Ein Freund von mir - der Leiter der Innsbrucker Klinikseelsorge Andreas Krzyzan - hat als Pfarrer von Kufstein-Endach vor zwanzig Jahren im dortigen Pfarrzentrum eine seltsame Krippe aufgestellt. Vor der Kirche bereits beginnend, gab es auf dem Boden große Fußspuren. Diese führten in einen Nebenraum der Kirche, in dem ein regelrechter Stall eingerichtet war. Die Krippe selbst war ziemlich tief unten platziert. Um das Kind sehen zu können, musste man sich tief beugen. Doch ein jeder, der sich der Mühe unterzogen hatte und sich tief beugte, erblickte in der Krippe nicht das Kind, sondern sein eigenes Gesicht. Die Krippe war leer, nur am Boden lag ein Spiegel. Das Aha-Erlebnis sollte auf die tiefe Dimension des Weihnachtsgeheimnisses aufmerksam machen. Menschwerdung Gottes bedeutet eben auch, dass sich in jedem menschlichen Gesicht - auch in meinem eigenen - das göttliche Antlitz widerspiegelt. Um das Gesicht zu sehen, muss man sich beugen, also jene Bewegung nachahmen, die Gott bei seiner Menschwerdung vollzogen hat. Er ist ja „herabgestiegen“ auf das Niveau des Menschen. Die Kirchenväter nannten diese Haltung Gottes „humilitas“, die Dolmetscher übersetzten das Wort mit „Demut”. Sowohl die Bewegung als auch der Begriff sind denkbar unmodern. Was heute zählt, sind der Aufstieg und der Mut, den vertrauten Boden unter den Füßen zu verlassen. Jeder will an die Spitze kommen, andere - und auch sich selber - überholen. Bei so viel Aufstieg geht uns allen nicht nur die Puste aus. Auch die Züge der Menschlichkeit im Gesicht des Konkurrenten gehen allzu oft verloren. Und erst recht jene in meinem eigenen Gesicht!
|