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Bemerkungen zu einer personalen Sicht der Sünde

Autor:Rotter Hans
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Aus reichen Quellen leben. Ethische Fragen in Geschichte und Gegenwart. Hg. v. Johannes Reiter u.a. Trier 1995, 275-284.
Datum:2001-10-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Es hat in der kirchlichen Tradition über lange Zeiten einen übermäßigen Sündenpessimismus gegeben. Besonders das sechste Gebot lieferte dafür genug Beispiele. Das war pastoral gesehen sehr schädlich. Denn wenn man z. B. in geringfügigen Vergehen bereits eine Todsünde sieht, wenn der Zustand der Todsünde geradezu als der Normalzustand auch eines guten Christen erscheint, dann wird eine solche Moralauffassung unglaubwürdig oder sie führt zu einer inflationären Verharmlosung dessen, was unter Sünde bzw. Todsünde zu verstehen ist. Hier liegt eine Wurzel dessen, was man heute als Sündenvergessenheit bezeichnet <H. Weber, Allgemeine Moraltheologie. Ruf und Antwort, Graz-Wien-Köln 1991, 256 schreibt: "Mit der Frage zu Schuld und Sünde steht ein Thema an, bei dem sich zur Zeit ein geradezu epochaler Wandel zu vollziehen scheint. Aus einem Spitzenthema droht ein Nicht-Thema zu werden. Die Vorstellung, dass Menschen schuldig werden, verdunstet offenbar immer mehr.">.

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Denn sicher ist auch heute das Gewissen in der Lage, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden, und es gibt durchaus auch Bereiche, wo junge Menschen heute sensibler reagieren als früher. Man denke nur an die Friedens- und die Umweltethik, an die Frauenfrage und überhaupt an viele Probleme der Sozialethik. Eine ausschließliche Tendenz zur Aufweichung der Moral ist deshalb gegenwärtig sicher nicht gegeben.

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Der traditionelle Sündenpessimismus hatte verschiedene Gründe. Einer liegt in irrtümlichen Anschauungen über die menschliche Natur. So führte die Unkenntnis von der weiblichen Eizelle und die Überzeugung, im männlichen Sperma sei der Anlage nach ein ganzer Mensch enthalten, zu der Auffassung, dass Masturbation eine Frühform von Abtreibung sei und deshalb als schwere Sünde betrachtet werden müsse. Diese Bewertung wurde noch verstärkt durch die damals verbreitete, dem Manichäismus nahestehende Meinung des hl. Augustinus und anderer Kirchenväter, dass erotische Lust außerhalb der Ehe grundsätzlich sündhaft sei.

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Ähnliche Missverständnisse der menschlichen Natur gab es etwa bei der Bewertung der Homosexualität, die man oft einfach als Folge eigener freier Entscheidung betrachtete. Oder man denke an die These, dass die Zeugung neuen Lebens der "finis primarius" der Ehe sei und dass deshalb im ehelichen Leben ein unbegrenzter Wille zum Kind zu fordern sei. Man beachtete dabei nicht, dass jedes Lebewesen, auch der Mensch, einen Lebensraum braucht, und dass dieser nicht unbeschränkt zur Verfügung steht. Deshalb erweist sich eine unbegrenzte Vermehrung letztlich als zerstörerisch und lebensfeindlich. Auch beim Menschen muss das Ja zum Leben gleichzeitig ein Ja zur Beschränkung des Lebens sein.

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Noch problematischer als einzelne Missverständnisse der menschlichen Natur war aber offenbar der theoretische Ansatz moraltheologischen Denkens mit seinem Ausgehen von den objektiven Sachverhalten anstelle der menschlichen Freiheit und der Person. Dadurch entfernte man sich deutlich vom biblischen Verständnis und geriet in die Gefahr, auf "Werkgerechtigkeit" zu setzen, statt das Liebesgebot als das entscheidende und umfassende Gebot des christlichen Ethos anzuerkennen. Ein Phänomen wie die Sünde kann in ihrem eigentlichen Wesen ebensowenig ausreichend mit objektiven, vorpersonalen Gegebenheiten umschrieben werden, wie z. B. Gnade oder Heil.

