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„Da haben wir das Minarett niedriger gebaut.“
(Zur ambivalenten Wirkmacht von Religionssymbolen in der säkularen Öffentlichkeit )

Autor:Scharer Matthias
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:In: Kästle, Daniela; Kraml, Martina; Mohagheghi, Hamideh (Hg.): Heilig - Tabu. Christen und Muslime wagen Begegnungen. Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verl., S. 201–212.
Datum:2009-12-01

Inhalt

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Gemeinsam mit Elisabeth Dörler, Jorge Gallegos Sánchez, Ismayil Tokmak. Der Text wurde von Matthias Scharer erstellt, von Jorge G. Sánchez ergänzt, von Elisabeth Dörler mit Anmerkungen versehen und von smayil Tokmak gesichtet und akzeptiert.

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„Nachdem das alles in den Medien gekommen ist und manche in der Nachbarschaft Angst bekommen haben, dass ein Muezzin zum Gebet rufen könnte1, haben wir das Minarett einfach niedriger gebaut“, das erzählt uns ein führendes Mitglied von ATIB Telfs während der Dorferkundung, über die in den vorangehenden Abschnitten ausführlich berichtet worden ist. Auch Christina Hollomey erwähnt in ihrem Beitrag die Auseinandersetzung um die Errichtung des Minaretts, die großes Medienecho gefunden hatte2.

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In diesem Beitrag wird die Errichtung des Minaretts als ein Beispiel dafür gesehen, was in einer liberalen, weitgehend säkularen Gesellschaft geschieht, wenn eine Religion, die nicht den gesellschaftlichen Klischees herkömmlicher Kirchen und Religionsgemeinschaften entspricht, öffentlich und damit auch politisch im Sinne der Mitgestaltung der „Polis“ wird – wenn sie also in sichtbaren Symbolen auf ihre Präsenz verweist und Menschen zum Gebet, zum Zusammensein, zum Fasten oder zu einer sozialen Aktivität einlädt. Dieselben Fragen stellen sich auch beim öffentlichen Tragen des Kopftuchs durch muslimische Frauen3, bei speziellen Hochzeits-4, Sterbe- und Begräbnisritualen5, bei muslimischen Friedhöfen6 etc.

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Somit wird in diesem Beitrag das „Dreiecksverhältnis“ angesprochen, das im Verhältnis der Religionen zueinander und in ihrem gemeinsamen Dasein in der säkularen Öffentlichkeit7 deutlich wird.

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Ist öffentliche Religion gesellschaftlich tabu?

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Die Auseinandersetzung mit Religionen, die sich mittels religiös unverzichtbaren Symbolen8 öffentlich zeigen, scheint zunächst an ein Tabu spätmoderner Gesellschaften zu rühren. Dieses Tabu bereitet den einen Gänsehaut, weil sie um die Freiheit und Gleichheit aller Menschen im säkularen Staat besorgt sind, während die anderen eine „Rückkehr der Religion“ in die Öffentlichkeit erhoffen, die nach einem säkularen Winter möglich sein könnte. Die Gesellschaft lässt sich aber nicht einfach in säkulare und nichtsäkulare Menschen und Gruppen aufteilen. In der Stellungnahme des islamischen Friede Instituts für Dialog zu den Hypothesen über öffentliche Religion im Anschluss an die erfahrungsorientierte Jännertagung9 wird darauf aufmerksam gemacht, dass das Verständnis von einem „säkularen“ Staat sehr verschieden sein kann: „Auch Säkularität gehört zu den Begriffen, wo verschiedene Menschen Unterschiedliches meinen. Die Einwohner der Türkei sind mehrheitlich Muslime, dennoch denke ich, dass die Türkei in manchen Bereichen säkularer ist als Österreich.“10

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Im traditionell katholisch und volkskirchlich geprägten Tirol hat die „öffentliche Religion“ ihre besondere Brisanz. In Tirol zeigen sich, mehr als in anderen Gebieten Österreichs, Reste einer katholischen Öffentlichkeit, die sich nicht nur in einem grundsätzlichen Sinn politisch betätigt hat, sondern sich vielmehr sehr eng an eine bestimmte politische Partei angelehnt hat. Wie Sieglinde Rosenberger aufweist, will sich diese Partei auch heute noch der kirchlichen Nähe vergewissern; nicht selten wird ihr aber bei einer ungebührlichen Annäherung von namhaften KirchenvertreterInnen die kalte Schulter gezeigt11. Das Auftreten einer „neuen“ Religion (wenn man an die österreichisch-ungarische Monarchie denkt, gleichzeitig auch einer altbekannten) in der Gestalt des Islam, der in Österreich den anderen Religionen gleichgestellt ist12, irritiert jedenfalls die traditionelle Logik erheblich, wie die Gesellschaft und speziell auch politische Parteien mit öffentlicher Religion bisher umzugehen pflegten.

