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Das große Tier zähmen
(Gedanken zum ersatzreligiösen Populismus in Österreich)

Autor:Palaver Wolfgang
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:Gekürzt erschienen in: Die Furche (vom 11.9.2008) 6.
Datum:2008-09-12

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Populismus regiert zurzeit in Österreich. Wer den aktuellen Wahlkampf betrachtet, erkennt, dass keine Partei sich dieser Herrschaft wirklich ganz entziehen kann. Der Brief von Alfred Gusenbauer und Werner Faymann an die Kronenzeitung war ein Kniefall vor der wachsenden EU-Skepsis der ÖsterreicherInnen und der irrational übertriebenen Angst vor dem EU-Beitritt der Türkei. Die ÖVP wiederum appelliert mit dem Thema Sicherheit gezielt an populistische Instinkte. Die rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ kennen überhaupt nur noch die dumpfe Volksstimmung, wenn sie die in Österreich leider vorherrschende Fremdenfeindlichkeit zum Stimmengewinn benutzen. Die neue Liste Fritz Dinkhauser ist der aktuellste Beleg für die dominante populistische Stimmung. Selbst die Grünen müssen dem Populismus Tribut leisten, wenn sie so wie SPÖ, FPÖ und LIF für die Abschaffung der Studiengebühren eintreten. Ganz allgemein versuchen sich die Parteien zurzeit im Versprechen von Wahlgeschenken zu übertrumpfen. Wer die Rechnung einmal bezahlen muss, bleibt natürlich unbeantwortet.

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            Meine Klage über den Populismus berührt ein tieferes Problem der Demokratie, das sich leider nicht einfach und schnell lösen lässt. Im Begriff „Populismus" steckt nämlich genauso das lateinische Wort für Volk wie der entsprechende griechische Begriff das Wort „Demokratie" bestimmt. Weil in der Demokratie das Volk herrscht, darum sind demokratische PolitikerInnen gut beraten, wenn sie populistisch agieren. Ein tieferer Blick zeigt, dass in diesem Problem eine ersatzreligiöse Versuchung steckt. Alexis de Tocqueville, der französische Historiker und Soziologe, gehört zu den großen Kennern der Demokratie, die er anfangs des 19. Jahrhunderts in den USA eingehend studierte. Er erkannte, dass Demokratien sehr leicht dazu neigen, die öffentliche Meinung - also die populistische Stimmung - zur Religion zu erheben. Demokratien neigen zu einem „politischen Pantheismus", in der die öffentliche Meinung einziger und letzter Maßstab bleibt. Im 20. Jahrhundert hat die französische Mystikerin und Philosophin Simone Weil ähnliche Einsichten auf ihre tieferen anthropologischen Wurzeln hin befragt. Sie erkannte im Sog des Kollektivs die größte Versuchung zum Götzendienst und identifizierte diesen gefährlichen Götzen mit dem „großen Tier" in der Politeia Platons und dem Tier in der Offenbarung des Johannes: „Auf der Erde gibt es nur eine Sache, die man tatsächlich zum Ziel nehmen kann, denn sie besitzt eine Art Transzendenz im Hinblick auf die menschliche Person, nämlich das Kollektive. Deshalb ist es das, was uns an den Boden fesselt. Es ist der Gegenstand jedes Götzendienstes. Geiz: das Gold ist etwas Gesellschaftliches. Jeder Reichtum genauso. Ehrgeiz: die Macht ist etwas Gesellschaftliches. Wissenschaft und Kunst auch." Simone Weils Worte zeigen, dass es innerweltlich keine Kraft gibt, die dem ersatzreligiösen Herdentrieb Widerstand leisten kann. Aktuell brauchen wir nur an die Welt der Medien denken, die allzu oft den politischen Populismus bloß verstärken. Das österreichische Phänomen „Kronenzeitung" ist der deutlichste Ausdruck für diese mediale Seite des großen Tieres.

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            Nur die religiöse Ausrichtung auf den wahren Gott kann vor dem großen Tier bewahren. Deshalb betonte Tocqueville, dass die Demokratie mehr noch als alle anderen politischen Herrschaftsformen auf genuine Religion angewiesen ist. Und auch Simone Weil wusste, dass wir Menschen letztlich immer vor der Wahl zwischen Götzen und Gott stehen: „Man kann nur zwischen Gott und dem Götzendienst wählen. Es gibt keine andere Möglichkeit. Denn die Fähigkeit der Verehrung ist in uns, und sie ist irgendwohin gerichtet, in dieser oder in der anderen Welt." Es braucht die spirituelle Kraft der Kirchen und großen Weltreligionen, um uns Menschen für die Demokratie zu befähigen und zu bilden. Schon Augustinus wusste, dass die Demokratie nur dann eine gerechte Ordnung darstelle, wenn diese von einer Mehrheit von sittlich gebildeten Menschen getragen sei. Modern fasste das der deutsche Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde in seinem berühmten Paradoxon zusammen, wonach der „freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren" könne.

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            Gerade wir Christen sind aufgefordert, als zivilgesellschaftlich aktive Bürger politische Orientierung zu geben. Gerechtigkeit, Friede und die Verantwortung für die Schöpfung könnten dann zu wichtigen Kriterien für die kommende Wahlentscheidung werden. Gerechtigkeit bedeutet eine vorrangige Option für die Armen zu treffen, also für jene Menschen einzutreten, die am Rande unserer Gesellschaft leben. Dazu gehören z. B. Flüchtlinge, Menschen mit Behinderungen oder auch materiell Arme. Wer den Frieden fördern will, muss sich heute vor allem um ein gutes Zusammenleben zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen in Österreich bemühen. Es gilt in der Frage der Integration aktiv auf die Zukunft zuzugehen und zu erkennen, dass auch bei uns eine multikulturelle Gesellschaft entstanden ist. Verantwortung für die Schöpfung ist die vermutlich am leichtesten zu erkennende Aufgabe.

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            Alle guten Kriterien für die kommende Nationalratswahl bleiben aber stumpf und leer, wenn sie bloß moralistisch an PolitikerInnen herangetragen werden. Ein wirklicher Beitrag zur Gestaltung der österreichischen Politik im Geiste von Gerechtigkeit, Friede und Schöpfungsverantwortung erfolgt erst dann, wenn wir alle unser Leben im Blick auf diese Kriterien zu gestalten beginnen. Der Nationalrat ist letztlich ein Spiegelbild unseres Landes. Wenn wir einen besseren Nationalrat wollen, müssen wir selbst entsprechende Schritte in die gewünschte Richtung setzen. In Demokratien müssen PolitikerInnen ja jenen Weg einschlagen, den das Volk dann letztlich gehen will. Die Abwehr des Populismus, der Kampf gegen das große Tier muss bei uns selbst beginnen. Da und dort gibt es ja auch schon kleine Zeichen der Hoffnung. Denn noch ist diesmal die Religion des Islam noch nicht populistisch für Wahlkampfzwecke missbraucht worden. PolitikerInnen reagieren schnell, wenn sie merken, was das Volk dann doch nicht will.

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