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In einem ausgezeichneten Abschnitt seiner "Allgemeinen Moraltheologie" <Ebd. 256-304.> referiert H. Weber die neuere moraltheologische Diskussion zur Thematik der Sünde und bezieht dazu seinerseits Stellung. Im folgenden seien einige Aspekte dieser Thematik noch einmal aufgegriffen und besonders unter dem Aspekt einer personalen Anthropologie diskutiert.

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H. Jone <H. Jone, Katholische Moraltheologie auf das Leben angewandt unter kurzer Andeutung ihrer Grundlagen und unter Berücksichtigung des CIC sowie der deutschen, österreichischen und schweizerischen Rechtes. 181961, Nr.96.> unterscheidet eine "formelle Sünde", zu der die Übertretung eines - wenigstens vermeintlichen - Gesetzes, Erkenntnis der Übertretung und freie Einwilligung gehören, von einer "materiellen Sünde", d. h. einer "Übertretung eines Gesetzes ohne Wissen und Willen; letztere Übertretung wird von Gott niemals als Schuld angerechnet" <Ebd.>. Hier wird also von einer Sünde gesprochen, die nicht angerechnet wird, weil die Bedingungen von Wissen und Willen fehlen. Inwiefern kann man dann aber den Begriff "Sünde" verwenden? Sollte man da nicht besser einfach von einem Übel sprechen? In der weiteren Behandlung dieses Begriffs wird aber vorausgesetzt, dass Bewusstsein und Freiheit in der Regel gegeben sind und dass es deshalb genügt, in der theoretischen Behandlung den objektiven Sachverhalt darzustellen. In welchem Sinn dann die betreffende Tat die Beziehung zu Gott belastet oder zerstört, bzw. als "Beleidigung Gottes" zu verstehen ist, wird kaum reflektiert. Es geht hier um ein Verständnis objektiv-juristischer Art, für das personale Aspekte sekundär, fast nebensächlich erscheinen.

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Die analytische Ethik ist sprachlich genauer, wenn sie das sittlich Gute vom sittlich Richtigen und entsprechend das sittlich Böse vom sittlich Falschen unterscheidet. Wenn sie sich allerdings dann vorwiegend auf die Behandlung des sittlich Richtigen bzw. Falschen beschränkt, dann achtet sie eben auch nur auf das Objektive und Materiale der Sittlichkeit und nicht auf das Subjektive und Personale. Allerdings stellt sich hier die Frage, was unter dem sittlich Richtigen genauer zu verstehen ist. Kann man von "sittlich" sprechen, wenn man dabei vom Subjektiven, von Intention und freiem Wollen abstrahiert? Umgekehrt kommt dann in einer solchen Perspektive bei der Behandlung des negativen Handelns das Übel, nicht aber eigentlich die Sünde als Verneinung der Beziehung zu Gott in den Blick.

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Es gibt Fälle, wo für sittliches Versagen der äußere Sachverhalt einer Handlung deutlich in den Hintergrund tritt. Man denke etwa an das Annehmen seines Schicksals. Jeder Mensch hat Grenzen und Schwächen, die ihm von Natur her aufgegeben sind. Es ist eine wichtige ethische Frage, wie man damit umgeht. Denn das Jasagen oder Neinsagen zu sich selbst, ist entscheidend für die Liebesfähigkeit eines Menschen. Wer sich selbst nicht annimmt, der kann auch andere nicht lieben. Die eigentliche sittliche Entscheidung fällt bei dieser grundlegenden Aufgabe und nicht erst dort, wo eine ganz konkrete Norm zu befolgen ist. Das Maß eines sittlichen Versagens in der Annahme seiner selbst ist aber offensichtlich nicht an äußeren, objektiven Sachverhalten abzulesen.