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Gleichzeitig hat sich aber auch in das Tiroler Volksbewusstsein die Ansicht eingenistet, dass die Freiheitsrechte, die den modernen Menschen so heilig sind, nicht zuletzt gegen den Widerstand von Kirchen und Religionen erkämpft werden mussten. Öffentliche Institutionen wie öffentliche Ämter, öffentliche Kindergärten und Schulen, öffentliche Krankenhäuser und auch Friedhöfe repräsentieren demnach die Gleichheit aller StaatsbürgerInnen vor dem Gesetz und symbolisieren deren Freiheitsrechte. Es gibt also nicht nur öffentliche religiöse Symbole; auch die säkulare Moderne zeigt sich in einer bestimmten Symbolgestalt, die sich besonders mit den demokratischen Freiheits- und Gleichheitsgrundsätzen, aber auch mit einer gewissen Skepsis gegenüber öffentlicher Religion verbindet, welche die demokratischen Errungenschaften stören könnte, die nicht zuletzt aus einer langen Auseinandersetzung mit Religion(en) gewonnen wurden.

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Weil Symbole besonders tief emotional verwurzelt sind, hängt sowohl an der säkularen als auch an der religiösen Symbolik mehr, als man durch den Diskurs über die Wirkmacht öffentlicher Symbole bearbeiten kann. Es ist durchaus verständlich, dass die Heiligtümer aufgeklärter, autonomer Humanisten gefährdet erscheinen, wenn Religionen aus dem ihnen zugestanden Privatbereich in die Öffentlichkeit treten, sichtbar werden und gestaltend in die Gesellschaft eingreifen. In den Augen mancher Menschen überschreiten sie damit die Grenzen jener willkommenen Funktionalisierung von Religion, mit denen sich auch eine liberale Gesellschaft angefreundet hat, ja mit der sie sogar rechnet: dass Menschen in der Religion individuellen Sinn im Leben finden, dass sie sich im Leben orientieren können und wertebewusst ihr Leben gestalten, dass sie über Krisen und Brüche hinweg kommen, am Tod nicht verzweifeln und in der Hektik des Alltags Oasen der Stille und des Rückzugs finden.13 Das sind Funktionen von Religion, die den StaatsbürgerInnen jenen Halt geben, den eine demokratische Öffentlichkeit nicht aus sich heraus zu geben imstande ist, weil sie ihre Voraussetzungen nicht selbst schaffen kann, sondern der humanen Ressourcen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen, nicht zuletzt aus den Religionen, bedarf.

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Wie gesagt: In diese Ambivalenz hinein, sich mit der öffentlichen Religion, speziell in Gestalt der katholischen Kirche, zu arrangieren, vielleicht sogar auf sie zu bauen oder aber sie als gesellschaftswirksame Kraft abzulehnen, treffen nun auf einmal Menschen, die nicht etwa einer anderen christlichen Konfession angehören, also „protestantisch“ sind (diese „Andersgläubigen“ wurden in Salzburg und Tirol frühzeitig aus dem Land vertrieben), sondern sich sogar zu einer anderen Religion bekennen. Verstärkt wird die Ambivalenz im Hinblick auf die öffentliche Religion durch die kulturelle Fremdheit, die mit der „neuen“ Religion einhergeht, und durch die soziale Ungerechtigkeit, unter der viele ihrer AnhängerInnen leiden. Insgesamt zeigt die Auseinandersetzung um öffentliche Symbole ein zentrales Kommunikationsdilemma in unserer Gesellschaft, das nicht in erster Linie die Religionen untereinander betrifft, sondern in dem vor allem die Auseinandersetzung von öffentlicher Religion mit der konkreten Gesellschaft vor Ort sichtbar wird.

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(Wie) können sich Religionen öffentlich verständlich machen?

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Es ist keineswegs selbstverständlich, dass ein Mensch, der nicht mehr in einer Religion sozialisiert ist, Religion bzw. religiöse Menschen wirklich verstehen kann. Ähnliche Kommunikationsbarrieren, wie sie religiöse Menschen in der Öffentlichkeit erleben, zeigen sich z. B. auch bei Jugendlichen, die sich im Moment in einer oder in mehreren so genannten Jugendkulturen bewegen. Sie werden von Menschen, die ihren „Code“ nicht kennen – und das können die eigenen Eltern sein –, kaum verstanden. Die Codes, von denen die Jugendforschung spricht, haben einen symbolischen Charakter. Sie sagen den Jugendlichen mehr, als man rational erklären kann. Jugendkulturen mit ihren Codes geben Jugendlichen ein bestimmtes Feeling, das tief in den emotionalen Bereich des Menschen hineinreicht und Identifikation, manchmal auch mit sehr problematischen „Kulturen“ wie der Drogenwelt, verständlich macht. Man kann auch im Hinblick auf die Kommunizierbarkeit von Religion in der Öffentlichkeit an solche „Codes“ denken, die nicht mehr selbstverständlich von allen Menschen geteilt werden, aber eine tiefe Wirksamkeit entfalten und mehr emotional als rational abgelehnt werden oder zur Identifikation führen. Wenn der religiöse Code in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit nicht mehr zu entschlüsseln ist, dann kommt es zu andauernden Missverständnissen, die auf Dauer schwere Konflikte hervorrufen können.

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Auf diesem Hintergrund wird verständlich, dass uns nicht wenige Muslime in Telfs sagten, sie fühlten sich von Menschen, die eine wirkliche Nähe zu einer christlichen Gemeinde haben und ihren Glauben praktizieren, wesentlich besser in ihren Anliegen verstanden und geachtet, als von Menschen, die Traditionsargumente benutzen, aber nicht wirklich aus ihrem Glauben heraus leben, die also die Sprache und das Empfinden religiöser Menschen nicht von innen her kennen. Umgekehrt haben KatholikInnen, mit denen wir gesprochen haben, ihre Hochachtung, ja Bewunderung gegenüber der überzeugenden religiösen Praxis mancher Muslime ausgedrückt; manchmal wurden sie als Vorbilder bezeichnet, weil es ihnen besser als den ChristInnen gelinge, den Glauben auch in der nächsten Generation noch lebendig zu halten.

