- Leseraum
| "Gott" in der Wissenschaftskultur der Gegenwart (Statement zur Podiumsdiskussion im Rahmen des Dies academicus 1.6. 2007)Autor: | Löffler Winfried |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | fak |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | Originalbeitrag für den Leseraum |
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Datum: | 2007-07-23 |
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Inhalt1
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| Welche Rolle spielt Gott, oder besser die Rede von Gott in der Wissenschaftskultur der Gegenwart? Das vorherrschende Deutungsschema in dieser Frage waren lange Zeit Säkularisierungsthesen, dass es also geradezu ein Grundzug der Moderne sei, dass religiöse Deutungsmuster und Organisationsformen sukzessive zurückgedrängt werden, natürlich auch in den Wissenschaften. In jüngerer Zeit werden freilich auch oft Gegenthesen behauptet, vom Vormarsch des Religiösen, vom „Megatrend Spiritualität“, vom „Gott im Kommen“ und ähnliches mehr. Das klingt alles recht widersprüchlich, aber solche Thesen können deshalb ganz gut koexistieren, weil sie eben so schwer zu überprüfen sind. Es ist schwer, die Schlagworte in solchen Behauptungen zu operationalisieren und aussagekräftige Parameter dafür zu finden: Was meint man genau mit „religiösem“ oder „religiös begründetem“ Verhalten? Oder: wie wägt man etwa den anscheinenden Vormarsch von selber gestrickten Patchwork-Religiositäten gegen das anscheinende Schrumpfen der Großkirchen ab? Oder: wie wägt man Vorgänge in Europa gegen anscheinend gegenläufige Tendenzen in anderen Weltgegenden ab? – und ähnliche Fragen tun sich da auf. Als ein paradigmatisches Feld der Säkularisierung gelten natürlich die Wissenschaften, nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch die Kultur- und Sozialwissenschaften. Dort scheint das berühmte Zitat von Laplace problemlos zu gelten, dass man nämlich Gott als Hypothese nicht braucht, schon aus methodischen Gründen. Es gibt aber auch einige irritierende Phänomene in der gegenwärtigen Wissenschaftskultur, die nicht so recht in dieses Schema passen wollen. Im Rest meines Statements möchte ich kurz auf zwei solcher Phänomene eingehen; das erste ist vor allem wissenschaftssoziologisch interessant, das zweite auch wissenschaftstheoretisch im engeren Sinne. | 3
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| Das erste Phänomen sind die beständigen Versuche religiöser (und z.T. anscheinend auch recht finanzkräftiger) Gruppen, irgendwelche Alternativen zur Standard-Evolutionsbiologie im öffentlichen Diskurs zu etablieren. Das geschieht bislang besonders in den USA, vor allem ist es ein brandheißes Thema der Schulpolitik, es hat Auswirkungen aber bis hinauf in Fachzeitschriften. Die bekannten Stichworte sind Kreationismus und Intelligent Design; stark vereinfacht kann man sagen, dass Kreationisten die direkte, punktuelle Intervention Gottes in die Evolution behaupten, während Intelligent Design-Verfechter einen wie immer zu begründenden Design Plan in der Natur als wissenschaftliche Hypothese behaupten. Hintergrund ist jedoch auch hier in aller Regel ein christlicher Fundamentalismus. Daneben existieren auch eher skurrile Dinge wie die Young Earth Creationists, die behaupten, die Erde sei wirklich vor ein paar Tausend Jahren in 6 Tagen geschaffen worden, aber eben inclusive aller älter aussehenden Fossilien etc. Die politische Brisanz all dieser Dinge ist aus europäischer Sicht nicht leicht nachvollziehbar, hat jedoch unter anderem mit der Religions- und Verfassungsgeschichte der USA zu tun. Wissenschaftstheoretisch ist zum Kreationismus und zum Intelligent Design nicht allzu viel zu sagen. Es handelt sich um eine klassische Lückenfüllungs-Theologie. Jeder Biologe wird zugeben, dass die Evolutionsbiologie momentan Erklärungslücken hat und dass der simplifizierende Slogan von Mutation und Selektion längst nicht mehr der Stand der Dinge ist. Erklärungslücken sind aber Kennzeichen jeder spannenden Wissenschaft, und es gibt eine ganze Menge von innerbiologischen Zusatzhypothesen zu ihrer Schließung. Wie komplexere Lebensformen aus einfacheren entstehen, bleibt also ein spannendes Problem. Wer nun aber meint, solche Lücken besser mit der direkten Intervention Gottes oder einem sonstigen höheren Design-Plan zu schließen, der läuft Gefahr, in ein paar Jahren oder Jahrzehnten durch eine bessere biologische Hypothese korrigiert zu werden. Gottes Allmacht ist also in beständiger Schrumpfungsgefahr, und die Theologie wird zum permanenten Rückzugsgefecht. Interessanter ist das Phänomen aus wissenschaftssoziologischer Sicht. Die Strategien sind dabei im Grunde immer ähnlich. Mit viel Geld und Aufwand werden Hinweise auf Erklärungslücken der Biologie gesammelt, und der Kreationismus wird folglich als gleich gute oder gar bessere Hypothese hingestellt, oder eben ein „Intelligent Design“ in der Natur. Immer wieder wird dann versucht, solche Artikel in Fachzeitschriften einzuschmuggeln. Und wenn dies im Einzelfall einmal gelingt, wird das als öffentlicher Beleg dafür gewertet, dass Intelligent Design eben doch eine wissenschaftliche Hypothese sei. Daneben existiert natürlich eine Flut von kreationistischer Literatur, eigene