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Ein ähnliches Problem ist die Bewältigung der Vergangenheit. Es geht hier darum, früheres Tun nicht zu verleugnen oder zu verdrängen, sondern sich dazu zu bekennen und die Folgen auf sich zu nehmen. Diese Aufgabe der Wahrhaftigkeit und des Stehens zur Wirklichkeit ist viel grundlegender und ethisch folgenreicher, als etwa die Verpflichtung, in einem Gespräch über frühere Geschehnisse nicht zu lügen. Eine solche existentielle Perspektive verweist auf eine Betrachtungsweise der Sünde, wie wir sie besonders in den verschiedenen Richtungen der Tiefenpsychologie finden. <Vgl. die Ausführungen über S. Freud, A. Adler und C.G. Jung in: H. Weber, Allgemeine Moraltheologie 264-274.>

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Von solchen grundlegenden Fragen der personalen Reifung und der Grundhaltungen einer Persönlichkeit hängt es u. a. auch ab, wieweit sich jemand, wenn er Böses tut, mit voller innerer Zustimmung in einem unrechten Sachverhalt engagiert oder mit welchem inneren Widerstreben er dabei zu Werke geht. Es kann für eine ethische Betrachtung nicht genügen nur festzustellen, ob etwas mit voller Absicht geschehen ist. Es ist auch von Belang, wie die innere Einstellung gewachsen ist und wie sie dann auch überwunden werden kann.

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Wenn die Moraltheologie einseitig bei objektiven Sachverhalten ansetzt, wenn sie nur fragt, inwiefern eine objektive Norm verletzt wurde, entgeht ihr von vorneherein diese tiefere Ebene mit ihrer weitreichenden Bedeutung. Man versteht dann oft nicht die Tragik, die in einem sittlich falschen Tun liegen kann, und findet somit auch nicht die rechten Worte, um nicht zusätzlich zu verletzen. Man denke z. B. an das Reden über Suizid oder auch über Abtreibung. Es geht hier darum, nicht einfach nur zu verurteilen, sondern auch die oft sehr konflikthafte Situation ins Wort zu bringen. Die Unterscheidung zwischen einer eindeutigen objektiven Bewertung und der subjektiven Situation mit ihren Entschuldigungsgründen ist oft nicht befriedigend und kann auch als eine Doppelmoral, bzw. ein Auseinanderklaffen zwischen Moraltheologie und pastoraler Sicht gesehen werden, eine Spaltung, bei der dann oft die Moraltheologie gesetzhaft und unmenschlich erscheint. Dabei ist gerade die Sprache der Moraltheologie oft sehr verräterisch und lässt sehr wohl auf die innere Einstellung zu einer Handlung und ihrer Bewertung schließen.

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Es ist festzuhalten, dass der primäre Ort des Sittlichen dort liegt, wo Freiheit entspringt, also im Zentrum der Person, und nicht in einem äußeren, objektiven Sachverhalt als solchem. Dieses Zentrum wird bei S. Freud als personale Triebsituation gesehen, bei A. Adler als ichhafte Leitlinie, bei C.G. Jung als Individuation <Vgl. Weber, 272.>. In der Tiefe des eigenen Ich entscheidet sich die ethische Haltung der Person. Theologisch ist hier der Ansatz der Freiheit entscheidend. Dort, wo der Mensch sich in Freiheit mehr dem Guten oder mehr dem Bösen, der Liebe oder der Lieblosigkeit zuwendet, wo er also gutwillig oder böswillig ist, ist er Subjekt des Ethos.

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Das Verhältnis des sittlichen Subjekts zur Objektivität

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Die weitere Frage, die sich nun stellt, betrifft die genauere Klärung der Verhältnisses des sittlichen Subjekts zu den objektiven Gegebenheiten. Offenbar bestimmen letztere nicht schon für sich das sittlich Richtige oder Falsche, geschweige denn das sittlich Gute oder Böse. Sonst gäbe es nicht die kulturbedingte Vielfalt ethischer Modelle, die wir in den verschiedenen Großreligionen <Vgl. B. Gladigow (Hg.), Religion und Moral. Düsseldorf 1976. R. Italiaander (Hg.), Moral wozu? München 1972. C.H. Ratschow (Hg.), Ethik der Religionen. Ein Handbuch. Stuttgart 1980. Die verschiedenen theologischen und weltanschaulichen Ansätze begründen ein unterschiedliches Wertsystem und entsprechende Vorzugsregeln.>, aber auch in den wichtigsten Konfessionen und kleineren kulturellen Gebilden <Vergleiche z.B. E. Fuchs, Soziologische und theologische Unterschiede der »katholischen« und der »protestantischen« Moral. Die Erfahrung ihrer Konfrontation in einem konfessionell gemischten Land: hier Schweiz. In: Concilium 17 (1981) 781-786.> feststellen.