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Das primäre Problem der Verständigung religiöser Menschen anderer Herkunft und ihres religiösen Ausdruck in der Öffentlichkeit dürfte also – so zeigte sich das uns zumindest in mehreren Gesprächen in Telfs – nicht so sehr in der inhaltlichen Verschiedenheit religiöser Vorstellungen aus ihrer jeweiligen Tradition heraus bestehen, als vielmehr in der Frage, ob der jeweilige Mensch überhaupt mit einem religiösen „Code“ etwas anfangen kann. In diesem Sinn muss gefragt werden, ob die zentrale Ursache von Religionskonflikten – zumindest in der nördlichen Hemisphäre – vielleicht eher in der gesellschaftlichen Ahnungslosigkeit im Umgang mit religiösen Menschen liegen könnte als im bekenntnishaften Unterschied zwischen den Religionen.

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„Die Religion ist an allem schuld“ – „Konflikte haben mit Religion nichts zu tun“

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Beide Deutungen hörten wir in Telfs. Für die einen bestehen Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen ausschließlich in kulturellen Differenzen und haben mit Religion nichts zu tun; für die anderen zeigen sich alle Konflikte als religiöse Konflikte. Wie ist eine so unterschiedliche Deutung erklärbar?

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Bei den Gesprächen in Telfs wurde immer wieder deutlich, dass es auf der sozialen Ebene zahlreiche Beispiele der Verständigung und der gemeinsamen Aktionen gibt. Der wirkliche Kommunikationsnotstand herrscht in der Verständigung über das Wesentliche, das den Religionen jeweils „heilig“ ist. Ein migrationsengagierter Bürger, der Katholik ist, sprach dieses Problem mit dem Vorschlag einer „muslimischen Messe“ an, die helfen sollte, Barrieren zu überwinden. So sehr dieser Vorschlag aufgrund der Verständnisse in beiden Religionen als undurchführbar erscheint, so sehr macht er ein generelles Bedürfnis nach Verständigung zwischen den Religionen deutlich, die nicht nur auf der sozialen Ebene geschieht, sondern das innere Verständnis der Religionen und ihre religiöse Praxis betrifft. So wurde das im Rahmen des Kongressprozesses initiierte Friedensgebet in Telfs von Angehörigen beider Religionen, aber auch von eher „liberalen“ Bürgern, als eine Initiative eingeschätzt, die dem Dialog zwischen den Religionen und der öffentlichen Präsenz der Religionen gut tun könnte. Manche sagten sogar, dass eine solche Initiative viel fruchtbarer sei als viele Religionsdialoge.

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Immer wieder wird also die Hilflosigkeit sichtbar, wenn es um das tiefere religiöse Verständnis zwischen den Religionen und vor allem zwischen Religion und gesellschaftlicher Öffentlichkeit geht. Die Interpretation, dass es in den gesellschaftlichen Konflikten gar nicht um Religion, sondern lediglich um „Kultur“ gehe, kann als eine Form der Abwehr der säkularen Gesellschaft verstanden werden, sich tiefer auf die Unterschiede zwischen den Religionen bzw. zwischen Religion und Gesellschaft einzulassen.

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So wird selbst in einem sehr offen geführten Kindergarten kaum verstanden, warum christliche Vollzüge und Bräuche in einer öffentlichen Institution mit einem relativ hohen Anteil von Kindern aus unterschiedlichen Religionen zu kurz greifen.14 Nicht selten wirkt sich die Hilflosigkeit gegenüber der Vielfalt der Religionen in einer Angstreaktion in dem Sinne aus, dass man die Religion überhaupt aus der Öffentlichkeit entfernen und in den Privatbereich abschieben will, wo ja jede/r nach ihrer/seiner „Fasson“ selig werden könne.

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Warum in weltanschaulich-religiösen Konflikten die Verletzlichkeiten besonders groß ist

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„Insbesondere beim Umgang mit religiösen Symboliken bedarf es äußerster Sorgfalt, da sich die Gläubigen ansonsten sehr schnell verletzt fühlen“, heißt es in der Stellungnahme des islamischen Friede Instituts für Dialog Innsbruck zu unseren auf der erfahrungsorientierten Jännertagung entstandenen Hypothesen. In Telfs wurde auch deutlich, dass die Verletzlichkeit im Hinblick auf öffentliche Symbole nicht nur auf Muslime zutrifft. Sie besteht genauso bei KatholikInnen, aber auch bei Menschen, die einen Konflikt zwischen den religiösen und den säkularen Symbolen sehen – die also z. B. eine islamische (Religions-)Lehrerin, die ein Kopftuch trägt, in einer öffentlichen Schule ablehnen würden.

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Um besser verstehen zu können, welch tiefe Kränkungen Menschen erleiden können, wenn mit Symbolen ihrer Religion oder Weltanschauung nicht wertschätzend genug umgegangen wird, oder wenn sie sogar angegriffen werden, müssen wir eingehender den Zusammenhang von individueller Symbolbildung und öffentlicher Symbolik beleuchten. Damit zeigt sich eine Klammer, welche die Überlegungen zur öffentlichen Religion mit den biografisch ausgerichteten Stationen und Szenen der Glaubenstradierung verbindet15.

