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Das Gesetz Gottes im Herzen
(Zum Dialog zwischen Juden und Christen)

Autor:Weß Paul
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Christ in der Gegenwart (CIG) 61 (2009) Nr. 24 vom 14. Juni 2009, Seite 273
Datum:2009-08-11

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Die folgenden Bemerkungen sind als Beitrag zu der rund um das Dokument „Nein zur Judenmission - Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen" des Gesprächskreises „Juden und Christen" entstandenen Auseinandersetzung gedacht (vgl. Jürgen Springer, Welcher Messias rettet uns? In: Christ in der Gegenwart 19/2009):

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(1) In dieser Diskussion wird allem Anschein nach zu wenig oder nicht konsequent genug unterschieden zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Fragen:

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Einerseits die Frage, ob sowohl Juden als auch Christen in ihrem Glauben zum endgültigen Heil gelangen können. Diesbezüglich lautet die Antwort in beiden Religionen prinzipiell Ja (in der katholischen Kirche wurde das erst im letzten Konzil eindeutig in dem Sinn entschieden, dass „alle Menschen guten Willens", auch Atheisten, „der Auferstehung entgegengehen": „Gaudium et spes", 22, im Anschluss an „Lumen gentium", 16). Keine christliche Mission steht also unter dem Druck, Menschen vor dem ewigen Unheil bewahren zu müssen; und Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen können bei größerem guten Willen dem Heil näher sein als Christen.

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Andererseits die Frage, ob die beiden (oder im Sinn der Pluralistischen Religionstheologie sogar alle) Heilswege völlig gleichwertig sind, sodass sie (oder alle) von ihrem objektivem Gehalt her gleich gut und gleich weit zur konkreten Verwirklichung des gottgewollten Heils schon in dieser Welt führen und von Gott Zeugnis geben. Das würde einen Relativismus bedeuten, wonach es überhaupt gleich gültig und damit gleichgültig wäre, ob jemand dieser oder jener Religion oder keiner angehört. Eine wirkliche Glaubensüberzeugung und ein gegenseitiges Zeugnisgeben, wie es auch das Dokument fordert (7f), wären sinnlos. Schon die tatsächlichen Unterschiede in den sachlichen Inhalten zwischen Juden- und Christentum machen es höchst unwahrscheinlich, dass die beiden Heilswege - jeweils alles in allem gesehen - (objektiv) gleich große Annäherungen an die Wahrheit sind (von einem absoluten Wissen kann bei den Grenzen menschlicher Erkenntnis ohnehin keine Rede sein).[1]

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(2) Das führt zu den Fragen nach den inhaltlichen Unterschieden zwischen dem Alten und dem Neuen Testament und ob der alte Bund durch den neuen aufgehoben wurde oder weiterhin besteht. Die wichtigste, weil alttestamentliche und daher auch für Juden gültige Antwort findet sich beim Propheten Jeremia (31,31-34). Nur hier ist im Alten Testament die Rede von einem „neuen Bund", den Gott mit Israel und Juda schließen wird, und wird gesagt, worin dessen Neuheit besteht: „Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz" (Jer 31,33; vgl. Jer 32,37-41; Ez 11,19f; 36,22-28). Gottes Gesetz wird dann nicht mehr dem Volk in seiner Ganzheit, in die man hineingeboren wird, von außen „auf Tafeln aus Stein" (2 Kor 3,3) vorgegeben sein, sondern wird von den Einzelnen im Herzen, im (Ur-)Gewissen (vor den Gewissensurteilen), erkannt und kann in personaler Freiheit angenommen werden.

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Diese Verheißung hat Gott in christlicher Sicht in Jesus von Nazareth prinzipiell erfüllt, in ihm wurde dieses „Gesetz Gottes im Herzen" schon Wirklichkeit.[2] Dieser wollte es auch in den einzelnen Angehörigen seines Volkes „wecken" und hat dazu Jünger und Jüngerinnen berufen. Denn der so verstandene neue Bund kann nur in dem Maß zustande kommen, als sich Menschen in Freiheit auf ihn einlassen (dieser Aspekt kommt in der Verheißung bei Jeremias nicht voll zur Geltung, weil diese davon ausgeht, dass Gott die Herzen der Menschen unfehlbar lenkt, ohne ihre Freiheit aufzuheben). Somit kann einerseits das Kommen dieses Jesus als des von Gott seit Ewigkeit gewollten („präexistenten") und gesandten Mittlers dieses neuen Bundes nicht bewirken, dass sich die Welt schlagartig zum Guten verändert, wie es die Juden erhoffen, und warten andererseits auch die Christen auf diesen „Messias", nämlich auf sein Wiederkommen am Ende der Zeiten, wenn er als „Richter", als Maßstab der gottgewollten Menschheit, erscheint und sich selbst Gott unterwirft (vgl. 1 Kor 15,28). Jesus ist im biblisch-christlichen Glauben der von Gott „Gesalbte" („Christus"), der Erste derer, die Gottes Wort in ihren Herzen „aufnahmen" und daher „aus Gott geboren" sind (Joh 1,12f; vgl. Röm 8,29); somit der „Anführer und Vollender des Glaubens" (Hebr 12,2; vgl. Joh 12,44), durch den Gottes „Gnade und Wahrheit kamen" (Joh 1,17).[3]