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Die konkreten sittlichen Normen sind zunächst von Sachnotwendigkeiten bestimmt. So könnte z. B. ein Gemeinwesen nicht existieren, wenn die Menschen sich beliebig umbringen oder belügen würden. Darüber hinaus wirken Wertvorstellungen, die in einer Gesellschaft gelten, auf die Normgestaltung ein. So wird z. B. die Frage, wieweit das Tötungsverbot gilt und wo es Ausnahmen zulässt, davon abhängen, welchen Wert menschliches Leben hat, und inwiefern dieser Wert anderen Werten, etwa dem der persönlichen Ehre, der Verteidigung des Vaterlandes, der Freiheit, des Glaubens usw. untergeordnet und im Konfliktsfall preiszugeben ist. Die genauere Bestimmung der Werte in den einzelnen Kulturen geschieht nicht beliebig. Hier können sich z. B. geschichtliche Erfahrungen oder auch weltanschaulich bedingte Grundauffassungen (z. B. die Wiedergeburtslehre des Hinduismus) auswirken.

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Die Werthaltung drückt sich dann in einem konkreten äußeren Tun aus. Sie teilt sich den Mitmenschen mit. Das kann selbstverständlich nicht auf eine beliebige Weise geschehen. Wie man sich in der verbalen Sprache an den Sinn vorgegebener Worte halten muss, um verstanden zu werden und wahrhaftig zu sein, so auch im sittlichen Verhalten. Man kann den andern nicht glaubhaft seines Wohlwollens versichern und sich gleichzeitig in einer Weise zu ihm verhalten, die ihm schadet, die ihn verletzt oder die er als Ablehnung verstehen muss. Würde man das ohne triftigen Grund tun, dann würde man gerade dadurch beweisen, dass es mit dem Wohlwollen nicht ernst gemeint sein kann. <Deshalb scheint mir auch die Sorge kaum gerechtfertigt, die "Veritatis Splendor" Nr. 68 bezüglich der Theorie der Grundoption äußert: "Gemäß der oben skizzierten Positionen könnte der Mensch kraft einer Grundoption Gott treu bleiben, unabhängig davon, ob einige seiner Wahlentscheidungen und seiner konkreten Handlungen mit den spezifischen darauf bezogenen sittlichen Normen oder Regeln übereinstimmen oder nicht..." - Wenn die Grundoption ernst gemeint ist, und nur so kann man von einer guten Grundoption sprechen, wird es einem nicht gleichgültig sein, ob man mit seinem Handeln gegen eine Norm verstößt. Man wird dann auch nach bestem Wissen und Gewissen seiner inneren Einstellung Ausdruck verleihen.> Ein derartiges Fehlverhalten müsste dann auch auf die Einstellung zurückwirken. Denn zwischen der inneren Haltung und der äußeren Konkretisierung besteht ein Wechselverhältnis.

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In dem Bestreben, seinen guten Willen auf angemessene Art objektiv darzustellen, sind verschiedene Kriterien zu beachten: Ein erstes ist, ob und inwiefern man dem Willen des andern entspricht. Ich kann dem andern nicht helfen, wenn er meine Hilfe ablehnt. Dabei sind auch Lebenserfahrungen und Traditionen zu berücksichtigen, die das Verständnis und die Verhaltensweise des Partners und meiner selbst bestimmen. Weiters ist die Struktur einer guten zwischenmenschlichen Beziehung zu beachten: Ich muss manchmal den Wünschen des andern widerstehen, wenn er mich nur ausnützen will, mich als Person nicht respektiert, wenn ich ihn durch meine Willfährigkeit nur zum Egoismus anleiten würde. Ich muss Normen und Regeln respektieren, auf die sich eine Gemeinschaft geeinigt hat, oder die die legale Autorität verkündet hat. Und schließlich muss ich die Folgen berücksichtigen, die sich voraussichtlich aus meinem Handeln aufgrund der Natur der Sache und anderer Faktoren ergeben werden.