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Die öffentliche Ausdrucksform der einzelnen Religionen kann keine andere sein als jene, welche der Religion zutiefst eigen ist, nämlich eine symbolische. In ihrem symbolischen Ausdruck zeigen sich die Hoffnungspotentiale der jeweiligen Religion, auf welche die Gesellschaft genauso angewiesen ist wie der einzelne Mensch, damit sie nicht „ausbrennen“ oder die Orientierung verlieren. Im Symbolpotential der Religionen verdichten sich Wirklichkeiten, die sonst voneinander getrennt auseinander laufen. Sie fallen in eins zusammen, ohne dabei klischeehaft zu erstarren und ihre tiefe Bedeutung zu verlieren: das Heilige und das Profane, das Äußere und Innere, das Oberflächliche und das Tiefe, das Vergangene und das Zukünftige, das Innerweltliche und das Transzendente. Im Symbolischen wird die Wirklichkeit in einer Weise repräsentiert, die einen Zugang zum Ganzen der Welt und des Lebens, auch über den Tod hinaus, erahnen lässt.

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Religiöse Menschen entfalten einen Symbolsinn, ein „drittes Auge“16, mit dem sie das, was wir Wirklichkeit nennen, nochmals anders sehen lernen, als es dem ausschließlich empirischen Zugriff möglich ist, nämlich in ihrer symbolischen Bedeutung. Schließlich kann alles in der Welt zum Symbol jener transzendenten Wirklichkeit werden, die auch in einer säkularen Welt gegenwärtig ist. Wenn man den Theorien über die Entwicklung des Religiösen im Menschen Glauben schenkt, dann bildet sich der Symbolzugang, quer über alle Religionen hinweg, in der frühesten Kindheit aus. Ana Maria Rizzuto spricht von einem grundlegenden „God concept“ im Menschen, das sich bereits in der frühen Kindheit bildet und auf das dann erst die unterschiedlichen „images of God“ aus den verschiedenen Religionen treffen.17 Das tiefinnere „Konzept“ des Religiösen zeigt sich in der das Leben grundlegenden Symbolgestalt, etwa des tiefen Vertrauens oder des Misstrauens in das Leben und in die Welt. Auf diese treffen die „Images“ von Gott in den unterschiedlichen Religionen und es bildet sich eine komplexe symbolische Wirklichkeit im Menschen, aus der heraus er leben kann, Sinn und Zutrauen findet.

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Das Symbolkonzept in uns entsteht jedenfalls in der Phase der Ablöse aus der engen Bindung an die frühe Bezugsperson, sozusagen als „Übergangsobjekt“ zwischen der Geborgenheit und der Sehnsucht nach Freiheit und ihrer frühesten Realisierung. Übergangsobjekte vermitteln uns als unsere ersten Symbole das Gefühl, dass die mütterliche Bezugsperson präsent ist, obwohl sie im Moment nicht wirklich gegenwärtig ist. Sie täuschen uns aber nicht einfach über die Angst hinweg18, sondern repräsentieren die Bezugsperson wirklich; das zeigt sich darin, dass sie uns die entsprechende Sicherheit geben, den Schritt in die Freiheit zu wagen. Insofern stehen Religionen immer an der Schwelle zwischen Bezogenheit und Freiheit. Sie ermöglichen Identität in Bezogenheit und Autonomie.

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Wenn man die tiefe psychische Verankerung des Symbolischen in unserer Lebensgeschichte bedenkt, die sich später mit der Vielfalt der symbolischen Gestalten in den jeweiligen Religionen verbindet, dann wird auch verständlich, warum öffentliche Religionssymbole wie Moscheen und Kirchen, Kirchtürme und Minarette, Friedhöfe und Gebetsstätten etc. immer wieder zur besonderen Herausforderung im Dialog der Religionen untereinander und mit der gesellschaftlichen Öffentlichkeit werden. Wer öffentliche Religionssymbole missachtet, angreift oder gar verspottet, greift jene Halt gebende und Sinn stiftende (Symbol-)Wirklichkeit von Menschen an, ohne die kein Mensch leben kann.

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Typisch für die Symbolik jeder Religion und Weltanschauung ist, dass sie emotional aufgeladen und dem distanziert-„vernünftigen“ Diskurs teilweise entzogen ist: Öffentliche Symbole können Menschen zusammenbringen, aber auch spalten, ja Gewalt auslösen. Je nach Situation entfalten sie eine unterschiedliche Wirkmacht. Das hat sich auch in Telfs gezeigt: Welche Symbolik in welcher Weise ihre Wirkmacht entfaltet, hängt von vielen Zusammenhängen ab. Ein kleiner Rundgang durch eine ausgewählte Symbolwelt der Religionen in und um Telfs kann zeigen, wie wirkmächtig, aber auch wie ambivalent öffentliche Religionssymbole den Religionsdialog beeinflussen und gestalten:

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Kein Mensch hätte vor einigen Generationen in Telfs das selbstverständliche Tragen des Kopftuchs in der Öffentlichkeit durch (meist ältere) Frauen mit einem Religionskonflikt verbunden. Erst der neue Kontext zeigt die ambivalente Wirkmacht einer solchen Symbolik.