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Ein in diesem Sinn „neuer Bund" Gottes mit seinem Volk kündigt den von Israel gebrochenen „alten" nicht auf, bedeutet aber auch nicht nur eine Erneuerung im Sinn einer bloßen Wiederherstellung des früheren, sondern der Bund wird „aufs Neue" errichtet auf einer besseren Basis (ähnlich wie ein Ehepaar seinen Bund nach einer Krise vertieft und neu gestaltet). Diese „Neubegründung" des Bundes Gottes in den Herzen der Einzelnen eröffnet zudem die Möglichkeit (die in der Kirche erst nach Ostern erkannt wurde), dass sich auch außerhalb Israels Menschen diesem Bund anschließen können, dass der Bund also erweitert wird zu einem Volk Gottes aus Juden, die das Gesetz Gottes im Geist Jesu in ihren Herzen annehmen (vgl. Jer 31,34: „Keiner wird mehr den anderen belehren ..."), und Heiden, die sich dem Juden Jesus anschließen. Diese Nachfolgegemeinschaft der JüngerInnen Jesu löst das Volk Gottes des alten Bundes nicht ab, sondern ist aus ihm erwachsen (vgl. Röm 11,13-24).

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(3) Was bedeutet diese Sicht nun für das konkrete Verhältnis zwischen Juden und Christen, insbesondere für die Frage einer „Judenmission"? Zunächst einmal, dass nach christlicher Überzeugung die vielen Juden, die nach ihrem Gewissen dem alten Bund treu bleiben, weil sie Jesus nicht als den Messias erkennen, auch zum Heil gelangen und, wie gesagt, diesem persönlich näher sein können als Christen. Das schließt in christlicher Sicht nicht aus, dass der Bund Gottes mit seinem Volk in Jesus Christus auf neue Weise begründet (ohne den alten zu kündigen) und erweitert wurde, woraus sich auch für Juden (objektiv) größere Möglichkeiten ergeben, dieses Heil schon in dieser Welt und über die Grenzen ihres Volkes hinaus zu verwirklichen.

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Daher werden die Christen den Juden diesen Weg anbieten, schon durch ihre Existenz und ihr Zeugnis unter dem Anspruch der Glaubwürdigkeit, aus ehrlicher Überzeugung und aus der Verantwortung der Liebe heraus; aber ohne jede Abwerbung und in voller Achtung der Freiheit sowie in besonderer Rücksichtnahme auf die Schuld, die die Christenheit in diesem Bereich auf sich geladen hat. Auf das Argument, dass das Judentum generell nicht aktiv „missioniert", wäre zu antworten, dass dies schon darauf beruht, dass es sich als das auserwählte Volk Gottes versteht und diese Auserwählung hinfällig wäre, wenn alle Menschen zu diesem Volk gehören würden. Israel erwartet vielmehr, dass in der Endzeit alle Völker kommen und an ihm Maß nehmen (vgl. Jes 2,2-5), ohne dass sie deshalb zum Bundesvolk gehören. Nach dem Neuen Testament (Mt 15,21-28; Mk 7,24-30) hat auch Jesus erst durch die Antwort einer heidnischen Frau erkannt, dass er nicht „nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt" war. So sollte auch seine Kirche damit rechnen, manche Lehren und auch ihre Haltung zum Judentum weiter verbessern zu müssen.

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In einem aufrichtigen und fairen Dialog könnten Juden und Christen voneinander lernen, wenn sie beide weder einen Relativismus noch einen (fundamentalistischen) Absolutheitsanspruch vertreten. Das könnte auch zu inhaltlichen Annäherungen führen und zu einer größeren Glaubwürdigkeit der Religion überhaupt beitragen.    

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[1] Vgl. Paul Weß, Glaube zwischen Relativismus und Absolutheitsanspruch. Berlin/Wien ²2008.

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[2] Zu dieser Auslegung von Jer 31,31-34 vgl. Norbert Lohfink, Im Schatten deiner Flügel. Große Bibeltexte neu erschlossen. Freiburg i. Br. 1999, 104-120. Ebd. 252 weist Lohfink darauf hin, dass „die Ehe brechen" nicht besagt, dass diese dadurch annulliert ist. Sie besteht weiter und kann durch eine „neuartige Stiftung des alten Verhältnisses" (ebd. 259) neu und besser begründet und gestaltet werden.

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[3] Vgl. Paul Weß, Wahrer Mensch vom wahren Gott. Eine Antwort auf das Buch „Jesus von Nazareth" Papst Benedikts XVI. In: Karl Kardinal Lehmann, Christoph Kardinal Schönborn, Adolf Holl u. a., „JESUS VON NAZARETH" kontrovers. Berlin 2007, 65-84; und Paul Weß, War Jesus „wirklich als Mensch Gott"? Für eine Revision der dogmatischen Christologie. In: „JESUS VON NAZARETH" in der wissenschaftlichen Diskussion. Hg. Hermann Häring. Wien/Berlin 2008, 125-146.

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