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Der spezifische Charakter der Sünde und überhaupt einer sittlichen Handlung ergibt sich nicht primär aus dem Sachverhalt, ob eine Handlung ein Übel bewirkt oder nicht, sondern aus der personalen Intention, die sich in der entsprechenden Handlung ausdrückt. Nur in dem Maße, wie eine Person lieblos, böswillig, verantwortungslos, leichtfertig, rücksichtslos usw. ist, kann von Sünde die Rede sein. Nicht der äußere Schaden einer Handlung macht die Sünde aus, sondern die innere, böse Einstellung. Hier gilt das Wort Jesu, das zunächst von der Reinheit handelt: "Begreift ihr nicht, dass alles, was durch den Mund (in den Menschen) hineinkommt, in den Magen gelangt und dann wieder ausgeschieden wird? Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen, und das macht den Menschen unrein. Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugenaussagen und Verleumdungen." (Mt 15, 17-19)

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Die objektiven Aspekte menschlichen Handelns unterliegen nicht selten zufälligen Einflüssen. So kann es sein, dass ein leichtsinniger Autofahrer einen schweren Unfall verursacht, für den er tatsächlich verantwortlich ist, auch wenn er ihn natürlich nicht beabsichtigt hat. Es kann aber genausogut sein, dass er mit der gleichen leichtfertigen Fahrweise ohne Schaden davonkommt. Ethisch gesehen ist es möglich, dass seine Schuld in beiden Fällen gleich groß ist. Der Unterschied in der Auswirkung wurde ja nicht durch seine Absicht bewirkt, sondern durch zufällige äußere Gegebenheiten.

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Umgekehrt kann es sein, dass die gleiche äußere Handlung ethisch ein sehr unterschiedliches Gewicht hat, je nachdem, ob sie z. B. guten Wissens und Gewissens oder aus böser Absicht geschieht. Man denke etwa an den Fall, wo jemand die Schuld eines andern bekannt gibt, weil er meint, um der Sache willen das tun zu müssen, oder weil er im andern Fall dem betreffenden einen Schaden zufügen will. Der objektive Sachverhalt ist in seiner sittlichen Bedeutung immer ambivalent und bekommt seine sittliche Eindeutigkeit erst durch die Intention. Man kann z. B. sein Auto bei einer roten Ampel anhalten aus Angst vor einer Kollision, vor einem Schutzmann, der in der Nähe ist, aus Gewohnheit, aus Verantwortungsbewusstsein, um beim Beifahrer den Eindruck eines gewissenhaften Fahrers zu erwecken usw. Je nachdem, welche Intention vorwiegt, wird die Handlung mehr oder weniger sittlichen Wert haben.

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Es geht hier nicht nur darum, dass eine Handlung, die in sich in ihrem ethischen Wert eindeutig bestimmt ist, durch verschiedene Umstände modifiziert wird, wie das die traditionelle Lehre von den Umständen behandelt hat. Vielmehr ist schon bei der ursprünglichen theoretischen Bewertung der Handlung eine bestimmte Intention vorausgesetzt, die aber dann im konkreten Einzelfall oft nicht in diesem Sinn gegeben ist, sondern komplexer aussieht oder aus bestimmten Gründen variiert.

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Um Missverständnisse zu vermeiden, sei darauf hingewiesen, dass die einzelne Person in ihrem Handeln immer in einen sozialen Kontext hineingebunden ist. Deshalb kann sie dem konkreten Tun nicht eine beliebige Bedeutung geben, sondern hat sich immer auch vor der Umgebung zu verantworten.