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Ein Lokal mit einem großen Schild und darauf ein türkischer Name; neben der Eingangstür an der Fassade eine Heiligenstatue; deutlich sichtbar auch das Symbol der Coca-Cola-Werbung – dieses Nebeneinander unterschiedlichster Symbole zeigt eine gegenwärtige Realität in der öffentlichen Symbolwelt: Unterschiedliche Religionen und Kulturen im Kontext globaler Wirtschaftsmächte, die einen pseudoreligiösen Anspruch erheben, prägen auch das Ortsbild von Telfs.

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Ein Garten, belebt mit spielenden muslimischen und christlichen Kinder, begleitet von ihren Müttern; die einen Mütter mit Kopftüchern, die anderen in Jeans, unterschiedlich frisiert; sie spielen gemeinsam mit den Kindern und tauschen sich über ihren Alltag aus: eine hoffnungsvolle Symbolik.

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Spirituelle Zentren als Repräsentanten öffentlicher Religion und deren Bedeutung für den Dialog

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Beim Friedensgebet, bei der Dorferkundung während der erfahrungsorientierten Jännertagung und speziell während des Kongresses „Heilig – Tabu“ kamen noch weitere Aspekte der Auseinandersetzung um öffentliche Religionssymbole zum Tragen. Sie müssen immer auf dem Hintergrund gesehen werden, dass Tirol und damit auch Telfs vor Beginn des Zuzugs muslimischer Gastarbeiter (am Beginn waren es fast ausschließlich Männer) ein relativ geschlossenes religiöses Milieu in der Form einer traditionellen katholischen Identität darstellte. Dieses eindeutige Milieu wurde zwar im Kontext des Fremdenverkehrs und der Globalisierung der Wirtschaft aufgebrochen. Eine tiefgreifende Liberalisierung bestimmt heute die Gesellschaft auch in Tirol und in Telfs. Dennoch ist es fraglich, ob der vorwiegend ökonomisch bestimmte Umgang mit dem Fremden eine größere Offenheit breiter Bevölkerungsteile gegenüber Menschen bewirkt hat, die einer anderen Religion oder Kultur angehören.

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Die katholische Identität dieser Gegend repräsentiert in eindrucksvoller Weise das Zisterzienserstift Stams in der Nähe von Telfs, das weit in das Land hinein sichtbar ist und ein repräsentatives katholisches Zentrum darstellt. Was bedeutet es, wenn im Rahmen des Kongresses MuslimInnen und ChristInnen das Stift als katholisches spirituelles Zentrum gemeinsam besuchen? Die MuslimInnen waren als TeilnehmerInnen bei unserem christlichen Gebet anwesend. Wir haben sie auch anschließend an die Vesper ihre eigenen Lieder singen gehört. Zusammen haben wir einen Friedensbaum gepflanzt. Wir haben miteinander gegessen und getrunken. Ein Dialog im Feiern wurde, bei Wahrung der je spezifischen Religionszugehörigkeit, erlebbar. Nachdem wir ChristInnen am nächsten Tag in der ATIB-Moschee (am Giessenweg) beim muslimischen Gebet anwesend sein durften, uns die Gesten, Rituale und innere Gestaltung der Moschee erklärt und wir dort festlich bewirtet wurden, waren Vergleiche nicht zu umgehen. In welchem spirituellen Zentrum wurde die jeweilige Religion (symbol-)tiefer sichtbar und erfahrbar? In welcher Gestalt zeigte sich die jeweilige Religion?

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Im Hinblick auf die Möglichkeiten und Grenzen des Religionsdialogs wurde bereits in Stams, noch mehr vielleicht in der Moschee, deutlich, dass das Feiern und die echte Gastfreundschaft den Dialog ein Stück weiter fördern und weiter bringen, denn dadurch hat sich bei vielen TeilnehmerInnen am Kongress das Bild des jeweils Anderen geändert, und somit konnten die sozialen Schranken zwischen Menschen aus den beiden Religionen schneller überwunden werden, als wenn man nur beim theologischen Diskurs bleiben würde. Dazu wurde aber auch klar, dass der Dialog mit Asymmetrien rechnen muss und den Kontext muslimischer Partner zu berücksichtigen hat, denn sie stellen die Minderheit dar und viele von ihnen leiden unter Migrationsbelastungen. Bedingt durch die unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse (die ChristInnen waren vielfach Universitäts- oder Hochschulangehörige, die MuslimInnen teilweise Arbeiter oder Angestellte in Betrieben, Ärzte oder Mütter mit Kindern) konnte die Teilnahme am ganzen Kongress nur in sehr unterschiedlicher Weise realisiert werden.

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Im muslimisch-christlichen Gebet mit dem gemeinsamen Anliegen des Friedens, im gemeinsamen Feiern und in der ehrlich gemeinten gegenseitigen Gastfreundschaft, die sowohl im Stift als auch in der Moschee eine offene Begegnung ermöglicht hatte, zeigte sich, dass sich dadurch gesellschaftlich eingefahrene Rollenmuster verändern und Menschen in einer Weise sichtbar werden können, die nur in diesen Kontexten möglich wird. Spirituelle Orte wie Moscheen und Kirchen sind unverzichtbare Symbole einer religiösen Wirklichkeit in der Öffentlichkeit, die nicht nur der individuellen Frömmigkeit und Religionspraxis dienen, sondern durch die und in denen ein Dialog des Betens und Feierns initiiert werden könnte, der dem Geschehenlassen von Verständigung ebenso Raum lässt wie dem aktiven Bemühen um das Aufbrechen gesellschaftlich eingefahrener Rollenklischees.

