturgie, die Liturgie zur Eröffnung des Studienjahres. Sie schenkt ihn zuerst uns, den mehr oder weniger ausgebrannten Propheten: den Lehrenden an dieser Fakultät. Freilich ist zu Beginn des Jahres das Ausgebranntsein noch nicht so deutlich, freilich freuen wir uns über jeden neuen Studenten, freilich glauben wir immer neu, dass es doch nun eindeutig bergauf gehen wird - und doch! Es bleibt ein schales Gefühl im Magen, weil wir halt ständig unter dem Rechtfertigungsdruck leben, weil wir auf erfolgreiche Propheten aus der naturwissenschaftlichen oder wirtschaftswissenschaftlichen Wüste blicken und uns mit ihnen vergleichen, weil viele von uns vielleicht nicht so gesund sind, mit etlichen Alltagsproblemen kämpfen, weil in uns der Glaube und das Vertrauen auf den christlichen Gott und die Überzeugung vom Wert der Kirche in unserer Kultur vielleicht nicht so ganz lebendig sind. Uns, den mehr oder weniger ausgebrannten Propheten dieser Fakultät, wird zugerufen: „Die Engel tragen euch auf ihren Händen!“ Und uns werden auch zahlreiche Witwen auf den Weg gestellt. Nicht die alten und ausgezehrten Witwen. Nein! Es können dies blutjunge Studentinnen sein, die sich von uns Hilfe und Orientierung für ihren Weg erwarten, genauso wie jene Studierende, die nach einer Verlusterfahrung, nach dem Zusammenbruch eines Lebensentwurfes oder nur im Kontext des Gefühls der Leere so etwas wie Wiederbelebung ihrer Hoffnungen und ihrer Lebenslust ersehnen. Worauf es mir ankommt, ist die Situation der Begegnung unter dem Vorzeichen des Psalmgebets, eine Situation, die uns zu Engeln werden lässt, und zwar: füreinander!

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Diese Erfahrung, dass Lehrende und Studierende einander gerade in ihrer Schwäche zu Engeln werden können, diese Erfahrung ist notwendig, damit wir alle - MitarbeiterInnen und Studierende - Propheten werden können für die Menschen unserer Zeit. Damit wir jene Rolle wahrnehmen können, von der die Lesung (Ex 23,20) sprach: Wir sollen zu solchen Engeln werden, die den Menschen von heute geschenkt werden, damit sie diese auf ihren Wegen ins Gelobte Land beschützen. Wir sollen mutig diese Rolle der führenden und beschützenden Engel übernehmen. Denn, wenn wir dies nicht tun, kommen andere und sie werden das Volk verführen.

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Liebe Studierende! Ihre Motivation für das Theologiestudium, für das Studium der Philosophie an der Theologischen Fakultät wird vermutlich sehr unterschiedlich sein. Doch bei aller Verschiedenheit der Motivation der JugendleiterInnen, wissenschaftlicher MitarbeiterInnen, Priesteramtskandidaten, PastoralassistentInnen und ReligionslehrerInnen... und weiß Gott, was alles noch..., bei aller Verschiedenheit: Eines verbindet sie alle. Ob sie dies wollen oder nicht. Christentum, katholische Theologie, christliche Botschaft sind nicht wertneutral! Von ihrer Sache her nicht und auch nicht im Kontext der heutigen Welt. Ob Sie dies wollen oder nicht, werden Sie in dieser Welt in die Rolle der Religionsspezialisten (Religionskritiker oder Religionsapologeten) gedrängt. Ich wünsche Ihnen, dass Sie gleich zu Engeln werden, jene Engel, von denen die Lesung sprach, Engel, die die Menschen auf ihrem Weg begleiten und beschützen.

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Wir alle sollen aber nicht vergessen, was das Evangelium (Mt 18,10) uns zugerufen hat. Verachtet nicht die Kleinen, diejenigen, die nicht die Kraft und nicht den Mut haben, vielleicht auch nicht die Fähigkeit zu glänzen, Idole zu sein, „großgoschert“ dazustehen. Ihre Engel, jene Engel, die im Himmel sind, sehen das Angesicht des Vaters direkt und sind auch Anwälte der Kleinen. Also passen wir auf!

7
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Liebe MitarbeiterInnen und liebe Studierende! Uns allen wünsche ich - vor allem dann, wenn uns das Gefühl des Ausgebranntseins überfällt - zahlreiche Witwen auf unserem Weg. Sorry! Zahlreiche Engel! Mit deren Hilfe werden auch wir zu Engeln. Füreinander!

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