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Eine besonders wichtige Thematik einer personalen Sicht der Sünde und des sittlichen Handelns überhaupt ist die Frage der Grundentscheidung ("optio fundamentalis") <H.E. Hengstenberg, Christliche Askese. Von den Ursprüngen der sittlich-religiösen Entfaltung. Heidelberg 31948 (11936) 23-104; H. Reiners, Grundintention und sittliches Tun. Freiburg i.Br. 1966; K. Demmer, Die Lebensentscheidung. Ihre moraltheologischen Grundlagen. Paderborn 1974; H. Kramer, Unwiderrufliche Entscheidungen im Leben des Christen. Ihre moralanthropologischen und moraltheologischen Voraussetzungen. Paderborn 1974; F. Furger, Sittliche Praxis. Vorentscheidung - Vorsatz - Wollen. Augsburg 1973; vgl. dazu den wertvollen Überblick bei A. Regan, Grappling with the fundamental Option. In: StMor 27 (1989) 103-140 (Lit.!); sowie H. Weber, ebd. 234-244.>. Denn menschliche Freiheit ereignet sich immer als Prozess, als ein lebensgeschichtlicher Ablauf. Das Gut- oder Bösesein eines Menschen lässt sich weder aus den sachlichen Gegebenheiten einer bestimmten Situation, noch aus einer isoliert betrachteten Augenblicksentscheidung erschließen. Eine sittliche Bewertung muss deshalb immer den lebensgeschichtlichen Kontext einbeziehen. Ob jemand z. B. ein gütiger Mensch ist, lässt sich nicht aus einem isolierten Augenblicksverhalten ablesen. Dieses ist immer mehrdeutig, weil es aus sehr verschiedenen Motiven entspringen kann. Erst eine größere Zusammenschau der Lebensgeschichte macht eine eindeutigere Beurteilung einer Person und auch ihrer konkreten Handlungen möglich. Eine solche Bewertung ist allerdings immer nur in Annäherung möglich. Auch in der Grundentscheidung legt sich die menschliche Freiheit nicht völlig fest. Es bleibt immer die Möglichkeit einer Revision, etwa einer Bekehrung.

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Es ist aber deutlich, dass man, wenn man Sünde grundsätzlich als böse Entscheidung, bzw. böse Haltung der menschlichen Grundentscheidung versteht, davon beim einzelnen Menschen nur in der Einzahl sprechen kann. Eine Person kann zur gleichen Zeit nicht mehrere sündhafte Grundentscheidungen treffen oder aufweisen. Wohl aber kann sich eine negative Grundentscheidung in mehreren objektiven Unrechtstaten äußern. Das ist sowohl nacheinander möglich, etwa wenn man jemanden wiederholt beleidigt, als auch gleichzeitig, wenn man mehreren Arbeitern den gerechten Lohn vorbehält. Die Grundhaltung kann in all diesen Fällen identisch sein.

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Man kann in einer solchen Sicht auch von unvermeidlichen Sünden sprechen. Denn wenn man von einer Grundentscheidung ausgeht, ist klar, dass menschliches Verhalten durch vorausgehende Entscheidungen und die ihnen zugrundeliegende Haltung immer mitbestimmt ist. So kann z. B. jemand nicht in einem Augenblick sittlich vollkommen werden, auch wenn er das noch so gerne möchte und sich noch so entschieden dafür entscheidet. Seine bisherige Grundhaltung schränkt auch für die Gegenwart die Entscheidungsfreiheit ein. Weil er aber seine Grundentscheidung nicht beliebig (radikal) ändern kann, wird er oft auch nicht in der Lage sein, bestimmte Handlungen zu setzen, die ihm zwar geboten erscheinen, die aber ein Maß an sittlicher Vollkommenheit verlangen, zu dem er im Augenblick nicht fähig ist. Es kann dann sei, dass er insofern schuldig ist, als er für seine Grundhaltung verantwortlich ist, dass er aber im Augenblick böses Tun nicht vermeiden kann, obwohl er das möchte. Hier lässt sich die nachwirkende Schuld der Vergangenheit und der gegenwärtig gute Wille nicht präzise voneinander trennen.