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Vom Kultur- und Religionsghetto zur Moschee mit Minarett

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Insofern ist die Entwicklung in die Richtung, dass nicht nur die Katholiken durch ihre Religionssymbole öffentlich präsent sind, sondern auch die Muslime, ein ganz entscheidender Schritt in der Auseinandersetzung und Klärung, was öffentliche Religion bedeutet. Eine solche Öffentlichkeit einer „neuen“ Religion benötigt Zeit und Raum für Entwicklung, wie ein kurzer Blick in die Geschichte der muslimischen Glaubensgemeinschaften in Telfs zeigen kann.19

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Gastarbeiter waren lange Zeit nur in ganz bestimmten „Bezirken“ zu finden: Ihre Präsenz zeigt sich in Verbindung mit Bahnhöfen und Wartehallen. Das symbolisiert auch die schnelle Rückkehr in ihre Heimat, sobald sie als Gastarbeiter nicht mehr gebraucht werden. Die erste Generation von Gastarbeitern wird von der Telfer Bevölkerung kaum wahrgenommen. Gebetsstätten sind – wie gesagt – Baracken oder Bahnhöfe. Der erste ordentliche Gebetsraum ist im Pfarrhof untergebracht. Dort wird schon früh den Muslimen ein Raum für das Gebet zur Verfügung gestellt. Kein Mensch denkt zu dieser Zeit daran, dass es einmal zu einer Integration von Menschen aus einer anderen Religion kommen sollte, die auf Dauer einen wesentlichen Teil der Telfer Bevölkerung bilden würden20: Man könnte das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen in dieser Zeit mit der Metapher „ohneeinander“ beschreiben.

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Die Situation von Muslimen als nicht öffentlich wahrgenommene Gastarbeiter verändert sich durch die Gründung von Vereinen.21 Mit dem Entstehen der Moscheen wird in der Telfer Öffentlichkeit mehr und mehr deutlich, dass es „neben“ den drei (ursprünglich zwei) katholischen Pfarren auch zwei muslimische religiöse Zentren gibt. Durch die Gründung der Vereine entsteht aber auch innerhalb der Muslime eine Bewegung: Durch die starke Orientierung an der türkischen Nationalität wenden sich kurdische oder bosnische Muslime wie auch Aleviten den entsprechenden „eigenen“ Zentren in Innsbruck zu. Das Nebeneinander von Muslimen und Christen in einer Gemeinde wird durch das öffentliche Symbol des Minaretts noch deutlicher. Der Bau des Minaretts bei der Moschee am Giessenweg löst eine Identifikation von eher kirchenfernen Kreisen mit den katholischen Religionssymbolen aus. Für sie kommen Kirchturm und Minarett in Konkurrenz, obwohl die gläubigen ChristInnen und die Kirchenleitung für das Recht auf Moschee und Minarett eintreten.

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Aber auch überregionale, ja sogar globale Aspekte kommen ins Spiel: Die katholische Kirche zeigt sich nicht nur in ihrer regionalen Verankerung als Gemeinde, als Pfarre, sondern auch in ihrer diözesanen und weltkirchlichen Verbundenheit. In einer gewissen Parallele zur globalen Anbindung der türkisch-islamischen Vereine spielte im öffentlichen Religionsdialog der gesamtkirchliche Hintergrund gerade in der Auseinandersetzung um das Minarett in Telfs eine bedeutende Rolle. So wird das eindeutige Eintreten des Innsbrucker Bischofs Manfred Scheuer für die Religionsfreiheit auf der Basis der weltkirchlichen Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils zu einer bedeutenden Stütze für das Recht der Muslime auf öffentliche Symbole. Bestimmt bedeutet dies einen wichtigen Zug für die Förderung eines differenzierten und respektvollen Miteinanders.

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Auf ein differenziertes Miteinander der Religionen und Kulturen hin

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Eine Gruppe spielender Kinder von MuslimInnen und ChristInnen zeugt vom Bemühen der Marktgemeinde Telfs, über ein Integrationsprojekt und einen eigenen Integrationsbeauftragten ein gewisses Miteinander der Religionen und Kulturen zu schaffen. Hierzu bleibt aber für die Einzelnen, die Zuständigen, die Kulturvereine und die Kirchen ein langer und mühsamer Weg; dies umso mehr, wenn die Arbeit am Miteinander nur den offiziellen Vertretern überlassen bleibt.

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Ein Miteinander der Religionen wird immer wieder als Wunsch angesprochen, ohne dass es klare Vorstellungen darüber gibt. Am ehesten drückt sich ein vorsichtiges Miteinander auf der Ebene des 1. Friedensforums und auf der Ebene des Friedensgebetes aus, das anlässlich dieses Kongressprozesses initiiert wurde.

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Die Franziskaner werden immer wieder als glaubwürdige Initiatoren eines religiösen Miteinanders benannt. Die Pfarren werden diesbezüglich unterschiedlich eingeschätzt: „Momentan hat die Kirche vor Ort keine Möglichkeiten, das Miteinander zwischen den Menschen verschiedenen Glaubens und deren Glaubensgemeinschaften zu fördern“, drückt sich ein offizieller kirchlicher Vertreter zu dieser Thematik aus. Dennoch werden die katholischen Kindergärten und die Schulen mit dieser Herausforderung konfrontiert. Dort soll in der Praxis ein differenziertes Miteinander der christlichen und muslimischen Kinder bzw. Jugendlichen in Respekt und Dialog heranwachsen.