Fachzeitschriften, und ähnliches mehr. Das Internet ist voll davon, Sie können sich leicht selber davon überzeugen. Wie geht man damit um? Grundsätzlich werden Arbeiten mit kreationistischem Drall nicht in anerkannten Fachzeitschriften publiziert, und das ist wohl auch gut so. Man sollte die Zeit seiner lesenden Fachkollegen nicht mit absehbar unfruchtbaren Ansätzen vergeuden. Andererseits trägt so ein „Vorfilter“ doch auch unangenehme Züge, die nicht so recht in eine offene Gesellschaft passen. Immerhin interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es seit 2006 eine gemeinsame Erklärung von 68 Akademien der Wissenschaft über den Status der Evolutionsbiologie gibt. – von der amerikanischen über die kubanische, die israelische und die palästinensische bis zur iranischen. Die Intelligent Design-Debatte hat also punktuell auch erfreuliche Resultate. Weniger erfreulich sind freilich die Grenzüberschreitungen, zu denen sich manche Philosophen und auch manche Biologen in diesen Debatten veranlasst sehen (man denke etwa an Richard Dawkins). Aus der Biologie folgt nämlich weder, dass es einen göttlichen Designer geben muss, noch dass es ihn nicht geben kann und die Evolution nichts anderes als ein zufälliges Geschehen ohne jeden tieferen Sinn sein könne. Man mag jetzt vielleicht einräumen, dass ein grober Klotz wie die politisch agitierenden kreationistischen Netzwerke auch einen groben Keil verdienen, aber das ist noch keine zureichende Erklärung für den Stil und die Argumentationsweise solcher Texte. Auch hier wird die Biologie – oft übrigens eine simplifizierte Biologie – missbraucht, um eine weltanschauliche Grundannahme (hier eben eine atheistische) zu verteidigen. | 5
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| Das zweite und theoretisch interessantere Phänomen hat mit Astrophysik zu tun. Dass wir in einem expandieren Universum leben, das etwa vor 14 Milliarden Jahren in einem Anfangzustand namens Urknall begonnen hat, das gehört heute zum Gymnasialstoff. Man nennt das das kosmologische Standardmodell, und es gibt auch recht gute empirische Hinweise, dass dieses Modell korrekt ist. Unangenehm an diesem Modell ist, dass dieser Anfangszustand der Physik prinzipiell nicht zugänglich ist, weil dort noch keine Naturgesetze gelten und es auch keinen Raum, kein Vorher und kein Nachher gibt. Man spricht von einer Anfangssingularität und so eine prinzipielle Erklärungsschranke ist physikalisch natürlich anstößig, weil Naturgesetze doch immer und überall gelten sollten. Interessant ist nun, welche Folgerungen aus diesem Modell gezogen werden. Einerseits gibt es Versuche, daraus ein Argument für einen Schöpfergott abzuleiten. Der Urknall wäre dann sozusagen die erste Schöpfungshandlung Gottes. Eine simple Lückenfüllungstheologie wie der Kreationismus ist das, nota bene, nicht: Es geht nicht darum, faktische,vorübergehende Lücken der Theorie zu stopfen, sondern es geht um eine Ergänzung in einem Punkt, wo der Physiker prinzipiell nichts mehr sagen kann. Die Physik wird sozusagen in eine größere weltanschauliche Sichtweise eingebettet, man tritt aber nicht in Konflikt mit ihr. Das ist ein durchaus attraktives Argument, das viele vertreten, übrigens nicht nur Christen, sondern auch zB Juden und Muslime. Andererseits steht das kosmologische Standardmodell seit jeher im Verdacht, eigentlich krypto-theologisch zu sein. Immerhin war einer seiner Schöpfer, Georges Lemaître, nicht nur Astronom, sondern auch katholischer Priester. Und es gibt natürlich noch allerlei andere offene Fragen in diesem Modell, etwa wie Relativitätstheorie und Quantenphysik zusammengehen, oder welches Ausmaß und Rolle die dunkle Materie im Universum hat. Ich bin kein Physiker, sondern Philosoph, und da faszinieren mich nun besonders all jene Alternativmodelle zum Standardmodell, die da so vorgeschlagen werden. Da gibt es allerlei extravagante Modelle von zahllosen Paralleluniversen, von denen in dem wir nur eines sind, von sich verzweigenden Babyuniversen, von Zyklischen Universen, die sich quasi im Kreis selber verursachen können, und anderes mehr. An diesem Punkt scheinen mir zwei Fragen interessant zu sein, und zwar wissenschaftstheoretisch interessant: Erstens: wie wägt man die Nachteile von Modellen gegeneinander ab? Wenn man etwa ein empirisch gut gestütztes Modell wie das Standardmodell hat, das aber eben den Makel der Anfangssingularität hat, und dagegen ein Modell der ewigen Universen, das aber empirisch kaum zu untermauern ist? Wofür soll man sich da als Wissenschaftler entscheiden und nach welchen Kriterien? Zweitens: Täuscht mich mein Eindruck, dass hinter manchen solcher Alternativmodellen vor allem das Bestreben steht, möglichen religiösen Schlussfolgerungen vorzubauen? Und täuscht mich umgekehrt mein Eindruck, dass hinter manchen Alternativmodellen eine Art säkulare Naturfrömmigkeit hervorleuchtet? Dass man sozusagen den ewigen Prozess der Universen bestaunt, ihm eine Art Kreativität zuschreibt und ihm mit fast religiöser Verehrung begegnet? Wenn das so wäre, wäre dies ein durchaus interessantes Phänomen, wie eine Art religiöser Hintergrundüberzeugung auch in gegenwärtigen Naturwissenschaft wirkt, wenngleich natürlich auf Umwegen. | 7
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