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Theologische Aspekte

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Zum Begriff der Sünde gehört wesentlich auch eine theologische Perspektive. Inwiefern bezieht sich der Mensch in der Sünde auf Gott? Offensichtlich kann es sich dabei nicht primär um eine rationale Beziehung handeln, in der also der Mensch ausdrücklich an Gott denken würde. <Mit Recht lehnt auch "Veritatis splendor" Nr. 70 eine solche Engführung ab.> Denn sonst könnte man eine Sünde einfach dadurch vermeiden, dass man diesen Gedanken unterlässt. Auch die Heilige Schrift versteht das nicht so. Man erinnere sich an die verschiedensten Strafandrohungen oder auch an Mt 25,45: "Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan." Hier wird vorausgesetzt, dass sich der Mensch im Dienst am Mitmenschen oder in der Unterlassung dieses Dienstes auch auf Gott bezieht, ohne ausdrücklich an ihn zu denken.

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Damit ist offenbar auch eine Interpretation ausgeschlossen, nach der es bei der Nächstenliebe darauf ankäme, den Nächsten im Sinne der Gottesliebe zu instrumentalisieren, ihn also nicht in sich, sondern nur "um Gottes willen" zu lieben. Es geht vielmehr um echte, wirkliche Liebe, die sich auf die Person des andern in sich bezieht. Aber so, wie die Nächstenliebe auch die beste Selbstliebe ist, weil sie auch den Liebenden durch die interpersonale Beziehung beglückt und bereichert, ist sie gleichzeitig auch ein transzendenter Akt, der ein Ja zum Guten überhaupt, d. h. zu Gott miteinschließt. Allerdings ist dieses Ja nicht in der konkreten äußeren Handlung greifbar. Es ist eine Stellungnahme des Herzens, die sich in dieser transzendenten Dimension auch einer eindeutigen Reflexion entzieht, obwohl sie nicht außerhalb des Bereiches des Bewusstseins bleibt.

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Wegen der verschiedenen Aspekte des personales Vollzuges ist die Unterscheidung von schwerer Sünde und Todsünde von großer Wichtigkeit, und ich möchte mich hier dem Vorschlag von H. Weber <Allgemeine Moraltheologie 297f.>: Unter Todsünde wird hier die Sünde verstanden, insofern sie den Verlust der heiligmachenden Gnade, den Tod des Lebens in der Gnade besagt. Damit wäre eine definitive Abwendung von Gott gemeint, die man auch als völligen Unglauben, gänzliche Verneinung der Liebe, der Hoffnung, der Gerechtigkeit, als Verabsolutierung geschaffener Wirklichkeiten, besonders des eigenen Ichs usw. bezeichnen könnte. <Vgl. Veritatis splendor ebd.> Eine solche Sünde würde dann im Falle des Versterbens der betreffenden Person in dieser Verfassung die endgültige Trennung von Gott, die ewige Verdammnis nach sich ziehen.

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Die schwere Sünde - H. Weber spricht hier auch von "Sünde als objektivem Verstoß" <Ebd. 298.> - würde sich hingegen mehr auf das Phänomen des Handelns beziehen, wie es sich äußerlich darstellt und wie es auch geistig erfassbar und reflektierbar ist. Hier gibt es natürlich viele Abstufungen und Schweregrade im Übergang von schwerer und leichter Sünde. Ein Wesensunterschied ist in diesem Aspekt nicht gegeben.

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Todsünde ist also eine völlige Abwendung von Gott, die auch die Verfehlung des ewigen Heiles mit sich brächte. Wann eine solche Todsünde geschieht, liegt außerhalb der Möglichkeit menschlichen Erkennens. <Weber, ebd.298: "Ob bei einem konkreten Handeln die Entscheidung gegen das Gute einen solchen Grad an Bosheit erreicht oder die Absage an Gott oder das Gute eine solche Tiefe, dass es darüber zum Verlust der gnadenhaften Verbindung mit Gott kommt, ist weder direkt zu erkennen noch ohne jede Gefahr der Täuschung aus dem Handeln abzulesen. Ob Todsünde oder nicht, bleibt in der Tat für den Menschen unaufhebbar verhüllt und verborgen."> Der Mensch kann nicht mit Sicherheit und Eindeutigkeit wissen, ob er sich in der heiligmachenden Gnade befindet. Er kann das hoffen und darauf vertrauen. Aber ein Urteil darüber muss Gott überlassen bleiben.