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Obwohl Unmut und Trägheit im Hinblick auf den Dialog spürbar sind, gibt es doch positive Perspektiven für ein Miteinander unter der Bevölkerung: „Durch die Kommunikation, die unter den Schülern geschieht, haben es die Jugendlichen geschafft, miteinander auszukommen, was Erwachsene noch vor sich haben“, bemerkte ein Vertreter von ATIB Telfs in der Rückmeldung auf unsere Hypothesen. „Ein ideales Miteinander wären Begegnungen in kleinen Kreisen der Nachbarschaft, in denen Menschen einander akzeptieren“, sagte uns ein Mitarbeiter im Gemeindeamt beim Gespräch.

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Bei der beforschten Szene „Kindergarten“ wurde klar, dass Sprache und Bildung die Basis für ein gleichberechtigtes Miteinander darstellen, doch „erst das gegenseitige Akzeptieren, Wertschätzen und der Dialog auf Augenhöhe ermöglichen einen konstruktiven Prozess des sich Annäherns und Miteinanders“, unterstrich das Friede Institut für Dialog Innsbruck in seinen Kommentaren. Leider können einzelne Stimmungsmacher soviel „verhunzen und zerstören“, sagt ein Streetworker. Denn Andersgläubige und Ausländer seien „keine Außerirdischen“, hebt ein muslimischer Religionslehrer hervor.

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Angst von beiden Seiten davor, „dass etwas Negatives kommen könnte“, Vorurteile, wie z. B. dass in nahezu allen MuslimInnen eine potentielle Gefahr stecke, Berührungsängste und Verschlossenheit gegenüber dem Anderen belasten das Verhältnis von MuslimInnen und ChristInnen aus muslimischer Sicht. Beide Seiten wissen zu wenig voneinander und tauschen sich zu wenig aus: „Es gibt kaum direkten Austausch. Oft redet man über den anderen, aber nicht mit ihm. Oder man bekommt Information über Dritte“, deuteten unsere muslimischen Gesprächspartner an. Für sie ist es klar, dass eine alleinige Abwesenheit von Gewalt und ein Nebeneinander der Religionen nicht das Endziel sein sollten. „Die Zukunft sollte von allen gemeinsam mitgestaltet werden.“ Dabei ist kein „Vermischen der Religionen“ gemeint, hört man bei MuslimInnen heraus. „Wünschenswert ist es, dass Menschen ihre Probleme miteinander teilen und sie auch miteinander lösen. Dies liegt auch im Interesse des Islam.“ „...viele Wünsche und Anliegen für das Zusammenleben sind allen gemeinsam, sowie viele Probleme der Erde, die auf alle eine Auswirkung haben“, wurde von muslimischer Seite betont.

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Aus der Sicht des ehemaligen Bürgermeisters von Telfs, der bis heute in den Integrationsbemühungen engagiert ist, bestehe momentan in Telfs ein „Zwischenstand“. Man habe ein akzeptierendes und tolerierendes Nebeneinander erreicht und ein Miteinander der Bevölkerung wachse allmählich. Wichtig hierzu ist für ihn, „die Bedürfnisse der Fremden zu erkennen, konkrete Situationen aufzugreifen und Zeichen der Solidarität zu setzen“. Denn Integration beruhe „auf einer Wertschätzung der Anderen als Menschen. ... Sodann gilt es vertrauensbildend zu wirken und auf sie zuzugehen.“

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Integration bleibt in Tirol und konkreter in Telfs immer noch ein offenes Anliegen und derzeit eine große Herausforderung, denn Integration bedeutet einen Prozess, „in dem sich sowohl die Einheimischen wie die zugezogenen Muslime allmählich verändern. [Er, Anm. des Autors] ist kein einseitiger Anpassungsprozess, sondern ein wechselseitiger Prozess“ und „es gilt das Faktum zu akzeptieren: Die zugezogenen Ausländer gehen nicht mehr zurück“, deutete der ehemalige Bürgermeister beim Interview mit uns an.

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Initiatoren und Moderatoren, Menschen, die Brücken zwischen Kulturen und Religionen bauen und die jeweils Fremden in die Begegnung mit der anderen Kultur hineinbringen und sie begleiten, sind gefragt. „Nebeneinander lässt sich´s leben“, aber wie lange? Jedenfalls steht noch ein langer Weg zu einem differenzierten Miteinander der Religionen und Kulturen in der Öffentlichkeit bevor, bis in Respekt und Aufmerksamkeit auf die jeweilige Bedeutung der Symbolwelten und im Dialog auf Augenhöhe eine tiefere Verständigung über gesellschaftliche und religiöse Grenzen hinweg möglich wird.

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Anmerkungen

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1Von ATIB Telfs war zu keiner Zeit ein Minarett geplant, das von einem Muezzin überhaupt bestiegen werden könnte. Das errichtete Minarett ist 15 Meter hoch. Im Vergleich zum Kirchturm der Hauptkirche wirkt es mehr als bescheiden.

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2Vgl. den Beitrag von CHRISTINA HOLLOMEY, Das paradoxe Verhältnis von Religion und Integration. Telfs als empirisches Beispiel, in diesem Band.

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3Vgl. den Beitrag von WOLFGANG MAX BURGGRAF, YELIZ DAĞDEVIR und JOHANNES PANHOFER, Gestolpert im Erkenntnisprozess. Einblicke in Partnerschaft und Familienstrukturen, in diesem Band (hier besonders: Frau und Mann im Islam).

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4Vgl. WOLFGANG MAX BURGGRAF, YELIZ DAĞDEVIR und JOHANNES PANHOFER, Gestolpert im Erkenntnisprozess. Einblicke in Partnerschaft und Familienstrukturen, in diesem Band.

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5Vgl. den Beitrag von TERESA PETER und FRANZ WEBER, Worüber wir selten reden und meistens schweigen, in diesem Band.

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6Vgl. ELISABETH DÖRLER, Christentum und Islam in Österreich. Eine politisch-praktische Sicht, in diesem Band.

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7Vgl. den Abschnitt „Orientieren: Religionen in einem säkularen Kontext“, in diesem Band.

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8Im muslimischen Kontext wird das Symbol immer als eine „religiöse Pflicht“ verstanden, die eine Verantwortung Gott gegenüber ausdrückt und aus diesem Grund unverzichtbar ist.

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9Siehe den Beitrag von JOHANNES PANHOFER, Eintauchen in die „interreligiöse Lebenswelt“. Methodisch geleitete Erkundungen im Dialogprozess der Jännertagung; zur Übersicht dient auch die Beschreibung der erfahrungsorientierten Jännertagung im Text der Herausgeberinnen, in diesem Band.

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10Stellungnahme des Friede Institutes für Dialog zu den Thesen, die im Rahmen der erfahrungsorientierten Jännertagung formuliert wurden.

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11Vgl. den einschlägigen Beitrag von ROSENBERGER, SIEGLINDE, Kreuz und Kirchturm, Minarett und Kopftuch. Skizzen zu Säkularität, Katholizismus und Islam in Tirol, erscheint in: Reinalter, Helmut (Hg.), Anno Neun 1809–2009. Kritische Studien und Essays, Innsbruck 2009.

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12Vgl die Beiträge von ELISABETH DÖRLER, Christentum und Islam in Österreich. Eine politisch-praktische Sicht; und YELIZ DAĞDEVIR, Mit islamischem Glauben in Österreich leben. Erfahrungen einer Muslima; auch: WILHELM REES, Islam und Christentum in Europa. Kirchenrechtliche und religionsrechtliche Anmerkungen aus römisch-katholischer Perspektive, in diesem Band.

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13KAUFMANN, FRANZ-XAVER, Religion und Modernität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven, Tübingen 1989.

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14Vgl. den Beitrag von DURMU,S GAMSIZ und ASTRID VANTSCH, Mit geschärftem Blick. Das Zusammenleben im Kindergarten wahrnehmen und deuten, in diesem Band.

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15Vgl. den Abschnitt „Hinhören und erfahren an Stationen der Glaubenstradierung“, in diesem Band.

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16Vgl. HALBFAS, HUBERTUS, Das dritte Auge. Religionsdidaktische Anstöße, Düsseldorf 71997. Das Konzept des „dritten Auges“ findet sich in der christlichen Tradition zuerst im 12. Jahrhundert bei Hugo und Richard von St. Victor.

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17Vgl. RIZZUTO, ANA-MARIA, The Birth of the Living God. A Psychoanalytic Study, Chicago 1979.

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18Vgl. die These von Sigmund Freud, Religion sei eine Illusion.

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19Vgl. dazu den Beitrag des Türkisch-Islamischen Vereins für kulturelle und soziale Zusammenarbeit — ATIB TELFS, Zusammenleben in Telfs. Eine muslimische Perspektive, in diesem Band.

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20Laut Daten und Bemerkungen zur demographischen Entwicklung der Marktgemeinde Telfs in Tirol (Stand 01. 01. 2007) sind von ca. 15 500 Personen ca. 2 410 türkischstämmige Einwohner. Sie stellen somit 16 % der Telfer Gesamtbevölkerung. Jeder sechste Telfer ist türkischstämmig. Was den Anteil türkischstämmiger Kinder bei Einjährigen aus dem Jahrgang 2006 angeht, lässt sich zeigen, dass von 148 Kindern 56 aus türkischstämmigen Familien kommen, das sind 38 %. Vgl. dazu den Beitrag von EWALD HEINZ, „Miteinander Zukunft“. Marktgemeinde Telfs, in diesem Band.

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21Vgl. ATIB und IKZ (beschrieben in den Beiträgen von EWALD HEINZ und CHRISTINA HOLLOMEY, in diesem Band). Beide Vereine bestehen nicht nur in Telfs, sondern sind in einen globaleren Zusammenhang eingebunden: ATIB durch die Verbindung mit der Türkei – der Imam der ATIB Moschee wird von der Türkei bestellt und bezahlt; das IKZ durch die Einbindung in den Dachverband der Islamischen Kulturzentren in Österreich in Anlehnung an den 1980 in Köln gegründeten Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ); hier gibt es eine umstrittene Nähe des inneren Kerns des Kulturzentrums zur Süleyman Hilmi Tunahan, einer muslimischen Bruderschaft, die auch europäisch vernetzt ist. Vgl. dazu den Beitrag von CHRISTINA HOLLOMEY, Das paradoxe Verhältnis von Religion und Integration. Telfs als empirisches Beispiel, in diesem Band.

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