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Wenn es berechtigt ist zu zweifeln, ob je ein Mensch der ewigen Verdammnis verfallen ist oder verfallen wird, dann kann man wegen des inneren Zusammenhanges von Verdammnis und Todsünde mit dem gleichen Recht zweifeln, ob sich je ein Mensch durch eine Todsünde im Sinne des völligen Verlustes der heiligmachenden Gnade radikal von Gott abgewendet hat. Jedenfalls entzieht sich eine sichere Aussage darüber dem menschlichem Urteilen und Wissen. Weil man es nicht mit Sicherheit weiß, kann und wird man also hoffen, dass vielleicht eine solche Sünde nie geschehen ist.

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Anders verhält es sich mit der "schweren Sünde". Sie besagt ein sich objektiv darstellendes, vom Menschen beurteilbares schweres sittliches Unrecht. Dabei wird aber von einer endgültigen theologischen Bewertung des "Gnadenstandes" abgesehen. Es wird nur festgestellt, dass man sich in einer wichtigen Angelegenheit mit Wissen und Willen gegen eine sittliche Verpflichtung verfehlt hat.

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Die Unterscheidung zwischen Todsünde und schwerer Sünde scheint mir notwendig zu sein, weil sie verschiedene Aspekte der Wirklichkeit meint, die nicht gleichgesetzt oder vermengt werden dürfen. Todsünde betrifft den Vollzug bzw. die Verneinung eines zentralen Aspektes der menschlichen Person, nämlich ihrer Beziehung zur transzendenten Wirklichkeit Gottes. Der Begriff der schweren Sünde lässt es offen, ob man sich mit ganzem Herzen gegen das Gute entschieden hat, hält aber die nach außen deutliche Schwere des Vergehens fest. <Vgl. dazu H. Weber, Allgemeine Moraltheologie 296-299 mit der dort angegebenen Literatur.> Setzt man diese Begriffe der Todsünde und der schweren Sünde gleich, dann besteht immer die Gefahr, dass man jedes äußerlich gesehen schwere Vergehen als Todsünde bewertet und damit auch ein Urteil über den Gnadenstand des Täters abgibt, das Gott allein zusteht.

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Es ist durchaus sinnvoll, von mehreren schweren Sünden zu reden, die man begangen hat, es ist aber kaum zutreffend, davon zu sprechen, dass man innerhalb kurzer Zeit mehrere Todsünden begangen hat, weil ja das Gnadenleben im Menschen kaum mehrmals sterben kann, es sei denn, man habe sich inzwischen wieder mit Gott versöhnt.

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Es mag sein, dass manchem solche Überlegungen innerhalb einer katholischen Moraltheologie ungewohnt erscheinen, wenngleich zu den einzelnen Aspekten eine beträchtliche Zahl angesehener Autoren angeführt werden können. Die Absicht solcher Reflexionen liegt nicht darin, die Ausführungen der Tradition geringzuschätzen, sondern darin, Einsichten der Philosophie, der Bibeltheologie, der Dogmatik usw. aufzugreifen und Aspekte, die man wohl immer empfunden hat, sprachlich genauer auszudrücken. Darüberhinaus können solche Überlegungen auch pastoral hilfreich sein. Es geht hier nicht darum, den Begriff der Sünde zu relativieren, vielleicht nicht mehr so ernst zu nehmen wie in früheren Zeiten. Vielmehr ist es notwendig, Aussagen über die Sünde besser nachvollziehbar zu machen. Das ist auch im Interesse eines biblischen Gottesbegriffes notwendig. Denn ein Gott, der einen gutwilligen Christen, der einmal am Sonntag den Gottesdienst ohne Notwendigkeit versäumt hat und dann zufällig ums Leben gekommen ist, zur ewigen Verdammnis verurteilt, ist heute für viele Christen nicht mehr verständlich, speziell nicht mehr als ein Gott des Erbarmens.

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